Predigt über Galater 2, 16-21 von Ján Grešo
2,16

Predigt über Galater 2, 16-21 von Ján Grešo

15 Wir sind von Geburt Juden und nicht Sünder aus den Heiden.
16 Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch denGlauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht.
17 Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne!
18 Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter.
19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt.
20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.
21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.
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Diese Bibelstelle spricht von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden Gottes durch den Glauben. Ist das ein aktuelles Thema? Ist es sinnvoll, auch heute noch davon zu sprechen? Über die Rechtfertigung ist eine unübersehbare Menge Literatur geschrieben worden. Aber interessiert sich noch jemand dafür – außer den Theologen und Predigern? Es ist zu fürchten, dass die Antwort auf die so gestellte Frage eher negativ wäre.
Aber wenn man bedenkt, dass es bei dem Thema Rechtfertigung darum geht, ob der Mensch von Gott angenommen, akzeptiert, oder abgewiesen wird, wird die Antwort nicht mehr so skeptisch lauten. Im Verhältnis der Menschen zueinander ist für jeden sehr wichtig, ob er angenommen oder abgewiesen wird. Wichtig war das immer, wichtig ist es heute. Das gilt im Verhältnis von Eheleuten, Eltern und Kindern, Mitarbeitern, Freunden, usw. Jeder will angenommen sein und immer von neuem angenommen werden. Jeder befürchtet abgewiesen zu werden. Jeder versucht sich so zu benehmen, dass er von dem Menschen, der für ihn wichtig ist, angenommen wird.
Aber wir Menschen sind vergänglich. Der, von dem ich angenommen war, kann sterben, und gleich entsteht eine Leere. Der, von dem ich angenommen war, muss nicht immer völlig zuverlässig  sein -  ich kann enttäuscht werden. Das ist unsere menschliche Situation. In einer solchen Situation, die auch die meine ist, sehne ich mich nach jemandem, der nicht vergänglich ist und der mich nie enttäuschen wird. Nicht alle Menschen gelangen bis zu dieser Sehnsucht. Aber gewiss gibt es viele, in denen diese Sehnsucht lebt – wie sie im Psalm 42 ihren Ausdruck findet: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“ Wenn wir dies in den Blick nehmen, zeigt sich, dass das Thema Rechtfertigung überhaupt kein veraltetes, sondern ein aktuelles Thema ist.
Aber warum soll dabei gerade das Wort „Rechtfertigung“ benutzt werden? Die Antwort ergibt sich aus der Situation, in der sich der Mensch im Verhältnis zu Gott befindet. Es geht darum, dass ich nicht so bin, dass ich ohne weiteres von Gott angenommen werden kann. In mir ist etwas so schlimm geworden, dass ich gerechterweise von Gott abgewiesen werden müsste. Ich bin einfach nicht annehmbar, und trotzdem möchte ich von ihm angenommen werden, weil ich weiß, dass das für mich eine Lebensfrage ist. In den Bußpsalmen ist diese Situation des Menschen ganz klar dargestellt. In  klaren Augenblicken der Selbsterkenntnis spürt der Mensch, dass er sich in einer solchen Lage befindet.
Der Apostel wusste, dass das für alle gilt:  für die Heiden, auch die Juden - einfach für alle, ohne Ausnahme. Obwohl die Juden dachten, dass ihre Situation vor Gott wesentlich anders sei als die der Heidenvölker, hat Paulus erkannt, dass in dieser Hinsicht kein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen besteht. Er hat das auch klar ausgedrückt: „Es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.“ Wie ist dieses Problem zu lösen?
Paulus wusste, dass die Juden, hauptsächlich einige bestimmte Gruppen, versuchten durch die sehr genaue Erfüllung auch der kleinsten Gebote des Gesetzes die Bedingung zu erfüllen, die sie in Augen Gottes annehmbar machen würde. Er wusste davon aus eigener Erfahrung, da er selbst versucht hatte, aus eigener Kraft die Gerechtigkeit zu erreichen. Er erinnert sich an dieses sein Bemühen, wenn er schreibt, dass er „nach dem Gesetz ein Pharisäer, nach der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, untadelig gewesen war“.
Aber nach vielen Jahren dieses Bemühens, als Jesus Christus vor Damaskus in sein Leben eingetreten ist, hat er erkannt, dass dieser Weg nicht zum Ziel führt. Diese seine Lebenserfahrung hat er zu einer theologischen These gemacht, die auch in unserem Schriftabschnitt formuliert ist: „Weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht.“
Jesus Christus hat also mit seinem Opfertod das gemacht, was ich, ein Sünder, unter keinen Umständen machen könnte. Er hat für mich und an meiner Stelle die Bedingung erfüllt, unter der ich von Gott angenommen werden kann. Diese Erkenntnis, die Paulus auf sich selbst bezogen hat, wurde für ihn der entscheidende Wendepunkt seines Lebens. Er weiß: Nicht nur für ihn, sondern für alle. So groß war und ist die Gnade Gottes.
Aber ist es nicht gefährlich, so zu sprechen? Ist diese Gnade für mich nicht zu billig? Darf ich vielleicht den Willen Gottes im Gesetz leichtfertig missachten, weil Christus alles Nötige für mich getan hat? Solche Einwände hat Paulus gehört, und sie sind bis heute zu hören. Der Apostel wusste nur zu gut dass der verdorbene Mensch auch die besten Gaben Gottes missbrauchen kann. Davor warnt er in unserem Text: „Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne!“ Noch ausdrücklicher warnt er vor dem Missbrauch der Gnade Gottes in seinem Brief an die Römer: „Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade noch viel mächtiger geworden. … Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade umso mächtiger werde? Das sei ferne! Wie sollten wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind?“
Wenn mir Gott schenkt, dass er mich aus Gnaden annimmt und ich das im Glauben annehme, darf ich seinen Willen nicht missachten, sondern meine Liebe zu ihm soll desto größer werden. Gerade das wollen die Worte in unserem Abschnitt sagen: „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt.“
Wenn Gott den Menschen aus Gnaden annimmt, obwohl er unannehmbar ist, wenn der Mensch diese unverdiente Gabe Gottes im Glauben annimmt, wird der Mensch grundsätzlich verändert werden, wird er ein neues Wesen, neue Kreatur werden: Im Denken des Apostels sind die Rechtfertigung, die Versöhnung und das neue Leben des Menschen eng verbunden. Im Zweiten Korintherbrief hat er davon folgende Worte geschrieben: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus.“ Wo diese grundsätzliche Veränderung nicht stattfindet, sind alle Reden von der Rechtfertigung Selbsttäuschung.
Dass die Verwandlung des Menschen zu einem neuen Wesen wirklich möglich ist, zeigt Paulus an seinem eigenen Leben. Die letzten zwei Verse des verlesenen Abschnittes verstehen wir als seine Aussage von seinem persönlichen Sein. In ihnen ist wiederholend ausgesprochen, dass die Rechtfertigung nicht ein Ergebnis der eigenen Leistung, sondern die Gabe der Gnade Gottes ist, und dass gerade Christus durch seinen Tod diesen Weg zur Gerechtigkeit und zum neuen Sein eröffnet hat.
Die Gnade Gottes will Paulus auch in dem Sinne nicht wegwerfen, dass er sie in seinem Leben nicht untätig lassen will. Der erneute Baum bringt neue Frucht, das neue Leben. Paulus macht alles, was in seiner Kraft ist, damit die Frucht der im Glauben angenommenen Rechtfertigung immer reifer wird.
Sein neues Leben ist mit den bekannten Worten beschrieben: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Über diese Worte kann und soll man viel nachdenken, um ihren Inhalt immer besser und tiefer verstehen zu können. Einiges können wir hier sagen. Im Mittelpunkt seines Lebens ist nicht mehr sein altes Ich, auch nicht das Gesetz, durch die Erfüllung dessen er sich selbst behaupten wollte. Im Mittelpunkt seines Lebens ist Jesus Christus.
Christus lebt in ihm. Er bemüht sich so zu denken wie Christus: „Wir haben Christi Sinn.“ Jesus Christus steht in seiner Bewertung hoch über alle anderen Werte, die ihm das Leben bietet. „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwenglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ Der Inhalt des ewigen Lebens, nach dem er sich sehnt, ist für ihn die enge Gemeinschaft mit Christus: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. … Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre; aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben, um euretwillen.“
Man könnte auch weitere Ausdrücke seines neuen Lebens mit Christus in seinen Briefen finden. Versuchen wir, uns in diese seine Aussagen hineinzudenken. Versuchen wir, uns vorzustellen, dass sie unsere Aussagen wären, die von unserem neuen Leben zeugen. Wir würden sehen, dass die Rechtfertigung nicht ein unverständliches Thema ist, sondern ein Thema, das uns eine völlige existentielle Verwandlung ermöglicht. Paulus hat von seinem Leben mit Christus nicht geschrieben, um bewundert zu werden, sondern um uns zu zeigen, was auch wir erlangen können, wenn wir die von Gott aus Gnaden angebotene Rechtfertigung durch Glauben annehmen. Amen.