Predigt über Jakobus 5, 13-16 von Jochen Cornelius-Bundschuh
5,13
Predigttext: Jakobus 5,13-16
13 Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. 14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. 15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.
16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
Liebe Gemeinde,
das Gebet des Glaubens hilft den Kranken, der Herr richtet sie auf! Wie wird eine Gemeinde heilsam? 
I
Eine evangelische Gemeinde in einer südwestdeutschen Kleinstadt feiert vier Mal im Jahr einen Gottesdienst für kranke Menschen. Sie singen, sie beten, sie bekennen ihren Glauben, sie hören Lesungen und die Predigt. Dann stehen an drei Orten in der Kirche jeweils drei Personen bereit. Sie empfangen diejenigen, die sich salben und segnen lassen wollen. Zwei von ihnen treten hinter die Kranke; der eine legt ihr seine Hand auf die rechte, die andere auf die linke Schulter. Die dritte Person spricht die Kranke an, salbt ihr die Hände und die Stirn und entlässt sie mit einem Segen wieder in die Gemeinde.
Viele kommen zu diesem Gottesdienst, auch von weiter her; viele von ihnen lassen sich salben und segnen. Manche gehen weinend, manche aufgerichtet zurück zu ihrem Platz.
II
„Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten!“ Diese Verheißung stärkt in vielen Menschen eine Sehnsucht; sie erregt heute aber auch Anstoß.
Da sind die einen, die sagen: Das ist doch magisches Denken! Damit öffnet ihr der Scharlatanerie Tür und Tor! Die Religion ist für den Glauben und die Moral zuständig; den Umgang mit Krankheiten solltet ihr der Medizin überlassen.
Andere führen wissenschaftliche Studien in Krankenhäusern durch und stellen am Ende fest: Wer betet, wird schneller gesund. Oder: Gläubige werden seltener krank.
Den meisten aber, die beten, wenn sie leiden oder krank sind, geht es nicht um einen Konflikt zwischen Medizin und Glauben. Sie suchen nach Trost in ihrer Krankheit. Sie fühlen sich einsam und suchen Geborgenheit und Würde in ihrem Glauben. Manche leben schon lange im Glauben; andere hat erst die Not beten gelehrt. In beiden Gruppen gehen nur wenige davon aus, dass sie durch das Beten wieder gesund werden wie vorher.
Manchmal kommt es zu einer Heilung. Ob es die Gebete waren? Die Medikamente? Die Hoffnung der Kranken? Die Frage wird sich nicht klären lassen. Wichtig ist: Bleibt die Heilung aus, ist das kein Zeichen fehlender Gnade oder mangelnden Glaubens. Jesus Christus liebt und segnet nicht nur die Gesunden, sondern auch die Kranken; er ist ihnen in ihrer Krankheit treu. Gerade in den Schwachen erweist sich Gottes Kraft als mächtig. Sie stärkt sie, sie trägt sie; sie hilft ihnen, in ihrer Situation zu leben und sich neu in einer durch die Krankheit veränderten Welt zu beheimaten.
Was ist dazu nötig? Wie tragen der Glaube und das Gebet dazu bei?
III
Wer krank ist, behält seine Würde. Das ist das Erste. Er bleibt handlungsfähig. Er kann etwas tun, beschreibt Jakobus: er kann für sich selber beten und andere bitten, für ihn zu beten. Die Kranke ist kein Objekt, an dem nur andere handeln; sie bleibt Person, Mensch, Gegenüber Gottes.
Bei manchen Kranken sehen wir keine Reaktion mehr und erschrecken, wie abhängig sie sind. Aber vielleicht spürt er meine Hand; vielleicht denkt sie an uns; vielleicht betet sie.
IV
Wer betet, ist nicht allein. Das ist das Zweite, das Entscheidende im Angesicht der Krankheit. Das ist die Botschaft des Jakobus’. Wer krank ist und betet, ist nicht allein mit sich und seiner Not. Er oder sie gehört in die Gemeinde und zu Christus.
Kranksein macht einsam. Du bist nicht mehr so wie die anderen: nicht mehr so mobil, nicht mehr so frei. Du hast Schmerzen. Du brauchst mehr Ruhe. Die anderen sehen dir deine Not an.
Ob sie dich meiden? Oder ziehst du dich selbst zurück? Auf jeden Fall werden Trennlinien schärfer erkennbar. Wer krank ist, ist anders. Immer wieder schiebt sich der Unterschied in den Vordergrund. Krankheit macht uns Angst; wir wollen lieber Abstand halten. Manchmal müssen Kranke den Eindruck haben, dass heute wie zu Jesu Zeiten gilt: Wer krank ist, ist selber schuld.
Dagegen sagt Jakobus: Wer betet, ist nicht allein!
Wer betet, bindet sich an Jesus Christus. Es gibt eine Wirklichkeit, die ist wichtiger als krank sein oder gesund. Sie lässt sich am ehesten mit Bildern beschreiben: Sie trägt auch dunkle Täler. Sie ist wie ein Licht in der Nacht. Sie richtet auf!
Auf diese Wirklichkeit bezieht sich mein Gebet. Ich bin nicht allein mit meiner Krankheit, Gott sitzt neben mir am Bett, Christus hält meine Hand, die Kraft des Heiligen Geistes streicht mir über den Rücken und richtet mich auf!
V
Aber es sind nicht nur Bilder, es sind Menschen, die mich an Christus binden. Wer krank ist, bete. Wer betet, ist nicht allein. Wer krank ist, „der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen.“  
Ich bin mit Christus nicht allein. Andere sind da, mit denen ich meinen Glauben teile: die Gemeinde. In ihr übernehmen Menschen Verantwortung füreinander. Die, die guten Mutes sind, singen; sie loben Gott und ermutigen die anderen. Ein Diakon sorgt mit anderen regelmäßig für Essen für die Armen, eine junge Frau unterrichtet Kinder. Der Kranke hat kein Amt. Aber er kann beten und die Ältesten rufen, damit er nicht alleine beten muss, damit sie für ihn beten.
Das ist in der Gemeinde des Jakobus das Amt der Ältesten: gemeinsam für die anderen zu beten und zu salben. Damit die ganze Gemeinde heilsam ist. Damit die Kranken mit ihrem Leib, ihrem Geist und ihrer Seele spüren: wer krank ist, ist nicht alleine!
VI
Das Gebet hilft den Kranken, der Glaube richtet sie auf!
Das heilsame Amt der Ältesten, das Jakobus beschreibt, hat sich verändert. Aber das Anliegen, dass unsere Gemeinden für Kranke da sind, ist heute so aktuell wie damals. Die Kranken gehören zu uns; für sie zu beten, sie zu besuchen, zu ihrer Heilung beizutragen, gehört zur Aufgabe jeder Gemeinde.
Viele bemühen sich darum: Ein Ältestenkreis nimmt sich bei jeder Sitzung Zeit, sich darüber auszutauschen, wer in der Gemeinde krank ist, Hilfe zu verabreden und für die Kranken zu beten. Es gibt Besuchsdienste und viele einzelne, die Kranke zu Hause und in den Krankenhäusern besuchen. In manchen Gemeinden wird das Hausabendmahl als Möglichkeit für Kranke gepflegt und auch im nahen Krankenhaus bekannt gemacht.
Viele, die heute den Dienst an den Kranken tun, den Jakobus den Ältesten zuschreibt, sind Gemeindeglieder mit Lebenserfahrung und mit einer besonderen Aufmerksamkeit für andere. Sie zeichnen sich nicht durch bessere Gesundheit aus. Für Kranke beten und ihnen Gottes Segen weitergeben, das können gerade auch Menschen, die selber krank sind oder bleibend eingeschränkt.
Viele, die Kranke besuchen und für sie beten, erzählen, dass sie oft erfüllt aus den Begegnungen kommen, selbst wenn sie einen schwer kranken oder sterbenden Menschen besucht haben. Der heilsame Geist Gottes breitet sich aus, wenn wir füreinander da sind und füreinander beten.
VII
„Das Gebet des Glaubens hilft den Kranken, der Herr richtet sie auf!“
Jakobus wünscht sich wie wir eine heilsame Gemeinde. Er ermutigt uns zu konkreten Schritten: Wie kann das Gebet für die Kranken, wie können Salbung und Segnung heute in unserer Gemeinde mehr Gewicht bekommen?
Aber Jakobus erinnert uns auch: Erwartet nicht zu viel von euch und zu wenig von Gott! Wir sind schnell an unseren Grenzen. In einer Heilungsgeschichte erzählt der enttäuschte Vater des kranken, besessenen Knaben Jesus: „Und sie, deine Jünger, vermochten es nicht!“ (Markus 9 par) Sie konnten nicht helfen.
„Das Gebet des Glaubens hilft den Kranken, der Herr aber richtet sie auf!“ Wir helfen, wir beten, wir halten Fürbitte, wir segnen, wir salben. Jesus Christus aber richtet auf, so wie er selbst von Gott auferweckt wurde. Genau dieses Auferwecken klingt in dem Wort „aufrichten“ mit an. Am Ende wird nicht nur die Krankheit, am Ende wird der Tod überwunden sein: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“ (Offenbarung 21, 4).
Perikope
14.10.2012
5,13