Predigt über 1. Korinther 7, 29-31 von Christoph Maier
7,29
Liebe Gemeinde,

am meisten schmerzte es, dass sie ihn in den letzten Tagen gar nicht mehr wirklich sehen wollte. Nach so vielen Jahren, die sie verheiratet waren. Die Prioritäten hatten sich verschoben und wir mussten akzeptieren, dass sie viel alleine sein wollte. Stück für Stück begann sie sich von uns zu verabschieden. Es kam uns so vor, als wäre sie schon in einer Zwischenwelt. Wir Geschwister und auch Vater waren tapfer. Wir hielten zusammen, versuchten ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Und trotzdem war es ungewohnt, wenn sie uns freundlich aber bestimmt aufforderte zu gehen, weil sie alleine sein wollte. Sie hatte am Ende kaum mehr Kraft und es wurde ihr schnell zu viel. Und doch hatte sie die Kraft ihren Wunsch nach Ruhe und Alleinsein zu äußern. Das verwunderte uns. So klar und deutlich hatte sie ihr ganzes Leben lang keinen Wunsch formulieren können. Sonst war sie immer diejenige, die allen alles recht machen wollte, die ihre Bedürfnisse und Wünsche zurücksteckte. Jetzt im Angesicht des Todes, schien es ihr zu gelingen auch bei sich selbst zu bleiben, ihr Leben nicht von den Bedürfnissen der Anderen her zu denken.
  Überhaupt hatten wir das Gefühl, dass sie sehr friedlich, im Einklang mit sich und der Welt, sterben konnte. Und sie hatte ja recht, wenn sie uns nach Hause schickte. Wir konnten ja doch nicht mitkommen, dorthin, wo sie jetzt ist.
Lesung 1. Kor 7, 29-31
  Das sage ich aber, liebe Brüder: Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht.
Das Wesen dieser Welt vergeht. So schreibt Paulus an die Korinther. Was ist das Wesen dieser Welt? Hauptsache gesund?
  Das Wichtigste ist, dass ich tun und lassen kann, was mir gefällt?
  Einen Baum pflanzen - ein Kind zeugen - ein Buch schreiben? Was ist das Wesen dieser Welt?
  Das Wesen dieser Welt ist, dass, was immer wir für wesentlich halten, es vergeht.
  Haben, als hätten wir nicht. So sieht Paulus das Wesentliche in dieser Welt. Keine Partner, keine Freude, kein Leid, kein Besitz; Bindungen leben als wären wir frei, Emotionen zulassen führten sie zur Ruhe, Besitztümer gebrauchen als hätten sie keinen Wert. Die Welt haben, als hätten wir sie nicht.
  
  Ein Merk-würdiger Gedanke. Was will Paulus nur?
Die Zeit Anhalten, so tun, als ob sie nicht vergeht? Was bleibt, wenn wir das Werden und Vergehen einmal anhalten? Der Augenblick, die Stille, Nichts … „Christus in mir!“ – so würde Paulus vielleicht antworten, das bleibt, wenn alles vergeht und das nicht erst dann, wenn ich vergehe, sondern schon jetzt „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Galater 2,20).
Die Zeit ist kurz, wem sagst du das Paulus. Regelrecht zusammengedrängt ist die Zeit, die Zeit in der wir etwas Sinnvolles tun könnten, die Zeit die nie da ist, um das, was ich eigentlich tun will, mit Freude und ganzer Aufmerksamkeit zu tun. Die Zeit, die mir nie bleibt, um all die Aufgaben zu erledigen, all die Erwartungen zu erfüllen.
  Vielleicht sollte ich es einmal versuchen, deinen Rat befolgen und Arbeiten als hätte ich gar nichts zu tun, mein Leben leben, nicht unter dem Druck der Erwartungen der verschiedenen Rollen, als Vater, als Partner, als Arbeitnehmer, als Konsument, als Glücklicher, als „weiß nicht was“, sondern als ob das nichts wäre.
  Dann müsste ich auch meinen inneren Rollen nicht mehr gehorchen, dem Perfektionisten, dem „Ewig-zu-kurz-gekommenen“, dem „ich-hab´s-euch-doch-gleich-gesagt,-aber-auf-mich-wollte-ja-niemand-hören“.
  Nur Christus in mir. Wenn alles vergeht, dann bleibt nur Christus, in mir, Christus…
„Herr, Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden“ so heißt es im Psalm 90. Der Scheinwerfer unserer Aufmerksamkeit ist auf so viel gerichtet. Nichts dürfen wir verpassen, keine E-Mail, kein News Feed, keine SMS. Dabei zerstreuen wir unsere Aufmerksamkeit immer fester hinein in diese Zeit, die doch nicht ist, sondern vergeht. Zerstreut sind wir und können uns nicht mehr konzentrieren, können Wesentliches nicht mehr von Unwesentlichem unterscheiden, müssen „erst noch kurz die Welt retten“…
„Herr, Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden“ – „Haben als hätten wir nicht“, so nennt es Paulus.
  In ihrem Buch, das an die Kunst des christlichen Mönchtums anknüpft, sich ganz auf Christus zu konzentrieren, mahnt Sabine Bopert, Praktische Theologin aus Kiel, dazu, das Leben von seinem Ende her zu meditieren. Es so zu betrachten, als wäre es nicht länger. Über die Visualisierung des eigenen Todeszeitpunktes schreibt sie: „Benediktinische Mönche und Nonnen meditieren jeden Abend in den Gesängen zum Tagesschluss ihre eigene Lebensgrenze.
  Wer sich seine Lebensgrenze bewusst vor Augen hält, wird nicht depressiv, sondern erwacht zu seinem eigenen Leben. Der Tod ängstigt vor allem dann, wenn man vorher nicht gelebt hat. Der bewusst betrachtete Tod kann ängstliche Menschen sogar mutig machen. Statt mit tausend Ängsten haben sie es nur noch mit einer zu tun: mit der Angst, vor dem Sterben nicht gelebt zu haben. Der Tod mahnt wie ein Freund: „Verschwende Dein Leben nicht.“ Und scheinbare Kleinigkeiten macht er kostbar.[…] Worüber werde ich mich auf meinem Sterbebett mehr ärgern – dass ich nicht genug Überstunden gemacht habe oder dass ich überreizt und grob mit anderen umgegangen bin? Wenn ich nur noch zwei Monate zu leben hätte: Würde ich viel fernsehen? Würde ich shoppen? Würde ich mich weiterhin über Kleinigkeiten aufregen.“ [Sabine Bobert:Mystik und Coaching. Kiel 2011. S.39ff.]
„Die Zeit ist kurz. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn das Wesen dieser Welt vergeht.“ (Kor 7 & Gal 2)
Christus in mir kann dem Rasen unserer Zeit Einhalt gebieten. Christus in mir kann mich sammeln aus der Zerstreutheit der Informationsflut, die mich mit sich fort spühlt.
  Christus in mir kann mich konzentrieren auf das Wesentliche, was mir Beständigkeit und Standpunkte verleiht in einer vergänglichen Welt.
Aber wie dringe ich vor zu dem Christus in mir? Wie finde ich ihn in mir?
  Christus, der Gott, als gäbe es keinen Gott, Christus, der starb, als gäbe es keine Auferstehung, Christus, der in die bedrängte Zeit kam, als wäre er nicht von Ewigkeit zu Ewigkeit gewesen, der hat mich schon gefunden. In der Taufe hat er sich mir einverleibt, bin ich sein geworden, mit dem Kreuz bezeichnet, in seinen Tod, in seine Auferstehung hineingetauft.
  Christus, hat sich mir gegeben im Abendmahl in Brot und Wein, für mich zur Stärkung in der gedrängten Zeit, damit ich bei ihm bleibe und er bei mir.
  Christus, zu dem ich mich im Gebet versenken kann, der mir die Zeit auseinanderhält, wo sie mich bedrängt. „Ich habe heute viel zu tun, darum muss ich heute viel beten.“ Soll Martin Luther gesagt haben.
Dies gilt es auszuprobieren, dies gilt es einzuüben: Leben, als lebte nicht ich, sonder Christus in mir.
  Amen
   
Perikope