Predigt über 1. Petrus 3, 8-15 von Christiane Borchers
3,8
Liebe Gemeinde !
„Seid allesamt einmütig, mitfühlend, barmherzig, demütig“, was für eine unrealistische Forderung! Glaubt der Schreiber des 1. Petrusbriefes ernsthaft daran, dass das jemals möglich sein wird? Doch wohl kaum, jedenfalls nicht hier auf Erden. Der Bibeltext mutet uns einiges zu. Eine Ermahnung jagt die nächste: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem, tue Gutes, hüte deine Zunge, dass sie nicht Böses rede, suche Frieden.“ Das sind alles schöne Vorstellungen und im Prinzip stimmen wir ihnen zu, aber die Praxis, der Alltag sieht anders aus. Der Alltag sieht auch anders aus für die verstreuten christlichen Gemeinden in Kleinasien, an die der 1. Petrusbrief gerichtet ist. Der Verfasser des Briefes ist nicht bekannt. Der Apostel Petrus wird diesen Brief eher nicht geschrieben haben, aber da der Inhalt den Geist des Apostels Petrus widerspiegelt, wurde er nach ihm benannt. 
Das Christentum befindet sich ganz am Anfang, christliche Gemeinden gibt es wenige, sie sind eine Minderheit in einem heidnischen Umfeld im damaligen Kleinasien, der heutigen Türkei. Sie fallen auf durch ihre Religion. Sie feiern das Abendmahl, brechen das Brot, teilen den Wein wie Jesus es getan hat. Indem Wasser über die Täuflinge gegossen wird und der Gemeindevorsteher bestimmte Worte spricht werden Neue in die Gemeinschaft aufgenommen. Sie halten sich fern vom Kaiserkult und den einheimischen Gottheiten. Das macht sie verdächtig. Dass sie irgendwie anders sind spüren die Leute, sie werden mit Argwohn betrachtet. Sie sind Fremde im eigenen Land, ein wenig fühlen sie sich auch als solche. Sie gehören einem anderen Bereich an, ihr Bekenntnis zu Gott und Jesus Christus lässt sie auf Erden ein wenig fremd werden.
Aber deswegen sind sie keineswegs weltfremd, sie merken ganz konkret, was es bedeutet Christin, Christ in einem anders geprägten religiösen Umfeld zu sein. Sie sind Anfeindungen ausgesetzt, werden auf offener Straße beschimpft, manchmal werden sie direkt körperlich bedroht und angegriffen. Oder ihre Hauswände werden beschmiert und ihre Gärten verwüstet. Es ist schon eine Zumutung, wenn der Verfasser des Briefes sie ermahnt, Böses nicht mit Bösem zu vergelten und barmherzig zu sein. Sie sollen barmherzige zu ihren Feinden sein? Demütig gegenüber ihren Peinigern? Ist das nicht zuviel verlangt? Müssen sie sich denn alles gefallen lassen? Sie können doch nicht ignorieren, wie die bedrohlichen Agitationen sie schmähen und an ihrem Selbstbewusstsein kratzen. Der Briefschreiber weiß um ihre Situation, er redet nicht klein, was sie erleiden und erdulden, aber er weiß auch, dass erneuter Hass und erneute Feindschaft Unfrieden und Gewalt vermehren. „Vergeltet nicht Böses mit Bösem“, bedeutet, die Kette zu durchbrechen. Es ist schwer, was der Verfasser des Briefes von ihnen verlangt, besonders da die Machtverhältnisse zwischen ihnen und ihren Peinigern ungleich sind. Aber gibt es eine andere Alternative?
Die Situation der frühen Christinnen und Christen in Kleinasien ist mit unserer Situation überhaupt nicht zu vergleichen. Wir leben in einer ganz anderen Situation als sie. Niemand wird heutzutage in Deutschland aufgrund seines Glaubens verfolgt oder bedrängt. Aber Sticheleien, Feindschaften, Benachteiligungen, Ängste kennen wir ebenfalls, wenn auch in anderen Zusammenhängen. Es gibt genug Menschen, die finden keine Ruhe. Sie machen sich Sorgen, haben Angst, leben im Streit, finden keinen Weg: Nachbarn, die nicht miteinander reden, Geschwister, die eine Erbschaft auseinander bringt, Eheleute, die sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben für Dinge, die nicht gut gelaufen sind, Kolleginnen und Kollegen, die sich das Leben am Arbeitsplatz schwer machen, Kinder, die mit Fäusten schlagen. Es gibt Menschen, die werden ausgegrenzt aus vielerlei Gründen, eine Teilhabe am sozialen Leben wird ihnen verweigert. Wer öffnet eine Tür? Wer zeigt einen Weg? Es ist schwer, wenn eine Tür zugeworfen wurde, sie wieder aufzumachen. Wenn wir uns im Dunkel der Ausweglosigkeit nicht zurechtfinden, wie sollen wir den Weg finden? Wut, Enttäuschungen, Verletzungen haben uns misstrauisch gemacht.
Wir brauchen die Ermahnungen des Petrusbriefes nicht nur als Ermahnungen mit erhobenem Zeigefinger zu sehen, sondern auch als die Sehnsucht nach einem guten Miteinander, die sich aus den Konsequenzen dieser Ermahnungen ergeben. Es geht darum, ein sinnvolles und erfülltes Leben zu leben. Bei all den Problemen, denen vor allen Dingen die bedrängten und bedrohten Christinnen in Kleinasien ausgesetzt waren, sollen wir das Ziel, in Frieden zu leben, nicht aus den Augen verlieren. Die Sehnsucht nach einem guten Miteinander wird mit den Worten beschrieben: „Gute Tage sehen, das Leben lieben, Gutes schaffen, den Frieden suchen“. Andere Beschreibungen haben spezielle Eigenschaften hervor, wie die Sehnsucht nach einem guten Leben für alle erreicht werden kann: die Zunge hüten, sich abwenden vom Bösen, den Teufelskreis der Vergeltung durchbrechen, mitfühlend, barmherzig und demütig sein, segnen. Segen wird denen selbst zuteil, die sich diese Leben stiftenden Verhaltensweisen zueigen machen. Solche Menschen, die so leben, werden die Gerechten genannt. Auf die Gerechten aber sehen die Augen Gottes. Gott wendet sich diesen Menschen zu. Wo Gott sich zuwendet, ist Leben. Gottes Augen blicken auf die Gerechten, er sieht sie an und sieht ihr Geschick. Gottes Ohren hören die Gebete, die sie zum Himmel schicken, er sieht mit seinen Augen und hört mit seinen Ohren, ihr Ruf nach Hilfe wird nicht verhallen. Seine Zuwendung ist ihnen gewiss. Gottes Sehen und Hören, seine Zuwendung, wird zum Segen. Menschen, die gesegnet sind, werden wiederum selbst zum Segen.
„Hüte deine Zunge, dass sie nichts Böses rede und achte auf deine Lippen, dass sie nicht betrügen.“ Es ist nicht gleichgültig, was wir reden, die Macht der Rede ist nicht zu unterschätzen, eine böse Rede ist eine böse Tat. Eine verantwortungsvolle Rede ist das Tun des Gerechten. „Wenn du deinen Nächsten beschimpfst, wisse, wen du beschimpfst“, sagt Rabbi Tanchuma. Der Mensch ist Gottes Ebenbild. Wer das Ebenbild beschimpft, beschimpft Gott. Beschimpfungen stehen in der Linie tödlicher Verletzungen. Böse Worte, Verleumdung, üble Nachrede gehören in die Sphäre des Fluches und des Todes. Gott wendet sich von den Ungerechten ab, Gottes Abwendung bedeutet Tod. „Vergeltet nicht Böses mit Bösem, oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, denn dazu seid ihr berufen, damit ihr den Segen ererbt.“ Segen zieht Segen nach sich. Verantwortungsvolle Rede, Gutes tun, mitfühlend und barmherzig sein gehören in die Sphäre des Segens und des Lebens. Wer segnet, stellt Menschen in den Lebensbereich Gottes.
„Wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht“ fährt der Verfasser des Briefes fort. Die Christinnen und Christen in Kleinasien sind erschrocken in ihrer bedrängten Situation, sie fürchten sich. „Heiligt Christus in eurem Herzen“, ermutigt der Petrusbrief. Die Heiligung eines Namens ist im Judentum ein versteckter Hinweis für ein Martyrium, ein Bekenntnis bis zum Tod. Ob der Briefschreiber hier an ein bestimmtes Martyrium denkt und die Heiligung Christi ebenso versteht wie im Judentum bleibt ungeklärt.. Auf jeden Fall sollen Bedrängnisse und schlimme Verfolgung nicht zur Lähmung und Rückzug führen. Die Bedrängten sollen sich nicht entmutigen lassen, sie sollen Christus im Herzen behalten und ihre Hoffnung bewahren. Von ihrer Hoffnung, die in ihnen ist, sollen sie zeugen. Der 1. Petrusbrief mahnt die christliche Gemeinde, ein dem christlichen Glauben gemäßes Leben zu führen, sich nicht zum Bösen hinreißen zu lassen, den Frieden zu suchen, dem Guten nachzueifern. Der Brief ist nicht nur ein Mahnbrief, sondern auch ein Trostbrief. Er will Menschen in ihrer Anfechtung stärken. Er erinnert an christliche Hoffnung, dass wir zu Christus gehören, dass wir verantwortlich sind, dass Gott sich uns zuwendet.
Wir sollen Christus im Herzen heiligen. Wie geht das? Vielleicht am besten dadurch, dass wir Jesu Bild lebendig halten, dass wir uns erinnern, wie mitfühlend, barmherzig und demütig Jesus selbst gewesen ist. Er war Leiden ausgesetzt, er wurde verfolgt. Menschen, die Leiden, Gefahren, Angst und Schmerzen ausgesetzt sind, können sich mit ihm identifizieren. Jesus hilft uns, das Ziel zu erreichen: einmütig zu sein, mitfühlend, barmherzig und demütig. Wir suchen das Gute und eifern den Frieden nach, zeugen von der Hoffnung, die in uns ist.  Amen.
Perikope