Predigt über Jesaja 35, 3-10 von Matthias Petersen
35,3

Predigt über Jesaja 35, 3-10 von Matthias Petersen

3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
  4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
  5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
  6 Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.
  7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
  8 Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
  9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.
  10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
  
  liebe schwestern und brüder
  
  was für ein traum!
  die verkarsteten berge überzogen mit frischem grün
  aus trockenem sand sprudeln die quellen
  die junge saat durchbricht den nassen asphalt
  die worte rollstuhl blindheit krebs
  sind vergessen
  nachzuschlagen im fremdwörterlexikon
  bilder von panzern und bomben
  sind archiviert
  auf uralten filmrollen
  
  der unterricht macht freude
  schülern und lehrern
  die versetzung ist nicht gefährdet
  der arbeitsplatz ist sicher
  schlaflose nächte gibt es
  allenfalls
  der liebe wegen
  oder der vorfreude auf morgen
  die gottesdienste sind voll
  und die menschen einander verbunden
  in ihrer liebe zu gott und ihren mitgeschöpfen
  die natur erobert die wüste zurück
  zuversichtlich und tatbereit
  hand in hand
  gehen die menschen ihren weg in die zukunft
  
  genug geträumt
  gegen alle schönen träume
  steht
  immer noch und immer wieder
  die schnöde wirklichkeit:
  heiße lebensfeindliche wüste
  vertrocknetes land
  
  muss ich die wüste beschreiben?
  von a wie altersarmut
  über e wie eurokrise
  k wie klimakatastrophe
  n wie naziterror
  w wie waffenhandel
  bis z wie zukunftsangst
  
  alles ist drin im wüsten land
  gesellschaftliche herausforderungen
  die wir nicht
  auch nicht ansatzweise
  gelöst hätten
  
  und neben ihnen
  diesen
  sattsam  bekannten
  gesamtgesellschaftlichen durststrecken
  neben ihnen sind da noch die vielen
  kleinen und großen
  wüsten meines privaten lebens
  die
  wasserlosen lebensfeindlichen
  einöden meiner seele
  
  schuld und verlassenheitsängste
  selbstzweifel burnout
  ichkannnichtmehr
  kein ausweg in sicht
  die hände müde vom vergeblichen tun
  die knie wankend
  pudding in den waden vom endlosen laufen
  vom hinterherlaufen
  hinter der zeit
  hinter den anforderungen
  hinter dem leben
  
  ich will diese wüsten nicht vergleichen miteinander
  ich will nicht sagen
  die sahara ist wüster als der negev oder die gobi
  wüste ist immer lebensfeindlich
  
  und gegen diese wüsten
  gegen diese erfahrungen der lebensfeindlichkeit
  da helfen keine vertröstungen
  kein daswirdschonwieder
  kein leichtfertiges kopfhoch
  aber was denn dann könnte helfen?
  
  jesaja
  so lesen wir
  malt bilder
  klare starke hoffnungsbilder
  um seinem volk zu neuen kräften zu verhelfen
  
  siehe da ist euer gott
  er kommt zu euch
  tatsächlich
  und die wüste blüht
  blinde sehen
  lahme gehen
  stumme lachen
  die wüste wird zum ort des lebens
  eine sichere straße führt hindurch
  aus dem heißen trockenen sand
  sprudeln quellen des lebens
  
  da stockt einem schier der atem
  so märchenhaft klingt das
  so utopisch
  aber
  keine angst
  jesaja ist kein phantast
  er ist ein träumer
  ein träumer aber kein phantast
  seine traumwährung ist gedeckt
  durch eigene erfahrungen
  durch die erfahrungen seines volkes
  handfeste erfahrungen
  die mut zum leben gemacht haben
  
  das tun die propheten ja immer wieder
  sie erinnern an gottes handeln in der vergangenheit
  um daraus kraft zu schöpfen für das heute und morgen
  und das will ich heute
  am 2. advent
  in der preetzer stadtkirche
  auch tun:
  
  erinnert euch
  das hat es doch schon gegeben
  auch in euerm leben
  ganz unten zu sein
  völlig am ende
  und
  plötzlich
  scheint ein licht auf
  eine hoffnung bricht ein
  in die wüste der hoffnungslosigkeit
  ein freund
  eine aufgabe
  eine begegnung
  manchmal
  ein einziges wort nur
  
  das geheimnis der erlösung
  so sagen die jüdischen rabbiner
  liegt in der erinnerung
  
  erinnern wir uns darum doch
  an die uralten geschichten und bilder
  unseres glaubens
  an die geschichte
  wie gott mensch wurde in jesus christus
  bethlehem
  einer von uns
  weil wir ihm so viel bedeuten
  weil
  wer liebt
  will beim geliebten sein
  
  erinnern wir uns
  an die geschichte
  wie gott starb in jesus christus
  golgotha
  starb wie wir
  weil denn
  wer liebt
  das schicksal des der geliebten teilen will
  bis zur bittersten konsequenz
  
  erinnern wir uns
  an die geschichte
  wie jesus auferstand am ostermorgen
  damals in jerusalem
  weil denn
  wer liebt
  den tod überwindet
  weil denn
  liebe stärker ist als der tod
  weil denn das leben
  und nicht der tod
  die letzte
  die stärkste kraft ist
  weil denn
  nach gottes willen
  nicht die wüsten
  sondern die satten weiden des lebens
  das ziel sind
  das uns verheißen ist
  
  darum
  als der täufer johannes jesus fragen lässt
  bist du der auf den wir warten
  da antwortet der christus
  indem er die erinnerungen weckt  an die alten verheißungen
  schau dich doch um
  blinde sehen lahme gehen
  das reich gottes hat längst begonnen
  es ist mitten unter euch
  aller not zum trotz
  wer gott im herzen trägt
  dem blüht selbst in der wüste das leben
  
  so sagt es auch ein altes adventslied unserer kirche
  maria durch ein dornwald ging:
  da haben die dornen rosen getragen
  
  denn gott
  so erzählen es die bilder unseres glaubens
  ist auch in der wüste nicht fern
  mitten in der not und verzweiflung
  und darum kann die wüste auch ein ort sein
  an dem die seele heranreift
  zu ihrer bestimmung
  und die suche nach gott ihr ziel findet
  
  viele haben das gewusst
  und sind in die wüste
  in die entbehrung gegangen
  um ihren gott zu finden
  mose und elia
  johannes der täufer und jesus
  mohammed und der baal schem
  luther war im kloster
  dietrich bonhoeffer in der haft der gestapo
  der katholische priester maximilian kolbe
  und der jüdische arzt janusz korczak in auschwitz
  nelson mandela auf robben island
  
  sie haben sich
  freiwillig oder erzwungen
  der wüste
  ausgesetzt
  sie haben gehungert und gefroren
  sie haben ausgehalten
  ihre sehnsucht und ihre einsamkeit
  ihre quälenden zweifel
  und sind
  uns nachgeborenen
  damit selbst zu bildern der hoffnung
  der ermutigung und  der stärkung
  geworden
  deren erinnerung unsere hände fest macht
  und unser rückgrat gerade
  
  das leben eines menschen
  so erzählen die geschichten der alten
  gewinnt seinen tiefgang in der wüste
  gelangt oft erst in der wüste zu seiner bestimmung
  aber
  aushalten lässt sich das alles nur in der festen gewissheit
  dass gott selbst in der wüste gegenwärtig ist
  und seine kinder nicht im stich lässt
  
  das ist darum die verheißung
  die gute nachricht an alle
  in den wüsten ihrer einsamkeit
  in zweifel und trauer
  in den wasserlosen einöden von hunger und krieg
  dass gott auch dort nahe ist
  und den weg des menschen  in liebe begleitet
  das ist die adventsgewissheit der christinnen und christen
  die unsere müden hände stärkt
  und die wankenden knie fest macht
  und uns die kraft gibt
  uns
  in gottes namen
  anzulegen mit den wüsten unserer zeit
  von a wie altersarmut
  über k wie klimakatastrophe
  n wie naziterror
  bis z wie zukunftsangst
  und
  mit unserer kleinen kraft
  ihnen mit oasen der hoffnung entgegenzutreten
  
  eine einschränkung gibt es allerdings noch:
  unreine und toren
  so heißt es
  sind nicht zugelassen
  sie dürfen nicht herumirren auf dem heiligen weg
  
  da möchte man ja
  beim ersten hören
  frohlocken und sich trösten
  angesichts all der toren in dieser welt
  angesichts all der unsäglichen schwätzer
  mit ihrem unverdautem halbwissen in sachen religion
  mit ihrer häme und überheblichkeit
  da möchte man frohlocken und sich trösten:
  die wenigstens werden uns da nicht über den weg laufen
  
  aber zu  solchem frohlocken besteht kein anlass
  vor gottes angesicht sind wir alle toren
  gemessen an gottes geboten
  sind wir alle unrein
  und so gesehen wäre es
  auf dem heiligen weg
  von natur aus ziemlich einsam
  
  und doch
  erinnern wir uns
  (noch einmal eine erinnerung!)
  erinnern wir uns an das sakrament unserer taufe
  an das lebenslange zeichen
  dass gottes liebe uns rein macht
  dass wir darum zugelassen sind auf dem weg gottes
  als reingewaschene
  als seine kinder
  und von diesem geschenk ist keiner
  und keine
  die es annehmen wollen ausgeschlossen
  
  so gehen wir durch diese adventszeit
  getrost und voller zuversicht
  allen wüstenerfahrungen zum trotz
  denn an der seite des christus
  dessen kommen wir erwarten
  kann uns selbst die wüste zur blühenden landschaft
  und eine schotterpiste zum weg des heils werden
  
  amen