Predigt über Galater 5,1-6 von Martin M. Penzoldt
5,1
51 Zur Freiheit hat uns Christus befreit!
So steht nun fest und
lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!
2 Siehe, ich, Paulus, sage euch:
Wenn ihr euch beschneiden lasst,
so wird euch Christus nichts nützen.3 Ich bezeuge abermals einem jeden,
der sich beschneiden lässt,
dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.
4 Ihr habt Christus verloren,
die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt,
und seid aus der Gnade gefallen.5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit,
auf die man hoffen muss.
6 Denn in Christus Jesus gilt
weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas,
sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Liebe Gemeinde,
die Reformation ist noch lange nicht auserzählt.
Auch wenn die Geschichten um Martin Luther Legende sind -
„Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir…“ -
und teils als Film oder als Comic schon eher Parodien ähneln,
auch wenn die Freiheitsgeschichte der Neuzeit mit der
Abschaffung der Sklaverei,
der Erklärung der Menschenrechte und
dem Prozess der Gleichberechtigung
den Staffelstab der Freiheitsbewegungen übernommen zu haben scheint,
und auch wenn die römisch-katholische Kirche mit dem II. Vatikanischen Konzil einen Schritt gemacht hat, der sie noch nachträglich erschreckt,
ja auch wenn andere Events und Spukgeschichten diesen Festtag überlagern:
Die Reformation der Kirche liegt nicht hinter uns, denn ihr Ziel lag
nicht in der „Gründung“ der evangelischen Kirchen,
und in der Meinungsführerschaft des modernen Menschen,
sondern in der ungeheuren Konzentration auf das Hören des Wortes Gottes,
und in der fast irrealen Erwartung aus der Heiligen Schrift
ein gutes, ein heilsames, ein befreiendes Wort zu empfangen.
Die Reformation ist deshalb nicht auserzählt, weil sie sich
der Forterzählung des göttlichen Wortes verpflichtet hat und darauf vertraut, dass aus ihm Kraft, Mut, Trost und Befreiung für unsere Gegenwart entspringen.
So tragen nicht die Kirchen die Bibel durch die Geschichte
und müssen sie etwa ängstlich vor Kritik und Blasphemie schützen,
sondern sie selbst entfaltet ihre göttliche Inspiration mit Macht
im Gang der Kirche durch die Welt.
Sie trägt Gemeinden und Glaubende Jahr um Jahr, Tag um Tag
und erschließt uns das Leben neu.
Das ist es, was wir heute feiern, in unseren evangelischen Gemeinden
und in Gemeinschaft mit der weltweiten Christenheit.
Und so tragen uns heute die Worte des Paulus,
und fordern uns heraus mit seinem Insistieren auf Freiheit,
einer Freiheit, die wir so wenig verspielen sollen,
wie die alten Kelten, damals „Galater“ genannt.
Denn: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“
I
Um Freiheit geht es in einer Welt voller Unterdrückung,
voller Bevormundung, sanfter Lenkung, Betäubung und Manipulation.
Wie frei sind wir denn in Wirklichkeit? und wie abhängig in Wahrheit?
Manfred Lütz, der katholische Theologe hat ein Buch geschrieben: „Bluff“ –
da erscheint unser Leben nur noch als Imitat: virtuell und fremdgesteuert.
Freiheit? Eine Fiktion!
Wieviel realer, furchtbarer aber ist wirkliche Gefangenschaft!
Die Sehnsucht nach Befreiung prägte auch die ganze alte Welt.
Selig sind die Freien!! (c.f. Lesung Mt 5,3ff.)
Die Bibel atmet aus diesen Befreiungsmomenten.
Sie sieht in ihnen Gott wirken.
Er ist der starke Befreier
aus der Sklaverei im Ägypterland und aus dem balylonischen Exil.
Er ist der Hüter Israels.
Er schafft Recht und Gerechtigkeit.
Sein Gesetz gibt Schutz dem Rechtlosen
und Anteilhabe dem Armen und Unterdrückten.
Diesen befreienden, freiheitswirkenden Gott hat Paulus vor Augen,
wenn er von der Freiheit spricht, die in Christus ist.
Gott ist im Menschen Jesus Christus,
der Gefangene befreit und Kranke heilt,
der uns sehen lässt, was Liebe vermag
und Gottes Nähe wirkt über den eigenen Tod hinaus,
der auferweckt wird von den Toten und zur Rechten Gottes sitzt.
Mit Christus bezeugt Paulus eine Dimension weltüberwindender,
Sünde, Tod und Teufel überwindender Freiheit,
eine Freiheit, die einem keiner nehmen kann,
auch wenn man noch so beengt, einmauert oder erstickt wird:
eine letzte gottesinnigliche, transzendente Lebensglut,
die uns Gott dann ist, wenn wir sie am meisten brauchen.
Ohne sie hätte Joseph im ägyptischen Gefängnis
und Paulus im römischen Kerker zu Philippi
und Luther auf der Wartburg nicht überlebt.
Mit dieser inneren Freiheit haben Menschen ihr Leben bestanden
und sind mit ihr auch in großer Ohnmacht als Zeugen gestorben.
Das liturgische Rot des Reformationstages ist die Farbe des Geistes,
aber auch Farbe des Blutes der Glaubenszeugen,
hingerichtet von Inquisition und Intoleranz.
Es ist die tiefste Erfahrung christlicher Freiheit,
wenn der Mensch aller Selbstbetätigung entledigt,
allen Eigenmuts entschlagen,
bei Gott seine letzte Kammer findet.
Hier ist er in seinem Gewissen unbezwingbar. Aber ist er frei?
Aus gutem Grund hat Carl Friedrich von Weizsäcker gesagt,
dass die tiefste Erfahrung des Menschen nicht die Freiheit,
sondern die Ohnmacht sei.
Mit Paulus muss aber antworten, dass es genau die Pointe christlicher Freiheitserfahrung ist, dass sie auch Situationen der Ohnmacht erträgt,
weil Freiheit nicht nur Schaffen und Umtreiben,
sondern auch Erleiden, bedeutet.
Und erst im Erleiden zeigt sich, was es mit einem Menschen auf sich hat.
Treffend hat Martin Luther von den giftigen Gefühlen gesprochen,
die aufkommen, wenn wir nicht nach unserem Willen leben können,
sondern Grenzen gesetzt bekommen.
Luther schreibt: „Es ist das Zeichen eines bösen Willens,
dass er nicht leiden kann seine Verhinderung.“
Da zeige sich etwas im Kern Ungutes. Keine christliche Haltung.
Eine christliche Haltung scheint ja leicht erkennbar in der Bereitschaft,
fremdes Leiden zu mildern oder zu beseitigen.
Aber wie gesagt, sie zeigt sich deutlicher noch an der Weise,
wie einer selbst leidet und wie er sich zu jenem Leiden verhält,
dass er nicht ändern kann.
Das paulinisch-evangelische Verständnis von Freiheit
umgreift auch die Dimension von Unfreiheit und Ohnmacht,
weil wir an Christus sehen, dass auch in der größten Gottesverlassenheit
Gott Möglichkeiten, Freiräume hat,
wo wir keine mehr sehen.
Freiheit trägt gewissermaßen das Kreuzeszeichen in sich.
Denn es ist Christus, der befreit von Sünde, Tod und Teufel.
II
Christus hat zu einer Freiheit befreit,
in der alle Mächte der Bedrängnis und Angst grundsätzlich besiegt,
aber noch nicht aus der Welt sind.
In dieser Welt sollen wir unsere von Gott geschenkte Freiheit verantworten - und das nicht leicht.
Aber auch wenn mir niemand die innere Freiheit nehmen kann,
ich kann sie doch verlieren, wenn ich nicht aus ihr lebe.
In seiner Neuformulierung der Paulinischen Freiheitstheologie
hat Luther 1520 diese Herausforderung so formuliert:
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge
und niemand untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge
und jedermann untertan.“
Die Bewahrung der Freiheit heißt einerseits mit großer Freiheit aufzutreten
und andererseits seinen Dienst an der Welt zu leisten
und schwierige Situationen auszuhalten -
und in beiden Situation ein Zeichen von christlicher Freiheit zu setzen.
In der Reformation ging dabei um die Befreiung aus der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche, aus Klerikalismus, Simonie, Ablasshandel, Gewissenszwang und Schriftvergessenheit.
In der alten Welt, für Paulus aber spielte die Ablehnung der Beschneidung,
die Kappung der Vorhaut, die entscheidende Rolle.
Wenn wir darin nur ein weiteres identitätsstiftendes körperliches Merkmal erblicken, dass höchstens medizinisch zu diskutieren ist, ansonsten unter die Schmisse der Kooperierten, die Ohrringe von Seebären, Tattoos und Spangen, zu zählen ist, also unter die dauerhaft in den Körper einschneidenden - und mit Überwindung von Schmerzen erworbene - Embleme, die kulturell oder religiös ihr Recht und Bedeutsamkeit haben, verkennen wir, was für Paulus auf dem Spiel steht.
Freiheit ist nicht teilbar! „Siehe, ich, Paulus, sage euch:
Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.“(2)
Ein Christ kann nicht sein Heil in Christus und auch noch woanders finden.
Das gilt bei den Galatern und das gilt auch heute:
Menschliche Zusätze helfen weder als religiöse Zusätze in Form von zusätzlichen Bücher Mormon, Taufversiegelungen und Zweit-, Dritt- und Vierttaufen, noch in Form eigener diakonischer und mitmenschlicher Lebensleistung, noch in klerikaler Selbstbestätigung.
Wenn ein Zusatz, dann alle Zusätze bis zur Unerfüllbarkeit!
„Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt,
dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.“ (V 3)
So menschlich verständlich die Suche nach Anerkennung und religiöser Vergewisserung ist: sie zerstört was sie zu unterstützen vorgibt. Sie zerstört das haltlos unbedingte Vertrauen des Menschen in Gottes Zuwendung zu ihm.
„Ihr habt Christus verloren,
die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt,
und seid aus der Gnade gefallen.“(V 4)Der Wunsch nach Absicherung ist theologischer Materialismus,
„Zeichenforderung“ biblisch gesprochen.
Glaubensgewissheit statt Werkgerechtigkeit, prägt uns Luther ein.
Die Haltung des Christen ist es zu „…warten im Geist durch den Glauben
auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss.“ (V 5)
Diese Radikalität des Paulus nimmt erst Luther wieder auf.
„Erst die Gemeinschaft Luthers lebt ganz und in allerster Linie von dem Gotte, der in Jesus Christus offenbar geworden ist. Sie freut sich, dass draußen in mannigfaltiger Weise Gottfreudigkeit herrscht, aber sie sehnt sich danach, diese Weisen alle auf den Weg Jesu zu leiten. So tritt sie als wahre Inhaberin der letzten Erfüllung auf und erfüllt, was die katholische Kirche allzu oft nur mit christlicher Aufschrift versieht. Um die Kirche Luthers liegen die Religionen alle wie der dämmernde Morgen; sie aber ist der Vogel, der ihnen vom hohen Mittag singt.“ (Fendt, 1923)
Erst langsam findet sich diese Glaubens- und Christuszentrierung
annähernd in den ökumenischen Dokumenten wieder.
Immer wieder stößt die Schärfe der Ablehnung
von menschlicher Mitwirkung an seinem Heil auf Unverständnis und gerade ein, auf dem überzeugten menschlichen Willen beruhendes Taufverständnis,
verbaut die Sicht auf die entscheidende Pointe:
alle Zusätze sind an sich nicht schlecht und böse,
aber im Augenblick der Verunsicherung, der Anfechtung
- wie man früher sagte - sind es gerade diese Zusätze,
die an der Gewissheit des Heils zweifeln lassen.
„Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst,
so wird euch Christus nichts nützen.“(V 2) Darum geht es.
Martin Luther in der Großen Auslegung des Galaterbriefs (WA 40/I,589,25ff.):
"Das ist der Grund, warum unsere Theologie gewiss ist:
weil sie uns von uns selber wegnimmt und uns außerhalb von uns selber stellt,
dass wir uns nicht auf unsere eigenen Kräfte Gewissen, Empfinden,
Person und Werke stützen, sondern darauf, was außerhalb von uns ist;
d. h. auf die Verheißung und Wahrheit Gottes, die nicht trügen kann."
Nur das Vertrauen allein auf Gottes befreiendes Wirken
rettet vor der letzte Ungewissheit im Dunkeln.
III
Eine Kirche der Freiheit möchte die evangelische Kirche sein.
Ist das auch die Erfahrung ihrer Mitglieder?
Erleben sie ihre Kirche, ihre Gemeinde froh und stolz,
glaubensinnig und weltzugewandt, einsatzfreudig und trostbereit?
Ist hier der Glaube zu finden, von dem Paulus schreibt,
dass er durch die Liebe tätig ist (V 6)? Sicherlich.
Die Gemeinden jedenfalls sind durch alle Schwierigkeiten hindurch Orte,
an denen die Liebe Gottes wirksam wird.
Es gibt darüber hinaus guten Grund evangelisch zu sein.
Die evangelische Freiheit ist das einzig glaubwürdige Verfahren,
mit der Wirklichkeit der Welt umzugehen.
Evangelisch zu sein heißt, aus gegründetem Glauben heraus,
radikal zu fragen, zu zweifeln, anzunehmen und zu verwerfen,
immer auch zu lernen und Erkenntnisse neu auszuschöpfen.
Das kann auch heißen „Nein“ zu sagen, wenn alle „Ja“ rufen.
Wir haben immer die Wahl!
Ich sehe vor mir den Marktplatz von Erfurt mit den beiden großen Kirchen,
die Kirche der schwarzen Augustinereremiten mit ihrem großen Chor und dem dunklen Chorgestühl und die vielen Mönche in ihren Mänteln und Kapuzen - und unter ihnen einen, der Nein sagte.
Martin Walser hat in seinen letzten Büchern (Über Rechtfertigung, 2012; Mein Jenseits, 2010; Das Dreizehnte kapitel 2012) wunderbar beschrieben,
wie ein Leben in evangelischer Freiheit auch eine ständige Herausforderung ist, ein Verzicht auf Sicherheiten und innerweltliche Rechtfertigung.
Der evangelische Theologe Karl Barth hat ihm imponiert!
Immerhin ist die Evangelische Freiheit immer die Freiheit des Tuns
aus dem eigenen, begründeten Glauben, ohne fremde Autoritäten anzurufen.
Aber Walser war auch über die Kühnheit dieses Glaubens erschreckt.
Vielleicht hat er besser als mancher gesehen,
wie leicht diese protestantische Freiheit sich verliert, wie zerbrechlich sie ist,
wenn sie von ihrer Quelle getrennt wird.
Deshalb nochmals und zuletzt Martin Luther:
„Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit,
die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten,
die alle andere Freiheit übertrifft, wie der Himmel die Erde.
Das gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten. Amen.« Ja. Amen.
So steht nun fest und
lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!
2 Siehe, ich, Paulus, sage euch:
Wenn ihr euch beschneiden lasst,
so wird euch Christus nichts nützen.3 Ich bezeuge abermals einem jeden,
der sich beschneiden lässt,
dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.
4 Ihr habt Christus verloren,
die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt,
und seid aus der Gnade gefallen.5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit,
auf die man hoffen muss.
6 Denn in Christus Jesus gilt
weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas,
sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Liebe Gemeinde,
die Reformation ist noch lange nicht auserzählt.
Auch wenn die Geschichten um Martin Luther Legende sind -
„Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir…“ -
und teils als Film oder als Comic schon eher Parodien ähneln,
auch wenn die Freiheitsgeschichte der Neuzeit mit der
Abschaffung der Sklaverei,
der Erklärung der Menschenrechte und
dem Prozess der Gleichberechtigung
den Staffelstab der Freiheitsbewegungen übernommen zu haben scheint,
und auch wenn die römisch-katholische Kirche mit dem II. Vatikanischen Konzil einen Schritt gemacht hat, der sie noch nachträglich erschreckt,
ja auch wenn andere Events und Spukgeschichten diesen Festtag überlagern:
Die Reformation der Kirche liegt nicht hinter uns, denn ihr Ziel lag
nicht in der „Gründung“ der evangelischen Kirchen,
und in der Meinungsführerschaft des modernen Menschen,
sondern in der ungeheuren Konzentration auf das Hören des Wortes Gottes,
und in der fast irrealen Erwartung aus der Heiligen Schrift
ein gutes, ein heilsames, ein befreiendes Wort zu empfangen.
Die Reformation ist deshalb nicht auserzählt, weil sie sich
der Forterzählung des göttlichen Wortes verpflichtet hat und darauf vertraut, dass aus ihm Kraft, Mut, Trost und Befreiung für unsere Gegenwart entspringen.
So tragen nicht die Kirchen die Bibel durch die Geschichte
und müssen sie etwa ängstlich vor Kritik und Blasphemie schützen,
sondern sie selbst entfaltet ihre göttliche Inspiration mit Macht
im Gang der Kirche durch die Welt.
Sie trägt Gemeinden und Glaubende Jahr um Jahr, Tag um Tag
und erschließt uns das Leben neu.
Das ist es, was wir heute feiern, in unseren evangelischen Gemeinden
und in Gemeinschaft mit der weltweiten Christenheit.
Und so tragen uns heute die Worte des Paulus,
und fordern uns heraus mit seinem Insistieren auf Freiheit,
einer Freiheit, die wir so wenig verspielen sollen,
wie die alten Kelten, damals „Galater“ genannt.
Denn: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“
I
Um Freiheit geht es in einer Welt voller Unterdrückung,
voller Bevormundung, sanfter Lenkung, Betäubung und Manipulation.
Wie frei sind wir denn in Wirklichkeit? und wie abhängig in Wahrheit?
Manfred Lütz, der katholische Theologe hat ein Buch geschrieben: „Bluff“ –
da erscheint unser Leben nur noch als Imitat: virtuell und fremdgesteuert.
Freiheit? Eine Fiktion!
Wieviel realer, furchtbarer aber ist wirkliche Gefangenschaft!
Die Sehnsucht nach Befreiung prägte auch die ganze alte Welt.
Selig sind die Freien!! (c.f. Lesung Mt 5,3ff.)
Die Bibel atmet aus diesen Befreiungsmomenten.
Sie sieht in ihnen Gott wirken.
Er ist der starke Befreier
aus der Sklaverei im Ägypterland und aus dem balylonischen Exil.
Er ist der Hüter Israels.
Er schafft Recht und Gerechtigkeit.
Sein Gesetz gibt Schutz dem Rechtlosen
und Anteilhabe dem Armen und Unterdrückten.
Diesen befreienden, freiheitswirkenden Gott hat Paulus vor Augen,
wenn er von der Freiheit spricht, die in Christus ist.
Gott ist im Menschen Jesus Christus,
der Gefangene befreit und Kranke heilt,
der uns sehen lässt, was Liebe vermag
und Gottes Nähe wirkt über den eigenen Tod hinaus,
der auferweckt wird von den Toten und zur Rechten Gottes sitzt.
Mit Christus bezeugt Paulus eine Dimension weltüberwindender,
Sünde, Tod und Teufel überwindender Freiheit,
eine Freiheit, die einem keiner nehmen kann,
auch wenn man noch so beengt, einmauert oder erstickt wird:
eine letzte gottesinnigliche, transzendente Lebensglut,
die uns Gott dann ist, wenn wir sie am meisten brauchen.
Ohne sie hätte Joseph im ägyptischen Gefängnis
und Paulus im römischen Kerker zu Philippi
und Luther auf der Wartburg nicht überlebt.
Mit dieser inneren Freiheit haben Menschen ihr Leben bestanden
und sind mit ihr auch in großer Ohnmacht als Zeugen gestorben.
Das liturgische Rot des Reformationstages ist die Farbe des Geistes,
aber auch Farbe des Blutes der Glaubenszeugen,
hingerichtet von Inquisition und Intoleranz.
Es ist die tiefste Erfahrung christlicher Freiheit,
wenn der Mensch aller Selbstbetätigung entledigt,
allen Eigenmuts entschlagen,
bei Gott seine letzte Kammer findet.
Hier ist er in seinem Gewissen unbezwingbar. Aber ist er frei?
Aus gutem Grund hat Carl Friedrich von Weizsäcker gesagt,
dass die tiefste Erfahrung des Menschen nicht die Freiheit,
sondern die Ohnmacht sei.
Mit Paulus muss aber antworten, dass es genau die Pointe christlicher Freiheitserfahrung ist, dass sie auch Situationen der Ohnmacht erträgt,
weil Freiheit nicht nur Schaffen und Umtreiben,
sondern auch Erleiden, bedeutet.
Und erst im Erleiden zeigt sich, was es mit einem Menschen auf sich hat.
Treffend hat Martin Luther von den giftigen Gefühlen gesprochen,
die aufkommen, wenn wir nicht nach unserem Willen leben können,
sondern Grenzen gesetzt bekommen.
Luther schreibt: „Es ist das Zeichen eines bösen Willens,
dass er nicht leiden kann seine Verhinderung.“
Da zeige sich etwas im Kern Ungutes. Keine christliche Haltung.
Eine christliche Haltung scheint ja leicht erkennbar in der Bereitschaft,
fremdes Leiden zu mildern oder zu beseitigen.
Aber wie gesagt, sie zeigt sich deutlicher noch an der Weise,
wie einer selbst leidet und wie er sich zu jenem Leiden verhält,
dass er nicht ändern kann.
Das paulinisch-evangelische Verständnis von Freiheit
umgreift auch die Dimension von Unfreiheit und Ohnmacht,
weil wir an Christus sehen, dass auch in der größten Gottesverlassenheit
Gott Möglichkeiten, Freiräume hat,
wo wir keine mehr sehen.
Freiheit trägt gewissermaßen das Kreuzeszeichen in sich.
Denn es ist Christus, der befreit von Sünde, Tod und Teufel.
II
Christus hat zu einer Freiheit befreit,
in der alle Mächte der Bedrängnis und Angst grundsätzlich besiegt,
aber noch nicht aus der Welt sind.
In dieser Welt sollen wir unsere von Gott geschenkte Freiheit verantworten - und das nicht leicht.
Aber auch wenn mir niemand die innere Freiheit nehmen kann,
ich kann sie doch verlieren, wenn ich nicht aus ihr lebe.
In seiner Neuformulierung der Paulinischen Freiheitstheologie
hat Luther 1520 diese Herausforderung so formuliert:
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge
und niemand untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge
und jedermann untertan.“
Die Bewahrung der Freiheit heißt einerseits mit großer Freiheit aufzutreten
und andererseits seinen Dienst an der Welt zu leisten
und schwierige Situationen auszuhalten -
und in beiden Situation ein Zeichen von christlicher Freiheit zu setzen.
In der Reformation ging dabei um die Befreiung aus der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche, aus Klerikalismus, Simonie, Ablasshandel, Gewissenszwang und Schriftvergessenheit.
In der alten Welt, für Paulus aber spielte die Ablehnung der Beschneidung,
die Kappung der Vorhaut, die entscheidende Rolle.
Wenn wir darin nur ein weiteres identitätsstiftendes körperliches Merkmal erblicken, dass höchstens medizinisch zu diskutieren ist, ansonsten unter die Schmisse der Kooperierten, die Ohrringe von Seebären, Tattoos und Spangen, zu zählen ist, also unter die dauerhaft in den Körper einschneidenden - und mit Überwindung von Schmerzen erworbene - Embleme, die kulturell oder religiös ihr Recht und Bedeutsamkeit haben, verkennen wir, was für Paulus auf dem Spiel steht.
Freiheit ist nicht teilbar! „Siehe, ich, Paulus, sage euch:
Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.“(2)
Ein Christ kann nicht sein Heil in Christus und auch noch woanders finden.
Das gilt bei den Galatern und das gilt auch heute:
Menschliche Zusätze helfen weder als religiöse Zusätze in Form von zusätzlichen Bücher Mormon, Taufversiegelungen und Zweit-, Dritt- und Vierttaufen, noch in Form eigener diakonischer und mitmenschlicher Lebensleistung, noch in klerikaler Selbstbestätigung.
Wenn ein Zusatz, dann alle Zusätze bis zur Unerfüllbarkeit!
„Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt,
dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.“ (V 3)
So menschlich verständlich die Suche nach Anerkennung und religiöser Vergewisserung ist: sie zerstört was sie zu unterstützen vorgibt. Sie zerstört das haltlos unbedingte Vertrauen des Menschen in Gottes Zuwendung zu ihm.
„Ihr habt Christus verloren,
die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt,
und seid aus der Gnade gefallen.“(V 4)Der Wunsch nach Absicherung ist theologischer Materialismus,
„Zeichenforderung“ biblisch gesprochen.
Glaubensgewissheit statt Werkgerechtigkeit, prägt uns Luther ein.
Die Haltung des Christen ist es zu „…warten im Geist durch den Glauben
auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss.“ (V 5)
Diese Radikalität des Paulus nimmt erst Luther wieder auf.
„Erst die Gemeinschaft Luthers lebt ganz und in allerster Linie von dem Gotte, der in Jesus Christus offenbar geworden ist. Sie freut sich, dass draußen in mannigfaltiger Weise Gottfreudigkeit herrscht, aber sie sehnt sich danach, diese Weisen alle auf den Weg Jesu zu leiten. So tritt sie als wahre Inhaberin der letzten Erfüllung auf und erfüllt, was die katholische Kirche allzu oft nur mit christlicher Aufschrift versieht. Um die Kirche Luthers liegen die Religionen alle wie der dämmernde Morgen; sie aber ist der Vogel, der ihnen vom hohen Mittag singt.“ (Fendt, 1923)
Erst langsam findet sich diese Glaubens- und Christuszentrierung
annähernd in den ökumenischen Dokumenten wieder.
Immer wieder stößt die Schärfe der Ablehnung
von menschlicher Mitwirkung an seinem Heil auf Unverständnis und gerade ein, auf dem überzeugten menschlichen Willen beruhendes Taufverständnis,
verbaut die Sicht auf die entscheidende Pointe:
alle Zusätze sind an sich nicht schlecht und böse,
aber im Augenblick der Verunsicherung, der Anfechtung
- wie man früher sagte - sind es gerade diese Zusätze,
die an der Gewissheit des Heils zweifeln lassen.
„Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst,
so wird euch Christus nichts nützen.“(V 2) Darum geht es.
Martin Luther in der Großen Auslegung des Galaterbriefs (WA 40/I,589,25ff.):
"Das ist der Grund, warum unsere Theologie gewiss ist:
weil sie uns von uns selber wegnimmt und uns außerhalb von uns selber stellt,
dass wir uns nicht auf unsere eigenen Kräfte Gewissen, Empfinden,
Person und Werke stützen, sondern darauf, was außerhalb von uns ist;
d. h. auf die Verheißung und Wahrheit Gottes, die nicht trügen kann."
Nur das Vertrauen allein auf Gottes befreiendes Wirken
rettet vor der letzte Ungewissheit im Dunkeln.
III
Eine Kirche der Freiheit möchte die evangelische Kirche sein.
Ist das auch die Erfahrung ihrer Mitglieder?
Erleben sie ihre Kirche, ihre Gemeinde froh und stolz,
glaubensinnig und weltzugewandt, einsatzfreudig und trostbereit?
Ist hier der Glaube zu finden, von dem Paulus schreibt,
dass er durch die Liebe tätig ist (V 6)? Sicherlich.
Die Gemeinden jedenfalls sind durch alle Schwierigkeiten hindurch Orte,
an denen die Liebe Gottes wirksam wird.
Es gibt darüber hinaus guten Grund evangelisch zu sein.
Die evangelische Freiheit ist das einzig glaubwürdige Verfahren,
mit der Wirklichkeit der Welt umzugehen.
Evangelisch zu sein heißt, aus gegründetem Glauben heraus,
radikal zu fragen, zu zweifeln, anzunehmen und zu verwerfen,
immer auch zu lernen und Erkenntnisse neu auszuschöpfen.
Das kann auch heißen „Nein“ zu sagen, wenn alle „Ja“ rufen.
Wir haben immer die Wahl!
Ich sehe vor mir den Marktplatz von Erfurt mit den beiden großen Kirchen,
die Kirche der schwarzen Augustinereremiten mit ihrem großen Chor und dem dunklen Chorgestühl und die vielen Mönche in ihren Mänteln und Kapuzen - und unter ihnen einen, der Nein sagte.
Martin Walser hat in seinen letzten Büchern (Über Rechtfertigung, 2012; Mein Jenseits, 2010; Das Dreizehnte kapitel 2012) wunderbar beschrieben,
wie ein Leben in evangelischer Freiheit auch eine ständige Herausforderung ist, ein Verzicht auf Sicherheiten und innerweltliche Rechtfertigung.
Der evangelische Theologe Karl Barth hat ihm imponiert!
Immerhin ist die Evangelische Freiheit immer die Freiheit des Tuns
aus dem eigenen, begründeten Glauben, ohne fremde Autoritäten anzurufen.
Aber Walser war auch über die Kühnheit dieses Glaubens erschreckt.
Vielleicht hat er besser als mancher gesehen,
wie leicht diese protestantische Freiheit sich verliert, wie zerbrechlich sie ist,
wenn sie von ihrer Quelle getrennt wird.
Deshalb nochmals und zuletzt Martin Luther:
„Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit,
die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten,
die alle andere Freiheit übertrifft, wie der Himmel die Erde.
Das gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten. Amen.« Ja. Amen.
Perikope