Predigt beim Schlussgottesdienst der EKD-Synode am 3.5.2015 in Würzburg
15,1-4

Himmel und Musik, das geht gut zusammen, liebe Gemeinde. Die Engel, schwerelos und leicht, loben Gott mit Harfen und mit ihren Stimmen, mit ihren Engelschören. So zeichnen die Maler es seit Jahrhunderten in unsere Kirchenräume. Der Himmel ist erfüllt von Musik. Ein Ort der Kommunikation, einer hört auf den anderen. Hier herrscht kein namenloses Schweigen. 

Die Menschen, die heute hier im Gottesdienst Musik machen, die vielen Hunderttausende, die sich in Deutschland in Kirchenchören, in Gospelchören, in Posaunenchören oder mit anderen Instrumenten engagieren, die Kantorinnen und Kantoren an den Orgeln, und wir selbst mit unserer kleinen Stimme singen und hören uns hinein in den Himmel. Wohl keine andere Religion hat in der von ihr geprägten Kultur solch erschütternde, solch herzerwärmende Musik hervorgebracht wie das Christentum: den strengen Kosmos der gregorianischen Chöre, die opulente Festlichkeit eines Johann Sebastian Bach, den leidbewussten Frohsinn eines Wolfgang Amadeus Mozart bis zu den Dissonanzen heutiger Komponisten. Oratorien, Passionen, Messen, Choräle. Das Christentum ist eine singende Religion.

Wenn der Seher Johannes auf Patmos davon spricht, dass Menschen und Engel im Himmel auf der Harfe spielen und Lieder singen, dann sagt er auch: Diesen Zustand der Freude, den kennt ihr, diese Luft, die prallvoll ist mit dem Lob Gottes, die atmet ihr auch! Und das liegt daran, dass das Zentrum unseres christlichen Glaubens der weltüberschreitende, todüberwindende Jubel ist. In jedem Gottesdienst feiern wir den Sieg des Lebens, die Macht der Liebe, die Rettung aus aller Verlorenheit.

Das „Lied der Überwinder“, wie es in der Lutherbibel überschrieben ist, atmet diesen Geist. In surrealen Bildern erzählt es von Menschen, die etwas überstanden und überwunden haben, worin sie unterzugehen drohten. Und hinter diesen Bildern stehen die konkreten Verfolgungserfahrungen der römischen Christen im 1. Jahrhundert nach Christus. Da ist das Tier, ein bösartiger, mächtiger Drache. Der verführt die Römerinnen und Römer dazu, ein Bild anzubeten, das Kaiserbild, als wäre der Kaiser ein Gott. Da ist die Zahl 666, Symbol für den Antichristen – eine Anspielung auf den Christenverfolger Kaiser Domitian. Die Christen verweigerten die Anbetung des Kaisers. Viele mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen. Das alles sieht Johannes wie in einem Traum. Ein gläsernes Meer, Feuer als Zeichen für das Inferno, das hinter ihnen liegt.

Doch sie singen das „Lied des Mose, des Knechtes Gottes“. Ein Lied der Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten. Die Israeliten kommen ans Schilfmeer. Das schwer bewaffnete Heer der Verfolger rückt immer näher. Da ist kein Entrinnen. Aber dann kommen sie leichtfüßig und unbeschadet durch die Untiefen; und die schweren Panzerwagen der ägyptischen Elite-Armee bleiben stecken im Schlamm und versinken in den Sümpfen. Da singen Mose und Mirjam und Israel dies Lied: „Ich will dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan. Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt...“.

Wer solche Befreiung selbst erlebt hat, kann einstimmen in dieses Lied. Eine Krise im Leben, die ausweglos schien und uns vielleicht in eine tiefe Traurigkeit gestürzt hat –aus der wir dann am Ende doch wieder herausgekommen sind, in der uns die Kraft geschenkt worden ist, wieder nach vorne zu schauen, wieder aufzustehen.

Oder die geschenkte Freiheit eines ganzen Volkes. Vor 70 Jahren haben Menschen in unserem Land erfahren, dass alles kaputt war, was ihr Leben ausmachte: Städte waren zerbombt und Fabriken zerstört. Aber auch Beziehungen, Integrität, Selbstachtung.  Und dann wurde dieses Land wieder aufgebaut, schneller als man es je hätte erträumen können. Durch viel Hilfe von außen. Aber auch durch den eigenen Mut zur nüchternen Selbsterkenntnis, zum Bekenntnis der Schuld. Am Anfang viel zu zaghaft, viel zu sehr an dem Alten anknüpfend. Aber dann immer kräftiger, ernsthafter.  So, dass nicht die herausgestreckte Brust, sondern der Kniefall zur größten Geste der Stärke wurde. Am Ende wurde die Versöhnung die prägende Melodie. Und frühere Feinde sind heute im gemeinsamen Europa Freunde. „Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen?“ Wer so singt, der tut alles, dass gewonnene Versöhnung stärker ist als alle Kräfte, die zurück in kalte Kriege führen.

Und dann ist noch von einem anderen Lied die Rede: die überwunden haben, singen das „Lied des Lammes“ – heißt es da ziemlich geheimnisvoll. Jedes Mal, wenn wir Abendmahl feiern, singen wir dieses Lied des Lammes! „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser!“ Das Lied des Lammes singt von Christus, der am Kreuz gestorben ist und die Verlorenheit der Welt, alle Traurigkeit, alle unsere menschliche Abgründigkeit mitgetragen hat. Es ist das Lied derer, die augenscheinlich auf der Verliererseite stehen. Es ist das Lied der Hoffnung, wenn es nichts mehr zu hoffen gibt.

Dieses Lied können wir singen, wenn uns das Herz schwer wird von dem, was Redini uns von seiner Heimat Syrien erzählt, von seinen Erfahrungen auf der Flucht und von seiner Angst vor der Abschiebung hier bei uns. Dieses Lied können wir auch singen, wenn wir selbst verzweifeln angesichts des nicht enden wollenden Leids durch Terror und Gewalt.

Die Verfolgten singen das Lied des Lammes und loben Gott.

Das heißt nicht, dass das, was auf der Welt geschieht, Gottes Wille ist. Es heißt nicht, dass Gott die Gewalt, die in der Welt ist, billigt oder am Ende gar dahinter steht. Dass das Lamm am Ende die Oberhand behalten wird, das heißt es! I believe in the power of the lamb, ich glaube an die Kraft des Lammes, sagte Martin Luther King in seinem gewaltfreien Kampf für die Bürgerrechte der Schwarzen in den USA. Dieser Kampf gegen Rassismus ist nicht vorbei. Aber mit der Gewaltlosigkeit des Lammes kann man ungeheuer erfolgreich sein. Davon, dass ein Schwarzer eines Tages Präsident des mächtigsten Landes der Erde werden würde, hätten die Sklaven, die im 19. Jahrhundert in den USA begonnen haben, für ihre Freiheit zu kämpfen, wohl kaum zu träumen gewagt. So stark ist die Kraft des Lammes!

Das Lied des Mose, das Lied des Lammes – das sind die Lieder, die im Himmel Bestand haben, liebe Gemeinde. Keine herausgeplärrten Triumphgesänge, sondern ein Lob, das auch die Traurigkeit und die Verzweiflung. Ein Lob, das darauf wartet, dass Gottes Macht offenbar wird. Wenn wir im vollen Bewusstsein von Tod und Gewalt in der Welt heute an Kantate Loblieder singen, dann singen wir sie im Geist der Engel.

Wenn wir gregorianisch singen, dann wissen wir, dass wir auch für die schreien müssen, die verfolgt werden, die heute bittere Not erleiden, die heute aus nackter Verzweiflung auf hoher See ihr Leben riskieren. Wenn wir Gott im Geiste der Engel loben, dann denken wir an die Erfahrungen der Befreiung, die wir selbst in unserem Leben gemacht haben. Und wir tun es stellvertretend für all jene, denen das Herz jetzt so schwer ist, dass sie Gott überhaupt nicht loben können. Wenn wir Gott so loben, dann tun wir das in dem Vertrauen, dass Gottes Macht dereinst offenbar werden wird und alle Gewalt, alles Unrecht, alle Verzweiflung ein Ende hat.

Das ist die Melodie unseres Lebens. Eine Melodie, die auf Erden den Himmel öffnet.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN