Predigt über 1. Mose 4, 1-6 von Karin Klement (Gottesdienst mit Goldener Konfirmation)
4,1
Vorwort
Der Predigttext liegt einer Gottesdienstfeier zur Goldenen Konfirmation zugrunde. Von den 110 Geladenen werden voraussichtlich Zweidrittel kommen. Kirchenchor u.a. begleiten den Festgottesdienst.
Die Geschichte vom Brudermord scheint dem Festtagsgedanken heftig zu widersprechen. Wie kann eine Brücke geschlagen werden zwischen den freudigen Erwartungen und dem Bewusstsein, dass wir als Menschen „Wolf und Schaf“ zugleich sind?
Liebe Festtagsgemeinde!
Und vor allem – liebe goldene Konfirmations-Jubilare!
Wie schön, dass Sie sich heute auf den Weg gemacht haben, Ihre alte Kirche zu besuchen. Um jenen Menschen zu begegnen, die Sie vielleicht seit längerer Zeit nicht mehr gesehen und gehört haben. Bei dieser Wiederbegegnung wurden Sie zurückversetzt in eine Zeit, als Sie jugendliche Heranwachsende waren. Konnten Sie die Gesichter Ihrer Gegenüber und deren Namen zuordnen? An Gestik und Mimik die ehemals 13-14jährigen MitkonfirmandInnen wiedererkennen? Lächelnd sagten Sie vielleicht: „Hey, abgesehen von deinen grauen oder lichten Haaren siehst du fast genauso aus wie damals! Ob du wohl auch deine Eigenheiten bewahrt hast?“
In regen Gesprächen miteinander wurde so manche Erinnerung aufgefrischt. Aufregung und Glücksgefühle breiteten sich aus. Plötzlich ist man wieder jung, ein Teenager, der herumalbern und freche Sprüche klopfen darf. Die alten Gefühle von damals erwachen zum Leben, als wäre die Zeit zurückgedreht.
Ob sich unter all den vielen freudigen Rückblicken auch etwas Schweres befand? Vielleicht gab es mal Konkurrenzgedanken zwischen zwei Jungen, die in dasselbe Mädchen verschossen waren. Oder Ärger über einen alten unvergessenen, ungelösten Streit, bei dem alle Beteiligten sich gleichermaßen im Recht fühlten. Oder die Erinnerung an eine tiefe Kränkung, weil man sich damals in irgendeiner Situation gegenüber den anderen zurückgesetzt fühlte. Emotionen pur wie zu Teenagerzeiten.
Inmitten aller freudigen und spannenden Gedanken, wenn man altvertrauten Menschen wiederbegegnet, erwachen auch jene Empfindungen, die man als Erwachsener längst überwunden glaubt. Die Frage eines jeden jungen Menschen: „Bin ich in Ordnung, so wie ich bin, und wohin ich mich entwickele? Akzeptieren mich die anderen; finden sie mich ok, vielleicht sogar gut?“
Sorge und Konkurrenz um Wertschätzung und Anerkennung spielen in der Pubertät eine große Rolle. Auch der Umgang mit Gefühlen – von Aggression bis Liebe! Nichts konnte schlimmer sein, als aus einer Clique ausgeschlossen zu werden. Oder mit den ersten, zarten Frühlingsgefühlen in eiskalte Ablehnung zu plumpsen. Allein zu bleiben, während die anderen sich hinter seinem Rücken über den Abgewiesenen lustig machen. Wohin mit der Wut? Mit Trauer oder Zorn?
Siegmund Freud, Erfinder der Psychoanalyse, ging davon aus, dass jeder Mensch über einen Aggressionstrieb verfügt, der zerstört und tötet. Genauso wie über eine Libido, den Drang, sich mit einem anderen Menschen zu vereinen. Zwei gegensätzliche, doch anscheinend lebensnotwendige Instinkte, die wir Menschen mit den Tieren teilen. Anders als diese jedoch, könnten wir mit den in uns schlummernden aggressiven Kräften die Menschheit und die ganze Welt vernichten.
Sie, liebe Jubilare, sind die Generation der Nach-Kriegskinder. Geboren in den Jahrgängen `47 und `48 kennen Sie die Kriegsgrauen selten persönlich, nur aus Erzählungen der Erwachsenen. Und dennoch spürten Sie als Kinder die Bedrückung Ihrer Eltern, wenn vom Krieg die Rede war. Sie hörten von den Grausamkeiten, die Menschen im Krieg einander antaten, und konnten das Erschrecken nachempfinden. Krieg und Gewalt sollten um Gottes und der Menschen willen nie wieder sein! Mit dieser Einstellung wuchsen Sie heran. Die Umbrüche und gesellschaftlichen Veränderungen um sich herum nahmen Sie deutlich wahr:
Die „langhaarigen“ Beatles schrieben Rockgeschichte mit „Love Me Do“ und ein Jahr später mit der weltweiten Erfolgs-Single „I Want to Hold Your Hand“. Gastarbeiteraus Italien und Griechenland öffneten einen neuen Blick auf andere Länder, Sitten und Kulturen. Die Antibabypille kam auf den Markt und eröffnete neue Freiheiten. Frauen nahmen ihr Recht auf eigene Berufsausübung wahr. Schlüsselkinder waren die andere Seite einer fehlenden Betreuung nach der Schule. Für die Gesundheit der Heranwachsenden gab es täglich einen Löffel Lebertran.
Politisch kriselte es heftig:
Zwischen Ost- und Westdeutschland wird aus der grünen Grenze ein Todesstreifen. Der Kalte Krieg mit seinem nuklearen „Gleichgewicht des Schreckens“ wahrt den äußeren Frieden, führt innenpolitisch zu immer höherer, konkurrierender Aufrüstung zwischen Ost und West. In der Kubakrise im Oktober 1962 gerät die Welt an den Rand eines Atomkrieges – und überwindet knapp die Gefahr dank politischer Einsichten.
Spürten Sie, liebe Jubilare, schon damals etwas von dieser Umbruchs-/Übergangs-Stimmung in eine neue Zeit? Freiheit vom Druck alles immer in bestimmter Weise zu betrachten; Freiheit vom überholten Bild, das Ost und West als gegenseitige Feinde ansah? Je offener und klarer der Blick auf die Fakten gerichtet werden konnte, desto stärker wuchs die Selbstsicherheit im Land und in den Menschen. Das lange gepflegte Misstrauen gegenüber ehemaligen Kriegsgegnern öffnete sich für ein neues Wahrnehmen, für überraschend positive Erfahrungen mit „Feinden“. Man lernte, dass es sinnvoll ist Zorn und Gewalt zu de-eskalieren, die Wut herabzuschrauben durch Gespräche, Offenheit und Vertrauen. Und die darin enthaltene Energie stattdessen in den Aufbau zu stecken.
Konfliktlösung ohne Gewalt – eine wunderbar friedensstiftende Erfahrung, von der wir bis heute profitieren. Und dennoch bleiben wir Menschen mit dem Potential zur Zerstörung, mit einer Kraft, die anderen das Leben kosten kann. Die Frage ist, wie gehen wir mit dieser Stärke um? Mit einer Aggression, die uns voranbringt, – ohne, dass wir dafür „über Leichen“ gehen müssen?
Die Bibel beschreibt die dunkle Seite des Menschen, die wir nicht verstecken können, weil sie unsere voranbringende Kraft ist. Allerdings braucht sie eine Einschränkung, eine Begrenzung, damit das Leben für alle weitergehen kann.
Hören wir aus dem 1. Buch MOSE 4, 1 – 16a: (TEXT)
An diesem festlich-sonnigen Morgen eine solche schreckliche Geschichte: Brudermord aus niederen Beweggründen. Ein Mensch – wie Sie und ich – fühlt sich benachteiligt, ungerecht behandelt, grundlos um seine Anerkennung gebracht und zurückgesetzt. Wie geht er mit dieser Kränkung um? Welchen Ausgleich sucht er für sein verletztes Selbstwertgefühl? Rache? Zurückschlagen, egal, wen es trifft?
GEWALT ist überall ein Thema: Unbegreiflich – wie das Bombenattentat in Oslo und die Ermordung junger Menschen auf der Insel Utöya im Sommer 2011. Gnadenlos – wie der Bürgerkrieg in Syrien, der Menschen traumatisiert, verletzt und tötet.
TERROR ist das Thema unserer Tage. Weltweit, so schätzen die Vereinten Nationen, gibt es rund eine halbe Million Kindersoldaten. Durch brutale Gewalt zum Töten erzogen, in ihrer Seele verbogen, sind sie mit ihrer naiven Hemmungslosigkeit oft gefährlicher als jeder erwachsene Soldat, jeder erfahrene Berufskämpfer. Aber auch die alltäglichen Gewaltakte im zwischenmenschlichen Bereich gehören dazu, manchmal getarnt unter einer hauchdünnen Zivilisationsdecke. Z.B. wenn auf der Autobahn ein Drängler fast auffährt, oder wenn ein Vater seinen Sohn mal wieder kräftig zusammenstaucht, damit aus ihm etwas vorgeblich Ordentliches wird. Oder wenn eine überlastete Schwester im Pflegeheim die demenzkranke, ständig nervende Oma härter anfasst als sonst. Gewalt ist unerbittlich – und die Bereitschaft dazu in jedem von uns vorhanden.
Vielleicht braucht es darum solche Urgeschichten des Menschlichen, die erläutern, widerspiegeln, die uns vor Augen führen, wie wir Menschen sind. Und die uns zugleich in die Verantwortung nehmen: „Mensch, was hast du getan?“
Steigen wir noch einmal ein in den Anfang: Gerade liegt die Vertreibung aus dem Paradies hinter den ersten Menschen. Ihre Rückkehr ist durch Gottes Engel versperrt. Wie geht das Leben nun weiter unter radikal veränderten Bedingungen?
ADAM und EVA müssen sich einrichten in einer schonungslosen Außenwelt, ohne die Vorzüge des Paradieses. Mühevoll ist ihre Arbeit auf dem Acker der Erde, ihr Leben ständig gefährdet durch wilde Tiere, bedroht durch Krankheit und Tod. Und dennoch findet das Leben seinen Weg – auf neue Weise, in der Geburt eines Kindes. Jubelnd erhebt EVA ihren neugeborenen Sohn, reckt ihn zum Himmel empor. Siegesstolz verkündet sie ihr Glück: „Mit Gottes Hilfe habe ich einen starken jungen MANN gewonnen, ein prachtvolles Kind!“ Der Name KAIN bedeutet LANZE, SPEER. Wie kräftig, lebensstark muss dieses Kind sein, von dem seine Mutter so überwältigt ist. Ein ganzer Kerl, schon bei seiner Geburt. Der Anfang ist gemacht; das neue Leben hervorragend gelungen. Doch es geht weiter: ABEL erblickt das Licht der Welt. Vielleicht war seine Geburt kompliziert und schwer; erleichtert atmet ADAM auf, als der winzige Säugling im Arm seiner Mutter liegt. Für einen Jubelschrei reicht die Kraft nicht aus. Die Bedeutung seines Namens lässt erahnen, welchen Eindruck er auf seine Eltern gemacht hat: „Windhauch“, ein NICHTS, (das schnell verblasst, einfach vergeht). Ein zart besaitetes Kind, schwach, klein, mickrig. Junge Leute würden sagen: Ein richtiges „Weich-Ei“. Für das Leben in rauher Umwelt kaum geeignet. Und dennoch wächst er heran, wird Schäfer, während sein Bruder den anstrengenden, aber auch ertragreicheren Ackerbau betreibt. ABEL ist nur ein sanfter HIRTE, der sich fürsorglich und sensibel um seine Tiere kümmert. Aber eben keiner, mit dem man aufregende, mutige Abenteuer erlebt. In der Auseinandersetzung mit seinem älteren Bruder hat er wenige Chancen. Die Machtverhältnisse scheinen eindeutig. Und dennoch: KAIN sitzt nicht mehr allein auf dem Thron seiner Eltern; er muss sich deren Liebe mit seinem schwachen, hilfsbedürftigen Bruder teilen.
Selbstbewusst kommt KAIN auch seinen religiösen Pflichten nach. Natürlich gibt es bei ihm nur erstklassige Feldfrüchte. Er hat sich angestrengt. Stolz präsentiert er GOTT sein Opfer – und erwartet selbstverständlich Erfolg.
Der blasse, unscheinbare ABEL handelt ebenso nach dem Gebot. Was ihm lieb und wertvoll ist, was er gehegt und gepflegt hat, mit all seiner Liebe umgab, ist er bereit herzugeben und zu opfern. Gott sieht sein Opfer gnädig an. Doch KAINs Opfer bleibt unbeachtet. Anerkennung fehlt. Alle Mühen – umsonst??
Ist Gott parteiisch? Steht er – ähnlich wie verantwortungsbewusste Eltern – immer auf der Seite des Schwachen, Hilfsbedürftigen? Der Starke erlebt dies als ungerechte Benachteiligung. Eine schmerzhafte Kränkung für den erfolgsgewohnten älteren Bruder! Getroffen, grimmig und finster vor lauter Zorn senkt KAIN seinen Blick. ABEL, Hauch und Schatten seines Bruders, wird unerwartet zum Bevorzugten, und KAIN hat das Nachsehen. Zum ersten Mal ist er nicht der Beste, ja nicht einmal auf derselben Höhe mit seinem kleinen Bruder. Der sonst permanente Verlierer, der ewige Loser hat diesmal gewonnen. Schmerzlich spürt KAIN, wie das ist, wenn man nicht der Starke, Angesehene und Erfolgreiche ist. Wenn man anstatt in der ersten Reihe, plötzlich hintenan steht. Übersehen, missachtet, im eigenen Selbstwertgefühl empfindlich verletzt. Da geht der offene Blick, die Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit einfach verloren. Eine äußerst bittere Lektion ist zu lernen.
Und Gott hat es bemerkt. Aber ohne Mitleid, ohne den Versuch seine Entscheidung im stillen Konkurrenzkampf der Brüder um Anerkennung zu ändern, spricht er KAIN auf sein Empfinden an: „Warum bist du zornig? Komm, erkläre mir deinen Ärger, lass uns darüber reden!“ Gott schenkt seine ganze Aufmerksamkeit dem Erzürnten, will ihn aus seiner Verschlossenheit herausholen und appelliert an ihn: „Wenn du dich ungerecht behandelt und benachteiligt fühlst, sag es mir. Aber wenn dich nur Neid, Jähzorn, Eifersucht gepackt haben, und du deinem Bruder das Glück nicht gönnen magst – dann hüte dich vor den Folgen! Beherrsche die negativen Gefühle, bevor sie dich beherrschen!“
Derart vorgewarnt und dennoch nicht bereit zur Offenheit – weder vor Gott noch vor sich selber – gibt KAIN sich harmlos. Soll er sich zu allem Schmerz über die Abweisung seines Opfers nun auch noch selbst demütigen? Seinen Neid unterdrücken, dem anderen dieselbe Anerkennung gönnen, die er für sich beansprucht? KAIN ist noch nicht soweit.
Heimtückisch lockt er ABEL ins Verderben. Dort auf dem einsamen Feld, abseits von möglichen Zeugen, Auge in Auge mit seinem schwächlichen kleinen Bruder, kann er ihm – und sich selbst – seine überlegene Stärke beweisen. Erbarmungslos schlägt er zu, tötet den Konkurrenten, der ihm im Wege steht, den Bruder, sein Fleisch und Blut.
Nachdem sein Rachedurst gelöscht ist, stellt Gott ihn zur Rede: „Wo ist dein Bruder ABEL?“ Doch KAIN beantwortet diese Verantwortungs-Frage mit einem zynisch-frechen Wortwitz: „Soll ich den Hirten hüten?“
Sicher, ältere Brüder und Schwestern haften nicht einfach für ihre jüngeren Geschwister. Sie tragen nicht für alles Verantwortung, nur weil sie älter, überlegener sind. Denn es gibt Situationen, wo jeder einen anderen, seinen Nächsten braucht. Wenn ein Mensch im Leid verstummt, kann ein anderer für ihn sprechen. Wenn jemand verzweifelt, kann ein anderer ihn trösten. Wenn jemand stolpert und hinfällt, kann auch ein Schwacher, ein Windhauch, ihn aufrichten und unterstützen.
ABEL bedurfte offensichtlich der Obhut seines starken Bruders. Doch hätte er nicht auch für KAIN ein hilfreicher Bruder sein können: Sich mit ihm zusammenschließen; ihn trösten, als der sich gekränkt fühlte. Kannte er nicht aus eigener Erfahrung, wie schmerzlich es sich anfühlt, nicht dem eigenen Wunschbild zu entsprechen? ABEL hätte über sich hinauswachsen können; er wäre dem Bruder zwar ein kleiner, aber auf andere Weise starker Bruder geworden.
ABEL und KAIN – beide Täter und Opfer in eins! Wie schade, dass sie nicht mit einander geredet haben. Wie schade, dass sie ihre Enttäuschung in sich verbargen, ihren Zorn, ihr Mitfühlen in dunkle Kanäle unterdrückten!
LIEBE und HASS, Aggression und der Wunsch, dem anderen nahe zu sein. Beides brennt heiß und leidenschaftlich in uns Menschen. Es bringt wundervolle Hingabe hervor – und grausame Taten.
Die Gewalt bricht immer wieder hervor. Sie zu bändigen braucht Licht statt Verfinsterung, Gespräche statt wortloser Erhebung, bewusstes Anschauen statt Verdrängung. KAIN wird von Gott zur Rechenschaft gezogen. Doch Gottes bittere, schmerzvolle Anklage, klagt auch um den Schuldiggewordenen. Denn GOTT liebt seine Menschenkinder.
Der himmlische Vater verlangt kein neues Opfer. KAIN – der Mensch, der seine Schuld nicht einsehen will, obwohl er unter ihr leidet, – darf weiterleben. Er wird in eine harte Welt ausgesetzt ohne Gottes Segen und Beistand. Er bleibt für den Rest seines Lebens auf sich allein gestellt. Wo immer er geht, liegt oder steht, klebt die Schuld an seinen Fersen. Ruhelos und flüchtig, nirgendwo zuhause wird er immer in Angst und Sorge leben. KAIN erkennt, wie aussichtslos seine Lage ist. Vertrieben aus Gottes Nähe, ohne die Gemeinschaft des menschlichen Bruders, völlig allein – wer schützt dann noch sein Leben? Allein auf sich selbst angewiesen, weiß er sich dem Tode preisgegeben.
Doch Gottes Liebe ist größer als der Schrei nach weiterem Blut. Er macht ein Schutzzeichen um den Mörder herum, eine siebenfache Barriere. Nicht Auge um Auge, Zahn um Zahn oder Leben um Leben. Der Mensch lebt weiter – mit seiner Schuld, die ihm keinen Frieden lässt, solange er sich ihr nicht stellt.
Und GOTT? In seiner HEILSGESCHICHTE mit uns Menschenkindernsteht ER immer auf der Seite derer, die ihn brauchen. Er lässt auch jene nicht im Stich, die mit ihrer Schuld leben müssen, irgendwo außerhalb gewohnter Bahnen.
Wir Menschen sind Geschwister vor Gott, auch wenn wir einander nicht immer lieben. Wir sind verantwortlich für den Bruder/die Schwester, auch wenn die Eigenständigkeit des anderen darunter nicht leiden darf.
KAINs Geschichte ist nicht zu Ende. Aber sie hat eine Lösung, eine Aussicht auf Veränderung und Freiheit von Schuld. Das Geschenk des Friedens erwächst durch den, der am KREUZ alle Schuld auf sich genommen hat. Im Vertrauen auf Ihn werden wir entlastet; können wir neu anfangen – ermahnt und geschützt durch das Kainszeichen, freigesprochen durch das Opferlamm, das uns auf neue, heilsame Wege weist.
AMEN
Der Predigttext liegt einer Gottesdienstfeier zur Goldenen Konfirmation zugrunde. Von den 110 Geladenen werden voraussichtlich Zweidrittel kommen. Kirchenchor u.a. begleiten den Festgottesdienst.
Die Geschichte vom Brudermord scheint dem Festtagsgedanken heftig zu widersprechen. Wie kann eine Brücke geschlagen werden zwischen den freudigen Erwartungen und dem Bewusstsein, dass wir als Menschen „Wolf und Schaf“ zugleich sind?
Liebe Festtagsgemeinde!
Und vor allem – liebe goldene Konfirmations-Jubilare!
Wie schön, dass Sie sich heute auf den Weg gemacht haben, Ihre alte Kirche zu besuchen. Um jenen Menschen zu begegnen, die Sie vielleicht seit längerer Zeit nicht mehr gesehen und gehört haben. Bei dieser Wiederbegegnung wurden Sie zurückversetzt in eine Zeit, als Sie jugendliche Heranwachsende waren. Konnten Sie die Gesichter Ihrer Gegenüber und deren Namen zuordnen? An Gestik und Mimik die ehemals 13-14jährigen MitkonfirmandInnen wiedererkennen? Lächelnd sagten Sie vielleicht: „Hey, abgesehen von deinen grauen oder lichten Haaren siehst du fast genauso aus wie damals! Ob du wohl auch deine Eigenheiten bewahrt hast?“
In regen Gesprächen miteinander wurde so manche Erinnerung aufgefrischt. Aufregung und Glücksgefühle breiteten sich aus. Plötzlich ist man wieder jung, ein Teenager, der herumalbern und freche Sprüche klopfen darf. Die alten Gefühle von damals erwachen zum Leben, als wäre die Zeit zurückgedreht.
Ob sich unter all den vielen freudigen Rückblicken auch etwas Schweres befand? Vielleicht gab es mal Konkurrenzgedanken zwischen zwei Jungen, die in dasselbe Mädchen verschossen waren. Oder Ärger über einen alten unvergessenen, ungelösten Streit, bei dem alle Beteiligten sich gleichermaßen im Recht fühlten. Oder die Erinnerung an eine tiefe Kränkung, weil man sich damals in irgendeiner Situation gegenüber den anderen zurückgesetzt fühlte. Emotionen pur wie zu Teenagerzeiten.
Inmitten aller freudigen und spannenden Gedanken, wenn man altvertrauten Menschen wiederbegegnet, erwachen auch jene Empfindungen, die man als Erwachsener längst überwunden glaubt. Die Frage eines jeden jungen Menschen: „Bin ich in Ordnung, so wie ich bin, und wohin ich mich entwickele? Akzeptieren mich die anderen; finden sie mich ok, vielleicht sogar gut?“
Sorge und Konkurrenz um Wertschätzung und Anerkennung spielen in der Pubertät eine große Rolle. Auch der Umgang mit Gefühlen – von Aggression bis Liebe! Nichts konnte schlimmer sein, als aus einer Clique ausgeschlossen zu werden. Oder mit den ersten, zarten Frühlingsgefühlen in eiskalte Ablehnung zu plumpsen. Allein zu bleiben, während die anderen sich hinter seinem Rücken über den Abgewiesenen lustig machen. Wohin mit der Wut? Mit Trauer oder Zorn?
Siegmund Freud, Erfinder der Psychoanalyse, ging davon aus, dass jeder Mensch über einen Aggressionstrieb verfügt, der zerstört und tötet. Genauso wie über eine Libido, den Drang, sich mit einem anderen Menschen zu vereinen. Zwei gegensätzliche, doch anscheinend lebensnotwendige Instinkte, die wir Menschen mit den Tieren teilen. Anders als diese jedoch, könnten wir mit den in uns schlummernden aggressiven Kräften die Menschheit und die ganze Welt vernichten.
Sie, liebe Jubilare, sind die Generation der Nach-Kriegskinder. Geboren in den Jahrgängen `47 und `48 kennen Sie die Kriegsgrauen selten persönlich, nur aus Erzählungen der Erwachsenen. Und dennoch spürten Sie als Kinder die Bedrückung Ihrer Eltern, wenn vom Krieg die Rede war. Sie hörten von den Grausamkeiten, die Menschen im Krieg einander antaten, und konnten das Erschrecken nachempfinden. Krieg und Gewalt sollten um Gottes und der Menschen willen nie wieder sein! Mit dieser Einstellung wuchsen Sie heran. Die Umbrüche und gesellschaftlichen Veränderungen um sich herum nahmen Sie deutlich wahr:
Die „langhaarigen“ Beatles schrieben Rockgeschichte mit „Love Me Do“ und ein Jahr später mit der weltweiten Erfolgs-Single „I Want to Hold Your Hand“. Gastarbeiteraus Italien und Griechenland öffneten einen neuen Blick auf andere Länder, Sitten und Kulturen. Die Antibabypille kam auf den Markt und eröffnete neue Freiheiten. Frauen nahmen ihr Recht auf eigene Berufsausübung wahr. Schlüsselkinder waren die andere Seite einer fehlenden Betreuung nach der Schule. Für die Gesundheit der Heranwachsenden gab es täglich einen Löffel Lebertran.
Politisch kriselte es heftig:
Zwischen Ost- und Westdeutschland wird aus der grünen Grenze ein Todesstreifen. Der Kalte Krieg mit seinem nuklearen „Gleichgewicht des Schreckens“ wahrt den äußeren Frieden, führt innenpolitisch zu immer höherer, konkurrierender Aufrüstung zwischen Ost und West. In der Kubakrise im Oktober 1962 gerät die Welt an den Rand eines Atomkrieges – und überwindet knapp die Gefahr dank politischer Einsichten.
Spürten Sie, liebe Jubilare, schon damals etwas von dieser Umbruchs-/Übergangs-Stimmung in eine neue Zeit? Freiheit vom Druck alles immer in bestimmter Weise zu betrachten; Freiheit vom überholten Bild, das Ost und West als gegenseitige Feinde ansah? Je offener und klarer der Blick auf die Fakten gerichtet werden konnte, desto stärker wuchs die Selbstsicherheit im Land und in den Menschen. Das lange gepflegte Misstrauen gegenüber ehemaligen Kriegsgegnern öffnete sich für ein neues Wahrnehmen, für überraschend positive Erfahrungen mit „Feinden“. Man lernte, dass es sinnvoll ist Zorn und Gewalt zu de-eskalieren, die Wut herabzuschrauben durch Gespräche, Offenheit und Vertrauen. Und die darin enthaltene Energie stattdessen in den Aufbau zu stecken.
Konfliktlösung ohne Gewalt – eine wunderbar friedensstiftende Erfahrung, von der wir bis heute profitieren. Und dennoch bleiben wir Menschen mit dem Potential zur Zerstörung, mit einer Kraft, die anderen das Leben kosten kann. Die Frage ist, wie gehen wir mit dieser Stärke um? Mit einer Aggression, die uns voranbringt, – ohne, dass wir dafür „über Leichen“ gehen müssen?
Die Bibel beschreibt die dunkle Seite des Menschen, die wir nicht verstecken können, weil sie unsere voranbringende Kraft ist. Allerdings braucht sie eine Einschränkung, eine Begrenzung, damit das Leben für alle weitergehen kann.
Hören wir aus dem 1. Buch MOSE 4, 1 – 16a: (TEXT)
An diesem festlich-sonnigen Morgen eine solche schreckliche Geschichte: Brudermord aus niederen Beweggründen. Ein Mensch – wie Sie und ich – fühlt sich benachteiligt, ungerecht behandelt, grundlos um seine Anerkennung gebracht und zurückgesetzt. Wie geht er mit dieser Kränkung um? Welchen Ausgleich sucht er für sein verletztes Selbstwertgefühl? Rache? Zurückschlagen, egal, wen es trifft?
GEWALT ist überall ein Thema: Unbegreiflich – wie das Bombenattentat in Oslo und die Ermordung junger Menschen auf der Insel Utöya im Sommer 2011. Gnadenlos – wie der Bürgerkrieg in Syrien, der Menschen traumatisiert, verletzt und tötet.
TERROR ist das Thema unserer Tage. Weltweit, so schätzen die Vereinten Nationen, gibt es rund eine halbe Million Kindersoldaten. Durch brutale Gewalt zum Töten erzogen, in ihrer Seele verbogen, sind sie mit ihrer naiven Hemmungslosigkeit oft gefährlicher als jeder erwachsene Soldat, jeder erfahrene Berufskämpfer. Aber auch die alltäglichen Gewaltakte im zwischenmenschlichen Bereich gehören dazu, manchmal getarnt unter einer hauchdünnen Zivilisationsdecke. Z.B. wenn auf der Autobahn ein Drängler fast auffährt, oder wenn ein Vater seinen Sohn mal wieder kräftig zusammenstaucht, damit aus ihm etwas vorgeblich Ordentliches wird. Oder wenn eine überlastete Schwester im Pflegeheim die demenzkranke, ständig nervende Oma härter anfasst als sonst. Gewalt ist unerbittlich – und die Bereitschaft dazu in jedem von uns vorhanden.
Vielleicht braucht es darum solche Urgeschichten des Menschlichen, die erläutern, widerspiegeln, die uns vor Augen führen, wie wir Menschen sind. Und die uns zugleich in die Verantwortung nehmen: „Mensch, was hast du getan?“
Steigen wir noch einmal ein in den Anfang: Gerade liegt die Vertreibung aus dem Paradies hinter den ersten Menschen. Ihre Rückkehr ist durch Gottes Engel versperrt. Wie geht das Leben nun weiter unter radikal veränderten Bedingungen?
ADAM und EVA müssen sich einrichten in einer schonungslosen Außenwelt, ohne die Vorzüge des Paradieses. Mühevoll ist ihre Arbeit auf dem Acker der Erde, ihr Leben ständig gefährdet durch wilde Tiere, bedroht durch Krankheit und Tod. Und dennoch findet das Leben seinen Weg – auf neue Weise, in der Geburt eines Kindes. Jubelnd erhebt EVA ihren neugeborenen Sohn, reckt ihn zum Himmel empor. Siegesstolz verkündet sie ihr Glück: „Mit Gottes Hilfe habe ich einen starken jungen MANN gewonnen, ein prachtvolles Kind!“ Der Name KAIN bedeutet LANZE, SPEER. Wie kräftig, lebensstark muss dieses Kind sein, von dem seine Mutter so überwältigt ist. Ein ganzer Kerl, schon bei seiner Geburt. Der Anfang ist gemacht; das neue Leben hervorragend gelungen. Doch es geht weiter: ABEL erblickt das Licht der Welt. Vielleicht war seine Geburt kompliziert und schwer; erleichtert atmet ADAM auf, als der winzige Säugling im Arm seiner Mutter liegt. Für einen Jubelschrei reicht die Kraft nicht aus. Die Bedeutung seines Namens lässt erahnen, welchen Eindruck er auf seine Eltern gemacht hat: „Windhauch“, ein NICHTS, (das schnell verblasst, einfach vergeht). Ein zart besaitetes Kind, schwach, klein, mickrig. Junge Leute würden sagen: Ein richtiges „Weich-Ei“. Für das Leben in rauher Umwelt kaum geeignet. Und dennoch wächst er heran, wird Schäfer, während sein Bruder den anstrengenden, aber auch ertragreicheren Ackerbau betreibt. ABEL ist nur ein sanfter HIRTE, der sich fürsorglich und sensibel um seine Tiere kümmert. Aber eben keiner, mit dem man aufregende, mutige Abenteuer erlebt. In der Auseinandersetzung mit seinem älteren Bruder hat er wenige Chancen. Die Machtverhältnisse scheinen eindeutig. Und dennoch: KAIN sitzt nicht mehr allein auf dem Thron seiner Eltern; er muss sich deren Liebe mit seinem schwachen, hilfsbedürftigen Bruder teilen.
Selbstbewusst kommt KAIN auch seinen religiösen Pflichten nach. Natürlich gibt es bei ihm nur erstklassige Feldfrüchte. Er hat sich angestrengt. Stolz präsentiert er GOTT sein Opfer – und erwartet selbstverständlich Erfolg.
Der blasse, unscheinbare ABEL handelt ebenso nach dem Gebot. Was ihm lieb und wertvoll ist, was er gehegt und gepflegt hat, mit all seiner Liebe umgab, ist er bereit herzugeben und zu opfern. Gott sieht sein Opfer gnädig an. Doch KAINs Opfer bleibt unbeachtet. Anerkennung fehlt. Alle Mühen – umsonst??
Ist Gott parteiisch? Steht er – ähnlich wie verantwortungsbewusste Eltern – immer auf der Seite des Schwachen, Hilfsbedürftigen? Der Starke erlebt dies als ungerechte Benachteiligung. Eine schmerzhafte Kränkung für den erfolgsgewohnten älteren Bruder! Getroffen, grimmig und finster vor lauter Zorn senkt KAIN seinen Blick. ABEL, Hauch und Schatten seines Bruders, wird unerwartet zum Bevorzugten, und KAIN hat das Nachsehen. Zum ersten Mal ist er nicht der Beste, ja nicht einmal auf derselben Höhe mit seinem kleinen Bruder. Der sonst permanente Verlierer, der ewige Loser hat diesmal gewonnen. Schmerzlich spürt KAIN, wie das ist, wenn man nicht der Starke, Angesehene und Erfolgreiche ist. Wenn man anstatt in der ersten Reihe, plötzlich hintenan steht. Übersehen, missachtet, im eigenen Selbstwertgefühl empfindlich verletzt. Da geht der offene Blick, die Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit einfach verloren. Eine äußerst bittere Lektion ist zu lernen.
Und Gott hat es bemerkt. Aber ohne Mitleid, ohne den Versuch seine Entscheidung im stillen Konkurrenzkampf der Brüder um Anerkennung zu ändern, spricht er KAIN auf sein Empfinden an: „Warum bist du zornig? Komm, erkläre mir deinen Ärger, lass uns darüber reden!“ Gott schenkt seine ganze Aufmerksamkeit dem Erzürnten, will ihn aus seiner Verschlossenheit herausholen und appelliert an ihn: „Wenn du dich ungerecht behandelt und benachteiligt fühlst, sag es mir. Aber wenn dich nur Neid, Jähzorn, Eifersucht gepackt haben, und du deinem Bruder das Glück nicht gönnen magst – dann hüte dich vor den Folgen! Beherrsche die negativen Gefühle, bevor sie dich beherrschen!“
Derart vorgewarnt und dennoch nicht bereit zur Offenheit – weder vor Gott noch vor sich selber – gibt KAIN sich harmlos. Soll er sich zu allem Schmerz über die Abweisung seines Opfers nun auch noch selbst demütigen? Seinen Neid unterdrücken, dem anderen dieselbe Anerkennung gönnen, die er für sich beansprucht? KAIN ist noch nicht soweit.
Heimtückisch lockt er ABEL ins Verderben. Dort auf dem einsamen Feld, abseits von möglichen Zeugen, Auge in Auge mit seinem schwächlichen kleinen Bruder, kann er ihm – und sich selbst – seine überlegene Stärke beweisen. Erbarmungslos schlägt er zu, tötet den Konkurrenten, der ihm im Wege steht, den Bruder, sein Fleisch und Blut.
Nachdem sein Rachedurst gelöscht ist, stellt Gott ihn zur Rede: „Wo ist dein Bruder ABEL?“ Doch KAIN beantwortet diese Verantwortungs-Frage mit einem zynisch-frechen Wortwitz: „Soll ich den Hirten hüten?“
Sicher, ältere Brüder und Schwestern haften nicht einfach für ihre jüngeren Geschwister. Sie tragen nicht für alles Verantwortung, nur weil sie älter, überlegener sind. Denn es gibt Situationen, wo jeder einen anderen, seinen Nächsten braucht. Wenn ein Mensch im Leid verstummt, kann ein anderer für ihn sprechen. Wenn jemand verzweifelt, kann ein anderer ihn trösten. Wenn jemand stolpert und hinfällt, kann auch ein Schwacher, ein Windhauch, ihn aufrichten und unterstützen.
ABEL bedurfte offensichtlich der Obhut seines starken Bruders. Doch hätte er nicht auch für KAIN ein hilfreicher Bruder sein können: Sich mit ihm zusammenschließen; ihn trösten, als der sich gekränkt fühlte. Kannte er nicht aus eigener Erfahrung, wie schmerzlich es sich anfühlt, nicht dem eigenen Wunschbild zu entsprechen? ABEL hätte über sich hinauswachsen können; er wäre dem Bruder zwar ein kleiner, aber auf andere Weise starker Bruder geworden.
ABEL und KAIN – beide Täter und Opfer in eins! Wie schade, dass sie nicht mit einander geredet haben. Wie schade, dass sie ihre Enttäuschung in sich verbargen, ihren Zorn, ihr Mitfühlen in dunkle Kanäle unterdrückten!
LIEBE und HASS, Aggression und der Wunsch, dem anderen nahe zu sein. Beides brennt heiß und leidenschaftlich in uns Menschen. Es bringt wundervolle Hingabe hervor – und grausame Taten.
Die Gewalt bricht immer wieder hervor. Sie zu bändigen braucht Licht statt Verfinsterung, Gespräche statt wortloser Erhebung, bewusstes Anschauen statt Verdrängung. KAIN wird von Gott zur Rechenschaft gezogen. Doch Gottes bittere, schmerzvolle Anklage, klagt auch um den Schuldiggewordenen. Denn GOTT liebt seine Menschenkinder.
Der himmlische Vater verlangt kein neues Opfer. KAIN – der Mensch, der seine Schuld nicht einsehen will, obwohl er unter ihr leidet, – darf weiterleben. Er wird in eine harte Welt ausgesetzt ohne Gottes Segen und Beistand. Er bleibt für den Rest seines Lebens auf sich allein gestellt. Wo immer er geht, liegt oder steht, klebt die Schuld an seinen Fersen. Ruhelos und flüchtig, nirgendwo zuhause wird er immer in Angst und Sorge leben. KAIN erkennt, wie aussichtslos seine Lage ist. Vertrieben aus Gottes Nähe, ohne die Gemeinschaft des menschlichen Bruders, völlig allein – wer schützt dann noch sein Leben? Allein auf sich selbst angewiesen, weiß er sich dem Tode preisgegeben.
Doch Gottes Liebe ist größer als der Schrei nach weiterem Blut. Er macht ein Schutzzeichen um den Mörder herum, eine siebenfache Barriere. Nicht Auge um Auge, Zahn um Zahn oder Leben um Leben. Der Mensch lebt weiter – mit seiner Schuld, die ihm keinen Frieden lässt, solange er sich ihr nicht stellt.
Und GOTT? In seiner HEILSGESCHICHTE mit uns Menschenkindernsteht ER immer auf der Seite derer, die ihn brauchen. Er lässt auch jene nicht im Stich, die mit ihrer Schuld leben müssen, irgendwo außerhalb gewohnter Bahnen.
Wir Menschen sind Geschwister vor Gott, auch wenn wir einander nicht immer lieben. Wir sind verantwortlich für den Bruder/die Schwester, auch wenn die Eigenständigkeit des anderen darunter nicht leiden darf.
KAINs Geschichte ist nicht zu Ende. Aber sie hat eine Lösung, eine Aussicht auf Veränderung und Freiheit von Schuld. Das Geschenk des Friedens erwächst durch den, der am KREUZ alle Schuld auf sich genommen hat. Im Vertrauen auf Ihn werden wir entlastet; können wir neu anfangen – ermahnt und geschützt durch das Kainszeichen, freigesprochen durch das Opferlamm, das uns auf neue, heilsame Wege weist.
AMEN
Perikope