Predigt über Jesaja 40, 1-8 von Rudolf Rengstorf
40,1
Liebe Gemeinde!
Wir haben eben den Text mit den berühmten und immer wieder vertonten Worten gehört „Tröstet, tröstet mein Volk“. Ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, wie sehr diese Sätze vom Rufen Predigen, Sprechen bestimmt sind. Das Rufen, Predigen, Sprechen verbindet die Sätze wie eine Kette und enden in der Feststellung: „Das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“ Dass Gott sich den Menschen in ihnen verständlicher Sprache mitteilt, das war von Anfang an so, als er die Welt mit seinem Wort geschaffen hat. Denn alles gibt Zeugnis davon, spricht davon, dass Gott dem Menschen eine Stätte geschaffen hat, an der er gut aufgehoben und zu Hause ist und in seinem Schöpfer einen Gesprächspartner hat. Und mit diesem Wort, das von Anfang an da war und auch an Ihrem und meinem Anfang da war, uns ins Leben gerufen hat, mit diesem Wort kommt Gott immer von neuem in die Welt und auf den Menschen zu. „Auf die Ankunft, auf diesen Advent des Wortes Gottes wollen die Sätze aus dem Jesajabuch aufmerksam machen. An sich ist es in den Strukturen dieser Welt von Anfang an ja schon da, bleibt aber oft ungehört. Denn es wird übertönt von dem, womit Menschen auf ihre Leistungen aufmerksam machen, womit sie sich in den Vordergrund schreien. Aber Gott lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Er meldet sich, indem er Menschen dazu bringt, seine Botschaft weiterzugeben.
Doch woran merken wir, dass die Worte, mit denen Menschen sich auf Gottes Wort, auf Gottes Botschaft berufen, woran merken wir, dass es nicht ihre eigenen Worte sind, mit denen sie sich nur wichtig machen und Leichtgläubige hinters Licht führen wollen? Was sagen wir denen, die uns entgegenhalten: Was da in der Kirche erzählt wird, ist doch immer nur dasselbe belanglose Gerede. Da passiert ja nichts. Bei den Katholiken gibts wenigstens noch was zu sehen und zu erleben. Aber bei euch nichts als meist auch noch sehr abgehobenes Gelaber. Nun, wenns Gelaber ist, dann hat das mit Sicherheit nichts mit Gottes Wort zu tun. Um dieses Wortes willen aber kommen wir hierher. Wir erwarten es hier. Und wir erleben auch, dass es kommt, nach uns greift und uns verändert.
An den der Predigt vorgegebenen Sätzen aus dem Jesajabuch wird deutlich, wie Gottes Wort kommt und was es tut. Denn ein Tu-Wort ist es immer. Die Menschen, an die diese Worte zuerst gerichtet waren, saßen als verachtete Minderheit im Land ihrer Feinde. Vor mehr als zwei Generationen hatten die Babylonier ihre Vorfahren nach der Eroberung Jerusalems nach Babylonien verschleppt. Alle Hoffnungen, dass ihr Gott sich bald für die Niederlage rächen und sie im Triumphzug wieder nach Hause bringen würde, hatten sich zerschlagen. Für den Gott Israels hatte man hier nur ein mitleidiges Lächeln. Bleibt uns vom Leibe mit euren alten Geschichten, hieß es. Worauf es im Leben ankommt, das ist Fruchtbarkeit und Wohlstand, militärische Stärke und Überlegenheit. Das sind die Götter, denen wir dienen. Und wer da nicht mithalten will und kann, der hat im Leben verspielt, ist ein Looser und bleibt ein Looser. Viele Israeliten hatten sich schon von ihren Volksgenossen, von Jerusalem wie sie sich nannten, gelöst. Besonders die Jüngeren hatten es satt, sich von allem fernhalten zu müssen und das Leben an sich vorbeiziehen zu lassen. Sie hatten sich sozusagen richtig einbürgern lassen. Die Zurückgebliebenen, am Sinn ihres Lebens und an einem Gott zweifelnd, von dem ja nichts zu spüren war, sie bekommen dies zu hören:
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden.
Sünden und Schuld werden von Gott beim Namen genannt. Daran erkennt man sein Wort. Und dass Schuld sich rächt und niemand einfach davor verschont wird – das kommt aus seiner Hand. Aber – und das ist typisch für Gottes Wort - es legt die schuldig Gewordenen nicht fest auf das, was sie getan haben. Es befreit von dem, was andere ihnen immer von neuem vorhalten und nie vergessen werden. Es schafft eine freundliche Atmosphäre, in der die am Boden Liegenden aufatmen, sich aufrichten und ihr Leben erhobenen Hauptes neu beginnen können. Das tut Gottes Wort bis heute – auch mit mir und mit Ihnen. Und deshalb kommen wir hierher.
So sehr es hier in der Kirche seinen Ort hat, so verlässlich wirkt Gottes Wort über die Kirche hinaus und verändert eine gnadenlose Wirklichkeit. Das ist vor kurzem in aller Öffentlichkeit deutlich geworden. nämlich in der Talkshow von Maybrit Illner. Da ging es u die Gier von Politikern. Und von allen Seiten wurde der frühere Bundespräsident Christian Wulf erneut genüsslich mit dem belastet, was er falsch gemacht hat. Da meldete sich der alte Heiner Geißler zu Wort: „So geht das hier nicht weiter. Wulf hat längst bezahlt für seine Schuld. Er ist tiefer gefallen als irgendjemand sonst. Und nun muss Schluss sein mit den immer gleichen Vorhaltungen. Er hat eine neue Chance verdient, und die müssen wir ihm einräumen.“ – Damit war auf einmal die Atmosphäre gereinigt. Auch wenn manche es nicht lassen konnten, vorwurfsvoll auf das leidige Thema zurück zu kommen: sie sahen auf einmal alt damit aus.
Und weiter:
Es ruft eine Stimme:
  In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, .macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen. Denn des Herrn Mund hat's geredet.
Gottes Wort bahnt der Herrlichkeit Gottes einen Weg in der Wüste. Dazu muss man eine Vorstellung von den Gottesbahnen haben, die den Israeliten in Babylonien vor Augen standen: Auf breiten Prozessionsstraßen wurden zu den großen Festen haushohe Gottesbilder und –statuen durch die Stadt getragen, geschoben oder gezogen. In ihnen spiegelte sich wieder, womit die Herren im Lande sich brüsten konnten: Vitalität und Erfolg. Eindrucksvolle Werbefeldzüge einer Großmacht, von denen die Massen sich erfassen und mitreißen ließen. Wer nicht mitlief mit diesen Göttern, blieb zurück in einem Leben, das sich in Niederlagen, in Armut, in Existenzängsten erschöpfte. Gottes Wort gibt sich daran zu erkennen, dass es freimacht von der Faszination todbringender Macht und Aussicht auf Leben in der Wüste eröffnet. Es richtet aus auf den, der nicht gezogen werden muss, sondern der den Wüstenleuten entgegenkommt und sie anstiftet, dem mit ihn kommenden Heil und Leben Bahn zu brechen. Den Israeliten war es damals tatsächlich möglich, auf dem Weg durch die Wüste nach Hause zu kommen und damit ans Licht zu bringen, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist.
Und uns heute ist es möglich und aufgegeben, in die Wüsten zu gehen, die sich hinter der himmelstürmenden glänzenden Oberfläche unserer Konsumwelt auftun: dahin, wo Menschen bei uns nicht mehr mitkommen und ausgebrannt aufgeben; dahin, wo Armut und Hunger Flüchtlinge in unser Land treiben, in dem alles im Überfluss zu ersticken droht, und auch dahin, wo um jedes einzelne Leben – und erscheine es auch noch so unbedeutend und aussichtslos - gekämpft wird. Und überall erleben wir dabei: in der Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind wir nicht allein. Der lebendige Gott ist im Kommen in einer Vielzahl von Initiativen, die sich dem Leben verschrieben haben. Mit den Werbefeldzügen, die uns von allen Seiten umgeben, können diese Initiativen es nicht aufnehmen, doch in ihnen kündigt sich an, was unserer Welt allein Zukunft und Heil bringen wird.
Und schließlich
  Es spricht eine Stimme: Predige!
  Und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein.
  Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich
Gottes Wort gibt sich daran zu erkennen, dass es freimacht von der Illusion der Unsterblichkeit. Der Mensch ist Teil der Natur und wie diese durch und durch vergänglich. Da gibt es nichts zu beschönigen. Gottes Wort lässt Raum für die Klage darüber, dass alles im Tode endet und wir nichts an uns haben, was wir dem Tod entgegensetzen könnten. Und dennoch steht menschliches Leben unter dem Gebot „Predige!“ Nicht um Klage zuzudecken- Das wäre und ist nichts als billige Vertröstung. Gottes Wort ist darauf aus, dass wir uns mit unserer Todverfallenheit ansprechen und erfassen lassen von Gottes Ewigkeit.
Gott, du kommst mit dem Wort, das den Bann der Vergangenheit löst, dem Leben in der Wüste Bahn bricht und todgeweihte Menschen sagen und singen lässt von deiner Ewigkeit. Komm auch zu uns! Amen .
Perikope
16.12.2012
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