Plädoyer für den Sabbat - Predigt zu Markus 2, 23-28 von Rudolf Rengstorf
2,23
Es begab sich, dass Jesus am Sabbat durch ein Kornfeld ging. und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen.
Und die Pharisäer sprachen zu ihm: „Sieh doch! Was tun deine Jünger am Sabbat, was nicht recht ist?“
Und er sprach zu ihnen: „Habt ihr nicht gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren, wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren?“
Und er sprach zu ihnen: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbat willen. So ist der Menschensohn auch ein Herr über den Sabbat.“
Liebe Gemeinde!
An einem Freitagabend bin ich zu Gast bei einem jüdischen Freund in München. Er ist ein vielbeschäftigter Projektmanager in einem großen  Planungsbüro. Ein Mann voller  Tatkraft und nur so sprudelnd von Ideen. Ständig jettet er von einer Großbaustelle zur nächsten. Seine ebenfalls berufstätige Frau und die beiden halbwüchsigen Kinder  müssen einen Menschen ertragen, von dem Atemlosigkeit und Hektik ausgehen, Denn die kurzen Zeiten  in denen er  unter der Woche zu Hause ist, werden  von ständigen Telefonaten  und der Arbeit am PC bestimmt.
Im krassen Gegensatz zum normalen  spannungsvollen und angestrengten Alltag steht der Freitagabend. Da ist mein Freund eigentlich immer zu Hause. Telefon, Handy und PC sind abgeschaltet, und mit dem Entzünden der Sabbatkerzen zieht  feierliche Ruhe ein ins Haus und überträgt sich auf alle Familienglieder  Man setzt sich unter Gebet und Segensworten an den festlich gedeckten Tisch, auf dem  köstliche Speisen fertig zubereitet warten. Niemand muss in die Küche laufen, letzte Vorbereitungen für den nächsen Gang treffen.. Alles ist fertig, auch für den nächsten Tag. Das  geruhsame Festmahl zieht sich hin bis in den späten Abend. Bei den Gesprächen geht es nicht um das, was an Arbeit zurück geblieben ist oder was dringend erledigt werden muss. Stattdessen wird die Unterhaltung angeregt durch  Bibellesungen, in denen es um das Geschenk des Lebens  und die Befreiung aus der Sklaverei geht.und um das, was die Menschen hier um den Tisch miteinander verbindet imd wozu Gott sie braucht und haben will. Biss zum Abend des  nächsten Tages  bleibt die Familie zusammen, ruht sich aus, und widmet sich gemeinsamen Unternehmungen. Ein Abend und ein Tag zum  Auf- und Durchatmen, zur Selbstvergewisserung und zum Wahrnehmen dessen, was uns ohne unser Zutun geschenkt wird:  das Leben, das Miteinander, das Sprechen-, Weinen- und Lachen-Können. Ein Abend und ein Tag, an dem etwas zu spüren ist von der Nähe Gottes und einer Welt  in seinem Frieden.
Das ist der Hintergrund, auf dem ich  der  Geschichte vom Ährenausraufen am Sabbat  wieder begegne.  Früher  hatte ich sie verstanden als Freisetzung von  Gesetzlichkeit und Zwängen  eines Tages, an dem so gut wie alles verboten ist mit dem Tenor: Mit diesem gruseligen Sabbat haben wir Christen Gott sei Dank nichts mehr zu tun. Inzwischen aber habe ich gelernt, dass wir nur ein Zerrbild des Sabbat und auch ein Zerrbild der Pharisäer verinnerlicht haben, das wir so schnell wie möglich hinter uns lassen sollten.
Dazu mag helfen, wenn wir diese  Geschichte von den Ähren ausraufenden Jüngern und dem sie in Schutz nehmenden Jesus  mal mit  Auge und Ohren der Pharisäer hören und  betrachten. Das waren keine besserwisserischen Theologen oder kleinkarierte Gesetzeslehrer. Das waren  fromme Männer aus dem Volk, denen daran lag, den Glauben an den Gott Israels und das Wissen um seinen heilsamen Willen fern vom Tempel unter  die Leute und in ihren Alltag hineinzubringen und lebendig zu halten.Und so achteten sie darauf, dass  die Menschen  die Arbeit am Sabbat konsequent ruhen ließen, um sich  daran zu erinnern, dass der Mensch sich nicht dem verdankt, was er leistet, sondern dem schöpferischen Tun Gottes.
Und da hat es sie schon geärgert, dass ausgerechnet die  Jünger Jesu sich mit dem Ausraufen von Ähren zu schaffen machen. Mundraub war  an sich nicht verboten. Aber am Sabbat gab es dafür überhaupt keinen Grund, weil  an diesem Tag  in den Häusern immer  ein Essen für  mitellose Durchwanderer bereit stand.,Und trotzdem beschäftigten  sich die Jünger mit dem  Ausraufen von Ahren, was  bei genauer Betrachtung als Erntearbeit galt und allemal den Anschein erweckte, als achteten sie nicht auf die Heiligkeit dieses Tages.
Was die Pharisäer  aber erst recht auf die Palme bringen musste, war die Art, in der Jesus  dieses provozierende Verhalten entschuldigte.  Was regt ihr euch auf über  diesen Verstoß gegen die Heiligkeit  des Sabbat. Wisst ihr nicht, dass kein Geringerer als  David, als er mit seinen Gefährten großen Hunger litt,  sich nicht an die Heiligkeit der Schaubrote auf dem Altar hielt und sie einfach aufaß?
Ein Vergleich, der doch vorne und hinten hinkt. Zum einen  ist die Heiligkeit von Schaubroten nicht mit der Heiligkeit des Sabbat zu  vergleichen. Und zum andern waren Jesu Jünger anders als  David nicht in einer  Notlage. Mit Verlaub, Rabbi Jesus, das ist keine stichhaltige biblische Begründung. Das ist ein Schriftgebrauch, über dessen Stümperhaftigkeit man sich nur wundern kann.
Das muss Jesus - oder wer ihm das in den Mund gelegt hat – auch  selber  gemerkt haben, weil jetzt  eine zweite Begründung kommt. Mit der ersten hat sie gar nichts zu tun. Und für einen frommen Juden ist sie noch viel mehr zum Kopfschütteln als die erste „Der Sabbat– so behauptet Jesus ebenso plakariv wie populistisch– ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbat willen.“ Und das sagtausgerechnet Jesus! Er, der  sonst immer Gott an die erste Stelle setzt, redet hier so, als käme Gott gar nicht in Betracht und als müsse sich alles um den Menschen drehen! Wenn der Mensch und nur der Mensch das Maß aller Dinge ist, dann  gibt es nichts auf dieser Erde, das nicht um des Menschen willen da ist und worüber er nicht nach freiem Ermessen verfügen könnte.
Nun ist es in der Tat ja so, dass der Schöpfer  dem ersten Kapitel der Bibel zufolge  dem Menschen  seine ganze Welt anvertraut hat. Aber das gilt gerade nicht für dem Sabbat. Den hat Gott ausdrücklich der Verfügung des Menschen  entzogen, indem er ihn geheiligt und damit zu seinem Eigentum gemacht hat. Der Satz: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht“ ist schlicht falsch, von Schlimmerem – nämlich von Gottlosigkeit – gar nicht zu reden Von dieser angeblichen Zweckbestimmung des Sabbat ist in der Bibel  an keiner Stelle – außer hier bei Jesus – die Rede.  Der Sabbat ist um Gottes willen da:  der Tag, die Zeit vollkommener Ruhe, in der Gott und Mensch einander begegnen sollen. Der Tag, an dem Gott dem aus der Schöpfung gefallenen und in mühevoller Arbeit verstrickten Menschen eine Welt aufleuchten lässt, in der alles nach seinem Willen geordnet und heilgemacht ist. Und deshalb  ist  diesem Tag  die unbändige Hoffnung  darauf eingepflanzt, dass Gott am Ende der Tage den Retter und Erlöser, den Messias, schicken wird.
Der kommt auch bei Jesus in den Blick mit dem Satz: „So ist der Menschensohn auch ein Herr über den Sabbat.“ Damit kriegt Jesus  aus pharisäischer Sicht noch  die Kurve heraus aus dem  höchst missverständlichen und – für sich genommen –falschen Satz über den Sabbat, der uim des Menschen willen da ist. Freilich lässt Jesus hier keinen Zweifel daran, dass er sich selbst als den Menschensohn, den Messias, betrachtet. Und da hört dann für die Pharisäer alle Gesprächsbereitschaft auf. Da mit  dem Rabbi Jesus nicht die Heilszeit für Israel und die Völkerwelt eingetreten ist, kann er für sie auch nicht der Messias gewesen sein.
Für die Jünger freilich sah das anders aus: Sie hatten das gewohnte Leben konsequent hinter sich gelassen und nicht nur ihr  Tagewerk für einen Tag unterbrochen. Und dabei hatten sie in Jesus den Menschensohn erlebt, in dessen Nähe die Heilszeit sich zu verwirklichen begann: Lahme gingen. Blinde wurden sehend, Taube hörend, Tote zum Leben gebracht, Aussätzige wurden rein, und mit notorischen Sündern wurde die Gegenwart Gottes gefeiert. In Jesu Nähe war für sie deshalb  jeder Tag ein Sabbat, für den  Ordnungen und Vorschriften sich erübrigt hatten.
Nur dabei ist es ja nicht geblieben. Der Messias Jesus endete am Kreuz. Mit seiner Auferstehung drang das Evangelium in die Heidenwelt ein. Und die Christen haben den Sabbat durch den Sonntagals Auferstehungstag  ersetzt, um zur Geltung zu bringen, dass das Volk Gottes sich ausgeweitet hat auf alle die an Jesus glauben und  hoffen, dass er  es ist, der mit den Juden als der kommende Weltenrichter und Erlöser erwartet wird.
An jedem Sonntag geschieht das im Gottesdienst, ja. Aber  reicht diese Stunde, die es schwer genug hat auf dem Markt der Möglichkeiten, die dieser Tag bietet? Zumal es ja keine Kriterien  für die Auswahl  gibt – immer so  nach der  bequemen Devise: Der Sonntag ist um des Menschen willen da!
So wird der Sonntag  mehr und mehr in den Alltag  eingeebnet. Es sei denn, wir  lernten vom  jüdischen Teil des Gottesvolkes eine Kultur für diesen Tag zu entwickeln, die bis in unsere Häuser hineinreicht.Eine Kultur, die das Geschenk des Lebens dankbar feiert und es öffnet dafür, dass  Heil und Vollendung noch ausstehen.
Darüber nachzudenken und ins Gespräch zu kommen zu Hause und in der Gemeinde – dazu ist dieser Sonntag ein guter Anlass!
Amen.
Perikope
13.10.2013
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