Post zum Pfingstmontag - Predigt zu 1. Korinther 12, 4-8 von Jochen Riepe
12, 4-8

( Der Predigttext ist als Epistellesung vorgetragen worden.)

                                                                               I

‚Keiner weiß genau, wie es kam … Es brauchte Zeit, der Abstand tat weh, aber heute halten wir uns an den Händen‘. Heilung. Versöhnung.  Wieder miteinander sprechen. ‚Es sind verschiedene Gaben, Ämter, Kräfte, Meinungen, Geschichten, Sprachen… und, und, und… es ist aber ein Geist‘, schreibt Paulus. Dieser Geist, der ‚Geist Christi‘, sei mit euch. Es ist Pfingstmontag.

                                                                              II

Heilung … nicht wahr, so etwas vergißt man nicht: Der Junge war gefallen. Er weinte. Das Knie blutete. Die Mutter beruhigte, säuberte die Stelle und legte ein Pflaster auf. Und dann pustete sie und blies ganz sanft die Stelle an. ‚Und jetzt, was müssen wir jetzt tun?‘ fragte der Kleine. ‚Nun warten wir. Die Wunde muß jetzt schlafen. Das wird schon wieder!‘

‚Das wird schon wieder‘. Den Weg der Genesung darf man soz. sich selbst überlassen. Nach ersten Maßnahmen ist alles so ‚eingesetzt‘(12,10), daß eine Verletzung sich schließen kann. Manchmal hinterläßt sie eine Narbe. Und manchmal ist es so, als sei gar nicht gewesen. Der Schnitt, die Schramme oder die Schürfung sind schnell vergessen.

                                                                              III

Paulus, der reisende und schreibende Apostel, ist in Sorge um die Gemeinde in Korinth, er, der sich als einer ihrer ‚Väter‘(4,13) bezeichnet und von Herzen mit diesem Teil des Leibes Christi verbunden ist. Was war geschehen? Korinth sei von ‚Spaltungen‘(1,10), von ‚Eifersucht und Streit‘(3,3) zerrissen. So wurde es dem Apostel berichtet, und dazu will er brieflich Stellung nehmen. ‚Es tut mir weh, was ich über euch höre‘. Jede Gemeinde kennt Gruppen, Kreise, ‚Parteien‘, und diesen damals fiel es schwer, miteinander zu sprechen – vielleicht wollten sie es auch gar nicht. Sie konkurrierten mit ihren Gaben und rieben sich aneinander. Ich weiß: ‚Wettkampf‘ kann uns motivieren, aber eben auch völlig verdrehen. Triumph den einen, Schmach den anderen: ‚Alles ist mir erlaubt‘(6,12), wenn es nur Aufmerksamkeit erregt. Heilungen, Zungenreden, Weissagungen…

‚Verschiedenheit ist gut‘, schallt es aus den Medien. Vorsicht! Die Frage: ‚Wer hat zu sagen? Wer hat die Lufthoheit?‘ lauert auch hier. Korinth war eine multikulturelle Stadt. Buntheit im Alltag will gelernt sein. Faires Streiten, ein fruchtbarer Wettstreit muß eingeübt werden. Sonst setzt sich der Laut-‚Starke‘  durch und bevormundet die ‚Schwachen‘ (Röm 14,1). Droht, so der Apostel, eine ungeregelte Vielfalt nicht den Leib Christi zu fragmentieren, zum Taumeln und zu Fall zu bringen? Wunder des Geistes – Wunden des Geistes. Gegeneinander erhebt sich, was zusammengehört.

                                                                                 IV

Es wird noch verwirrender. Paulus ist der Gründer der Gemeinde, er schreibt allerdings von außen, wohl aus Ephesus. Mir als ‚(Streit-) Schlichter-Gemüt‘ fällt dazu ein: Solche Einmischung kann hilfreich sein, aber auch Widerstand und Gereiztheit entfachen. Räumliche Distanz droht, die Dinge zu verzerren. Stimmt es denn wirklich, was ihm zugetragen wurde? Kannte er die Situation? ‚Väter‘, selbst liebebedürftig und schnell überfordert, sind nicht unbedingt die besten Berater. Zumal gegenüber Kindern, die sich renitent zeigen, dem Vernehmen nach hochgemut und trunken im Geist schweben und nur widerwillig zur Erde und in den Alltag zurückwollen. Eine explosive Lage!

Im Eingangsteil seines Briefes spürt man das: Paulus fühlt sich herausgefordert. ‚Vor-Münder‘, Kümmerer, neigen zu Machtworten oder vorwurfsvollen Vorhaltungen: ‚Ja, wißt ihr denn nicht?‘ Ja, damals  in der guten, ersten Zeit, ‚als ich zu euch kam‘(2,1) … da waren sie noch klein und ‚unmündig‘, die Korinther. Sie bedurften der Milch, feste Speise konnten sie nicht vertragen. Aber sind sie es nicht immer noch und brauchen ein ‚Vorbild‘, um mit der Lage zu recht zu kommen? Einer, der die Wunden entschieden und resolut verbindet? ‚Die Zeiten haben sich geändert‘, höre ich die ebenso liebebedürftigen Kinder erwidern. ‚Auch ein Apostel muß lernen‘.

                                                                                  V

Es sind verschiedene Kräfte, Gaben, Aufgaben, Perspektiven … und, und, und… aber es ist ein Geist‘. Kann man denn die Gelassenheit der Mutter, die auf die Selbstheilung des Leibes vertraut, angesichts der Wunden des Geistes bewahren? Und würde Paulus, der Briefschreiber, meine Kindheitserinnerung  zulassen und auf den angeschlagenen Leib Christi, die  prekäre Gemengelage von Enthusiasmus, Konkurrenz, Neid und Hochmut, anwenden?

‚Ich weiß nicht wie, aber wir kamen wieder zusammen‘, zitierte ich zu Anfang eine Stimme voller Dankbarkeit und Erstaunen darüber, daß in unser zerrissenes Leben, ja, ‚eine es ’tragende‘ Geisteskraft eingewoben ist‘ (K.M. Kodalle). Eine ‚Integrationskraft‘, die über das Gegebene und unabänderlich Scheinende hinausragt und ‚ganz unerwartet und unverhofft‘ uns sich schenkt. In einer Gemeindechronik lesen wir von diesem Geheimnis eher zwischen den Zeilen: Wir haben Schmerzen, wir leiden aneinander, wir streiten und manchmal droht sich alles aufzulösen, und doch, die Sprache legt es in den (allzu?) schönen Satz: ‚und alles Getrennte findet sich wieder‘. Das Unumkehrbare und Unwiderrufliche ist offen für – Versöhnung.

Es ist ein Geist‘. Heute am Pfingstmontag werden wir dieser Vertrauen stiftenden, wahrlich entspannenden und entkrampfenden Gotteskraft inne. Nach dem heftigen ‚Sturmgebraus‘(eg 567) des Pfingsttages ist sie es, die durch unsere Zerrissenheit hindurch wirkt. Ja, sie nimmt diese in den Dienst, öffnet Herzen und Hände: ‚Komm, ich will dir zuhören‘.

                                                                                 VI

Also, auch ein ‚Vater‘ lernt. Gewiß, ‚die Zeit ist kurz‘(7,29) und das macht Druck. Aber gerade schreibend – ein Brief als Statthalter des Gesprächs!- können Eindrücke, Urteile, Gerüchte, auch der eigene Ärger, gegenläufig dazu – Zeit gewinnen! Luft. Atem. Abstand. Was ich geschrieben habe, das sieht mich an, und manchmal ziemlich schräg und kopfschüttelnd: ‚Denk noch einmal drüber nach‘. Besonders einen zornigen, streitbaren Brief oder eine mail werden wir erst einmal ruhen lassen und eine Nacht drüber schlafen, bevor wir sie absenden.

Ob sich eben in solch einer Ruhe-Pause dem Apostel  jenes Wachstum, jenes ‚milde und heimliche‘(M. Claudius) Resonanzgeschehen erschloß, das wir mit dem ‚leisen Wehen‘ des Gottesgeistes verbinden? Und war nicht sein Schreiben, sein Weg zum Brief, dessen Zeuge? Vermuten darf ich es jedenfalls. Je ernster und erinnerungsstärker mir ein Anliegen ist, umso näher rückt mir auch das Herz dessen, den ich anschreibe. Seine Lage, seine Gedanken, seine Gefühle, und eben das, was uns gemeinsam ist. In Versuch und Irrtum entsteht ein Gewebe von Sätzen, ja, die – oft verborgen unter Strenge und Vorwürfen- nach Widerhall, Echo, verlangen und um die Leser schmerzlich liebend werben.

Was für ein Text – dieser ‚Erste Korinther‘! Und welche Geburtswehen hat er! Paulus hat sich als Vorbild angeboten. Er hat beraten, gelehrt, verworfen, gemahnt. Er forderte, sich von Gemeindegliedern zu trennen und sprach von Geld und Lohn und Verzicht. Er griff an und verteidigte… Aber in dem allem lag gleichsam etwas Anderes  und ‚Besseres‘(12,31) schon in der Luft und wollte endlich zur Sprache kommen: Gottes Geist ruft die eine Gemeinde und erhält sie in ihren Unterschieden und ihrer spannenden Vielstimmigkeit. Wo Gnadengaben sich zeigen, wo wunderbar verkündigt, gelehrt, geweissagt und geheilt wird, ist Gott, der Geber, ‚mitten unter uns‘(Lk 17,21) an der Arbeit. Gewiß hat den Apostel – am anderen Morgen?- diese Einsicht vor Panik angesichts der korinthischen ‚Unordnung‘ (14,33) bewahrt. Er belehrt weniger, er macht aufmerksam, argumentiert und findet im mittleren Teil seines Briefes einen versöhnlichen Ton: Wir, Väter und Kinder, leben doch von Voraussetzungen, die wir selbst ‚nicht garantieren‘ können.

                                                                                      VII

Ja, meine Erinnerung, mein inneres Bild. Als das Pflaster abgenommen wurde, sagte die Mutter: ‚Guck mal, nur noch eine kleine Kruste… gut, daß wir gewartet haben‘. Das Genesen, die Normalisierung des verwundeten Leibes Christi ist ja durchaus vergleichbar.

Wie oft ging mir nach einem Konflikt der Gedanke durch den Kopf oder auch mitten durch’s Herz: Hätte ich mich bloß nicht eingemischt! Ich hätte es doch wissen können, daß wir als ‚Mitarbeiter‘(3,9) sanft, geduldig, im Heilschlaf (Ps 127,2) mit dem Gottesgeist zusammenwirken dürfen. Ohne Ziehen, Schieben, Zwingen. Und wo geschieht das besser als im Christus-Mahl und im freimütigen Gespräch? Aufbauender ‚Gottesdienst im Alltag der Welt‘(E. Käsemann). Das weiß jeder aus der Praxis unserer wahrlich bunten, oft taumelnden Gemeinden und ihrer Integrationsarbeit: Lebendige Ko-Existenz  erfordert den Willen zur Verständigung und darin eine belastbare Konflikt- und auch Leidensbereitschaft. Im anderen, ja dem, dessen Worte mir ärgerlich sind, ist – ‚weiß nicht wie‘(Mk 4,27)- der Geist Gottes genauso lebendig wie in mir.

                                                                                        VIII

Wenig später wird der Apostel das ‚Hohe Lied der Liebe‘ anstimmen: ‚Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, hätte aber der Liebe nicht…‘ Ob er am Anfang seines Schreibens ahnte, daß er diesen Gipfel erklimmen würde? Aus dem Vater der Gemeinde wird ihr ‚Tröster‘(2.Kor.1,4), der die Korinther freigeben und dem Geist Christi überlassen kann. Daß das weitere Tränen auf allen Seiten nicht ausschließt, ist im zweiten Brief nach Korinth eindrücklich dokumentiert: Gemeinde unter den Kreuz.

Trösten können, die Seele des anderen anhauchen und verbinden, ist ja die vornehmste Gabe des Gottesgeistes. Getröstet kann der begabteste Mitarbeiter, der beste Redner, der größte Heiler, der scharfsinnigste Analytiker zu einer ‚besonnenen Selbsteinschätzung‘ (D. Kellner) kommen und in die verletzliche  Normalität des miteinander Sprechens zurückkehren.

‚Er wird schon werden‘ – der Pfingstmontag. ‚Maranatha – Unser Herr komm(t)‘.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Jochen Riepe

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Pfingstmontag ist ein Feiertag, der bekanntlich nur wenige Gemeindeglieder versammelt. Es sind die sog. Treuen, ältere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Gemeindeleitung, Konfirmanden, die den Gottesdienst besuchen. Insofern versucht die Predigt eine Art ‚Mitarbeiterschulung‘, die helfen kann, eigene Konflikte, Kränkungen, Ansprüche zu  benennen und zu klären.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich versuche, den leiblichen Heilungsprozeß soz. ‚geistlich‘ zu wenden und homiletisch fruchtbar zu machen. Der Alltag der christlichen Gemeinde ist begründet und getragen im Wirken des Geistes Gottes, der uns zur entspannten Mitarbeit einlädt und befähigt. Eine Formulierung von K. M. Kodalle brachte dies hilfreich auf den Punkt (Verzeihung denken, 2013, S. 10)

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die paulinische Korintherkorrespondenz ermöglicht eine Fülle von gemeindetheologischen und pastoraltheologischen Entdeckungen. Eindrücklich ist insbesondere, wie ‚Standpunkte‘  sich verflüssigen und verändern. Der Briefe schreibende Apostel ist ein lehrreiches Vorbild im Erlernen einer ‚besonnenen Selbsteinschätzung‘ (D. Kellner, Charisma als Grundbegriff der praktischen Theologie, 2011, S. 290).

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der Predigtcoach hat mich ermutigt, den paulinischen geistlichen Wachstumprozeß genauer zu beschreiben und die eigene persönliche und pastorale Erfahrung näher an diesen heran zu rücken. Ich habe den Predigtentwurf entsprechend bearbeitet. Ich danke Herrn Dr. Meyer für den inspirierenden  Austausch.

 

Perikope
24.05.2021
12, 4-8