Predigt über Galater 2, 16-21 von Jasper Burmester
2,16
Der Predigttext für diesen 11. Sonntag nach Trinitatis steht im Brief des Paulus an die Galater. Dort schreibt er:
Wir sind zwar von Geburt her tatsächlich jüdisch und nicht Sünder/innen aus den heidnischen Völkern. Aber wir wissen, dass kein Mensch ins Recht gesetzt wird durch vorschriftsmäßige Erfüllung der Gesetzesverordnung, sondern nur durch die Treue Jesu, des Messias. Darum sind auch wir zum Vertrauen an den Messias Jesus gelangt, damit wir ins Recht gesetzt würden aus der Treue des Messias und nicht aus vorschriftsmäßiger Erfüllung der Gesetzesverordnung. Denn aus vorschriftsmäßiger Erfüllung der Gesetzesverordnung gibt es keine Gerechtigkeit für die Menschheit als ganze. Aber wenn nun wir, die wir ins Recht gesetzt werden wollen durch den Messias, auch selbst als Sünder/innen dastehen, ist dann der Messias ein Handlanger der Sünde? Nein und abermals nein. Stattdessen: Wenn ich genau das wieder aufrichte, was ich niedergerissen habe, bezichtige ich mich selbst der Übertretung. Denn ich bin durch das Ordnungsgesetz der Gesetzesordnung gestorben, damit ich für Gott lebe. Mit dem Messias bin ich mitgekreuzigt worden. Und ich lebe nicht mehr als ich, sondern in mir lebt der Messias. Was ich jetzt in meiner leiblichen Existenz lebe, lebe ich im Vertrauen auf das Kind Gottes, das mich geliebt und sich selbst ausgeliefert hat für mich. Ich erkläre nicht das Geschenk der Gotteszuwendung für null und nichtig. Denn wenn die Gerechtigkeit doch durch die gesetzte Ordnung käme, wäre der Messias umsonst gestorben. (Bibel in gerechter Sprache)
Liebe Gemeinde,
in diesen ebenso komplexen wie komplizierten Worten beschreibt Paulus ein, vielleicht das Kernstück christlichen Glaubens - warum wir heute Christen sind und keine Juden, und, um die Unterscheidung gleich fortzusetzen, warum wir mit Luther evangelisch wurden und nicht römisch-katholisch blieben.
Die Botschaft des Paulus in Kurzfassung: Gott liebt dich, so wie du bist. Diese Liebe ist sein Geschenk an dich, das du dir nicht verdienen musst, weil du es dir niemals verdienen könntest. Das heißt nicht, dass du so bleiben musst wie du bist, du darfst und kannst dich ändern, aber das ist nicht die Bedingung dafür, dass Gott dich liebt, sondern die Möglichkeit, die seine Liebe dir eröffnet.
In einer Zeit, in der wie bei den am letzten Sonntag beendeten olympischen Spielen, nur die Spitzenleistung zählt und schon ein vierter Platz enttäuschend genannt wird, eine wirklich froh machende Botschaft.
Dem entspricht eine Sehnsucht gerade auch bei jungen Menschen: Anerkannt zu werden weil man da ist und nicht weil man äußerlich dieses oder jenes darstellt und mit teuren Modemarken vorzeigen kann. Jedenfalls ist der Satz aus dem 2. Buch Samuel: "Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an" seit längerem und auch in diesem Konficamp wieder der bei weitem beliebteste Tauf- und Konfirmationsspruch. Da kann ich diese Sehnsucht nach vorbehaltloser Annahme mit Händen greifen.
Es geht Paulus um etwas entscheidend Wichtiges, das machen schon die dramatischen Schlussworte klar: Christus könnte umsonst, vergeblich, gestorben sein.
Worum geht es, warum schreibt Paulus diesen Brief und warum so? Anlass ist ein Konflikt, ein Streit, der die Urchristenheit sehr beschäftigt hat: Wie weit sind die vielen Lebens-, Reinheits-, Essens-, und Kultgebote der Thora, die bis heute zur jüdischen Kultur, Religion und Identität gehören, auch für Christinnen und Christen gültig? Es gab ja zweierlei Christen damals, solche, die ihre religiösen Wurzel im jüdischen Volk und Glauben hatten und solche, sie anderen Völkern und Religionen angehörten, bevor sie Christen wurden, diese beiden Gruppen werden hier als "Juden" und "Sünder aus den Heiden" genannt. Zwischen diesen Gruppen standen die Gebote, in deren Befolgung sich Juden und Nichtjuden unterschieden und bis heute unterscheiden. Die strengen Reinheitsvorschriften der Thora verhinderten zum Beispiel die für die Christen so wichtige Mahl-Gemeinschaft, so dass es de fakto zwei getrennte christliche Zweige gab. Die Frage der Beschneidung - die ja auch heute hierzulande durch ein Gerichtsurteil in die Diskussion geraten ist - war ein gewichtiger Knackpunkt zwischen den Christen jüdischer und heidnischer Herkunft.
Auch andere Apostel, wie Petrus, wie Barnabas, ebenfalls Juden von Geburt, hatten Gefallen an diesem neuen, befreiten Miteinander gefunden. Das ging solange gut, bis eines Tages Abgesandte aus Jerusalem von der dortigen Gemeinde nach Antiochia kamen. Diese Leute, unter ihnen der einflussreiche Jakobus, beeinflussten die Christen in Antiochia, die Tischgemeinschaft zwischen Juden und Heiden in der Gemeinde wieder aufzugeben und verlangten die vollständige Wiedereinführung der jüdischen Speise und Reinheitsgebote und eben sogar die Beschneidung als Unterscheidungsmerkmal derer, die tatsächlich zum Volk Gottes gehörten. Die Christen nichtjüdischer Herkunft wurden dadurch ausgegrenzt und zu Gemeindegliedern zweiter Klasse gestempelt.
Leider stießen diese Forderungen der Bewahrer der alten Abgrenzungen auf offene Ohren, auch Petrus und Barnabas beendeten ihre bis dahin gelebte Gemeinschaft mit allen Christen. Sie sind mit dem "wir" gemeint, wenn Paulus schreibt: "Wir sind zwar von Geburt her tatsächlich jüdisch und nicht Sünder/innen aus den heidnischen Völkern."
Hätten sich damals in der Urkirche diese Abgrenzer durchgesetzt, dann gäbe es heute keine christliche Kirche in aller Welt. Das wäre dann eine der vielen jüdischen Splittergruppen geworden, heute allenfalls noch Historikern bekannt. Dann wäre Christus in der Tat umsonst gestorben.
Es ging aber um mehr damals, in Antiochia, in Galatien. Es ging um den Kern christlichen Glaubens, um die Wahrheit des Evangeliums. Diese Wahrheit des Evangeliums entscheidet sich an der Antwort auf die Frage: Wie kann ich wissen, ob mein Leben von Gott gewollt, bejaht, gerechtfertigt ist? Noch einmal anders gefragt: Wie kann ich zu dem Vertrauen gelangen, dass mein Leben ein sinnvolles Leben war, ist und bleibt? Wie sieht mein Leben vor Gott aus - kann ich vor ihm bestehen?
Eine mögliche Antwort ist, sich an einem Regelwerk zu orientieren, damit das Leben gelingt. In der Zeit des Paulus hieß das: Wenn du dich an die Thora hältst, wenn du die darin enthaltenen Gebote einhältst und dich von allem Fremden fernhältst, dann kannst du vor Gott, deinem Herrn als gerecht und gut gelten. Die vielen verschiedenen Gebote und Verbote regeln Alltag und Sabbat bis in alle Einzelheiten. Die Auswirkung eines solchen Regelwerkes auf das Leben der Menschen ist ein ständiger Kampf mit den eigenen Schwächen. Es bleibt immer ein Abstand zwischen Sein und Sollen - und dieser Abstand wird bei aller Anstrengung nicht verschwinden.
Das ist - bei allem zeitlichen Abstand und unter ganz anderen Bedingungen - auch heute noch so, ja es hat sich eher noch verstärkt. Der Inhalt der Imperative hat sich verändert, aber nicht die Möglichkeit, an ihnen zu scheitern. Mobilität und Kommunikation, Information und ein großes Maß an Gestaltungsfreiheit eröffnen uns heute ungeheure Möglichkeiten im Gelingen wie im Scheitern. Dazu bedarf es nicht einmal mehr einer göttlichen Begründung der Imperative, der Spielregeln des Lebens - Aber auch im Begriff und Gedanken der Autonomie ist ja noch der "Nomos", das Gesetz, enthalten. Und für alles, das Gelingen, wie auch das Scheitern des Lebens ausschließlich selbst zuständig zu sein, keinen Halt zu haben als im eigenen Selbst - das ist ziemlich gnadenlos. Viele Menschen fühlen sich damit überfordert, überlastet, ausgeliefert einem Zwang zur ständigen Neuerfindung des eigenen Selbst, andere flüchten in eine Verweigerungshaltung.
Es gibt darum heute auch weitere Gründe, weshalb wir der Gnade bedürfen. Bei Paulus ist es zugespitzt und eingeengt auf die Frage nach der Schuld, gemessen und gewichtet in der Beachtung der religiösen und gesellschaftlichen Regeln seiner Zeit. Heute kommt dazu die Furcht vor dem Versagen, die Angst vor Vergeblichkeit meiner Anstrengungen, dem Scheitern meiner Lebenspläne. Luther fragte: "Wie kriege ich einen gnädigen Gott?" Heute fragen wir eher: "Wie kann ich selber gnädig mit mir umgehen?" Und wenn wir nach Gott fragen, dann nach dem, der mein Leben auch im möglichen Versagen, in der möglichen Vergeblichkeit meiner Anstrengungen trägt und hält.
Das aber ist die Ansage, die sich in den uns so kompliziert erscheinenden Worten des Paulus an die Gemeinde in Galatien eröffnet. Niemand, so sagt er, kann durch noch so strikte Befolgung der Gesetze, Gebote und Regeln aus eigener Kraft einen Stand erreichen, der vor Gott wirklich Bestand hat. "Aber wir wissen, dass kein Mensch ins Recht gesetzt wird durch vorschriftsmäßige Erfüllung der Gesetzesverordnung, sondern nur durch die Treue Jesu, des Messias.”
Jesus - die menschgewordene Gestalt der Liebe Gottes ist selber denen zum Opfer gefallen, die meinten, damit dem heiligen Gesetz Genüge zu tun, und denen, die den Unruhestörer aus politischen Gründen loswerden wollten.
Eine Gesetzesbefolgung aber, die die menschgewordene Liebe Gottes nicht aushält, ist als Weg zum Heil absurd geworden. Paulus sagt: Für dieses Gesetz bin ich tot, und von einem Toten kann kein Gesetz mehr irgendwas verlangen. Aber ich lebe mit Christus das Leben der Auferstehung, das Leben aus Gottes Gnade.
Mit der Liebe Gottes - und Jesus hat sie voraussetzungslos gerade denen entgegengebracht, die sie aus verschiedensten Gründen am wenigsten verdienten - kommt etwas von außen in unsere Welt der Herausforderungen, der Leistungsansprüche, in die Chance des Gelingens und das Risiko des Scheiterns. Gottes Zusage ist von alle dem unabhängig und gilt mir und dir, wie ich und du jetzt sind. Es gibt nicht mehr nur Mitmachen oder Weglaufen, es gibt die heilsame Zusage: Du darfst sein, geliebtes Kind deines Gottes. Du hast darum die Freiheit, dich zu ändern, zu lieben, für andere und dich da zu sein, zu leben. Das stellt auch die Gebote in eine neue Bedeutung: Weil Gott dich liebt, hast die Kraft, sie einzuhalten. Du kannst mitwirken, dass diese Welt ein guter Ort zum Leben ist und bleibt. Du wirst darin nicht vollkommen sein, und das darf so sein. Das ist die tröstliche Freiheit des Evangeliums. Amen
Verwendete Literatur:
Gerhard Ebeling, Die Wahrheit des Evangeliums, Tübingen 1981
Predigtstudien 2011/2012, Band IV/2, Freiburg/Br. 2012
Jürgen Becker, NTD Galaterkommentar, Göttingen 1982
Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2007
Wir sind zwar von Geburt her tatsächlich jüdisch und nicht Sünder/innen aus den heidnischen Völkern. Aber wir wissen, dass kein Mensch ins Recht gesetzt wird durch vorschriftsmäßige Erfüllung der Gesetzesverordnung, sondern nur durch die Treue Jesu, des Messias. Darum sind auch wir zum Vertrauen an den Messias Jesus gelangt, damit wir ins Recht gesetzt würden aus der Treue des Messias und nicht aus vorschriftsmäßiger Erfüllung der Gesetzesverordnung. Denn aus vorschriftsmäßiger Erfüllung der Gesetzesverordnung gibt es keine Gerechtigkeit für die Menschheit als ganze. Aber wenn nun wir, die wir ins Recht gesetzt werden wollen durch den Messias, auch selbst als Sünder/innen dastehen, ist dann der Messias ein Handlanger der Sünde? Nein und abermals nein. Stattdessen: Wenn ich genau das wieder aufrichte, was ich niedergerissen habe, bezichtige ich mich selbst der Übertretung. Denn ich bin durch das Ordnungsgesetz der Gesetzesordnung gestorben, damit ich für Gott lebe. Mit dem Messias bin ich mitgekreuzigt worden. Und ich lebe nicht mehr als ich, sondern in mir lebt der Messias. Was ich jetzt in meiner leiblichen Existenz lebe, lebe ich im Vertrauen auf das Kind Gottes, das mich geliebt und sich selbst ausgeliefert hat für mich. Ich erkläre nicht das Geschenk der Gotteszuwendung für null und nichtig. Denn wenn die Gerechtigkeit doch durch die gesetzte Ordnung käme, wäre der Messias umsonst gestorben. (Bibel in gerechter Sprache)
Liebe Gemeinde,
in diesen ebenso komplexen wie komplizierten Worten beschreibt Paulus ein, vielleicht das Kernstück christlichen Glaubens - warum wir heute Christen sind und keine Juden, und, um die Unterscheidung gleich fortzusetzen, warum wir mit Luther evangelisch wurden und nicht römisch-katholisch blieben.
Die Botschaft des Paulus in Kurzfassung: Gott liebt dich, so wie du bist. Diese Liebe ist sein Geschenk an dich, das du dir nicht verdienen musst, weil du es dir niemals verdienen könntest. Das heißt nicht, dass du so bleiben musst wie du bist, du darfst und kannst dich ändern, aber das ist nicht die Bedingung dafür, dass Gott dich liebt, sondern die Möglichkeit, die seine Liebe dir eröffnet.
In einer Zeit, in der wie bei den am letzten Sonntag beendeten olympischen Spielen, nur die Spitzenleistung zählt und schon ein vierter Platz enttäuschend genannt wird, eine wirklich froh machende Botschaft.
Dem entspricht eine Sehnsucht gerade auch bei jungen Menschen: Anerkannt zu werden weil man da ist und nicht weil man äußerlich dieses oder jenes darstellt und mit teuren Modemarken vorzeigen kann. Jedenfalls ist der Satz aus dem 2. Buch Samuel: "Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an" seit längerem und auch in diesem Konficamp wieder der bei weitem beliebteste Tauf- und Konfirmationsspruch. Da kann ich diese Sehnsucht nach vorbehaltloser Annahme mit Händen greifen.
Es geht Paulus um etwas entscheidend Wichtiges, das machen schon die dramatischen Schlussworte klar: Christus könnte umsonst, vergeblich, gestorben sein.
Worum geht es, warum schreibt Paulus diesen Brief und warum so? Anlass ist ein Konflikt, ein Streit, der die Urchristenheit sehr beschäftigt hat: Wie weit sind die vielen Lebens-, Reinheits-, Essens-, und Kultgebote der Thora, die bis heute zur jüdischen Kultur, Religion und Identität gehören, auch für Christinnen und Christen gültig? Es gab ja zweierlei Christen damals, solche, die ihre religiösen Wurzel im jüdischen Volk und Glauben hatten und solche, sie anderen Völkern und Religionen angehörten, bevor sie Christen wurden, diese beiden Gruppen werden hier als "Juden" und "Sünder aus den Heiden" genannt. Zwischen diesen Gruppen standen die Gebote, in deren Befolgung sich Juden und Nichtjuden unterschieden und bis heute unterscheiden. Die strengen Reinheitsvorschriften der Thora verhinderten zum Beispiel die für die Christen so wichtige Mahl-Gemeinschaft, so dass es de fakto zwei getrennte christliche Zweige gab. Die Frage der Beschneidung - die ja auch heute hierzulande durch ein Gerichtsurteil in die Diskussion geraten ist - war ein gewichtiger Knackpunkt zwischen den Christen jüdischer und heidnischer Herkunft.
Auch andere Apostel, wie Petrus, wie Barnabas, ebenfalls Juden von Geburt, hatten Gefallen an diesem neuen, befreiten Miteinander gefunden. Das ging solange gut, bis eines Tages Abgesandte aus Jerusalem von der dortigen Gemeinde nach Antiochia kamen. Diese Leute, unter ihnen der einflussreiche Jakobus, beeinflussten die Christen in Antiochia, die Tischgemeinschaft zwischen Juden und Heiden in der Gemeinde wieder aufzugeben und verlangten die vollständige Wiedereinführung der jüdischen Speise und Reinheitsgebote und eben sogar die Beschneidung als Unterscheidungsmerkmal derer, die tatsächlich zum Volk Gottes gehörten. Die Christen nichtjüdischer Herkunft wurden dadurch ausgegrenzt und zu Gemeindegliedern zweiter Klasse gestempelt.
Leider stießen diese Forderungen der Bewahrer der alten Abgrenzungen auf offene Ohren, auch Petrus und Barnabas beendeten ihre bis dahin gelebte Gemeinschaft mit allen Christen. Sie sind mit dem "wir" gemeint, wenn Paulus schreibt: "Wir sind zwar von Geburt her tatsächlich jüdisch und nicht Sünder/innen aus den heidnischen Völkern."
Hätten sich damals in der Urkirche diese Abgrenzer durchgesetzt, dann gäbe es heute keine christliche Kirche in aller Welt. Das wäre dann eine der vielen jüdischen Splittergruppen geworden, heute allenfalls noch Historikern bekannt. Dann wäre Christus in der Tat umsonst gestorben.
Es ging aber um mehr damals, in Antiochia, in Galatien. Es ging um den Kern christlichen Glaubens, um die Wahrheit des Evangeliums. Diese Wahrheit des Evangeliums entscheidet sich an der Antwort auf die Frage: Wie kann ich wissen, ob mein Leben von Gott gewollt, bejaht, gerechtfertigt ist? Noch einmal anders gefragt: Wie kann ich zu dem Vertrauen gelangen, dass mein Leben ein sinnvolles Leben war, ist und bleibt? Wie sieht mein Leben vor Gott aus - kann ich vor ihm bestehen?
Eine mögliche Antwort ist, sich an einem Regelwerk zu orientieren, damit das Leben gelingt. In der Zeit des Paulus hieß das: Wenn du dich an die Thora hältst, wenn du die darin enthaltenen Gebote einhältst und dich von allem Fremden fernhältst, dann kannst du vor Gott, deinem Herrn als gerecht und gut gelten. Die vielen verschiedenen Gebote und Verbote regeln Alltag und Sabbat bis in alle Einzelheiten. Die Auswirkung eines solchen Regelwerkes auf das Leben der Menschen ist ein ständiger Kampf mit den eigenen Schwächen. Es bleibt immer ein Abstand zwischen Sein und Sollen - und dieser Abstand wird bei aller Anstrengung nicht verschwinden.
Das ist - bei allem zeitlichen Abstand und unter ganz anderen Bedingungen - auch heute noch so, ja es hat sich eher noch verstärkt. Der Inhalt der Imperative hat sich verändert, aber nicht die Möglichkeit, an ihnen zu scheitern. Mobilität und Kommunikation, Information und ein großes Maß an Gestaltungsfreiheit eröffnen uns heute ungeheure Möglichkeiten im Gelingen wie im Scheitern. Dazu bedarf es nicht einmal mehr einer göttlichen Begründung der Imperative, der Spielregeln des Lebens - Aber auch im Begriff und Gedanken der Autonomie ist ja noch der "Nomos", das Gesetz, enthalten. Und für alles, das Gelingen, wie auch das Scheitern des Lebens ausschließlich selbst zuständig zu sein, keinen Halt zu haben als im eigenen Selbst - das ist ziemlich gnadenlos. Viele Menschen fühlen sich damit überfordert, überlastet, ausgeliefert einem Zwang zur ständigen Neuerfindung des eigenen Selbst, andere flüchten in eine Verweigerungshaltung.
Es gibt darum heute auch weitere Gründe, weshalb wir der Gnade bedürfen. Bei Paulus ist es zugespitzt und eingeengt auf die Frage nach der Schuld, gemessen und gewichtet in der Beachtung der religiösen und gesellschaftlichen Regeln seiner Zeit. Heute kommt dazu die Furcht vor dem Versagen, die Angst vor Vergeblichkeit meiner Anstrengungen, dem Scheitern meiner Lebenspläne. Luther fragte: "Wie kriege ich einen gnädigen Gott?" Heute fragen wir eher: "Wie kann ich selber gnädig mit mir umgehen?" Und wenn wir nach Gott fragen, dann nach dem, der mein Leben auch im möglichen Versagen, in der möglichen Vergeblichkeit meiner Anstrengungen trägt und hält.
Das aber ist die Ansage, die sich in den uns so kompliziert erscheinenden Worten des Paulus an die Gemeinde in Galatien eröffnet. Niemand, so sagt er, kann durch noch so strikte Befolgung der Gesetze, Gebote und Regeln aus eigener Kraft einen Stand erreichen, der vor Gott wirklich Bestand hat. "Aber wir wissen, dass kein Mensch ins Recht gesetzt wird durch vorschriftsmäßige Erfüllung der Gesetzesverordnung, sondern nur durch die Treue Jesu, des Messias.”
Jesus - die menschgewordene Gestalt der Liebe Gottes ist selber denen zum Opfer gefallen, die meinten, damit dem heiligen Gesetz Genüge zu tun, und denen, die den Unruhestörer aus politischen Gründen loswerden wollten.
Eine Gesetzesbefolgung aber, die die menschgewordene Liebe Gottes nicht aushält, ist als Weg zum Heil absurd geworden. Paulus sagt: Für dieses Gesetz bin ich tot, und von einem Toten kann kein Gesetz mehr irgendwas verlangen. Aber ich lebe mit Christus das Leben der Auferstehung, das Leben aus Gottes Gnade.
Mit der Liebe Gottes - und Jesus hat sie voraussetzungslos gerade denen entgegengebracht, die sie aus verschiedensten Gründen am wenigsten verdienten - kommt etwas von außen in unsere Welt der Herausforderungen, der Leistungsansprüche, in die Chance des Gelingens und das Risiko des Scheiterns. Gottes Zusage ist von alle dem unabhängig und gilt mir und dir, wie ich und du jetzt sind. Es gibt nicht mehr nur Mitmachen oder Weglaufen, es gibt die heilsame Zusage: Du darfst sein, geliebtes Kind deines Gottes. Du hast darum die Freiheit, dich zu ändern, zu lieben, für andere und dich da zu sein, zu leben. Das stellt auch die Gebote in eine neue Bedeutung: Weil Gott dich liebt, hast die Kraft, sie einzuhalten. Du kannst mitwirken, dass diese Welt ein guter Ort zum Leben ist und bleibt. Du wirst darin nicht vollkommen sein, und das darf so sein. Das ist die tröstliche Freiheit des Evangeliums. Amen
Verwendete Literatur:
Gerhard Ebeling, Die Wahrheit des Evangeliums, Tübingen 1981
Predigtstudien 2011/2012, Band IV/2, Freiburg/Br. 2012
Jürgen Becker, NTD Galaterkommentar, Göttingen 1982
Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2007
Perikope