Predigt über Epheser 1, 3-14 von Harald Klöpper
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Predigt über Epheser 1, 3-14 von Harald Klöpper

Es gibt so viele verschiedene Triebfedern im Leben (evtl. mit playmobil oder power point Präsentation demonstrieren): eine neues Auto, die Aussicht auf einen attraktiven Lebenspartner, die berufliche Karriere, das eigene Haus. Wer all dies erreicht, hat es im Leben doch sichtbar zu etwas gebracht!  
  
  Der Schreiber des Epheserbriefes hätte nur mit dem Kopf geschüttelt: alles ganz nett, aber im rechten Licht betrachtet, ist mit allen diesen Dingen noch keineswegs das große Lebensrätsel (V. 9) gelöst, dass sich u.a. in den drei Fragen verbirgt:
  
  1. Wer bin ich?
  2. Was bin ich mir und anderen wert?
  3. Wie nehme ich mich wahr?
  
  Dass an der Sichtweise des Epheserbriefes durchaus etwas dran ist, das haben wir ja schon selbst bemerkt: in den fast zwangsläufigen Krisen und Zusammenbrüchen, wenn die erwachsenen Kinder womöglich noch im Zorn das Haus verlassen, wenn das heißgeliebte Auto in einen Unfall verwickelt war, wenn die berufliche Karriere ein unerwartetes Ende findet, wenn der Lebenspartner uns verlässt und als Jugendlicher, wenn eure Eltern sich scheiden lassen. Wie ein Tsunami brechen dann Wut und Ohnmacht über unser Leben ein mit den in Wellen immer wiederkehrenden Fragen:
  
  1. Wer bin ich denn noch?
  2. Warum muss mein Leben so sinn- und wertlos sein?
  3. Gibt es einen größeren Versager als mich?
  
  Angesichts solcher Fragen ist es unerheblich, ob Paulus oder einer seiner Schüler später den heutigen Predigtabschnitt aus dem Epheserbrief geschrieben hat. Wichtiger ist es zu wissen, dass beide den Epheserbrief in einer echten Notsituation entstanden sein lassen wollen, als Paulus unerwartet aus seiner missionarischen Aufbauarbeit herausgerissen und ins Gefängnis gesteckt wurde.
  
  Der Zwangsaufenthalt im Gefängnis unterbricht die bisher erfolgsverwöhnte Laufbahn: Zypern, Antiochia, Ikonion, Lystra, Derbe, Perge, Philippi, Thessalonich, Beröa, Athen, Korinth, Ephesus… Trotz teilweise heftigen Widerstandes war erfolgreich Gemeinde um Gemeinde gegründet worden. Aber diese Erfolgsserie, im Gefängnis wurde sie zum hinschmelzenden Schnee von gestern, die Hände gebunden. Alles Lebenswerte in weite Ferne gerückt. Zudem ist auch keine kurzfristige Rettung in Sicht wie damals in Philippi, als sich die Gefängnistüren noch auf wunderbare Weise öffneten.
  
  Nein, hier im Gefängnis von Ephesus sprechen die meterdicken Mauern Hohn über alles, was einen erfolgreichen Apostel ausmacht. Stattdessen der nagende Zweifel, der wie steter Tropfen aber auch alles auszuhöhlen droht.
  
  Wie er es auch dreht und wendet, in sich selber findet der äußerlich und innerlich Gefangene keine Antwort auf die bohrenden Fragen. Damit bleibt er ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
  
  Aber dann macht es auf einmal „Klick“: Was ändert sich eigentlich, wenn ich nicht mehr auf mich und mein Elend starre? Was passiert, wenn ich aufhöre, mich auf meine Gefühle und Gedanken festnageln zu lassen? Was geschieht, wenn ich mich stattdessen auf den Blickwinkel Gottes einlasse?
  
  Was sich danach ereignet, ist so bahnbrechend, dass es den Schreiber des Epheserbriefes fast überfordert. Wieder werden Gefängnismauern gesprengt, aber anders als in Philippi! Denn im Gefängnis von Ephesus werden spirituelle Erfahrungen beschrieben, die in der Lage sind, jeden Kerker der Welt von Grund auf zu sprengen. Von entsprechenden „himmlischen Gaben“ als Zündstoff ist die Rede, von Befreiung und darauf gründende Hoffnung; von Liebe, Gotteskindschaft und dankbarem Vertrauen (Eph1, der Verständlichkeit wegen die Version der Guten Nachricht):
  
  3 Gepriesen sei unser Gott, der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus! Denn durch Christus hat er uns Anteil gegeben an der Fülle der Gaben seines Geistes in der himmlischen Welt.
  4 Schon bevor er die Welt erschuf, hat er uns vor Augen gehabt als Menschen, die zu Christus gehören; in ihm hat er uns dazu erwählt, dass wir heilig und fehlerlos vor ihm stehen. Aus Liebe
  5 hat er uns dazu bestimmt, seine Söhne und Töchter zu werden – durch Jesus Christus und im Blick auf ihn. Das war sein Wille und so gefiel es ihm,
  6 damit der Lobpreis seiner Herrlichkeit erklingt: der Lobpreis der Gnade, die er uns erwiesen hat durch Jesus Christus, seinen geliebten Sohn.
  7 Durch dessen Blut sind wir erlöst: Unsere ganze Schuld ist uns vergeben. So zeigte Gott uns den Reichtum seiner Gnade.
  8 In seiner überströmenden Güte schenkte er uns Einsicht und ließ uns seine Wege erkennen.
  9 Er hielt sein Geheimnis vor allen verborgen; niemand erfuhr etwas von seinem Plan, den er durch Christus ausführen wollte. Uns aber hat er bekannt gemacht,
  10 wie er nach seiner Absicht die Zeiten zur Erfüllung bringt: Alles im Himmel und auf der Erde wollte er zur Einheit zusammenführen unter Christus als dem Haupt.
  11 Durch Christus haben wir Anteil bekommen am künftigen Heil. Dazu hat Gott uns von Anfang an bestimmt nach seinem Plan und Willen – er, der alle Dinge bewirkt.
  12 Denn ein Lobpreis seiner Herrlichkeit sollen wir sein – wir alle, die wir durch Christus von Hoffnung erfüllt sind!
  13 Durch Christus hat Gott auch euch sein Siegel aufgedrückt: Er hat euch den Heiligen Geist gegeben, den er den Seinen versprochen hatte – nachdem ihr zuvor das Wort der Wahrheit gehört hattet, die Gute Nachricht, die euch die Rettung bringt, und ihr zum Glauben gekommen seid.
  14 Dieser Geist ist das Angeld dafür, dass wir auch alles andere erhalten, alles, was Gott uns versprochen hat. Gott will uns die Erlösung schenken, das endgültige, volle Heil – und das alles wird geschehen zum Lobpreis seiner Herrlichkeit.
  
  Viele Stellen im Epheserbrief weisen darauf hin, dass es bis zu dieser Erkenntnis ein langer, aber lohnenswerter Weg war. Die Abgeschiedenheit, der Ausschluss von den Alltagsgeschäften waren ja zunächst alles andere als erwünscht. Der außengesteuerte, seinem Verstand und Gefühlen folgende, zielstrebige Mensch musste ja erst einmal ausgeschaltet werden. Danach galt es, das vor Selbstmitleid und Rachegelüsten strotzende Gefühl des persönlichen Scheiterns auf ein gesundes Maß zu stutzen. Erst als diese Vorbedingungen eingetreten waren, wurde der Weg wieder frei zur Begegnung mit Gott als Urgrund und Gestalter des Lebens.
  
  Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Wie oft hören wir diese Formel, ohne sie mit Inhalt füllen zu können. In der Abgeschiedenheit von Ephesus aber setzen sich die Puzzle-Teile langsam wieder zusammen.
  
  Wut oder Ohnmacht fühlen wir doch, wenn wir uns allein und im Stich gelassen fühlen. Wie Schwefelsäure können sie sich in uns einfressen und völlig vergessen machen, dass es von Anbeginn eine andere Lebenskraft gibt: die von Gott, den ein herzliches Verlangen treibt, mit uns als seinen Söhnen und Töchtern endlich an einem Tisch zu sitzen. Unabhängig davon, was wir darstellen, welcher Nation, Kultur oder Hautfarbe wir angehören. Egal, ob unser Auto gekauft oder geleast ist, ob wir uns echten Kaviar leisten können, ganz unten in der sozialen Anerkennung stehen oder gefangen sind.
  
  Unsere Gefühle und Affekte sind mächtig, davon wusste schon Luther ein Lied zu singen. Aber warum sollen wir ihnen gestatten, die Stimme Gottes zu übertönen? Was er uns zu sagen hat, relativiert alles, was uns jetzt aufregt und auffrisst. So lesen wir im anschließenden Kapitel (Eph 2,19):
  
  So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge,
  sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.
  
  Das kann uns keiner nehmen. Niemals. Und wir ahnen, wie dieser Satz allmählich die Unruhe in uns zum Schweigen bringt.
  
  Nehmen wir uns noch einmal die erste der Fragen in Krisenzeiten vor:
  
  Wer bin ich?
  
  Mit der Sicht des Epheserbriefes können wir antworten: ich bin ein geliebtes Kind Gottes. Ich habe Bürgerrecht. Ich muss mich nicht klein machen, noch mein Licht unter den Scheffel stellen. Durch Gottes Zuspruch bin ich wer, egal, was die eigenen Zweifel oder andere Leute sagen. Diese Freiheit werde ich bewahren und sogar achtsam weitergeben, unabhängig ob andere Menschen sie meiner Anfangsmeinung nach verdient haben oder nicht.
  
  Eine ungewöhnliche Sicht? Sicherlich, deshalb nennt der Epheserbrief sie auch eine himmlische Gabe, eine Gnade zudem, die sich selbst durch härteste, menschliche Arbeit nicht erschließen lässt. Aber glücklicherweise hängt es ja auch nicht von uns ab, weil Gott dazu den Anstoß gab „schon bevor er die Welt erschuf“ (V.4).
  
  Gehen wir die zweite Frage in Zeiten des Selbstzweifels an:
  
  Was bin ich mir und anderen wert?
  
  „Unendlich viel“, so lautet die Antwort. Zumindest in Gottes Sicht und völlig unabhängig davon, wie wir uns selbst sehen oder was andere von uns reden oder mit uns machen. Kein Mensch muss sich Gottes Zuwendung erkaufen oder erschleichen. Er verspricht da zu sein, lange bevor wir rufen. Spüren Sie die unermessliche Befreiung, die in diesem Zuspruch Gottes steckt? Wie viel Angst können wir Menschen damit hinter uns lassen?
  
  Zum Beispiel die Angst zu kurz zu kommen. Oder um jeden Preis unser Leben verteidigen zu müssen. Erinnern wir uns: Gottes Sohn sollte am Kreuz ein für alle Mal zum Schweigen gebracht werden. Mit seiner Kreuzigung sollten seine Jünger zum Schweigen gebracht werden und durch Spötter erstetzt werden. Aber was ist passiert? Sonntag für Sonntag werden von Kanzeln und in Versammlungen Jesu Worte verkündet, gedeutet und fortgeschrieben. Warum? Weil er mit seinem Leben dafür eingestanden ist, dass kein Mensch und kein noch so schmählicher Umstand ihn jemals von der Liebe Gottes trennen kann. Diese Liebe war ihm alles wert, sogar das eigene Leben. Der Hebräerbrief (12,2) hat es in die bemerkenswerten Worte gefasst:
  
  Lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
  
  Wo sich für uns diese Lebensperspektive Jesu aufbaut, kann unser Leben nur an Wert gewinnen.
  
  Kommen wir zur 3. Frage:
  
  Wie nehme ich mich wahr?
  
  Vielleicht endlich einmal wieder etwas gelassener. Wutausbrüche, Zwanghaftigkeit, Verzweiflung, Vermeidungsstrategien, nichts von all dem muss unser Leben für immer bestimmen. Besonders nicht, wenn sie uns gefangen nehmen und zu Wiederholungstätern machen wollen.
  Wohin stattdessen der Weg der Freiheit führt, wird im Epheserbrief konkret im 4. Kapitel beschrieben:
  
  2 Erhebt euch nicht über andere, sondern seid immer freundlich. Habt Geduld und sucht in Liebe miteinander auszukommen.
  3 Bemüht euch darum, die Einheit zu bewahren, die der Geist Gottes euch geschenkt hat. Der Frieden, der von Gott kommt, soll euch alle miteinander verbinden!
  
  Damit ist das Ziel gesteckt. Egal, wo und wie ich mich gerade befinde. Heißt es im schon im Volkslied: „Die Gedanken sind frei“, so ruft uns der Epheserbrief zu: „Der Mensch ist frei!“ weil Gott aus Begrenzungen befreit, sein Sohn uns zeigt, dass letztendlich der Weg der Liebe selbst den Tod überwindet und der Heilige Geist selbst in widrigen Umständen uns dafür die Sinne öffnet und das Erkannte in uns auf ewige Zeiten versiegelt.
  
  Schließen möchte ich mit dem letzten Satz aus dem heutigen Predigtabschnitt (V.14):
  
  Gott will uns die Erlösung schenken, das endgültige, volle Heil – und das alles wird geschehen zum Lobpreis seiner Herrlichkeit.
Perikope
Datum 03.06.2013
Bibelbuch: Epheser
Kapitel / Verse: 1,3
Wochenlied: 126 139
Wochenspruch: Jes 6,3