Predigt über Jakobus 2, 1-13 von Jochen Riepe
2,1
 I
Ich weiß nicht , ob arme Menschen wirklich ‚reich im Glauben‘ sind. Ich weiß auch nicht , ob Reiche ‚hintenherum‘ agieren  und zum Denunzieren neigen. Ich weiß nur , daß ER  sagte : ‚Selig seid ihr Armen‘. ‚Weh euch Reichen , denn ihr habt euren Trost schon gehabt‘.
  II
Reden eines Aufsteigers : Ich komme aus kleinen Verhältnissen. Ich mußte immer kämpfen. Mir wurde nichts geschenkt. Leistung für Leistung …  Reden  über   einen Aufsteiger : Der hat vergessen, wo er herkommt. Der hat keine Wurzeln. Der streckt sich nach denen da oben  und merkt nicht einmal , wie er ausgenutzt wird…  ‚Wir brauchen eine neue Aufsteigermentalität‘, sagen die einen. ‚Soziale Aufsteiger sind ihr Leben lang unglücklich und verkrampft‘, warnen die anderen.
 III
‚Haltet den Glauben an Jesus Christus frei von allem Ansehen der Person‘, so , liebe Gemeinde, beginnt der Predigttext aus dem  Brief des Jakobus. ‚Eine stroherne Epistel‘ hat  Martin Luther diesen Brief genannt und unterstellte , Jakobus habe in den entscheidenden Fragen des Glaubens nicht viel zu bieten. Wer sich aber auf sein Schreiben einläßt , spürt und erfährt etwas anderes. Hier spricht Leidenschaft , hier spricht aber auch  Weisheit. Hier schreibt ein scharfer , prophetischer Mahner , aber auch ein großmütiger und guter Gemeindebeobachter : Ja, diese Versammlungen der Christen , ihre Gottesdienste  und Kirchcafes , ihre Sitzungen und Synoden – wie und nach welchen  Regeln laufen die ab, welche Verhaltensweisen und Gewohnheiten, Gesten , Floskeln, Sprachmuster prägen sie ? Wie begegnen die Christen einander ? Für Jakobus sind diese Fragen nicht äußerlich  , sondern betreffen soz. das Innerste , die Freiheit unseres Glaubens .
 IV
Sie haben sein Fallbeispiel gewiß noch im Ohr oder besser : vor  Augen  . Sie haben vielleicht sogar spontan nicken müssen , weil Jakobus‘ Beobachtung etwas  Unangenehm-Vertrautes  zur Sprache bringt : Zu den Versammlungen  der Gemeinde kamen viele arme Menschen , aber auch reiche  , eine bunte soziale Mischung soz., vom Hafenarbeiter bis zum Schiffsreeder. Wie schön ! Ja, so soll es doch auch sein – das ist doch unser Ideal!  Vorsicht !- die Mischung enthält Fallstricke ! Es war wohl so , daß die Verantwortlichen , die Gemeindeleiter , Diakone oder Kirchendiener , ja , menschlich- allzumenschliche  Unterschiede machten.  Der Mann mit dem goldenen Ring  ‚in herrlicher Kleidung‘  bekam den guten Platz zugewiesen , Stühle wurden gerückt :‘Hier , mein Herr , kann man gut sehen und hören‘, während Leute in ‚unsauberer Kleidung‘ sich mit einem Stehplatz oder Sitzplatz  auf der Erde begnügen mußten . Augenrollen oder gar angeekeltes Sichabwenden : ‚Hast du den Korb mit den Pfandflaschen gesehen?‘  Die bunte Mischung – eine Chance , aber auch eine Gefährdung .
 V
Ich weiß nicht, ob Arme wirklich ‚reich im Glauben‘ sind , ob sie das selbst so sehen. Ich weiß auch nicht , ob Reiche eher gemein und unzuverlässig sind. Aber ich weiß , daß ich mich  - wie die meisten von uns – gleichsam in einer Zwischenposition  befinde und dieses Mittlere , dieses Dazwischensein , nicht einfach wertfrei  oder neutral ist. Jeder hat seinen Hang oder Drang zum Höheren , zum höheren Status und Rang  , und wir kennen ‚dieses Schmiegen und Biegen, das Jasagen, Streicheln und Schmeicheln, diese Behendigkeit , dieses Schwänzeln‘*  , das den ‚Angesehenen‘ umgarnt.  In der kleinen Gemeindewelt kann sich  die ganze Gesellschaft in ihren Wertungen spiegeln  und gerade  ‚die dazwischen‘ , wenn man so will : die Aufsteiger, selbst aus kleinen Verhältnissen stammend,  sind  mitunter sehr fixiert auf die , die es ‚geschafft‘ haben. ‚Wir brauchen das Fußvolk ,  gewiß , aber Erfolg, nicht wahr, hat eine Gemeinde erst, wenn sie das höhere Bildungs- und Zahlungsmilieu erreicht!‘  Wer riecht schon gern den unsauber Gekleideten ? Enthält der Geruch vielleicht eine Erinnerungsspur an die eigene Herkunft ?
  VI
Wie so oft im Leben : Die soziale Chance der christlichen Gemeinde  ist zugleich ihre Gefährdung  und der weise-leidenschaftliche , leidenschaftlich-weise Jakobus führt uns mitten  hinein .  In uns oder ‚unter uns‘ liegt eine in Christus gewährte Öffnung und Offenheit, die alle Unterschiede der Herkunft , des Besitzes , von Bildung und Geschlecht relativiert oder sogar aufhebt.  Und  eben : gerade da , wo doch alle ‚im Prinzip‘  als Gottes Kinder gleich wichtig sind, gerade da fällt besonders auf  , wenn die ‚Brüder und Schwestern im Herrn‘ ,  und das Personal unter ihnen allen anderen voran, die normalen gesellschaftlichen Wertungen wiederholen . Dann wird das sonst Erwartbare  zum besonders Verletzenden : ‘Wem viel gegeben ist, bei dem wird viel suchen‘ (Lk 12,48). Vielleicht kann man im Sinne des Jakobus etwa so  zur Selbstbesinnung anleiten: Wer bekommt am Eingang einen Blick  geschenkt? Wer wird mit Handschlag und wie freundlich oder distanziert oder argwöhnisch begrüßt ?  Wer wird umarmt , um eine besondere Nähe zu zeigen ? Zu wem setze ich mich und zu wem eher nicht ? Wie urteile ich über das Schicksal derer , die vor der Kirchtür betteln  ? Wie kann ich  aus einem Kelch mit einem trinken , der einen ungepflegten Eindruck macht ?  Wir  in der Mitte , der  ‚Mittelstand‘, wie man früher sagte (dieser Stand,  der sich aktuell so bedrängt fühlt) ,  in der Mehrzahl sind wir oder unsere Eltern oder Großeltern ‚aufgestiegen‘ aus einfachen oder ärmlichen Verhältnissen – haben wir vergessen , wo wir herkommen ? Und vor allem  : Wo der Christus herkommt? Und auch bleiben wollte!
VII
Ich weiß nicht , ob Arme wirklich ‚reich im Glauben‘ sind ; das mag auch eine romantisierende Phantasie der Reichen sein. Ich weiß nicht, ob Reiche eher  unzuverlässige Christen sind . Ich weiß nur , daß ER , Jesus Christus , ‚der Herr der Herrlichkeit‘  ,  sagte : ‚Selig seid Ihr Armen – Wehe Euch Reichen, denn ihr habt euren Trost gehabt.‘  Es ist für die Gemeinde ein Verhängnis   , wenn sie sich dieser Sätze schämt und diesen ihr eigenen ‚durchgehenden Zug nach unten‘ nicht als  von Gott gewährtes ‚Hoheitszeichen‘** annimmt. Daß ‚Aufsteiger‘ sich an denen da oben orientieren und den Kontakt zu den Reichen suchen , das  ist menschlich, es ist Stoff für die menschliche Komödie,  … nur , wenn die ‚Knechte Gottes und des Herrn Jesus Christus‘*** dies nach – oder mitmachen und die Armen , die Bedrängten , die in prekären Lebensverhältnissen Erniedrigten und Beschämten noch einmal beschämen , dann ist das Verrat und die Kirche wird banal, lächerlich , mehr : sie wird unglücklich und verkrampft . Oder umgekehrt : Sie wird zum Spielball der Mächtigen , die sich nach Belieben ihres Potentials bedienen .
 VIII
‚Ihr habt den Armen Unehre angetan‘, so sagt Jakobus schließlich zu gespitzt. Nein , das haben wir nicht ! mögen wir empört einwenden. Wir haben für ihn gesammelt, wir laden ihn zum Frühstück ein , wir haben Ämter und Werke gegründet, wir haben eine Kleiderkammer und legen monatlich 5 €  auf sein Hartz IV drauf !  Das ist richtig und wichtig , aber genauso wichtig ist – die Rose , das Taktgefühl , die  Fairness und ein  ungekünstelter Respekt, die wir soz. in seinen Hut legen:
Wenn du auf einem Amt arbeitest , laß ihm sein Recht und mißgönne ihm nicht das Wenige , was ihm zusteht. Wenn du gut verdienst , zahle Steuern mit gutem Herzen , bevor ‚Gold und Silber verrosten‘ und gegen dich sprechen!****Wenn du in einer Arztpraxis oder im Krankenhaus  Dienst tust, behandle den Armen nicht von oben herab und gewähre ihm das , was er braucht ! Ihr in der Schule oder in den Kindertagesstätten , macht keine Unterschiede zwischen Kindern , die gut gekleidet sind und denen, die ärmlich wirken ! Wir im Gemeinde- und im Pfarrhaus – Gott schenke uns Großherzigkeit  ,  viel diplomatisches Geschick  und den  Mut , unsere Türen dem Armen zu öffnen ! Und vor allem und immer wieder : Hüte deine Zunge***** , wenn du über den Armen sprichst !

              

*J.W.v.Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre , dtv Gesamtausgabe 16, 4.Aufl. 1972, S. 21
**E.Jüngel, Unterwegs zur Sache.Theologische Bemerkungen, 1972, S. 241
***Jak 1,1                           ****Jak. 5,3                          *****Jak.3,1ff
Perikope
07.10.2012
2,1