Predigt über 1. Korinther 14, 1-3.20-25 von Wolfgang Gerts
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Predigt über 1. Korinther 14, 1-3.20-25 von Wolfgang Gerts

14 1 Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!
  2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen.
  3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.
  20 Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen.
  21 Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28,11-12): »Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr. «
  22 Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen.
  23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?
  24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt;
  25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.
  
  
  Erbauen, ermahnen, trösten
  
  Liebe Gemeinde,
  
  wissen Sie, was echte Begeisterung und Hingabe ist? Natürlich wissen Sie das. Gerade jetzt bei der Fußballeuropameisterschaft ist die Begeisterung riesengroß, gleich ob in den Stadien, wie an den öffentlichen und heimischen Bildschirmen. Da wird getobt, gebrüllt, gestöhnt, da werden Gesänge und Sprechchöre angestoßen oder es kommen einfach unartikulierte Lust- und Schreckenslaute über viele Lippen. Manche geraten sogar ins Zucken, mit dem rechten Fuß oder dem Kopf. Wir wissen ja, worum es geht! In mir spielt etwas mit.  Das kennen wir, und wir haben ein Verständnis dafür. Manche von uns sind bestimmt auch heute mit ungeteiltem Herzen, Mund und Händen dabei, wenn Dänemark und Deutschland gegeneinander spielen.
  
  Auch Kinder können, wenn ihnen die Worte fehlen, ihr Glück herausschreien, genauso wie ihre Wut und Enttäuschung. Sind sie von einer Sache beseelt, kann es geschehen, dass sie von einer Begeisterungswoge erfasst und so mitgerissen werden, dass ihnen noch die Worte fehlen und sie nur mit Stammeln und Stottern ausdrücken können, wie ihnen ums Herz ist. Ähnlich ging es offenbar den Gemeindegliedern in Korinth - damals im Gespräch mit Gott.
  
  Paulus weiß, in Korinth gibt es so manches Problem, zum Beispiel mit der gemeinsamen Feier des Abendmahls oder über unterschiedliche Glaubensanschauungen, auch im Gottesdienst gibt es Bräuche, über die Paulus den Kopf schüttelt. Es ist dort offenbar gebräuchlich geworden, in Ekstase zu geraten, zu tanzen, Unverständliches zu reden, und es herrscht der Glaube, da wirkt der Heilige Geist. Zungenrede. Paulus respektiert das auch, es hat biblische Tradition. Er kann sich solch eine Be – geist –erung in Korinth durchaus vorstellen. Aber er warnt doch: was ist mit denen, die das nicht verstehen? – Verprellen wir nicht andere Menschen damit? – Ist bei Euch Zungenrede alles?
  
  Sie erinnern sich daran, dass Paulus ein Kapitel vorher in seinem Brief an die Korinther der ganz große Wurf gelungen war. Er hatte seine Gedanken über die Liebe entfaltet, so einmalig, so unnachahmbar, dass man diese Verse seitdem „das Hohelied der Liebe“ nennt. Jeder kennt das abschließende Wort: „Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei. Doch die Liebe ist die Größte unter ihnen.“ Wären diese Worte heute neu, würde mancher sagen: „Ganz großes Kino!“ – um damit auszudrücken, mit welch großartigen Formulierungen wir es zu tun haben.
  
  Ja, großartige Worte:  „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen… sie rechnet das Böse nicht zu.., sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.“ Heute noch begeistern diese Worte, und bei Trauungen und Konfirmationen gehören sie wohl zu den meist nachgesprochenen Worten der Bibel.
  
  Aber sie sind auch sehr steil und sehr hoch. Ich glaube, dass Paulus das spürt. Wer kann behaupten, solch eine Liebe zu haben? Wie sollen die Korinther das verstehen können, wo sie doch ganz andere und sehr irdische Probleme haben? Das fällt Paulus jetzt ein, und er lässt sich auch darauf ein. Er kommt in seinen Gedanken auf die Situation in einer konkreten Gemeinde zurück. Seine Worte werden mühsamer, er ringt förmlich nach Worten.
  
  Ohne diese „Zungenrede“ in Korinth grundsätzlich abzuwerten, zeigt er doch, wo sein Herz liegt: Er knüpft noch einmal an sein großes Stichwort an, und er sagt:  „Strebt nach der Liebe!“ – Damit entlastet er uns, denn er zeigt, dass Liebe von uns nicht so vollkommen gelebt werden kann, wie er sie beschreibt. Es wird beim „Streben“ bleiben. Solch ein Streben kann er nun konkret beschreiben.
  
  Dem Zungenreden stellt der die liebevolle prophetische Rede gegenüber. Auch sie kommt aus dem Herzen, aber ihr erstes Kennzeichen liegt darin, dass man sie auch verstehen kann.
  
  Verständlich reden. Ist das nicht erst einmal ein Thema fürs Predigen?
  
  Ich stelle mir vor, Paulus wäre heute Morgen wirklich hier unter uns. Die norddeutsche Ruhe und Ordnung unseres Gottesdienstes würde er gewiss zu schätzen wissen. Und er würde, wenn man ihm das erklärte, auch Verständnis dafür haben, dass von Begeisterung hier eher wenig zu spüren ist. Norddeutsche sind eben keine Orientalen (außer beim Fußball, scheint es). Wir brauchen Ruhe und Besinnung, um etwas in unserem Herzen zu bewegen und uns zum Zwiegespräch mit Gott anregen zu lassen.
  
  Schön, würde Paulus sagen, aber gilt das auch für Eure jungen Leute, die Mädchen und Jungen hier - Konfirmanden nennt Ihr sie?  Die machen mir nicht den Eindruck, dass sie Eure Lieder, die alten Texte und erst recht nicht die lange wohl formulierte Predigt, bei der nichts passiert, zu schätzen wissen. Seht nur, wie unruhig sie hin und her rutschen, ständig auf die Uhr oder heimlich aufs Handy sehen und ganz offenkundig darauf warten, dass sie wieder raus dürfen. Sie kommen, weil sie müssen, hat mir einer von ihnen gesagt. Für sie ist das, was hier geschieht, mehr eine Prozedur als eine prophetische Rede, als dass sie im Herzen getroffen und dazu bewegt werden, einzustimmen in euer Gotteslob. Davon ist nichts zu spüren.
  
  Keine Frage, würde er wohl sagen: Hier wird sehr verständlich gesungen und gebetet und auch klug geredet. Aber die innere Erbauung, die die einen dabei erleben, bedeutet den anderen nichts. So war das damals in Korinth auch mit dem Zungenreden, dass die von außen Kommenden nichts verstanden. Und deshalb empfehle ich auch euch: Bemüht euch um die prophetische Rede, die das Herz anspricht und Gemeinschaft unter euch stiftet.
  
  Ihr singt: „Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen". Aber weder vom Herzen noch von den Händen ist wirklich viel zu spüren. Ihr reduziert den Menschen in euren Gottesdiensten auf Kopf, Mund und Ohren. Und dann wundert ihr euch, dass Außenstehende davon nicht angezogen, sondern eher abgestoßen werden? Die ganze Klarheit und Verständlichkeit eures Gottesdienstes hilft euch nicht, wenn ihr nicht beherzigt, womit ich meine Empfehlung zu einem überzeugenden Gottesdienst überschrieben habe: Strebt nach der Liebe!
  
  Und da fühle ich mich von Paulus ertappt. Erst jetzt entdecke ich, dass die liebevolle prophetische Rede aus dem Herzen heraus drei deutliche Kennzeichen hat – drei Auswirkungen!
  
  
  Die prophetische Rede: sie soll aufbauen!
  
  Wo wir nach Liebe streben, bauen wir einander auf. Sehen wir den anderen als von Gott geliebten Menschen. Sehen wir, wenn jemand belastet oder bedrückt ist, erkennen wir, wenn einem anderen das Selbstvertrauen fehlt. In einem anderen Brief drückt Paulus es so aus: „Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.“ (Römer 12, 10) Nicht die einseitige Rede, sondern das Gespräch, das Reden und Schweigen miteinander, ist ein sichtbares und ein machbares Stück Liebe. Auch, wenn wir manchmal einander missverstehen, nebeneinander her und aneinander vorbei reden, die liebevolle Haltung zum anderen Mitglied unserer Gemeinde darf bei uns allen spürbar werden. Und so entsteht auch prophetische Rede, die aufbaut.
  
  
  Die prophetische Rede: sie soll ermahnen!
  
  Dabei bin ich doch so empfindlich gegenüber Kritik; die Jugendlichen gegenüber den ständigen Ermahnungen der Erwachsenen; die Älteren gegen das Besserwissen der Jüngeren. Blitzschnell kann ich Gegenargumente gegen ein ermahnendes Wort finden. Ich mag das nicht. Sie etwa?
  
  Merkwürdiger Weise gibt es aber doch Menschen, denen gelingt es, mir etwas zu sagen, das ich sonst nicht gerne höre. Kennen Sie auch solche Menschen? – Ob die etwas Besonderes an sich haben? Ist es vielleicht ihre liebevolle Art? – Ich glaube, ja. Es gibt Leute, denen gestatte ich es ausdrücklich, mir ein ermahnendes Wort zu sagen. Es gibt sie auch in unserer Gemeinde. Bei solchen Menschen können wir spüren, dass sie uns achten, dass sie uns liebevoll anerkennen. Dann geht das!
  
  
  Die prophetische Rede: sie soll trösten!
  
  Wenn einer von uns trauert, wenn jemand verletzt ist, wenn Einsamkeit oder Verzweiflung unser Herz bedrücken oder wenn wir mit einer Niederlage nicht fertig werden, dann möge uns Gott solch einen Propheten oder solch eine Prophetin schenken, die die geistliche Gabe besitzen zu trösten.  Doch auch Euch, Sie und mich kann Gott dazu gebrauchen.
  
  Mir fällt ein Sprichwort aus der Musik ein, es ist auch gut für unser Zusammenleben in der Gemeinde. „Üben hilft! – Leider!!“*
  
  Liebe Gemeinde, vielleicht will Paulus uns einfach dazu einladen, in diesem Streben nach Liebe auch die richtige Sprache zu suchen. Dass wir sie finden werden, da ist er ganz sicher: dort, wo sie aus dem Herzen kommt. Dort, wo wir uns öffnen können. Dass uns das gelingt, darum dürfen wir ihn bitten!
  
  Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Gedanken in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen
  
  * Zitiert nach Reinhard Lassek, Wir sind das Blech, S. 112, 2012 Kreuz-Verlag
  
  
  Lied vor der Predigt: Herr, öffne mir die Herzenstür, EG 197
  Lied nach der Predigt: Herz und Herz vereint beisammen, EG 251
  
  Zur Eingangsliturgie:
  
  3 Kyrie- und 1 Gloria-Vorspruch, Eingangsgebet:
  
  1. Herr Jesus Christus, Worte können verletzen. Manches haben wir schon angerichtet. Das bedauern wir. Wir bitten dich bei allem, was wir reden, um den richtigen Geist. Wir bitten gemeinsam: (Kyrie)
  
  2. Oft verstehen wir einander nicht gut. Wir geraten in Konflikte, weil es uns schwer fällt, offen zuzuhören. Wir bitten dich darum, dass wir geduldiger und bereitwilliger miteinander umgehen. Wir bitten gemeinsam: (Kyrie)
  
  3. Ein gutes Wort kann uns heilen und uns guttun. So bitten wir dich, dass wir solche Worte zu sagen lernen und einander damit beschenken. Wir bitten gemeinsam: (Kyrie)
  
  Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. (Psalm 119,114) Dafür, dass wir es haben und heute auch hören dürfen, loben wir Dich von Herzen: (Gloria oder Laudate)
  
  
  Herr Jesus Christus,
  
  wenn wir nun miteinander Gottesdienst feiern,
  wenn wir singen und beten, zuhören und mitdenken, dann wünschen wir uns einen guten Gedanken, einen Gedankenblitz, der uns stärkt und uns weiter führt. So hören wir nun gerne und voller Neugierde auf Dein Wort.
  
  Amen
  
  (folgt Lesung des Predigttextes)