Predigt über Jeremia 20, 7-13 von Dörte Gebhard
20,7
Liebe Gemeinde,
über Christen kann man sich sehr gut lustig machen.
Manche wollen auch nur provozieren, um damit für irgendetwas Werbung zu machen, um Aufmerksamkeit zu erregen ohne Rücksicht auf Verluste, nur mit Rücksicht auf den Gewinn …
Man kann auch milde lächeln über die merkwürdige Angewohnheit der Nachbarin, sonntags in die Kirche zu gehen und hinter vorgehaltener Hand darüber lästern, dass sie von montags bis freitags auch nicht besser ist als andere Leute.
Man kann in den Zeitungen bissige, zuweilen richtig falsche (!), manchmal aber auch wahrhaftig lächerliche Nachrichten über Gottes Bodenpersonal lesen.
Man kann mit seiner Häme in den Chatforen des Internets anonym-öffentlich über jeglichen Glauben und alle Hoffnungen auf eine andere, bessere, gerechtere Welt herziehen.
Jede hier kennt das, jeder hier hat es schon erlebt oder davon gehört. Ich male das Gemeinte daher nur in zwei extrem kurzen Exempeln aus.
Das erste geschah an einem ungewöhnlichen ‚All-tag‘ im Leben eines Schweizer Dorfpfarrers. Jemand möchte aus der Kirche austreten und erklärt schriftlich zuhanden der Kirchgemeinde: „Sehr geehrter Herr [Pfarrer], hiermit trete ich aus der Kirchgemeinde aus. […] Besten Dank für Ihr Verständnis und viel Spaß in der Hölle (auch Sie schaffen es nicht, bis ans Lebensende sündfrei zu bleiben)!“ In diesen Zeilen kann man die Unwissenheit lesen und zwischen diesen Zeilen kann man die boshafte Freude hören, die jemand beim Verfassen solcher Briefe offenbar empfinden kann.
Das zweite Beispiel stammt aus einem gewöhnlichen Seminargespräch mit Theologiestudierenden an einer deutschen Universität: Einige berichteten in einer Debatte über die Berufsaussichten, wie ätzend sie erst verlacht und dann gemieden werden, wenn sie Freitagabend an einer Studi-Party erzählen, dass sie Pfarrerin oder Pfarrer werden wollen. Eine Kommilitonin meinte gar, dass diese Situation das eigentliche Examen, die wesentliche Berufseignungsprüfung sei, nicht die vielen schriftlichen Klausuren und mündlichen Prüfungen im Landeskirchenamt am Ende einer langen Lernphase in allen theologischen Fächern. Und die Studierenden erzählten auch, dass sie manchmal lügen und leugnen wie seinerzeit Petrus, als die Magd ihn fragt, ob er nicht auch zu diesem Jesus gehört, weil sie den Spott nicht alle Tage aushalten.
Liebe Gemeinde,
über Christen kann man sich sehr gut lustig machen.
Über Glaubende konnte man schon immer höhnen.
Keineswegs ist unsere Generationen die ersten, die solches zu ertragen haben. Hohn und Häme gegenüber praktiziertem Gottvertrauen, gegenüber ausdrücklicher Hoffnung sind genauso alt wie Glaube, Liebe und Hoffnung selbst.
Verspottet und ausgelacht wurden glaubende Menschen zu allen Zeiten, nicht erst seit der Neuzeit oder gar erst seit der Aufklärung mit ihrem allzu großen Vertrauen auf die menschliche Vernunft. Aber nicht nur Glaube und Gespött sind ganz gleichzeitige Phänomene, jeder der Neues denkt, kann davon ein bitteres Lied singen: Honoré de Balzac, der große französischer Romancier, verallgemeinert und präzisiert diese Beobachtung über die Religion hinaus: „Wenn man die Entwicklungsgeschichte neuer Ideen verfolgt, so fehlt die Periode der Verhöhnung niemals.“ Wenn das auch übertrieben sein mag, für den Glauben an einen unsichtbaren Gott gilt es allemal.
In den Klagepsalmen des Alten Testaments wird oft vor Gott geklagt. Und dann nicht nur über leise Ironie oder sarkastische Scherze! Gott wird das „Totgelächter“ der Mitmenschen über sein Schweigen und sein Nichteingreifen geklagt. Es geht dabei nicht um Details der Frömmigkeitspraxis, nicht um sonderbare Traditionen, Riten und Gebräuche oder nicht ernstzunehmende Religionsdiener, sondern um den Grund des Gottvertrauens selbst. Es geht nicht um peinliche oder penetrante Pfarrer, mittelalterliche Reglemente oder total altmodische Ansichten über Gott und die Welt. Es geht um die offene Wunde, an der sich die Frage entzündet, warum und wozu Gott Menschen leiden lässt, es geht um Gottes Ferne, die sogar Propheten fluchen lässt!
Jeremia, wohl lebenslanger Dichter und Denker von Klagepsalmen, verwünscht den Tag seiner Geburt, verwünscht das Leben, das ihm geschenkt wurde:
14 Verflucht ist der Tag,
an dem ich geboren wurde;
der Tag, an dem meine Mutter mich geboren hat,
er sei nicht gesegnet.
15 Verflucht ist der Mann, der meinem Vater die Botschaft brachte:
Ein Sohn ist dir geboren worden!
Wie glücklich hat er ihn gemacht!
18 Warum nur kam ich aus dem Mutterleib?
Um Mühsal zu sehen und Qual? (Jer 20, 14f.18a)
Aber Jeremia wurde – nach Gottes Willen – doch geboren und hat gelebt, so dass wir immer noch in seinen Worten nach Ausweg aus dem Leiden an Spott und Hohn suchen können.
Der heutige Predigttext ist Jeremias sogenannte fünfte Klage, ich lese aus seinem Prophetenbuch aus dem 20. Kapitel:
Jeremias fünfte Klage
7 Du hast mich überredet, HERR,
und ich habe mich überreden lassen;
du bist stärker als ich,
und du hast gewonnen;
den ganzen Tag lang bin ich ein Gespött,
jeder macht sich lustig über mich.
8 Denn wenn immer ich rede, schreie ich auf.
Gewalttat und Unterdrückung!, rufe ich.
Denn den ganzen Tag lang
gereicht mir das Wort des HERRN zu Hohn und Spott.
9 Und wenn ich sage: Ich werde nicht an ihn denken
und nicht mehr in seinem Namen sprechen!,
dann wird es in meinem Herzen wie brennendes Feuer,
eingeschlossen in meinem Gebein.
Und ich habe mich abgemüht, es zu ertragen,
und ich kann es nicht.
10 Von vielen habe ich Gerede gehört:
Grauen ringsum! Erstattet Bericht!
Lasst uns Bericht erstatten!
Alle, mit denen ich Frieden hielt, lauern auf meinen Fall:
Vielleicht lässt er sich verleiten, dann wollen wir ihn überwältigen
und unsere Rache an ihm nehmen!
11 Der HERR aber ist bei mir, wie ein mächtiger Held,
deshalb werden meine Verfolger straucheln,
und sie können nicht gewinnen.
[In tiefer Schande stehen sie da
und ohne Erfolg!
Eine ewige Schmach,
sie wird nicht vergessen werden!
12 Der HERR der Heerscharen aber prüft den Gerechten,
er sieht Nieren und Herz.
Deine Rache an ihnen werde ich sehen,
denn dir habe ich meinen Rechtsstreit anvertraut.
13 Singt dem HERRN,
lobt den HERRN,
denn aus der Hand der Übeltäter
hat er das Leben des Armen gerettet.]
Liebe Gemeinde,
es ging Jeremia keinesfalls besser als heute. Es fällt sofort auf:
Er wird nicht etwas ausgelacht, sondern immer – den ganzen Tag lang – zum Gespött der Leute.
Er hat alles versucht, auch, von Gott zu schweigen, wie es heute wohl manche tun, weil sie es nicht ertragen. Jeremia kann seine „Religion“, seine Bindung an Gott, nicht als Privatsache für sich behalten, denn dann wird es in meinem Herzen wie brennendes Feuer,
eingeschlossen in meinem Gebein.
Und ich habe mich abgemüht, es zu ertragen,
und ich kann es nicht.
Jeremia musste mit dem Spott leben lernen. Jesus und die Seinen, die ersten Christinnen und Christen erlebten Verachtung und Verleumdungen mindestens ebenso schrecklich, aber es war für sie in einem schrecklichen Sinne „ganz normal“. Liest man die Passionsberichte Jesu, scheint es nichts gegeben zu haben, worüber man nicht tödlich höhnen konnte. Die Beschreibungen der furchtbaren Soldaten, der Dornenkrone, der Kreuzesinschrift, vor allem aber der messerscharfen, unerträglichen Worte nehmen bei Markus fast mehr Raum ein als die körperlichen Leiden Jesu. Keine Verunglimpfung und keine Beleidung, keine Schmähung und keine Schändung, keine Entehrung und keine Herabwürdigung fehlt, auch nicht eine.
Liebe Gemeinde,
Jeremia musste mit dem Spott leben lernen, Jesus musste sterben damit, wir müssen es immer noch lernen, unsere Nachfahren werden vorn anfangen, so viel ist sicher, ganz gleich, ob der Spott dann immer noch massenmedial heranflutet oder ganz persönlich zugemutet wird oder beides zugleich geschieht. Das alte, deutsche Sprichwort: „Wenn dich die Lästerzunge sticht, dann lass dir dies zum Troste sagen:/Die schlechtesten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen.“, hilft vielleicht auch in Zukunft noch, aber gewiss nicht in schweren Fällen.
Gegenwärtig gilt es, gelegentlich das so genannte „kleine Martyrium“[1] zu erleiden. Uns heutigen, europäischen (!) Christen steht kein blutiges Martyrium bevor, aber wohlmöglich ein Martyrium aus Worten.
Ernst Lange, ein Theologe des 20. Jahrhunderts, schreibt: „Das Martyrium, gerade das kleine Martyrium, in dem es keineswegs darum geht, sich totschlagen, sondern nur darum, sich kaltstellen, totschweigen, auslachen zu lassen, ist ja in der Regel die unheroischste aller Weisen zu leiden.“
Ernst Lange kennt nur einen Ort, wo es ein Gegenmittel gegen das Gift der Diffamierung gibt: die lebendige Gemeinschaft der Christenheit und er bemerkt trocken, vielleicht auch mit einem Schuss Ironie: „Es ist nicht selbstverständlich, dass er sie findet.“
Aber Hilfe kommt auch von außen. Jan Ross, der deutsche Journalist, hat den Kirchen ins Stammbuch geschrieben, dass sie ihr Streben auf Respekt richten sollen. Jegliche Versuche, mit Nettigkeit viele oder gar alle Menschen zu erreichen, werden scheitern. Weder können Kirche und Theologie Liebe fordern noch erzwingen. Aber: noch ehemalige und stets problematische Autorität restaurieren, sondern mit ganzer Kraft für Respekt werben, für sich und andere. „Ein kleiner Schuss Elitebewusstsein, neben aller Demut und Nächstenliebe, würde dem Glauben und den Gläubigen im 21. Jahrhundert nicht schaden. Es ist ja nicht mehr so wie vielleicht zur Zeit unserer Urgroßeltern, dass die Duckmäuser in die Kirche gehen und die Ausnahmemenschen gegen Gott rebellieren. Religiosität heute verlangt vielmehr eine Portion Nonkonformismus, ein etwas längeres kulturelles Gedächtnis, den Sinn für eine Dimension mehr in der Wirklichkeit. Kein Grund, die Nase hoch zu tragen, wohl aber den Kopf.“[2]
Wenn uns dann auf das erhobene Haupt von irgendwem die Narrenkappe gesetzt wird, könnte sie von uns allen mit Würde getragen werden im Wissen darum, dass keine Gesellschaft ohne Narren auskommt, die die Wahrheiten sagen, die sonst unveröffentlicht blieben.
Jeremia macht das vor: Denn wenn immer ich rede, schreie ich auf.
Gewalttat und Unterdrückung!, rufe ich.
Zuletzt ist festzuhalten, dass die ‚Spottbisse‘ der Zeitgenossen genauso lästig, wie unerlässlich, genauso penetrant wie permanent wirksam sind , damit wir ganz zuletzt mit Jeremia bekennen können: Du, Herr, bist stärker als ich, und du hast gewonnen. […] Der Herr ist bei mir.
Und der Friede Gottes, die höher sind als unsere Vernunft, stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, Amen.
[1]Alle Zitate bei Lange, Ernst: Chancen des Alltags. Überlegungen zur Funktion des christlichen Gottesdienstes in der Gegenwart, Stuttgart/Gelnhausen 1965, S. 160f.
[2]Vgl. Ross, Jan, Mehr Gott wagen. Kleine Handreichung zum Kirchentag, in: Die Zeit, Nr. 23, 2003 (www.zeit.de/2003/23/01_Leiter_1), S. 2.
über Christen kann man sich sehr gut lustig machen.
Manche wollen auch nur provozieren, um damit für irgendetwas Werbung zu machen, um Aufmerksamkeit zu erregen ohne Rücksicht auf Verluste, nur mit Rücksicht auf den Gewinn …
Man kann auch milde lächeln über die merkwürdige Angewohnheit der Nachbarin, sonntags in die Kirche zu gehen und hinter vorgehaltener Hand darüber lästern, dass sie von montags bis freitags auch nicht besser ist als andere Leute.
Man kann in den Zeitungen bissige, zuweilen richtig falsche (!), manchmal aber auch wahrhaftig lächerliche Nachrichten über Gottes Bodenpersonal lesen.
Man kann mit seiner Häme in den Chatforen des Internets anonym-öffentlich über jeglichen Glauben und alle Hoffnungen auf eine andere, bessere, gerechtere Welt herziehen.
Jede hier kennt das, jeder hier hat es schon erlebt oder davon gehört. Ich male das Gemeinte daher nur in zwei extrem kurzen Exempeln aus.
Das erste geschah an einem ungewöhnlichen ‚All-tag‘ im Leben eines Schweizer Dorfpfarrers. Jemand möchte aus der Kirche austreten und erklärt schriftlich zuhanden der Kirchgemeinde: „Sehr geehrter Herr [Pfarrer], hiermit trete ich aus der Kirchgemeinde aus. […] Besten Dank für Ihr Verständnis und viel Spaß in der Hölle (auch Sie schaffen es nicht, bis ans Lebensende sündfrei zu bleiben)!“ In diesen Zeilen kann man die Unwissenheit lesen und zwischen diesen Zeilen kann man die boshafte Freude hören, die jemand beim Verfassen solcher Briefe offenbar empfinden kann.
Das zweite Beispiel stammt aus einem gewöhnlichen Seminargespräch mit Theologiestudierenden an einer deutschen Universität: Einige berichteten in einer Debatte über die Berufsaussichten, wie ätzend sie erst verlacht und dann gemieden werden, wenn sie Freitagabend an einer Studi-Party erzählen, dass sie Pfarrerin oder Pfarrer werden wollen. Eine Kommilitonin meinte gar, dass diese Situation das eigentliche Examen, die wesentliche Berufseignungsprüfung sei, nicht die vielen schriftlichen Klausuren und mündlichen Prüfungen im Landeskirchenamt am Ende einer langen Lernphase in allen theologischen Fächern. Und die Studierenden erzählten auch, dass sie manchmal lügen und leugnen wie seinerzeit Petrus, als die Magd ihn fragt, ob er nicht auch zu diesem Jesus gehört, weil sie den Spott nicht alle Tage aushalten.
Liebe Gemeinde,
über Christen kann man sich sehr gut lustig machen.
Über Glaubende konnte man schon immer höhnen.
Keineswegs ist unsere Generationen die ersten, die solches zu ertragen haben. Hohn und Häme gegenüber praktiziertem Gottvertrauen, gegenüber ausdrücklicher Hoffnung sind genauso alt wie Glaube, Liebe und Hoffnung selbst.
Verspottet und ausgelacht wurden glaubende Menschen zu allen Zeiten, nicht erst seit der Neuzeit oder gar erst seit der Aufklärung mit ihrem allzu großen Vertrauen auf die menschliche Vernunft. Aber nicht nur Glaube und Gespött sind ganz gleichzeitige Phänomene, jeder der Neues denkt, kann davon ein bitteres Lied singen: Honoré de Balzac, der große französischer Romancier, verallgemeinert und präzisiert diese Beobachtung über die Religion hinaus: „Wenn man die Entwicklungsgeschichte neuer Ideen verfolgt, so fehlt die Periode der Verhöhnung niemals.“ Wenn das auch übertrieben sein mag, für den Glauben an einen unsichtbaren Gott gilt es allemal.
In den Klagepsalmen des Alten Testaments wird oft vor Gott geklagt. Und dann nicht nur über leise Ironie oder sarkastische Scherze! Gott wird das „Totgelächter“ der Mitmenschen über sein Schweigen und sein Nichteingreifen geklagt. Es geht dabei nicht um Details der Frömmigkeitspraxis, nicht um sonderbare Traditionen, Riten und Gebräuche oder nicht ernstzunehmende Religionsdiener, sondern um den Grund des Gottvertrauens selbst. Es geht nicht um peinliche oder penetrante Pfarrer, mittelalterliche Reglemente oder total altmodische Ansichten über Gott und die Welt. Es geht um die offene Wunde, an der sich die Frage entzündet, warum und wozu Gott Menschen leiden lässt, es geht um Gottes Ferne, die sogar Propheten fluchen lässt!
Jeremia, wohl lebenslanger Dichter und Denker von Klagepsalmen, verwünscht den Tag seiner Geburt, verwünscht das Leben, das ihm geschenkt wurde:
14 Verflucht ist der Tag,
an dem ich geboren wurde;
der Tag, an dem meine Mutter mich geboren hat,
er sei nicht gesegnet.
15 Verflucht ist der Mann, der meinem Vater die Botschaft brachte:
Ein Sohn ist dir geboren worden!
Wie glücklich hat er ihn gemacht!
18 Warum nur kam ich aus dem Mutterleib?
Um Mühsal zu sehen und Qual? (Jer 20, 14f.18a)
Aber Jeremia wurde – nach Gottes Willen – doch geboren und hat gelebt, so dass wir immer noch in seinen Worten nach Ausweg aus dem Leiden an Spott und Hohn suchen können.
Der heutige Predigttext ist Jeremias sogenannte fünfte Klage, ich lese aus seinem Prophetenbuch aus dem 20. Kapitel:
Jeremias fünfte Klage
7 Du hast mich überredet, HERR,
und ich habe mich überreden lassen;
du bist stärker als ich,
und du hast gewonnen;
den ganzen Tag lang bin ich ein Gespött,
jeder macht sich lustig über mich.
8 Denn wenn immer ich rede, schreie ich auf.
Gewalttat und Unterdrückung!, rufe ich.
Denn den ganzen Tag lang
gereicht mir das Wort des HERRN zu Hohn und Spott.
9 Und wenn ich sage: Ich werde nicht an ihn denken
und nicht mehr in seinem Namen sprechen!,
dann wird es in meinem Herzen wie brennendes Feuer,
eingeschlossen in meinem Gebein.
Und ich habe mich abgemüht, es zu ertragen,
und ich kann es nicht.
10 Von vielen habe ich Gerede gehört:
Grauen ringsum! Erstattet Bericht!
Lasst uns Bericht erstatten!
Alle, mit denen ich Frieden hielt, lauern auf meinen Fall:
Vielleicht lässt er sich verleiten, dann wollen wir ihn überwältigen
und unsere Rache an ihm nehmen!
11 Der HERR aber ist bei mir, wie ein mächtiger Held,
deshalb werden meine Verfolger straucheln,
und sie können nicht gewinnen.
[In tiefer Schande stehen sie da
und ohne Erfolg!
Eine ewige Schmach,
sie wird nicht vergessen werden!
12 Der HERR der Heerscharen aber prüft den Gerechten,
er sieht Nieren und Herz.
Deine Rache an ihnen werde ich sehen,
denn dir habe ich meinen Rechtsstreit anvertraut.
13 Singt dem HERRN,
lobt den HERRN,
denn aus der Hand der Übeltäter
hat er das Leben des Armen gerettet.]
Liebe Gemeinde,
es ging Jeremia keinesfalls besser als heute. Es fällt sofort auf:
Er wird nicht etwas ausgelacht, sondern immer – den ganzen Tag lang – zum Gespött der Leute.
Er hat alles versucht, auch, von Gott zu schweigen, wie es heute wohl manche tun, weil sie es nicht ertragen. Jeremia kann seine „Religion“, seine Bindung an Gott, nicht als Privatsache für sich behalten, denn dann wird es in meinem Herzen wie brennendes Feuer,
eingeschlossen in meinem Gebein.
Und ich habe mich abgemüht, es zu ertragen,
und ich kann es nicht.
Jeremia musste mit dem Spott leben lernen. Jesus und die Seinen, die ersten Christinnen und Christen erlebten Verachtung und Verleumdungen mindestens ebenso schrecklich, aber es war für sie in einem schrecklichen Sinne „ganz normal“. Liest man die Passionsberichte Jesu, scheint es nichts gegeben zu haben, worüber man nicht tödlich höhnen konnte. Die Beschreibungen der furchtbaren Soldaten, der Dornenkrone, der Kreuzesinschrift, vor allem aber der messerscharfen, unerträglichen Worte nehmen bei Markus fast mehr Raum ein als die körperlichen Leiden Jesu. Keine Verunglimpfung und keine Beleidung, keine Schmähung und keine Schändung, keine Entehrung und keine Herabwürdigung fehlt, auch nicht eine.
Liebe Gemeinde,
Jeremia musste mit dem Spott leben lernen, Jesus musste sterben damit, wir müssen es immer noch lernen, unsere Nachfahren werden vorn anfangen, so viel ist sicher, ganz gleich, ob der Spott dann immer noch massenmedial heranflutet oder ganz persönlich zugemutet wird oder beides zugleich geschieht. Das alte, deutsche Sprichwort: „Wenn dich die Lästerzunge sticht, dann lass dir dies zum Troste sagen:/Die schlechtesten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen.“, hilft vielleicht auch in Zukunft noch, aber gewiss nicht in schweren Fällen.
Gegenwärtig gilt es, gelegentlich das so genannte „kleine Martyrium“[1] zu erleiden. Uns heutigen, europäischen (!) Christen steht kein blutiges Martyrium bevor, aber wohlmöglich ein Martyrium aus Worten.
Ernst Lange, ein Theologe des 20. Jahrhunderts, schreibt: „Das Martyrium, gerade das kleine Martyrium, in dem es keineswegs darum geht, sich totschlagen, sondern nur darum, sich kaltstellen, totschweigen, auslachen zu lassen, ist ja in der Regel die unheroischste aller Weisen zu leiden.“
Ernst Lange kennt nur einen Ort, wo es ein Gegenmittel gegen das Gift der Diffamierung gibt: die lebendige Gemeinschaft der Christenheit und er bemerkt trocken, vielleicht auch mit einem Schuss Ironie: „Es ist nicht selbstverständlich, dass er sie findet.“
Aber Hilfe kommt auch von außen. Jan Ross, der deutsche Journalist, hat den Kirchen ins Stammbuch geschrieben, dass sie ihr Streben auf Respekt richten sollen. Jegliche Versuche, mit Nettigkeit viele oder gar alle Menschen zu erreichen, werden scheitern. Weder können Kirche und Theologie Liebe fordern noch erzwingen. Aber: noch ehemalige und stets problematische Autorität restaurieren, sondern mit ganzer Kraft für Respekt werben, für sich und andere. „Ein kleiner Schuss Elitebewusstsein, neben aller Demut und Nächstenliebe, würde dem Glauben und den Gläubigen im 21. Jahrhundert nicht schaden. Es ist ja nicht mehr so wie vielleicht zur Zeit unserer Urgroßeltern, dass die Duckmäuser in die Kirche gehen und die Ausnahmemenschen gegen Gott rebellieren. Religiosität heute verlangt vielmehr eine Portion Nonkonformismus, ein etwas längeres kulturelles Gedächtnis, den Sinn für eine Dimension mehr in der Wirklichkeit. Kein Grund, die Nase hoch zu tragen, wohl aber den Kopf.“[2]
Wenn uns dann auf das erhobene Haupt von irgendwem die Narrenkappe gesetzt wird, könnte sie von uns allen mit Würde getragen werden im Wissen darum, dass keine Gesellschaft ohne Narren auskommt, die die Wahrheiten sagen, die sonst unveröffentlicht blieben.
Jeremia macht das vor: Denn wenn immer ich rede, schreie ich auf.
Gewalttat und Unterdrückung!, rufe ich.
Zuletzt ist festzuhalten, dass die ‚Spottbisse‘ der Zeitgenossen genauso lästig, wie unerlässlich, genauso penetrant wie permanent wirksam sind , damit wir ganz zuletzt mit Jeremia bekennen können: Du, Herr, bist stärker als ich, und du hast gewonnen. […] Der Herr ist bei mir.
Und der Friede Gottes, die höher sind als unsere Vernunft, stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, Amen.
[1]Alle Zitate bei Lange, Ernst: Chancen des Alltags. Überlegungen zur Funktion des christlichen Gottesdienstes in der Gegenwart, Stuttgart/Gelnhausen 1965, S. 160f.
[2]Vgl. Ross, Jan, Mehr Gott wagen. Kleine Handreichung zum Kirchentag, in: Die Zeit, Nr. 23, 2003 (www.zeit.de/2003/23/01_Leiter_1), S. 2.
Perikope