Predigt über 1.Korinther 6, 9-14.15-18-20 von Heinz Behrends
6,9
Wo tut es Dir heute weh?
  Ich meine, körperlich? In den Beinen? Der Kopf? Brennen die Augen? Drängt sich Dein Tinnitus heute wieder vor? Ist Dein Herz unruhig und flattert? Tun die Füße weh?
  
  Wenn der Körper Sabbat macht, etwas zur Ruhe kommt, merkt man es häufig noch mehr als sonst, wo der Schmerz sitzt. Manch einer gerät in den ersten Urlaubstagen in leichte Panik, weil ihn alle möglichen Beschwerden alarmieren und beunruhigen. Und der vertraute Arzt ist nicht in der Nähe.
  
  Manch einer ahnt das und macht einfach weiter mit seinem unruhigen Hasten.
  Wo tut es Dir heute weh?
  
  Im Nacken vielleicht. Sie kommt jede Woche von weit her zu mir in die Stadt. Heute ist sie besonders verzweifelt. Sie erzählt mir von ihrer Sorge um ihren erwachsenen Sohn. Sein Leben ist bedroht, aber er will sich nicht helfen lassen. Während sie erzählt, fasst sie sich dabei in den Nacken, reibt ihn, räkelt den Kopf, schiebt die Schultern nach hinten und nach vorne.
  „Sie haben Nackenschmerzen?“
  „Ja, darum komme ich ja jede Woche in die Stadt. Ich hole mir meine Spritze ab. Dann ist es für einige Tage wieder gut.“
  „Was sitzt Ihnen im Nacken?“
  Und dann erzählt sie mehr, von dem Druck,  unter dem sie steht. Sie tut alles, damit es ihrem Mann im Beruf gut geht. Sie spielt ihre Rolle im Dorf, die andere ihr zuweisen, so zu leben wie andere es gerne sehen wollen.
  Sie zieht oft den Kopf ein, auf ihren Schultern lastet viel. Sie verkrampft, der Nacken wird steif, das Zurückschauen schwer. Ich verstehe, sie fährt nicht nur wegen der Spitze in die Stadt.
  Ihr sitzt etwas im Nacken.
  
  Paulus hat das gewusst, dass Leib und Seele zusammengehören. Das, was die Psychosomatiker später herausgefunden haben und heute Allgemeingut ist.
  Für ihn als Juden gibt es keine Trennung von Seele, Leib und Geist. Die Griechen trennen gerne, die Leute, die in Korinth Christen geworden sind und nun zur kleinen Gemeinde gehören.
  Paulus wusste: Die Seele redet mit allen Fasern des Körpers.
  
  Manche haben das heute zu gut begriffen und horchen jede Stunde in sich hinein. Jedes Zipperlein wird zum kleinen Propheten einer großen Katastrophe.
  Aber die meisten missachten die Zeichen des Körpers, die Signale der Seele.
  
  Sie können bei Paulus in die Schule gehen. Treibt keinen Raubbau mit Eurem Körper, weil er Euch nicht gehört. Vielmehr soll euer Körper den Glauben verkörpern.
  
  Ihr gehört nicht euch selbst. Der Leib gehört dem Herrn.
  Wieso das? Wenn mir eins gehört, dann ist es mein Körper. „Mein Bauch gehört mir“.
  Nein. Vielleicht ist das ein guter Rat, sich bewusst zu machen, dass du deinen Körper nicht besitzt. Du nimmst dann eine andere Perspektive ein.
  Dein Körper ist wunderbar gebildet im Mutterleib. Ich erlebe das gerade bei unseren Kindern. Sie zeigen mit Stolz die Ultraschall-Aufnahmen des begonnenen Lebens. Und dann kommen sie zur Welt. Ein Schrei, das Herz schlägt, Augen, Nase, Ohren, Fingernägel, voll entwickelt, alles ist schon dran.
  
  Was hast du diesem Deinem Körper bisher alles angetan?
  Die Unzucht, von der Paulus spricht, ist mehr als eine missbrauchte Sexualität außerhalb der Ehe.
  Sich nicht begrenzen lassen wollen. Nicht in Zucht sein.
  Auch Arbeit kann Unzucht sein.
  Der Verschleiß eines Menschen wird gerade in der Kirche manches Mal als Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Glaubens missverstanden.
  
  Ich gehöre nicht mir selbst. Wenn Liebende sich sagen: „Ich gehöre Dir“, dann geben sie sich selbst nicht auf. Ich stelle mich an deine Seite, ich gehöre zu dir. Sie werden eins.
  Paulus ist ein großer Mystiker. Mit Christus eins sein. Wenn ich ihm gehöre, dann auch mein Leib.
  
  Und dann benutzt der Apostel dafür ein Bild. Der Körper ist der Tempel des Heiligen Geistes.
  Ein Tempel nicht mit 4 Seiten und 8 Säulen und Gewölbe, sondern ein Tempel auf zwei Beinen.
  Beweglich, unterwegs.
  Du, ein Raum, aus dem Gott spricht, aus dem heilvolles in die Welt kommt.
  
  Welche Aufwertung des Leibes, des Körpers!
  Nun ist Körper im Neuen Testament auch das Wort für die Gemeinde, die Versammlung der Leiber.
  Leib ist nie an sich und für sich, sondern ist Leib in Bezug auf den anderen, also ein Beziehungsbegriff.
  Darum führt er hier den Begriff der Freiheit ein. Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten, nicht alles führt in die Freiheit.
  
  Wenn du einem Kind alles erlaubst, begleitest du es in die Abhängigkeit, in die Unfreiheit.
  Das Gegenteil von Freiheit, sagt Martin Buber, ist die Verbundenheit.
  Dafür nennt er die Felder des Lebens, in denen Unverbundenheit heillos wirken kann.
  Er spricht sehr polemisch, man kann seine Worte missbrauchen.
  „Unzucht, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder, Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer.“
  Hurerei vor allem. Hier greift er tief in die Kiste und tobt sich richtig ab. Wie viele Leute aus der kleinen Gemeinde in Korinth werden gerade aus dem Bordell gekommen sein!
  Mir ist das verdächtig, wenn jemand sagt: „Lebt so ehelos wie ich. Das wäre mir am liebsten“.
  Einer, der die Ehe offensichtlich für ein Institut zur Verhinderung von Naturkatastrophen hält.
  Hat er die Geschichte von Maria Magdalena, der Prostituierten, nicht gekannt, die Jesus bis zum Schluss in Liebe folgt.
  Oder die Geschichte vom Pharisäer, der angesichts des Zöllners die Worte des Apostels benutzt! „Ich danke dir, Herr, dass ich nicht so bin wie dieser hier, Räuber, Betrüger, Ehebrecher.“ Der Pharisäer – Sinnbild der Heuchelei.
  
  Das kann wohl nicht wahr sein. Deshalb lese ich noch einmal:
  Sexualität, Geld, Alkoholismus, Reden und Geschwätz – sie alle können die Verbundenheit von Menschen zerstören.
  Ja, das ist es. Wenn der Leib immer ausschließlich im Bezug auf den anderen denkt, können Sex, Alkohol, Geld und Geschwätz zum Feind des Lebens werden.
  Die Gier trennt von anderen.
  Der Alkohol macht beziehungsunfähig und zerstört den Leib.
  Sex ohne Liebe beutet den anderen aus.
  Lästerei, Geschwätz, reden über andere ohne Anlass und Berechtigung – wie Bonhoeffer sagt das Wesen der Lüge - können Beziehungen zerstören, den Leib  verwunden.
  
  Lasst das sein.
  Gott hat dem Glauben einen Körper gegeben in Christus. Ihr seid teuer erkauft. Lobt Gott mit eurem Leibe alle Zeit.
  Tempel des Heiligen Geistes, der Heil und Leben ausstrahlt.
  
  Wenn wir uns unter diesem Gesichtspunkt betrachten und uns aufmerksam wahrnehmen, dann ist jede Verkrampfung eine kleine Beleidigung Gottes.
  Jeder Nackenschmerz -im Namen Gottes erlitten- ein großes Missverständnis des Evangeliums.
  
  Den Glauben verkörpern, dem Glauben eine körperliche Gestalt geben.
  Augen mit klarem Blick für die Wahrheit
  Ganz Ohr sein.
  Ein Mund, der nicht schwätzt.
  Füße, die weite Wege gehen.
  Ein Bauch, der ehrlich spricht und es gut mit dir meint.
  Hände, die geben, umarmen. Gesten der Verbundenheit in Freiheit.
   
Perikope