I. (Begegnung in Franken)
Herbst 2015 irgendwo in Franken bei Bamberg.
Die 68-Jährige Gabriele Stärz aus Karlsruhe und ihr Lebensgefährte Hans haben eine anstrengende Tour hinter sich. "Mir hängt der Magen in den Kniekehlen, wir müssen unbedingt ein Gasthaus finden“. Sie entdecken das Schild "Brauerei - Gasthof Hennemann“. Merkwürdig, der zugemauerte Eingang. Aber da schaut ein Mann aus dem Fenster und zeigt mit einer Handbewegung, dass es hinten reingeht. Also gehen sie über den Hof ins Haus.
In diesem Haus lebt Kawa Suliman seit gut einem Jahr. Der 30-Jährige stammt aus Qamishli, einer Stadt im Norden Syriens. 2014 ist der junge Anwalt nach Deutschland geflohen. Er war einer der ersten, die in den ehemaligen Gasthof einzogen, als dieser zum Heim für Asylsuchende wurde. Von den jetzigen Bewohnern kann er am besten Deutsch. „Ich verstehe sie nicht. Ich weiß nicht, was sie wollen,“ sagt er zu ihnen. „Aber eins weiß ich: Die haben Hunger und müde sehen sie auch aus.“ Kawa Suliman heißt die beiden Gäste willkommen und führt sie an einen Tisch. Gabriele fällt auf, dass Tische und Stühle im Gastraum nicht zusammenpassten. "Die fangen wohl neu an“, denkt sie. Da muss man Verständnis haben, wenn's nicht so schnieke ist. Und außerdem ist der junge Gastronom wirklich nett. Suliman holt seine Freunde in die Küche. Mohammed Ali holt die Apfelmarmelade, die er zwei Tage zuvor gekocht hat, die anderen bringen Eier, Tomaten, Käse und Joghurt. Kawa Suliman richtet eine Platte an und serviert alles mit Fladenbrot.
„Toll hat das geschmeckt", sagt Gabriele. Sie hatte einen grünen Tee bestellt, ihr Hans trinkt Milch. Den Karlsruhern gefällt das sympathische syrische Restaurant in Franken. „Nun würden wir gerne zahlen!“ Kawa schaut sie verständnislos an. „Aber ihr seid doch unsere Gäste, wir leben hier“. Er holt die anderen aus der Küche, Mohammed und die anderen. Willkommen in Deutschland, rufen sie. Und da erkennen Gabriele und Hans, wo sie gelandet sind. In einem Asylbewerberheim!
II. (Bibeltext)
Im Hebräerbrief heißt es (Übersetzung: BasisBibel außer v3 (a)):
Die Liebe zu den Brüdern und Schwestern soll bestehen bleiben. Vergesst aber auch die Gastfreundschaft nicht. Denn auf diese Weise haben schon manche, ohne es zu wissen, Engel als Gäste aufgenommen. Denkt an die Gefangenen, als ob ihr mit ihnen im Gefängnis wärt. Denkt an die Misshandelten, als wäre es euer Körper, der misshandelt wird (a).
III. (Begegnung bei Abraham und Sarah)
Abraham ist der perfekte Gastgeber. Als die 3 Männer vor seinem Zelt stehen, lässt er alles stehen und liegen, sorgt dafür, dass sie sich waschen können und sich im Schatten niederlassen. Er tischt ihnen auf, was er hat: Brot, Butter, Milch, Kalbfleisch. Und sie kommen ins Gespräch. Über die Zukunft und die Herkunft, über Träume und Pläne. Und die Gäste verkünden, dass die hochbetagte Sara einen Sohn bekommen wird. Als die das hört, bekommt sie einen Lachanfall. Peinlich, dass die Gäste das mitbekommen. Denn es ist unhöflich, über Gäste zu lachen. Und erst recht über Engel. Sara versucht sich rauszureden, aber es gelingt ihr nicht wirklich. Die Gäste ziehen weiter.
Gäste, die was zu sagen hatten. Die sie überraschten und eine andere Welt mitbrachten. Gäste, die sich wohlfühlten und eigentümlich vertraut waren, obwohl sie so fremd waren. Und obwohl Abraham und Sarah wussten, wer sie waren, stellte dieser Besuch ihr Welt gehörig auf den Kopf. Ein Kind im hohen Alter. Das hatten sie doch schon abgehakt. Und jetzt? Lachen und Weinen zugleich. Die Zukunft bekommt eine neue Farbe. Engel als Gäste - „ Vergesst (…) die Gastfreundschaft nicht….“
IV. (Begegnung an deutschen Tischen)
Viele von uns Deutschen tun sich nicht so leicht mit der Gastfreundschaft. Spätestens im Ausland merken wir den Unterschied. Wenn wir z.B. unsere Partnerkirche in Südindien besuchen, dann werden wir schon am Flughafen mit Blumenketten empfangen und überall, wo wir hinkommen, freuen sich die christlichen Schwestern und Brüder uns zu sehen und das zeigen sie uns mit Tischen voller Speisen und Getränke. Umgekehrt fällt es uns jedes Mal sehr schwer, überhaupt genügend Interessierte zusammen zu kriegen, wenn unsere indischen Gäste kommen. Nicht selten habe ich mich dafür geschämt.
Oder wenn wir im Interreligiösen Dialog gemeinsame Treffen organisieren. Egal ob wir in der Synagoge sind oder in der Moschee: immer gibt es Tee, Gebäck und richtig leckeres Essen. Unsere Dialogpartner zwinkern uns zu: Und? Wann ladet ihr uns ein?
Warum tun sich viele von uns so schwer - auch und gerade in unseren Gemeinden? Haben wir verlernt, uns in den Fremden, die Fremde hineinzufühlen? Oder ist es nur eine Sache der Mentalität? Wollen wir alles immer zu perfekt machen? Oder wollen niemand Fremdes reinschauen lassen in unser Privates? Warum auch immer: ich wünsche mir, dass unsere Kirchen gastfreundlicher werden.
V. (Engelbegegnung)
„Vergesst die Gastfreundschaft nicht“ - warum eigentlich?
Weil ein Engel vor der Tür steht. Ein Bote oder eine Botin von Gott. Ein himmlischer Gast, dem man seine himmlische Herkunft nicht ansieht. Er besucht den wandernden Abraham mitten im Tag und isst mit ihm. Er stärkt Elia, als dieser nicht mehr weiter kann und nur noch sterben will. Ein Engel kommt mitten in der Nacht zur jungen Maria und sagt ihr, dass sie ein Kind bekommt und dieses Kind ist nicht irgendwer. Und sie weiß nicht wie ihr geschieht, aber sie spürt, dass die Welt nicht mehr dieselbe ist. Ein Engel besucht die Hirten mitten in der Nacht und bringt sie dazu, ein Neugeborenes im Stall zu besuchen und daraus ihre ganze Hoffnung zu schöpfen. Ein Engel tröstet den verzweifelten und müden Jesus im Garten Gethsemane und es sind Engel, die die trauernden Frauen am Grab von Jesus wieder ins Leben schicken.
Und nun klopft jemand bei mir an, ich lasse ihn ein, decke den Tisch, biete etwas zu trinken an. Ein Glas Wein, ein Bier, ein Wasser, einen Kaffee? Mein Gast soll sich wohl fühlen, willkommen sein. Zuhause sein. Ich nehme mir Zeit, ich höre ihm zu, ich bin neugierig, was er zu erzählen hat. Meine Welt wird weiter, wenn ich einen Gast habe. Meistens. Ob meine Küche aufgeräumt ist oder der Zeitungsstapel noch das Sofa bedeckt, ist völlig egal. Ein Engel?
VI. (Begegnung mit Gott)
Macht Platz für Gottes Engel! Nicht nur zuhause, sondern auch hier, in der Kirche. Gerade hier. Schaut genau hin. Wenn Neugierige oder Suchende den Weg in unsere Kirche finden, werden sie sich dann wohl fühlen? Willkommen sein? Ist die Tür überhaupt offen? Wie leicht machen wir es ihnen, sich zurecht zu finden? Und kommen wir sogar miteinander ins Gespräch? Es könnten Engel sein, die uns was zu sagen haben und unsere Welt auf den Kopf stellen.
Sie haben Gott mit im Gepäck und sie haben was zu sagen. Nicht alles ist gefällig. Aber sie verbinden dich mit dem Himmel. Und die Zukunft bekommt eine neue Farbe.
Waren Gabriele und Hans im fränkisch-syrischen Asylbewerberheim vielleicht Engel? Ich glaube, ja. Vielleicht nicht von Anfang an, wer weiß das schon? Aber sie wurden zu Boten Gottes. Sie erzählten es weiter: von Kawa und Mohamed und wie selbstverständlich sie als Gäste behandelt wurden. Sie rührten damals vor viereinhalb Jahren eine ganze Nation. BILD, RTL, FAZ und der Bayrische Rundfunk erzählten davon. Es entstand sogar ein Kurzfilm (b) daraus, der nun in Schulen und Kirchen gezeigt wird. Die Geschichte geht weiter und sie zeigt: geflüchtete Menschen bringen eine Kultur der Gastfreundschaft mit, die uns guttut. Es sind Menschen, die für andere da sein wollen. Die was zurück geben wollen, wenn man sie nur lässt. Ihre Geschichte geht uns was an. Denn es könnte unsere Geschichte sein.
Ja, Gabriele und Hans wurden zu Engeln, weil sie ihre Geschichte nicht für sich behielten. Botin und Bote Gottes. Botin und Bote einer Menschenfreundlichkeit, die unsere Gesellschaft braucht.
VII. (Begegnung ermöglichen)
Reißen wir unsere Kirchentüren auf. Halten wir die Kirchen offen für Gäste, die womöglich Engel sind. Sie sind im Namen Gottes unterwegs. Haben uns was zu sagen. Überraschend. Das Herz weitend. Unsere Welt auf den Kopf stellend. Vielleicht nehmen wir sie am Anfang nicht ernst, so wie Sarah. Oder wir wissen nicht, was sie eigentlich suchen, so wie es den Syrern in Franken ging. Aber lasst uns gastfreundlich sein. Heute. Morgen. Die nächsten Tage. Damit die Welt eine andere wird. Eine größere. Eine weitere. Eine Welt, die Platz hat für Gottes Engel und Raum für seine Freundlichkeit.
Amen.
- Der Vers 3 ist im letzten Teil eher an die Genfer Neue Übersetzung angelehnt
(b) Kurzfilm "Die Herberge" von Ysabel Fantou und Sanne Kurz
Empfehlung: Genesis 18,1-16a als Lesung verwenden
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
In die Gottesdienste der Stadtkirche kommen immer wieder auch ausländische Gäste und immer wieder Menschen, die das erste Mal da sind - angezogen von hochwertiger Kirchenmusik. Oft bleiben sie unbeachtet. Im Kirchenbezirk pflegen wir seit über 20 Jah-ren eine Partnerschaft mit der südindischen Diözese Coimbatore. Außerdem spielt die Arbeit mit Flüchtlingen immer wieder eine Rolle im Kirchenbezirk. So haben wir als Evangelische Kirche eine Kampagne unterstützt, dass Pforzheim sich zum „sicheren Ha-fen“ erklärt. Leider bisher erfolglos…
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Thema „Gastfreundschaft“ ist hochaktuell. Ich hatte mich „irgendwie“ an die Zeitungsmeldung vom Dezember 2015 erinnert, die von dieser Verwechslung einer Asylunterkunft mit einer Gaststätte erzählte. Der Charme dieser Geschichte hat mich sehr eingenommen….
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Erkenntnis, dass nicht die freundlichen Gastgeber die Engel sind (wie wir vielleicht zuerst annehmen würden), sondern die Gäste - und die Frage: was macht Gäste zu Engeln?
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mit meinem Predigtcoach Jan Mathis hatte ich einen regen Austausch zu meinem Predigtentwurf. Er ermutigte mich dazu, mich stärker auf den Vergleich mit Gen 18 zu konzentrieren (Am Anfang hatte ich noch Mt 25 mit dabei) und damit auch eher den Überraschungscharakter zu betonen statt den ethischen Impuls einer Imitatio Dei. Das und seine wertschätzende Würdigung des Gesamtduktus waren sehr hilfreich für mich. Danke dafür!