Predigt über Jeremia 29, 1.4-7.10-14 von Anita Christians-Albrecht - hochdeutsch
29,1
21. Sonntag nach Trinitatis
Predigt zu Jer 29,1.4-7.10-14
von Anita Christians-Albrecht
Beauftragte der Landeskirche Hannovers für die Verkündigung in plattdeutscher Sprache und Pastorin in Bröckel, KK Celle
 
PREDIGTTEXT
1 Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte, 
4 So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: 5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; 6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. 7 Suchet der Stadt Bestes, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl. 10 Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. 11 Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. 12 Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören.13 Denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, 14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.
 
 
 
PREDIGT
 
Wann ist das endlich vorbei? Wann kann ich wieder normal leben? Wann ist endlich wieder alles so wie früher?
Diese Fragen kennen wir, liebe Gemeinde, wenn wir in einer Krise stecken.
Wer arbeitslos ist, fragt sich: Wann gehöre ich wieder dazu? Wie lange dauert es noch, bis ich eine neue Stelle finde?  
Wer Liebeskummer hat, denkt: Wann kann ich glückliche Paare wieder ertragen?
Wer krank ist, überlegt: Wie lange bin ich noch außer Gefecht gesetzt? Wann läuft mein Leben wieder normal?
Wer einen Menschen verloren hat, will wissen: Wann kann ich aufhören zu weinen? Wie lange dauert es noch, bis sich mein schweres Herz wieder leichter anfühlt?
In Krisenzeiten fühlt man sich fremd im eigenen Leben, meint, am falschen Ort zu sein oder im falschen Film zu spielen.
Wie lange wird es noch dauern?
Das haben die Israeliten sich in der tiefsten Krise ihres Volkes auch gefragt.
Was ist passiert?
Wir befinden uns im 6. Jahrhundert vor Christus. Babylonische Truppen haben die Israeliten geschlagen und Jerusalem erobert. Und der babylonische König Nebukadnezar weiß, wie er der feindlichen Stadt am meisten schaden kann. Er deportiert die Oberschicht.  Menschen mit Wissen und Können siedelt er in Babylon an.
Der König ist großzügig. Die neuen Bürger bekommen Wohnungen und Arbeit, sie genießen Religionsfreiheit. Und so schlecht ist es in Babylon eigentlich gar nicht. Wissenschaft und Technologie sind hoch entwickelt, und die Landschaft ist wunderschön. Aber die Israeliten sitzen ‚by the rivers of Babylon’ und jammern über ihr Schicksal. Sie sehnen sich nach ihrer Vergangenheit und wollen zurück in ihr altes Leben.
Bald wird alles gut werden, bald wird man wieder in Jerusalem sein. Bald wird alles wie früher. Das behaupten auch ihre Propheten.
So, wie wir uns in den Krisen unseres Lebens ja auch gerne beschwichtigen lassen: Bald bist du wieder auf den Beinen. Bald hast du wieder Kraft. Bald tut es nicht mehr weh. Die Zeit heilt alle Wunden.
In dieser Situation erreicht die Israeliten nun ein Brief des Propheten Jeremia, der in Jerusalem zurückgeblieben ist. Und der Predigttext für heute erzählt uns, was er seinen Landsleuten im Auftrag Gottes sagt:
 
TEXTLESUNG (Jer. 29,1.4-7.10-14)
 

  Jeremia mutet den Menschen in der Fremde einiges zu. Nein, prophezeit er, so bald kommt ihr nicht zurück. 70 Jahre wird das Exil noch mindestens dauern, drei Generationen. Erst Eure Enkel werden es erleben. Ihr nicht mehr.
  Harte Worte.
  Mit dieser Krankheit musst du leben.
  Deine Trauer wird dich dein Leben lang begleiten.
  Arbeit wirst du in deinem Alter nicht mehr finden.
  Es ist Zeit, die Realität zu akzeptieren.
  Bei diesem Rat aber bleibt Jeremia nicht stehen. Er beantwortet den Menschen in der Fremde zunächst einmal ihre wichtigste Frage: Die Frage danach, wo Gott denn eigentlich ist, jetzt, wo es ihnen schlecht geht und sie sich fremd fühlen. Jetzt, wo all das, worauf sie sich bisher verlassen haben, nicht mehr da ist und nicht mehr gilt.
  Jeremia sagt: Gott ist auch jetzt da.
  Wirhaben diesen Satz schon oft gehört und können vielleicht auch darauf vertrauen. Für die deportierten Israeliten war er revolutionär.
  Gott war im Tempel, in Jerusalem, in ihrem Land. Ohne das alles war Gott nicht denkbar. Und darum war nicht nur der Tempel, sondern auch ihr Glaube zerstört. Seht her, hatten die Babylonier triumphiert: Euer Gott ist besiegt, den könnt ihr vergessen.
  Jeremia sagt: Gott ist da, auch in der Fremde. Sucht ihn, überall, wo ihr seid! Er wird sich finden lassen! Er ist nicht gebunden, weder an einen Ort noch an eine bestimmte Form, nicht mal an eine Kirche. Er ist bei euch.
  Gottselbst sagt das seinen Menschen durch seinen Propheten. Er sagt es denen, die meinen, Gott habe sie verlassen.
  Richtet euch ein an dem Ort, an dem ihr jetzt seid, rät Jeremia ihnen deshalb. Lebt in der Gegenwart.
  Natürlich kann man sich einreden, dass früher alles besser war oder dass irgendwann in der Zukunft alles besser werden wird. Aber das hilft einem nicht weiter.
  Lebt da richtig und bewusst, wo ihr seid, sagt Jeremia, aber verliert das Ziel nicht aus den Augen. Ihr alle habt noch ei­ne andere Bestimmung, eine größere Hoffnung als zu bauen, zu pflanzen und euren Alltag zu gestalten. Eine Bestimmung, die Gott  
  euch gibt. Bewahrt euch die Sehnsucht danach!
  Mehr als 2500 Jahre liegt das alles zurück, und doch können wir die Situation der Israeliten im Exil und unsere Situation als Christen im 21. Jahrhundert gut miteinander vergleichen.
  Auch wir leben mitten in dieser Welt, und wir sollen in dieser Welt leben. Wir richten uns ein, gründen Familien, leben unser Leben. Aber wir wissen auch, dass dieses Leben vergänglich und längst nicht alles ist. Wir vertrauen darauf, dass Gott uns und alles letztendlich zu einem guten Ende führt. Und in diesem Vertrauen können wir unsere Verantwortung für diese Welt wahrnehmen.
  Suchet der Stadt Bestes“, sagt Jeremia dann auch. Denn wenn es  dem Ort, an dem ihr lebt, gut geht, geht es auch euch gut.
  „Kümmert euch um den Frieden der Stadt“, steht da wörtlich. Und wir wissen mittlerweile, was mit diesem „Shalom“ gemeint ist: Soziale Gerechtigkeit und Frieden für alle und Gott in der Mitte.
  Auch wenn ihr den Eindruck habt, in einer Welt zu leben, in der der Glaube keine Rolle mehr spielt, in der man nicht nach Gott fragt, zieht euch deshalb nicht zurück, fordert Jeremia auf, sondern setzt euch ein – für diesen Frieden.
  Das kann man nur, wenn man weiß, dass Gottes Wege mit seinem Volk weiter gehen, als man im Moment schauen kann. Ich gebe euch Zukunft und Hoffnung, lässt Gott uns deshalb durch Jeremia sagen, wenn auch nach meiner Zeitrechnung und nach meinen Maßstäben. Also kein leichtfertiges: Kopf hoch! Das wird schon wieder! Sondern die Zusage: Am Ende wird es gut. Auch wenn diese Hoffnung einen langen Atem braucht.
  Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.
  Einer der schönsten Verse der Bibel. Er erzählt von Gottes guten Gedanken und seinen Verheißungen.  
  Und? Was hilft das?
  Vor einiger Zeit wurde von einem wissenschaftlichen Experiment in Amerika berichtet[1]. In diesem Test ging es um Schokolade, die ja bekanntlich im Gehirn das Hormon Serotonin aktiviert und uns dadurch glücklich macht.
  Es sollte untersucht werden, ob dieser Effekt noch gesteigert werden kann.
  An die Probanden wurden völlig gleich aussehende kleine Schokoladentäfelchen mit gleichem Inhalt verteilt. Was sie nicht wussten, war Folgendes: Ein Teil der Schokolade war im Kloster gewesen. Die Mönche waren gebeten worden, die Täfelchen beim Beten und Meditieren zwischen sich zu legen und zu denken: Der Mensch, der diese Schokolade isst, soll körperlich und seelisch gestärkt werden und eine besondere Energie spüren.
  Eine Gruppe bekam diese Schokolade, eine andere quasi ‚unbehandelte’. Danach mussten die Probanden anhand von Fragebögen ihre Stimmungen beschreiben.
  Das Ergebnis war eindeutig, ob man’s nun glauben kann oder nicht. Wohlbefinden, und Laune waren bei den Menschen, die die Klosterschokolade bekommen hatten, wesentlich besser als bei denen, die nur die „normale“ Schokolade essen durften.
  Vielleicht haben Sie Lust, liebe Gemeinde, ähnliche Versuche in der nächsten Woche auch einmal durchzuführen.
  Der Versuch beweist, was wir aus allen Religionen kennen, nämlich die Kraft der guten Gedanken, des Segens, des Betens.
  Und wenn das schon mit menschlichen Gedanken und guten Wünschen funktioniert, wie gelassen und froh können wir dann doch leben, wenn wir uns auf Gottes gute Gedanken und seinen Segen verlassen können und wissen, dass er uns seinen Frieden und seine Hoffnung und seine Zukunft zusagt und spüren lässt.
  Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, sagt Gott:Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. Amen.


  
  
    [1] Gelesen in einer Predigt von Dr. Marianne Subklew zu Jer. 29, 11 vom 10.02.2011 im Haus am Schüberg (predigtpreis.de)
Perikope
28.10.2012
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