Predigt über Jeremia 1, 4-10 von Claudia Bruweleit
1,4
Liebe Gemeinde!
Mutproben waren angesagt bei den Jugendlichen der fünfziger Jahre, darf man den Jugendbüchern meiner Eltern Glauben schenken. Da trafen sich die zwölfjährigen Jungs im Wald und zwangen den Neuen dazu, eine Kröte hinunterzuschlucken oder eine Zigarre zu rauchen. Erst danach wurde er aufgenommen in ihre Clique und durfte mitmachen. Ich weiß nicht, ob es solche Mutproben heute noch gibt und wie sie ablaufen. Beim Gedanken daran läuft mir eine Gänsehaut den Rücken hinunter und ich möchte hinrennen und den Kids sagen: „Lasst den Quatsch. Darauf kommt es doch nicht an! Euren Mut braucht ihr für viel wichtigere Dinge.“
Mutproben gibt es im richtigen Leben zuhauf, und zwar solche, in denen der Mut eines Menschen einem anderen gut tut:
Ich kenne eine Zwölfjährige, die in ihrer Klasse sagt, was sie denkt. Als die Mädchen eine von ihnen hänseln und ausgrenzen, setzt sie sich zu ihr. „Komm, wir machen diese Aufgaben gemeinsam.“ Es kümmert sie nicht, was andere von ihr denken. Sie findet es einfach gemein, dass die anderen dieses Mädchen ausgrenzen. Eine Woche später entdeckt sie, dass jemand ihre Hefte mit einer klebrigen Masse verschmiert hat. Am nächsten Tag ist ihr Sitzkissen zerschnitten. Trotz mehrfacher Bemühungen der Lehrerin und der Eltern gelingt es nicht, die Verantwortlichen zu finden.
Die Schülerin ist der Stimme ihres Herzens gefolgt. Sie hatte den Mut, sich zu dieser Stimme zu bekennen. Sie erfuhr dafür selbst Ausgrenzung durch die Klassengemeinschaft. Ihr Mut, sich der Mehrheit entgegenzustellen, führte sie selbst ins Abseits.
In der Universität. Der Professor hält ein Seminar. Er verstrickt sich immer wieder in seinen Aussagen, versucht sich mit Abschweifungen auf ein anderes Thema zu retten. Am Ende der letzten Seminarstunde fragt er die Studierenden nach ihrem Feedback. Einer hebt die Hand. „Ich hätte mir gewünscht“, sagt er mit einem freundlichen Lächeln, „dass der Seminarleiter besser vorbereitet gewesen wäre.“ Die Kommilitonen halten den Atem an. „Danke“, sagt der Professor und ein feines Lächeln spielt um seine Lippen.
Mutproben sind das, die unbequeme Wahrheiten aussprechen. Mutproben, in denen sich Menschen selbst angreifbar machen um des anderen oder um der als wahr erkannten Sache willen. Mutproben, die auf einen Weg führen, dessen Ende sich nicht absehen lässt.
Noch größeren Mut hätte der Student benötigt, wenn er seine Prüfung an dieser Universität hätte ablegen müssen. So ist es nur die Situation selbst, die er aushält. „Warum hast du das getan?“ fragte ihn später eine Kommilitonin. „Ich habe mir überlegt: irgendjemand muss es ihm doch mal sagen“, antwortete er.
Irgendjemand muss doch den Leuten die Wahrheit sagen – die unbequeme, schmerzliche Wahrheit. Damit etwas geschehen kann. Damit sie sich ändern können. Die Wahrheit zu sagen – das erfordert Mut.
Unser Predigttext ist dem Jeremiabuch entnommen. Es erzählt von einer einzigartigen Reihe von Mutproben.
Sie werden dem Priestersohn Jeremia abverlangt, er wohnt in Anatot, einem Ort, vier Kilometer nordöstlich von Jerusalem gelegen. Dieses ereignet sich im Jahr 627/ 626 vor Christus. Jeremia soll als Prophet Gottes zu den Menschen in Israel reden. Er soll ihnen den Zorn Gottes deutlich machen. In unserem Predigttext schildert Jeremia seine Berufung zu dieser lebenslangen Mutprobe:
Jer. 1,4-10
Und des HERRN Wort geschah zu mir:
5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.
9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
Jeremia möchte seinen Mut nicht beweisen müssen. Er ist ein kluger junger Mann. Er weiß ganz genau, dass er sich mit unbequemen Reden außerhalb jeder sozialer Netzwerke begibt. Wer wird noch etwas mit ihm zu tun haben wollen, wenn er das Unheil ansagt, das Gott von Norden her über das Land bringen wird? Jenes Unheil, das sich bald darauf abzeichnet, den Krieg mit Nabopolasser, dem Neubabylonischen König. In die Verwirrung, die durch Zerstörung und die Vorbereitungen der Deportation unter den Israeliten entstanden ist, spricht Jeremia hinein. In dieser Auflösung der alten Ordnungen hört man seine Stimme, die darum ringt, die Israeliten zurück zum Glauben an ihren Gott Jahwe zu bringen. Er tritt an die Stelle der Priesterschaft, er redet dem Volk ins Gewissen, er erklärt die Kriegswirren und ihre Folgen als Strafe Gottes und als dessen letzten Versuch, sein Volk zu bekehren. Ungehalten ist Gott über sein Volk Israel. Er wirft ihm vor, dass es seinen Gott eintauschen möchte gegen andere Götter, gegen Götzen aus Stein oder Holz und Gold und Edelsteinen, die doch nicht helfen (Jer. 10) Scharfe Worte gegen Israel steigen in Jeremia auf. Worte, die in ihm brennen und herauswollen. Worte, die Gottes Liebe und seinen Zorn ausdrücken. Worte, die zur Umkehr nötigen. Er kann nicht schweigen. Das Wort Gottes ist stärker, es bricht sich Bahn, es will zu den Menschen. Jeremia kann nicht mehr zurück.
Kunstvoll beschreibt die Geschichte seiner Berufung, dass es nicht Jeremia selbst ist, der sich diese Reden ausdenkt. Gott selbst hat ihn berufen. Gegen seinen Protest. Gegen seinen Willen. Längst schon vor seiner Geburt war Jeremia ein Gedanke Gottes, ausersehen dazu, Gottes Bote zu sein. Seine Hilfe im Miteinander zwischen Gott und Mensch, zwischen Jahwe und seinem Volk. Er ist berufen dazu, gerade so er selbst zu sein, dass er Gottes Wort weitersagt, dass er Gottes Kritik dem Volk um die Ohren schlägt, dass er Gottes Sehnsucht nach den Menschen seines auserwählten Volkes zum Klingen bringt.
Er fügt sich in sein Schicksal. Er lässt das Wort geschehen. Und er wird dabei selbst zu einem Zeichen für das geschlagene Volk. Denn der Zorn der Getadelten richtet sich gegen Jeremia. Seine Kritik bewirkt gerade nicht, dass sie sich zu Gott bekehren. Der Ärger über die eigenen Fehler kehrt sich um und findet ein Ziel im Propheten. Mehr als einmal wird Jeremia als Folge seiner Reden verfolgt: einmal werfen sie ihn gar in eine schlammige Zisterne. Nur durch die Fürsprache des Schwarzafrikaners Ebed-Melech beim König wird er vor dem sicheren Tod durch Verhungern und Verdursten bewahrt. (Jer. 38, 6ff)
Jeremia wird so selbst zu einer Botschaft. Er erleidet am eigenen Leib das Zerbrechen der Beziehung Gottes mit seinem Volk. An ihm können sie sehen, wie es ihnen selbst eigentlich geht. Er steht damit ganz dicht bei ihnen und ist dennoch Gegenüber, mutiges, mahnendes Gegenüber. Ach, könnten sie doch erspüren, was dieses Leid für ihren Gott bedeutet. Hätten sie doch ein Einsehen mit Jeremia und mit Gott. Es würde sich endlich etwas ändern. Die Mutproben des Jeremia fordern zu einer Stellungnahme. Man kann nicht so tun, als hätte man ihn nicht gesehen, ihn nicht gehört, sein Leiden nicht erkannt. Er steht als ein lebendiges Mahnmal vor ihren Augen.
Woher nimmt Jeremia den Mut, sich immer wieder kompromisslos einzusetzen für seinen Gott? Wie schafft er es, diese Mutproben zu bestehen?
Einen Hinweis gibt uns die Berufungsgeschichte: Gott spricht und Jeremia antwortet ihm. Immer wieder vernimmt er seine Stimme, erhält er neue Aufträge von Gott, steigen in ihm neue Worte auf, die er weitersagen soll. Er bleibt in einem beständigen Dialog mit seinem Gott und mit den Israeliten. Er denkt mit, er fühlt mit, er sehnt sich mit Gott nach Heilung ihrer Beziehung. Das Leid, das ihm widerfährt, klagt er Gott in mehreren eindrücklichen Klageliedern. Er protestiert und weiß doch: allein Gott kann seinen Protest entgegennehmen und das Blatt wenden. Wie es genau geschieht, dass er Antwort erhält und die Kraft, weiterzumachen, wird nicht erzählt. In der Berufungsgeschichte ist es der lebendige Gott, der ihm die Worte in den Mund legt und ihm Mut zuspricht. „Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten.“ Manchmal stehen ihm auch Menschen zur Seite wie der Schwarzafrikaner, der ihn aus der Zisterne rettet. Auch er zeigt Mut. Sein Mut tut Jeremia gut.
Aus dem Gespräch mit Gott erwachsen Jeremia Hoffnungsbilder für ein gutes Miteinander von Gott und Mensch und für das Heilwerden der Welt. Er verheißt schließlich dem Haus des Königs David den einen gerechten Spross, jenen König, der Versöhnung und Heil schaffen wird. Die christliche Welt hat diesen verheißenen König in Jesus Christus gesehen, sechshundert Jahre nach dem Propheten Jeremia lehrte und heilte er in Israel. Sein Mut, sich für den Nächsten einzusetzen, erwuchs aus dem innigen Gespräch mit Gott. Er spürte in sich die Liebe, die Gott für alle Menschen hat. So war es für ihn nur noch ein kleiner Schritt, sich an die Seite der Menschen zu stellen, die dies noch nicht erfahren hatten. Diese Liebe lebt weiter und verändert die Welt. In seiner Nachfolge lernen wir die Welt neu zu verstehen als Ort, an dem jede und jeder berufen ist, in dieser Liebe zu leben.
Wir können nicht vorhersagen, welche Mutproben von uns gefordert sein werden. Wir können hoffen und beten, dass wir sie bestehen werden. Und wir können uns vorbereiten: indem wir auf die Stimme der Liebe in uns hören und mit Gott im Gespräch bleiben in allem, was uns bewegt. Vielleicht ist es dann auch uns einmal vergönnt zu erleben, dass unser Mut anderen gut tut.
Mutproben waren angesagt bei den Jugendlichen der fünfziger Jahre, darf man den Jugendbüchern meiner Eltern Glauben schenken. Da trafen sich die zwölfjährigen Jungs im Wald und zwangen den Neuen dazu, eine Kröte hinunterzuschlucken oder eine Zigarre zu rauchen. Erst danach wurde er aufgenommen in ihre Clique und durfte mitmachen. Ich weiß nicht, ob es solche Mutproben heute noch gibt und wie sie ablaufen. Beim Gedanken daran läuft mir eine Gänsehaut den Rücken hinunter und ich möchte hinrennen und den Kids sagen: „Lasst den Quatsch. Darauf kommt es doch nicht an! Euren Mut braucht ihr für viel wichtigere Dinge.“
Mutproben gibt es im richtigen Leben zuhauf, und zwar solche, in denen der Mut eines Menschen einem anderen gut tut:
Ich kenne eine Zwölfjährige, die in ihrer Klasse sagt, was sie denkt. Als die Mädchen eine von ihnen hänseln und ausgrenzen, setzt sie sich zu ihr. „Komm, wir machen diese Aufgaben gemeinsam.“ Es kümmert sie nicht, was andere von ihr denken. Sie findet es einfach gemein, dass die anderen dieses Mädchen ausgrenzen. Eine Woche später entdeckt sie, dass jemand ihre Hefte mit einer klebrigen Masse verschmiert hat. Am nächsten Tag ist ihr Sitzkissen zerschnitten. Trotz mehrfacher Bemühungen der Lehrerin und der Eltern gelingt es nicht, die Verantwortlichen zu finden.
Die Schülerin ist der Stimme ihres Herzens gefolgt. Sie hatte den Mut, sich zu dieser Stimme zu bekennen. Sie erfuhr dafür selbst Ausgrenzung durch die Klassengemeinschaft. Ihr Mut, sich der Mehrheit entgegenzustellen, führte sie selbst ins Abseits.
In der Universität. Der Professor hält ein Seminar. Er verstrickt sich immer wieder in seinen Aussagen, versucht sich mit Abschweifungen auf ein anderes Thema zu retten. Am Ende der letzten Seminarstunde fragt er die Studierenden nach ihrem Feedback. Einer hebt die Hand. „Ich hätte mir gewünscht“, sagt er mit einem freundlichen Lächeln, „dass der Seminarleiter besser vorbereitet gewesen wäre.“ Die Kommilitonen halten den Atem an. „Danke“, sagt der Professor und ein feines Lächeln spielt um seine Lippen.
Mutproben sind das, die unbequeme Wahrheiten aussprechen. Mutproben, in denen sich Menschen selbst angreifbar machen um des anderen oder um der als wahr erkannten Sache willen. Mutproben, die auf einen Weg führen, dessen Ende sich nicht absehen lässt.
Noch größeren Mut hätte der Student benötigt, wenn er seine Prüfung an dieser Universität hätte ablegen müssen. So ist es nur die Situation selbst, die er aushält. „Warum hast du das getan?“ fragte ihn später eine Kommilitonin. „Ich habe mir überlegt: irgendjemand muss es ihm doch mal sagen“, antwortete er.
Irgendjemand muss doch den Leuten die Wahrheit sagen – die unbequeme, schmerzliche Wahrheit. Damit etwas geschehen kann. Damit sie sich ändern können. Die Wahrheit zu sagen – das erfordert Mut.
Unser Predigttext ist dem Jeremiabuch entnommen. Es erzählt von einer einzigartigen Reihe von Mutproben.
Sie werden dem Priestersohn Jeremia abverlangt, er wohnt in Anatot, einem Ort, vier Kilometer nordöstlich von Jerusalem gelegen. Dieses ereignet sich im Jahr 627/ 626 vor Christus. Jeremia soll als Prophet Gottes zu den Menschen in Israel reden. Er soll ihnen den Zorn Gottes deutlich machen. In unserem Predigttext schildert Jeremia seine Berufung zu dieser lebenslangen Mutprobe:
Jer. 1,4-10
Und des HERRN Wort geschah zu mir:
5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.
9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
Jeremia möchte seinen Mut nicht beweisen müssen. Er ist ein kluger junger Mann. Er weiß ganz genau, dass er sich mit unbequemen Reden außerhalb jeder sozialer Netzwerke begibt. Wer wird noch etwas mit ihm zu tun haben wollen, wenn er das Unheil ansagt, das Gott von Norden her über das Land bringen wird? Jenes Unheil, das sich bald darauf abzeichnet, den Krieg mit Nabopolasser, dem Neubabylonischen König. In die Verwirrung, die durch Zerstörung und die Vorbereitungen der Deportation unter den Israeliten entstanden ist, spricht Jeremia hinein. In dieser Auflösung der alten Ordnungen hört man seine Stimme, die darum ringt, die Israeliten zurück zum Glauben an ihren Gott Jahwe zu bringen. Er tritt an die Stelle der Priesterschaft, er redet dem Volk ins Gewissen, er erklärt die Kriegswirren und ihre Folgen als Strafe Gottes und als dessen letzten Versuch, sein Volk zu bekehren. Ungehalten ist Gott über sein Volk Israel. Er wirft ihm vor, dass es seinen Gott eintauschen möchte gegen andere Götter, gegen Götzen aus Stein oder Holz und Gold und Edelsteinen, die doch nicht helfen (Jer. 10) Scharfe Worte gegen Israel steigen in Jeremia auf. Worte, die in ihm brennen und herauswollen. Worte, die Gottes Liebe und seinen Zorn ausdrücken. Worte, die zur Umkehr nötigen. Er kann nicht schweigen. Das Wort Gottes ist stärker, es bricht sich Bahn, es will zu den Menschen. Jeremia kann nicht mehr zurück.
Kunstvoll beschreibt die Geschichte seiner Berufung, dass es nicht Jeremia selbst ist, der sich diese Reden ausdenkt. Gott selbst hat ihn berufen. Gegen seinen Protest. Gegen seinen Willen. Längst schon vor seiner Geburt war Jeremia ein Gedanke Gottes, ausersehen dazu, Gottes Bote zu sein. Seine Hilfe im Miteinander zwischen Gott und Mensch, zwischen Jahwe und seinem Volk. Er ist berufen dazu, gerade so er selbst zu sein, dass er Gottes Wort weitersagt, dass er Gottes Kritik dem Volk um die Ohren schlägt, dass er Gottes Sehnsucht nach den Menschen seines auserwählten Volkes zum Klingen bringt.
Er fügt sich in sein Schicksal. Er lässt das Wort geschehen. Und er wird dabei selbst zu einem Zeichen für das geschlagene Volk. Denn der Zorn der Getadelten richtet sich gegen Jeremia. Seine Kritik bewirkt gerade nicht, dass sie sich zu Gott bekehren. Der Ärger über die eigenen Fehler kehrt sich um und findet ein Ziel im Propheten. Mehr als einmal wird Jeremia als Folge seiner Reden verfolgt: einmal werfen sie ihn gar in eine schlammige Zisterne. Nur durch die Fürsprache des Schwarzafrikaners Ebed-Melech beim König wird er vor dem sicheren Tod durch Verhungern und Verdursten bewahrt. (Jer. 38, 6ff)
Jeremia wird so selbst zu einer Botschaft. Er erleidet am eigenen Leib das Zerbrechen der Beziehung Gottes mit seinem Volk. An ihm können sie sehen, wie es ihnen selbst eigentlich geht. Er steht damit ganz dicht bei ihnen und ist dennoch Gegenüber, mutiges, mahnendes Gegenüber. Ach, könnten sie doch erspüren, was dieses Leid für ihren Gott bedeutet. Hätten sie doch ein Einsehen mit Jeremia und mit Gott. Es würde sich endlich etwas ändern. Die Mutproben des Jeremia fordern zu einer Stellungnahme. Man kann nicht so tun, als hätte man ihn nicht gesehen, ihn nicht gehört, sein Leiden nicht erkannt. Er steht als ein lebendiges Mahnmal vor ihren Augen.
Woher nimmt Jeremia den Mut, sich immer wieder kompromisslos einzusetzen für seinen Gott? Wie schafft er es, diese Mutproben zu bestehen?
Einen Hinweis gibt uns die Berufungsgeschichte: Gott spricht und Jeremia antwortet ihm. Immer wieder vernimmt er seine Stimme, erhält er neue Aufträge von Gott, steigen in ihm neue Worte auf, die er weitersagen soll. Er bleibt in einem beständigen Dialog mit seinem Gott und mit den Israeliten. Er denkt mit, er fühlt mit, er sehnt sich mit Gott nach Heilung ihrer Beziehung. Das Leid, das ihm widerfährt, klagt er Gott in mehreren eindrücklichen Klageliedern. Er protestiert und weiß doch: allein Gott kann seinen Protest entgegennehmen und das Blatt wenden. Wie es genau geschieht, dass er Antwort erhält und die Kraft, weiterzumachen, wird nicht erzählt. In der Berufungsgeschichte ist es der lebendige Gott, der ihm die Worte in den Mund legt und ihm Mut zuspricht. „Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten.“ Manchmal stehen ihm auch Menschen zur Seite wie der Schwarzafrikaner, der ihn aus der Zisterne rettet. Auch er zeigt Mut. Sein Mut tut Jeremia gut.
Aus dem Gespräch mit Gott erwachsen Jeremia Hoffnungsbilder für ein gutes Miteinander von Gott und Mensch und für das Heilwerden der Welt. Er verheißt schließlich dem Haus des Königs David den einen gerechten Spross, jenen König, der Versöhnung und Heil schaffen wird. Die christliche Welt hat diesen verheißenen König in Jesus Christus gesehen, sechshundert Jahre nach dem Propheten Jeremia lehrte und heilte er in Israel. Sein Mut, sich für den Nächsten einzusetzen, erwuchs aus dem innigen Gespräch mit Gott. Er spürte in sich die Liebe, die Gott für alle Menschen hat. So war es für ihn nur noch ein kleiner Schritt, sich an die Seite der Menschen zu stellen, die dies noch nicht erfahren hatten. Diese Liebe lebt weiter und verändert die Welt. In seiner Nachfolge lernen wir die Welt neu zu verstehen als Ort, an dem jede und jeder berufen ist, in dieser Liebe zu leben.
Wir können nicht vorhersagen, welche Mutproben von uns gefordert sein werden. Wir können hoffen und beten, dass wir sie bestehen werden. Und wir können uns vorbereiten: indem wir auf die Stimme der Liebe in uns hören und mit Gott im Gespräch bleiben in allem, was uns bewegt. Vielleicht ist es dann auch uns einmal vergönnt zu erleben, dass unser Mut anderen gut tut.
Perikope