Predigt über Hesekiel 37, 24-28 von Martina Janßen
37,24

Predigt über Hesekiel 37, 24-28 von Martina Janßen

Liebe Gemeinde!
Letzten Montag war ich in Hamburg. Montag ist Pastorensonntag. Da habe ich Zeit. Ich wollte ein Weihnachtsgeschenk für meine Freundin kaufen. Eigentlich ein Selbstgänger, denn jedes Schaufenster  war verheißungsvoll geschmückt. Überall Lichter in bunten Farben und mit ausgeklügelten Blinkmechanismen. Überall Weihnachtsmelodien – für jeden Musikgeschmack etwas dabei. Ich hatte mir den ganzen Tag Zeit genommen. Es musste schon etwas Besonderes für meine Freundin sein. Die Auswahl war groß: Kleine Lila Pumps als Weihnachtsbaumschmuck. Seidenschals für 500 Euro. Die neuste CD zum Fest: „Silent night – Party-Hits für Weihnachten.“  Die Auswahl war groß - zu groß und dazu kam langsam das Gefühl:  All das braucht man nicht wirklich. Menschenmassen strömten an mir vorbei, aller scheinbar erfolgreicher als ich und in bester Stimmung: Beladen mit Tüten und mit Weihnachtsmützen auf dem Kopf oder Glühweingläsern in der Hand. Nach und nach fühlte ich mich immer mehr verloren und fremd.  Wie in einem falschen Film. Ich wollte doch nur in weihnachtlicher Stimmung ein Geschenk für einen lieben Menschen kaufen – aber das war definitiv  zu viel Weihnachten für mich, so viel, dass mir das Weihnachtsgefühl verloren ging und ich die Krippe vor lauter Glitzertannenbäumen nicht mehr sah. Ich beschloss, eine Pause zu machen. Genervt von Jingle Bells tönenden Plastikbäumen und eingenebelt von Glühwein-und Parfümwolken  ergatterte ich einen ruhigen Platz – fast schon ein kleines (Weihnachts-)Wunder in dieser überfüllten Stadt!  Ruhe, Kaffee, eine Zigarette. Ich schaute mir das geschäftige Treiben um mich herum an und fragte mich: Was bedeutet für all die Menschen Weihnachten? Was bedeutet Weihnachten für mich? Und welcher Predigttext ist eigentlich Heiligabend dran? Um wieder einen klaren Kopf  zu bekommen, konsultierte ich mein Smartphone und las.
Lesung des Predigttextes Ez  37,24-28
Das sollen also die Geschenke Gottes sein!  Ein Hirte für mich, ein Bund des Friedens, ein König für mich, sein Heiligtum unter uns für immer,  Heimat für meine Seele. Das ist ja etwas ganz anderes als die jahresaktuellen Verheißungen in den Schaufenstern.  Doch wovon Ezechiel vor langer Zeit schrieb - danach sehne ich mich wirklich und genau das will ich anderen schenken. Doch wo kauft man Behütet-sein? Wie verschenkt man Heiligkeit? Mit einer stimmungsvollen CD oder einem goldenen Engel?  Wie genau verpackt man Frieden?  Das scheint schwieriger zu als einen weißen Weihnachtsbaumschmuckvogel in Geschenkpapier zu hüllen, der mit viel Fantasie als Taube durchgehen könnte.  Und wie verschenke ich das Gefühl zu Gottes Volk zu gehören und Heimat zu haben – wo ich doch oft nicht mal selber weiß, wer ich bin in all dem Treiben der Welt? Der Predigttext für Heiligabend stammt aus dem Buch des Propheten Ezechiel. Damals war das Volk Gottes im Exil in Babylon. Wirtschaftlich ging es gar nicht so schlecht; die pulsierende Metropole der alten Welt bot viel zum Leben. Doch das war nicht das, wonach sich die Menschen sehnten. In ihrem Land herrschte Krieg. Von ihrem Heiligtum, dem Tempel in Jerusalem, waren sie getrennt. Wenn sich so vieles, was dem Leben Halt gibt, auflöst,  hat man andere Wünsche und andere Fragen. Da geht es darum zu wissen: Wer bin ich, wo gehöre ich hin und wer behütet mich?  Ezechiel gibt Antworten  und schenkt seinem Volk die Verheißung:  Ein Hirte für dich, ein Bund des Friedens, ein König für dich, sein Heiligtum unter uns für immer, Heimat für deine Seele. Was für Geschenke! Die sind heute noch so aktuell wie damals. Nicht so wie die Barbiepuppen als Weihnachtsbaumschmuck, die nächstes Jahr durch eine neue Geschäftsidee ersetzt werden.   Wir leben zwar nicht im Exil und haben in unserem Land keinen Krieg, aber manchmal fühle auch ich mich verloren und ruhelos in unserer immer komplexer werdenden Welt. Ich kann die Augen nicht davor verschließen, dass es auch heute Kriege gibt und Unfrieden in meinem Leben. Und da reichen sie eben nicht so ganz, die Verheißungen aus den Schaufenstern, die raffinierten Leckereien und die ausgefallenen Deko-Artikel. Obwohl all diese Dinge durchaus mein Leben versüßen und meinem Alltag einen ganz besonderen Pfiff geben können, brauche ich mehr zum Leben.  Und ich weiß, es geht nicht nur mir so. Meiner Freundin zum Beispiel auch. Da wären die Worte des Propheten genau das richtige Geschenk. Doch wie verpacke ich nun Frieden, wie verschenke ich das Gefühl, behütet zu sein? Und nicht zuletzt - Wie bringe ich die alten Verheißungen in meiner eigenen Seele zum Klingen? 
Liebe Gemeinde!
Ich ließ all die blinkenden Lichter hinter mir. Es war ein kalter, klarer Tag und mein Weg führte mich an die Außenalster. Raus dem Trubel an die frische Luft.  Mit jedem Schritt fühlte ich mich besser. Auf der brüchigen Eisfläche lag Schnee, fein wie Puderzucker,  mit einem Hauch von diamantenem Glanz.  Ich war schon ziemlich lange unterwegs, als ich inne hielt und mich umdrehte. Die Stadt mit all ihrer Geschäftigkeit lag weit hinter mir. Um mich herum Ruhe. Nur ein paar Möwen erhoben sich dann und wann und trugen die Stille mit sich im Flug. Alles schien wie in ein mildes weißgoldenes Licht getaucht. Ich stand da. Schweigend, allein mit mir und dem Glanz der untergehenden Wintersonne. Einfach so - als würde die Zeit stehen bleiben und die Ewigkeit hineinblinzeln in diesen Nachmittag. Auf einmal war es da: Das Gefühl zu wissen, wer ich bin und wo ich hingehöre. Das Gefühl:  Gott ist da. Ein Hirte für mich, ein Bund des Friedens, ein König für mich, sein Heiligtum unter uns für immer,  Heimat für meine Seele.  „Es liegt im Stillsein eine wunderbare Macht der Klärung, der Reinigung und der Sammlung auf das Wesentliche.“ (Dietrich Bonhoeffer).  Es mag wohl weit länger als eine halbe Stunde gewesen sein, dass ich an jenem  Dezembernachmittag an der winterlichen Außenalster stand. Und  als ich wieder zurück in Stadt ging – aufgeräumt und durchgefroren - , wusste ich ganz tief im Herzen, warum die heilige Nacht keine Partynacht, sondern eine stille Nacht ist.
Liebe Gemeine!
Ich habe meiner Freundin dieses Jahr keine Socken mit Weihnachtsfraumotiv, keine  Schoko-Chili-Zimtpralinen und auch nicht das neueste Taschenbuch zum Thema mörderische Weihnacht geschenkt. Ich habe ihr einen Gutschein geschenkt. „Eine Stunde Zeit für Stille.“  Vielleicht geht meine Freundin wie ich an die Außenalster, wenn die Nachmittagssonne den Schnee in Goldstaub verwandelt und uns die Kälte den Kopf klar macht. Vielleicht setzt sie sich im Frühling unter einen blühenden Apfelbaum und findet zu ihren alten Träumen zurück. Vielleicht aber schließt sie nachts nur ganz bewusst die Augen und fühlt, wie im Schweigen neue Lieder aufsteigen und aus dem Dunkel neue Farben entstehen. Wer weiß.  Es gibt so viele Gelegenheiten, Gottes Geschenke auszupacken und seinen Segen in Empfang zu nehmen. Jetzt ist auch so eine.  Wir feiern Gottesdienst. Mitten in der Nacht. Mitten in einer Welt, die uns einiges abverlangt und in der man sich oft verloren, machtlos und verletzbar fühlen kann. Doch dahinter liegt eine andere Wahrheit. Oft ist sie verdeckt, versteckt, verpackt. Heute Nacht aber leuchtet sie klar und erklingt in der ganzen Welt: „Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht.“  Unser Hirte. Ein Kind. Unser König. Wunder-Rat. Gott-Held.  Friede-Fürst.  Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Amen
Predigtlied: „Stille Nacht, heilige Nacht“