Predigt über 1. Mose 12, 1-4 von Christoph Römhild
12,1

Predigt über 1. Mose 12, 1-4 von Christoph Römhild

Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.
  
  Es war einmal ein alter Mann, der hatte eine alte gute Frau.
  Sie hatten aber keinen Erben, keine Kinder.
  
  Eines Tages war der Mann draußen bei den Schafen.
  Die Sonne stach vom Himmel und der Mann döste etwas.
  
  Und der alte Mann hörte eine Stimme, die sprach:
  „Höre, alter Mann,
  Du sollst dich aufmachen und fortziehen
  von hier mit deiner ganzen Familie
  und ich werde aus dir und
  deiner Frau ein großes Volk machen.“
  
  Abends am Feuer sprach der alte Mann zu seiner Frau:
  „Du, mir ist heute etwas Seltsames widerfahren:
  Ich war bei den Schafen und da war eine Stimme, die sagte,
  wir werden doch noch ein Kind bekommen!
  Aber wir sollen fortgehen von hier, in ein anderes Land,
  noch einmal ganz neu anfangen!“
  
  Da lachte die alte Frau und sagte:
  „Mein lieber Mann, du musst geträumt haben.
  Sieh uns doch einmal an!
  Wir sind alt und unsere Leiber sind vertrocknet.
  Und wir sollen aufbrechen? Irgendwohin?“
  
  Und sie redeten noch die ganze Nacht – das Für und Wider des Aufbrechens, und über die leise Stimme, die der Mann gehört hatten.
  Und nach einigen Tagen brachen sie auf!
  
  Und so lebten sie glücklich und zufrieden bis an Ihr Ende.
  Und manchmal kann man noch ihr leises Lachen hören.
  
  
  Liebe Gemeinde!
  Was ich gerade wie ein Märchen erzählt habe, ist doch kein Märchen, sondern eine Erzählung der Bibel.
  Wie viele Märchen auch, so steckt auch diese Erzählung voller Menschheitsweisheit.
  
  Wir hörten
  Von Unfruchtbarkeit.
  Von zerbrochenen Hoffnungen.
  Und von Gottes leiser Stimme, die uns ruft.
  Von den Aufbrüchen in unserem Leben.
  
  Diese Erzählung steht in der Bibel, im Alten Testament:
  Es ist die Geschichte von Sara und von Abraham.
  (Erstes Buch Mose 12,1-4)
  
  Gott will einen Bund mit Abraham und Sarah schließen und ihnen verheißen, dass er Stammvater, sie Erzmutter eines großen Volkes werden würde.
  Das Volk sollte ein Volk von Priester sein, ein Hirtenvolk inmitten der Völker, zu leben in Vollkommenheit, als exemplarische, heilige Gemeinschaft inmitten der Menschheit.
  Das Land, zu dem er geschickt wird, aber das er nicht erreicht, ist das heutige Israel.
  
  Der Predigttext beschreibt diese Rede Gottes an Abraham:
  1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
  4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.
  
  ***
  
  Der Text vollführt also einen Dreischritt:
  Erst die Aufforderung zum Aufbruch
  Dann die Verheißung, dass Abraham ein großes Volk werden wird und Segen empfangen wird und Segen geben wird.
  Dann folgt Abraham der Aufforderung Gottes.
  
  Nachfolge ist also keine Erfindung des Neuen Testaments
  So wie Petrus von seinen Netzen fortgerufen wird,
  so wird Abraham fortgerufen, aus Vaterland
  aus Verwandtschaft und aus seinem Elternhaus. (12,1)
  
  ***
  
  Aber die Bibel ist kein Geschichtsbuch!
  Nein, auch heute ruft uns Gott heraus!
  Er ruft uns in die Nachfolge.
  
  Doch wir haben auch Angst aufzubrechen.
  Haben wir überhaupt genug Mut und Kraft den Aufbruch zu schaffen so wie Abraham und Sara?
  
  Ich möchte diese Spannung, in der wir stehen, etwas entfalten:
  Wie gewinnen wir den Mut zum Aufbruch?
  
  Wer aufbricht, der weiß, er bricht nicht aus eigener
  Kraft auf, sondern aus Gottes Kraft heraus.
  Wir sind erlöst davon, uns auf uns selber verlassen zu müssen.
  Vielmehr können wir uns rückhaltlos auf den verlassen, der uns hält.
  
  Wir verdanken uns nicht uns selbst.
  
  Unser eigenes Leben ist ein großes Geschenk Gottes, das er uns macht.
  Wir können unser eigenes Leben, unseren Körper, unsere Seele als ein Geschenk Gottes ansehen — in Freude und Dankbarkeit.
  
  Unser Leben ist ein Geschenk Gottes an uns selbst.
  Denn so wie Vater und Mutter in der Liebe für ihr Kind sind, so ist Gott in seiner Liebe zu uns.
  Und wie von selbst fließt von uns etwas zurück zu Gott in seinen Schatz.
  
  So wie Paul Gerhardt es im Kirchenlied singt:
  
  (EG 37,1)
  Ich steh an deiner Krippen hier,
  o Jesu, du mein Leben;
  ich komme, bring und schenke dir,
  was du mir hast gegeben.
  Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
  Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
  und laß dir's wohlgefallen.
  
  Und er kann unsere Kreativität, unsere Produktivität, aber auch unser Tasten, unser hilfloses Wagen und sogar unser Scheitern würdigen.
  
  Und schließlich sind wir ein Geschenk Gottes an unsere Mitmenschen, die wir lieben und die uns lieben und mit denen wir in Austausch stehen.
  
  So sind wir ein Geschenk Gottes, das er uns macht, das er sich selber macht und er uns untereinander macht.
  
  Diese Perspektive, ich bin ein Geschenk, ein Liebesbrief aus der Feder Gottes, diese Perspektive ist gut, ist heilsam.
  
  Ich lebe nicht mir selbst, sondern ich bin geschickt in diese verwundbare Welt.
  Wir sind geschickt und wir können immer
  wieder neu aufbrechen aus der Kraft dessen heraus,
  der uns schickt.
  
  Der, der uns Mut gibt.
  Geschickt und berufen zum Ebenbild Gottes.
  
  Und wer so geschaffen ist, auf andere hin, auf die Beziehung hin, der
  wird es erleben:
  Der Segen, der auf uns ruht, fließt und strömt auch durch uns hindurch,
  so wie es auch Abraham verheißen ist:
  ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.
  
  Die Kraft, die uns zufließt, fließt und strömt auch durch uns hin durch
  zu anderen, ohne dass sie uns dabei verlassen würde.
  
  ***
  
  Gott ruft uns heraus. In seiner unendlichen Transzendenz ist er uns freies Gegenüber.
  Und nur als freies Gegenüber kann er uns auch kritisch gegenübertreten.
  
  Kritisch gegenüber unserem Verhalten, unserer Ethik, aber auch kritisch gegenüber den Tiefenschichten unserer Seele, in die er heilsam herab reicht mit seiner Wärme, Verspannungen löst und Verhärtungen verflüssigt.
  
  Nur so kann er auch uns herausrufen und uns befreien aus unseren zweifelhaften Zusammenhängen und Abhängigkeiten.
  
  Nur so kann er uns beauftragen und in die Welt senden.
  Zu einem Dienst der so gut, so offensichtlich heilsam ist.
  
  In der Lesung (Lk 5, 1-11) haben wir es gehört
  nicht nur Abraham ist von Gott gerufen,
  auch Jesus, der Sohn beruft die Jünger,
  Petrus und Jakobus und Johannes,
  die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten.
  
  Jesus, der Heiland.
  Der, der ganz und heil machen will,
  was in unserem Leben nicht mehr ganz ist.
  
  Er öffnet unsere Herzen, er lässt uns aufstehen,
  er lässt uns tanzen und singen.
  Er hilft uns auf die Sprünge und bringt uns in Schwung!
  Er will uns in Bewegung bringen.
  Der uns das Leben neu erleben lassen will.
  Er sucht uns.
  Und wir lassen uns auf ihn ein.
  Er hat das Leben unzähliger Menschen verändert.
  In ihrem Alltag.
  
  Wer sich von Jesus verändern lässt, erlebt einen anderen Alltag.
  Er erlebt die Kraft und den Segen, den wir empfangen und
  den wir weitergeben können.
  Dann steht nicht mehr das ich an erster Stelle,
  nicht das empfangen und behalten, sondern
  das weitergeben.
  Wir sind wie ein Kanal von Gott zum Nächsten durch den lebendiger Segen fließt,
  frisches glitzerndes Wasser.
  
  Und so ist es auch zum Schluss eines jeden Gottesdienstes, Gott segnet seine Gemeinde.
  Doch jeder, der den Segen empfängt, gibt ihn gleichermaßen auch weiter.
  Und das bedeutet Leben, lebendig sein:
  Nicht festhalten, sondern weitergeben.
  Nicht behalten, sondern miteinander teilen.
  Nicht beharren, sondern aufbrechen.
  
  ***
  
  Ich wünsche uns allen diese Erfahrung, von Gott gerufen zu sein, herausgerufen zu sein.
  
  Die Erfahrung, in einen neuen Bereich einzutreten und sich selbst und andere neu kennen zu lernen.
  
  Die Erfahrung, gesegnet zu sein und selbst ein Segen zu werden.
  
  Die Erfahrung der übervollen Netze des Segens.
  
  Das Erblühen der Seele zu erleben, wenn sie beginnt zu schwingen im Gleichklang mit den Menschen und mit uns selbst und mit Gottes Klang.
  
  Amen.