Predigt über Apostelgeschichte 5, 17-20 von Mirko Peisert
5,17
Liebe Gemeinde,
  
  „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.
  Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."
  
  So dichtet Hermann Hesse und so könnte man jetzt  auch denken:
  Es herrscht große Begeisterung.
  Tiefes Vertrauen und innere Überzeugung.
  Und es geschehen ja auch großartige Dinge.
  Die jungen christlichen Gemeinden erleben Wunder und Heilungen.
  Die Gemeinden wachsen, es herrscht Eintracht, inniger Glaube, tiefe Gemeinschaft und die Apostel predigen täglich und engagiert das Evangelium Jesu Christi - die frohe Botschaft ist nicht aufzuhalten.
  
  Es geschahen aber viele Zeichen und Wunder im Volk durch die Hände der Apostel; und sie waren alle in der Halle Salomos einmütig beieinander. (Act 5,12)
  
  Die Apostel, die Jünger Jesu tun das, wozu Jesus sie einst beauftragt hatte: Jesus rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen. (Mt 10,1)
  Jesus gab ihnen Gewalt und Macht über alle bösen Geister, dass sie Krankheiten heilen konnten und sandte sie aus, zu predigen das Reich Gottes
  
  Doch wo das Rettende wächst, da wächst auch die Gefahr.
  Der Erfolg, das Wachstum, die Wunder rufen auch ganz schnell Missgunst und Neid auf den Plan, davon erzählt unser Predigttext aus dem 5. Kapitel der Apostelgeschichte.
  
  Es erhoben sich aber der Hohepriester und alle, die mit ihm waren, nämlich die Partei der Sadduzäer, von Eifersucht erfüllt, und legten Hand an die Apostel und warfen sie in das öffentliche Gefängnis.
  Aber der Engel des Herrn tat in der Nacht die Türen des Gefängnisses auf und führte sie heraus und sprach: Geht hin und tretet im Tempel auf und redet zum Volk alle Worte des Lebens. (Apostelgeschichte 5,17-20)
  
  „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.
  Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."
  
  Nein, das Evangelium scheint nicht aufzuhalten, vielmehr ruht Gottes Segen auf den ersten christlichen Gemeinschaften. Der Unmut der Religionswächter, er läuft ins Leere, Kleingeist und Neid können die neue Bewegung nicht aufhalten.
  Vielmehr: Ein Bote Gottes, ein Engel öffnet die Türen des Gefängnisses und rettet, befreit die Apostel.
  
  Für mich klingt das alles fast ein bisschen zu schön, um wahr zu sein.
  Klingt fast ein bisschen Märchenhaft!
  
  +
  
  Doch wir wissen das ja alle: Es müssen natürlich nicht Männer mit Flügeln sein.
  
  Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
  die Engel.
  Sie gehen leise, sie müssen nicht schrein.
  Oft sind sie alt und hässlich und klein,
  die Engel.
  Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand,
  die Engel.
  Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand,
  oder er wohnt neben dir, Wand an Wand.
  Dem Hungernden hat er das Brot gebracht, der Engel.
  Dem Kranken hat er das Bett gemacht,
  und hört, wenn du ihn rufst in der Nacht, der Engel.
  Er steht im Weg und er sagt: Nein, der Engel.
  Groß wie ein Pfahl und hart ein Stein –
  Es müsse nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.
  So sagt Rudolf Otto Wiemer
  
  +
  
  Ließe sich der Predigttext dann nicht auch als eine antike Mobbinggeschichte lesen. Die eine Theologengruppe versucht der anderen mit allen Mitteln und Tricks eins auszuwischen. Sie kalt zu stellen?
  
  Eine Mobbinggeschichte wie sie heute viel zu oft geschehen:
  
  Als der neue Chef im ersten Meeting einen sehr direkten und unfreundlichen Ton anschlägt da ist Monika S. die einzige, die sich diesen Ton verbittet. So beginnt ihr Leidensweg. Mit ihrem früheren Chef wie mit dem ganzen Team ist die junge Vertriebsingenieurin prima ausgekommen. Nun wird sie täglich zum Rapport zitiert, muss seitenweise jeden Arbeitsschritt dokumentieren. Der Boss rüffelt sie vor versammelter Mannschaft, ruft Kunden an, um sich nach den Projekten seiner Mitarbeiterin zu erkundigen.
  Eines Morgens stolpert Monika S. über Umzugskartons in ihrem Büro. Im Wochenrhythmus muss sie fortan das Büro wechseln - und landet in einem als Kopierraum gedachten Kabuff neben der Herrentoilette, es ist wie ein Gefängnis - ohne Fenster. Sie schläft schlecht, hat Magenschmerzen, meldet sich oft krank. Ihre Umsatzziele schafft sie schon lange nicht mehr, was ihr böse Bemerkungen einiger Kollegen einbringt.
  
  Bei einem überraschenden Besuch der Geschäftsleitung in der Abteilung fällt dem Betriebsratsvorsitzenden das gefängnishafte Büro von Monika S. auf. Es folgen mehrere Gespräche zwischen Abteilungsleiter, Geschäftsleitung und Monika S. Sie wird versetzt in eine andere Abteilung mit einem neuen Büro. Sie empfindet die Versetzung wie eine Befreiung.
  
  Aber der Engel des Herrn tat in der Nacht die Türen des Gefängnisses auf und führte sie heraus.
  
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  Nein, es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.
  Es können auch Betriebsräte, Nachbarinnen, Opas oder Erzieherinnen sein.
  
  Die Bibel beschreibt die Engel als Boten Gottes.
  Sie überbringen Botschaften Gottes, im Traum, in der Nacht, als Erscheinung bei Tage.
  Sie folgen seinem Auftrag. Führen seinen Willen aus.
  Sie sind Zeichen der Nähe Gottes. Ausdruck seiner fürsorgenden Liebe.
  
  Wer ein waches Herz hat und offen Augen und Ohren, der wird sicher sagen können, mir sind immer wieder Engel im Leben begegnet.
  Engel, die mein Leben in die richtige Richtung gelenkt haben.
  Engel, die mir Mut gemacht haben, mich aufgerichtet haben.
  Engel, die mir Widerstandskraft gegeben haben gegen die dunklen Stimmen, die mich klein machen.
  Engel, die an mich geglaubt haben, als ich selbst das nicht mehr konnte.
  Engel, die mich befreit haben aus der Enge meines Lebens.
  
  Engel wie die Tanzlehrerin Mrs. Willkinson im Film „Billy Elliot“.
  
  Für den Vater war klar, sein Sohn Billy soll ein echter Kerl werden, am besten er geht schon ganz früh schon in den Boxunterricht. Doch Billy fühlt sich dort sichtlich unwohl, fehl am Platz.
  Er wandert durch das Sportgelände und gerät in die Balletstunde bei Mrs. Wilkinson, die in der gleichen Halle mit ihrer Gruppe übt. Hier merkt er schnell, dass ihm das Tanzen viel besser liegt als das Boxen. Auch Mrs. Wilkinson erkennt schnell das Talent, das in Billy schlummert. Anstelle des Boxunterrichts besucht Billy nun heimlich den Ballettunterricht und Mrs. Wilkinson fördert und fordert ihn immer mehr.
  Billys Vater erfährt davon, dass Billy schon seit geraumer Zeit dem Boxunterricht ferngeblieben ist, und kommt hinter sein Geheimnis. Er tobt und verbietet Billy, weiterhin am Tanzunterricht teilzunehmen.
  
  Der Konflikt eskaliert zwischen dem Vater und Mrs. Wilkinson, welche nach wie vor an Billy glaubt.
  Und Mrs. Wilkinson kämpft weiter um Billy und dessen Talent. So meldet sie ihn zum Vortanzen bei einer der renommiertesten Ballettschulen des Landes, der Royal Ballet Scholl in den London, an.
  In einer Schlüsselszene sieht Billys Vater zufällig seinen Sohn tanzen und begreift, wie wichtig das Tanzen für diesen ist. Er tut von nun an alles, um Billy den Besuch der Ballettschule zu ermöglichen, und begleitet ihn nach London zum Vortanzen.
  Tage später erhält er die Zusage für ein Stipendium an der Ballettschule.
  
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  Aber der Engel des Herrn tat in der Nacht die Türen des Gefängnisses auf und führte sie heraus.
  
  Es gibt Menschen und Personen um uns herum, aber auch Stimmen in uns, die ganz unterschiedlich auf uns einwirken.
  
  Da gibt es viele Stimmen, die mich klein machen wollen.
  Die mich in die Enge treiben.
  Das kannst Du sowieso nicht, das schaffst Du nicht. Die anderen mögen Dich nicht! Es könnte doch etwas passieren? Was ist, wenn Du Dich vor den anderen blamierst?
  Es gibt viele Stimmen, die mich klein und unfrei machen wollen, die mir die Luft nehmen, gefangen nehmen.
  
  Aber es gibt auch die anderen Stimmen, vielleicht manchmal leise und vorsichtig, die Stimmen, die uns frei machen.
  Worte, die befreien.
  Menschen die Mut machen.
  
  Der katholische Theologe Ignatius von Loyola hat den Begriff „Unterscheidung der Geister“ geprägt. Er geht davon aus, dass unsere Welt von unterschiedlichen Geistern bestimmt wird. Wir Christen müssen sorgsam prüfen, welche Geister uns leiten.
  
  Er nennt genaue Kriterien nach denen wir unterscheiden sollen. Als Kriterien nennt er Trost und Trostlosigkeit, Freiheit und Unfreiheit, mehr oder weniger an Glaube, Liebe, Hoffnung.
  Gottes Geist ist immer der Geist, der die Liebe, die Hoffnung, den Glauben fördert, der tröstet, der befreit.
  
  Für Ignatius von Loyola geht es deshalb darum zu prüfen, welchen Stimmen folge ich in meinem Leben, denen die mich frei machen, die die meinen Glauben und meine Hoffnung stärken oder den anderen Stimmen.
  Es ist eine Lebensaufgabe diese Geister im Leben immer wieder zu unterschieden.
  Meine Aufgabe für mich als Christ immer wieder neu zu entscheiden, welchem Geist folge ich.
  
  Der handfeste Streit, den die Apostel erleben, der sie ins Gefängnis führt und der mit der Befreiung durch einen himmlischen Boten endet, den erfahre ich immer wieder in meinem Leben und der wird auch immer wieder in der Gemeinde ausgetragen.
  
  Als Gemeinde Jesu haben wir auch zu fragen, was führt uns in die Engstirnigkeit, was engt uns ein, lähmt uns, und: was macht uns frei, beweglich und offen für Gottes Nähe.
  
  Die Engel sind uns dabei Hilfe zur Freiheit, zum Leben, zur Liebe.
  Zum Evangeliums.
  
  Der 34. verspricht: "Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus!"
  Gott stellt mir seine Engel zur Seite, kraftvoll und stark in Angst und Gefahr.
  Er schickt seinen Engel, der mein Leben leichter machen will und mir das Fliegen lehren will.
  Und er schickt mir Boten, die mich achtsam werden lassen für Gottes Gegenwart heute und jetzt.
  
  Gott sei Dank.
  
  Amen.
   
Perikope