Predigt über Jesaja 55, 10-12 a von Wolfgang Ratzmann
55,10
Liebe Gemeinde,
Anne, jetzt Mitte Vierzig, war eigentlich immer schon ein quirliger und oft etwas sprunghafter Mensch, ausgestattet mit viel Temperament und Lebenslust. Schon als Kind und als Jugendliche war es ihr schwer gefallen, still zu sitzen und sich ganz intensiv in eine Sache hineinzubegeben. Und das hatte sich bis heute kaum geändert. Mit ihrem Beruf identifizierte sie sich sehr. Er füllte sie aus, immer schon, aber nun ganz besonders, als ihre Kinder groß waren und die Ehe in die Brüche gegangen war. Zu Kirche und Glauben hatte sie nie so recht Kontakt gefunden. Früher – als Kind – konnte sie nicht stillsitzen in der Kirche, später – als Jugendliche – war ihr vieles zu brav und intellektuell, was in der Kirche geschah. Manchmal machten sich ihre Eltern Gedanken darüber, was sie ihr schuldig geblieben seien und ob sie ihr gegenüber intensiv genug vom Glauben gesprochen hätten. Aber wie soll man über solch wichtige intime Fragen reden, wenn das Gegenüber, die eigene Tochter, offensichtlich dafür keine Antenne hat? Wenn sie solche Themen lieber vermeidet? War es nur Ungeschick oder Feigheit, dass man sich hier – in Fragen des Glaubens – nicht näher gekommen war? Aber jetzt, nach einem plötzlichen tragischen Todesfall in ihrer Nachbarschaft, da sucht sie auf einmal das Gespräch mit ihrer Mutter. Vor allem per Telefon. Da wird sie auf einmal zur Seelsorgerin ihrer Nachbarin. Da steht sie auf einmal auch vor religiösen Fragen. Und nun sucht sie – in ungewohnter Weise – das Gespräch mit den Eltern.
Klaus ist Anfang 50. Er ist Pfarrer und hat die letzten 12 Jahre auf dem Lande gearbeitet. Jetzt will er noch einmal die Stelle wechseln, bevor er in ein Alter kommt, wo er es bei Bewerbungen schwer haben wird. Außerdem ist seine Gemeinde zahlenmäßig geschrumpft, so dass seine Stelle bei der nächsten Strukturveränderung gekürzt werden wird. Das ist für ihn ganz bitter. Es wirkt so, als sei ich faul gewesen oder ungeschickt beim Predigen oder in der Kinder- und Jugendarbeit, denkt er manchmal. Dabei hat er sich nie geschont und seinen Beruf gern und engagiert ausgeübt. Die Leute in seinen 4 Dörfern hatten ihm stets am Herzen gelegen, die Alten ebenso wie die Jungen. Sie würden ihm fehlen, wenn er ganz woanders sein würde. Und er hatte immer wieder auch nach neuen Ideen gesucht, um nicht in den gewohnten Kirchentrott zu verfallen. Aber gewachsen war seine Gemeinde nicht, im Gegenteil. Viele lobten zwar seine Predigten, kamen aber selten zum Gottesdienst. Und viele Junge zogen weg, weil es woanders eher Arbeit gab. War es umsonst gewesen, was er in diese Gemeinden investiert hatte? Lag auf seiner Arbeit kein Segen?
Conny ist 21, und seit einem Jahr lebt sie als Studentin in einer Großstadt. Sie hat ein schönes Zimmer in einer WG gefunden, nette Mitmieter und ein Studium, das ihr Spaß macht. Früher war ihr Freundeskreis übersichtlich gewesen. In einer Kleinstadt kannte man sich. Sie hatte sich im Rahmen der Jungen Gemeinde gern mit Altersgenossen getroffen, und sie hatten viel miteinander unternommen. Nun ist sie in der Großstadt, wo sie ja immer schon gern hinwollte. So gern sie studiert – dennoch will sie nicht nur im Studium „versauern“, wie sie es ausdrückt. Sie will viele junge Leute kennenlernen. Deshalb hat sie z.B. einen Job als Tutorin von ausländischen Studenten angenommen. Und deshalb engagiert sie sich neuerdings in einem Studentenclub. Hier trifft sie viele unterschiedliche Typen. Einzelne junge Männer interessieren sich für sie. Das schmeichelt ihr zwar, aber sie behält ihren klaren Kopf. Sie beginnt zu sortieren, wem sie lieber aus dem Weg gehen will und wem sie vertrauen kann. So sehr sie die Freiheit der Begegnung liebt, so froh ist sie, dass sie auch Grenzen setzen kann – sich selbst und anderen gegenüber. So geht sie ihren Weg in der Unübersichtlichkeit einer großen Stadt.
Drei knappe Porträts. Was haben die miteinander zu tun? Und warum reden wir von diesen drei Personen hier am Sonntagmorgen? Im Buch des Propheten Jesaja, in den Kapiteln, die man dem „zweiten Jesaja“, Deuterojesaja, zuschreibt, findet sich ein wunderbares Bild über das Wort Gottes:
Jes. 55, 10-12a (Lesung des Textes).
Diese Verse richten sich an Menschen, die angefangen haben, an der Wirksamkeit des Wortes Gottes zu zweifeln. Zuerst sind es Menschen im Exil von Babylon, die sich immer wieder auf die prophetischen Verheißungen verlassen hatten, dass Gott sein Volk bald herausführen wird aus der Knechtschaft und die den Glauben daran aufgeben wollen. Dann aber sind es Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und zu unterschiedlichen Zeiten, die diesen Zweifel teilen:
- Eltern, die bezweifeln, ob sie intensiv und geschickt genug vom Glauben gesprochen haben, damit er in den Herzen der eigenen Kinder Wurzeln schlägt;
- Pfarrerinnen und Pfarrer, die unter der scheinbaren Erfolglosigkeit ihrer Arbeit leiden und die sich fragen, ob das Wort, das sie gepredigt haben, leer zu Gott zurückkehrt;
- junge Menschen, die auf einmal vor der Frage stehen, ob sie Maßstäbe haben, an die sie sich halten können und die ihnen Orientierung in ihrer unübersichtlichen Umwelt geben.
Es ist ein wunderbares Wort, weil es uns zweifelnden Menschen zusagt, dass Gott sein Wort nicht zurücknimmt, sondern dass es wirkt, auch wenn wir es nicht sehen, dass es tut, was Gott gefällt, und dass ihm gelingt, wozu Gott es ausgesandt hat. Und was diese Zusage so eindrucksvoll macht, ist das Bild, das der Prophet dabei gebraucht: So wie Regen und Schnee, der vom Himmel fällt und die Erde durchfeuchtet, ist dieses Wort, sagt Jesaja. Oft mag es so sein, dass wir nicht mehr wahrnehmen als die Regentropfen, das Regenwetter, den Schneefall. „Mieses Wetter“, sagen wir dann oder – je nach Temperament: „Sauwetter“. Aber wir vergessen, wie Regen und Schnee ihre wichtige Rolle spielen, um die Erde zu durchfeuchten und um das Wachsen der Pflanzen zu ermöglichen. Am Ende – eines Tages – wird es Brot zu essen geben. Da werden die Pflanzen gewachsen sein und die Früchte, und da wird die Ernte eingebracht und das Brot gebacken sein.
In unserem alltäglichen Leben sind Erntetage eher selten. Es sind Sternstunden, wenn Kinder sich einmal wirklich dankbar äußern und wenn wir sehen, wie der Same des Gotteswortes in ihnen aufgegangen ist. In solchen Momenten schimmert schon etwas vom Himmel durch auf die Erde. Womit wir es normalerweise zu tun haben, das sind Regenzeiten, Wartezeiten, Zeiten des Wachstums. In ihnen geschieht nicht nichts, sondern da wirkt das Gotteswort, ohne dass wir es erkennen können. Das transformiert es sich: Wenn der Schnee zu Wasser wird und wenn er die Erde durchfeuchtet und wenn die Samenkörner aufgehen und der erste Ansatz einer Pflanze entsteht und wenn die ersten Hälmchen aus der Erde schauen. Was wissen wir denn, was das Gotteswort gerade in einem Menschenherzen, in einer Gemeinde, ja sogar in der Kultur eines ganzen Landes tut?
Das Bild des Jesaja über die Wirksamkeit des Gotteswortes will uns gewiss machen: Wo Gottes Wort ausgesprochen worden ist, dort ist nicht nichts geschehen. Dort hat Gott selbst geredet. Sein Wort kehrt nicht leer wieder zu ihm zurück. Es wirkt. Da können wir uns darauf verlassen.
Aber was ist denn das „Wort Gottes“? Geht es um die eindrucksvollen Worte, die charismatisch besonders begabte und besonders berufene Männer, die Propheten, in den Zeiten des alten Israel gepredigt haben? Oder geht es auch um alle Verkündigung, die durch ordinierte Pfarrerinnen und Pfarrer oder Prädikanten in den Kirchen geschieht – in den Predigten ebenso wie in der Katechese und im Gemeindeabend? Geht es um alle Worte, die in den Familien in Sachen des Glaubens gesprochen werden: Erfahrungen, persönliche Überzeugungen – dort, wo kein „berufener Diener des Wortes“ dabei ist? Oder geht es nur um die Worte, mit denen im engeren Sinne die Bibel ausgelegt wird? Geht es vielleicht gar nicht nur um Worte allein, sondern auch um Gesten und Taten, um zeichenhaftes Handeln, um das, was seine deutliche Sprache spricht, auch wenn es ohne Worte erfolgt – also um Taten der Liebe, Zeichen der Versöhnung, Symbole des Helfens?
Wir sollten vom Gotteswort groß und weit genug denken. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“, so beginnt das Johannesevangelium. Das Gotteswort ist größer und weiter als unsere konfessionellen Festlegungen. Es lässt sich nicht biblizistisch auf das eingrenzen, was zwischen den Buchdeckeln der Bibel Platz hat. Es wird nicht nur Ordinierten durch den Heiligen Geist auf die Zunge gelegt, sondern es kann auch von Christ zu Christ weitergegeben werden. Und es hat in der Tat nicht nur die Gestalt von Wörtern, die wir sprechen, sondern es kann sichtbar werden, so wahr es für uns als Christen in einem Menschen ganz und gar sichtbar geworden ist und Gestalt angenommen hat: in Jesus Christus. Das Gotteswort – das sind alle die Worte, durch die Jesusgemäßes von Mensch zu Mensch weitergegeben wird. Das sind alle die Erfahrungen, in denen Menschen erlebt haben, wie der Glaube an Gott trägt und weiterhilft und wie von ihm Orientierung ausgeht. Das sind aber auch alle Zeichen der Liebe, der Fürsorge, der Hoffnung, die Menschen einander zukommen lassen. Das alles ist wie Schnee, wie Regen, der die Erde durchfeuchtet und ohne den das Gottesleben nicht wachsen kann.
Verlasst euch darauf, dass Gott sein Wort nicht leer zurückkehren lässt, sagt der Prophet. Wir sollten uns diese Zusage zu Herzen nehmen. Sie ist nicht für Maulfaule gedacht, die prinzipiell nie von Gott reden, oder für Relativisten, denen alles gleichgültig ist. Aber es wird Zweiflern gesagt, solchen wie uns. Denen die manchmal bezweifeln, ob sie intensiv genug geredet und mutig genug Zeugnis abgelegt haben. Wir sollten uns auf die Zusage verlassen, wenn wir unsere Kinder begleiten und wenn sie uns manchmal so fern von Kirche und Glaube erscheinen. Wir sollten uns auf sie verlassen, wenn wir an Jugendliche denken, die ihren Weg in unübersichtlichen Verhältnissen suchen und die dann Werten und Normen in sich selbst entdecken, Maßstäbe, die einstmals in sie hineingelegt wurden. Wir sollten uns auf diese Zusage verlassen, wenn wir im Blick auf die Kirche in unserem Land nicht weiter wissen oder wenn uns die Entwicklung unserer Gemeinde am Ort traurig macht…
Wir leben in einer Zeit, in der das Wort Gottes wirken kann und wirkt, auch wenn wir das nicht sehen können. Wir leben in der Zeit der Transformation des Regens, in einer Zeit, in der das Land durchfeuchtet wird und die Pflanzen anfangen zu keimen. Geerntet wird meist erst viel später. Und erst dann wird auch das Brot gegessen. Amen
Anne, jetzt Mitte Vierzig, war eigentlich immer schon ein quirliger und oft etwas sprunghafter Mensch, ausgestattet mit viel Temperament und Lebenslust. Schon als Kind und als Jugendliche war es ihr schwer gefallen, still zu sitzen und sich ganz intensiv in eine Sache hineinzubegeben. Und das hatte sich bis heute kaum geändert. Mit ihrem Beruf identifizierte sie sich sehr. Er füllte sie aus, immer schon, aber nun ganz besonders, als ihre Kinder groß waren und die Ehe in die Brüche gegangen war. Zu Kirche und Glauben hatte sie nie so recht Kontakt gefunden. Früher – als Kind – konnte sie nicht stillsitzen in der Kirche, später – als Jugendliche – war ihr vieles zu brav und intellektuell, was in der Kirche geschah. Manchmal machten sich ihre Eltern Gedanken darüber, was sie ihr schuldig geblieben seien und ob sie ihr gegenüber intensiv genug vom Glauben gesprochen hätten. Aber wie soll man über solch wichtige intime Fragen reden, wenn das Gegenüber, die eigene Tochter, offensichtlich dafür keine Antenne hat? Wenn sie solche Themen lieber vermeidet? War es nur Ungeschick oder Feigheit, dass man sich hier – in Fragen des Glaubens – nicht näher gekommen war? Aber jetzt, nach einem plötzlichen tragischen Todesfall in ihrer Nachbarschaft, da sucht sie auf einmal das Gespräch mit ihrer Mutter. Vor allem per Telefon. Da wird sie auf einmal zur Seelsorgerin ihrer Nachbarin. Da steht sie auf einmal auch vor religiösen Fragen. Und nun sucht sie – in ungewohnter Weise – das Gespräch mit den Eltern.
Klaus ist Anfang 50. Er ist Pfarrer und hat die letzten 12 Jahre auf dem Lande gearbeitet. Jetzt will er noch einmal die Stelle wechseln, bevor er in ein Alter kommt, wo er es bei Bewerbungen schwer haben wird. Außerdem ist seine Gemeinde zahlenmäßig geschrumpft, so dass seine Stelle bei der nächsten Strukturveränderung gekürzt werden wird. Das ist für ihn ganz bitter. Es wirkt so, als sei ich faul gewesen oder ungeschickt beim Predigen oder in der Kinder- und Jugendarbeit, denkt er manchmal. Dabei hat er sich nie geschont und seinen Beruf gern und engagiert ausgeübt. Die Leute in seinen 4 Dörfern hatten ihm stets am Herzen gelegen, die Alten ebenso wie die Jungen. Sie würden ihm fehlen, wenn er ganz woanders sein würde. Und er hatte immer wieder auch nach neuen Ideen gesucht, um nicht in den gewohnten Kirchentrott zu verfallen. Aber gewachsen war seine Gemeinde nicht, im Gegenteil. Viele lobten zwar seine Predigten, kamen aber selten zum Gottesdienst. Und viele Junge zogen weg, weil es woanders eher Arbeit gab. War es umsonst gewesen, was er in diese Gemeinden investiert hatte? Lag auf seiner Arbeit kein Segen?
Conny ist 21, und seit einem Jahr lebt sie als Studentin in einer Großstadt. Sie hat ein schönes Zimmer in einer WG gefunden, nette Mitmieter und ein Studium, das ihr Spaß macht. Früher war ihr Freundeskreis übersichtlich gewesen. In einer Kleinstadt kannte man sich. Sie hatte sich im Rahmen der Jungen Gemeinde gern mit Altersgenossen getroffen, und sie hatten viel miteinander unternommen. Nun ist sie in der Großstadt, wo sie ja immer schon gern hinwollte. So gern sie studiert – dennoch will sie nicht nur im Studium „versauern“, wie sie es ausdrückt. Sie will viele junge Leute kennenlernen. Deshalb hat sie z.B. einen Job als Tutorin von ausländischen Studenten angenommen. Und deshalb engagiert sie sich neuerdings in einem Studentenclub. Hier trifft sie viele unterschiedliche Typen. Einzelne junge Männer interessieren sich für sie. Das schmeichelt ihr zwar, aber sie behält ihren klaren Kopf. Sie beginnt zu sortieren, wem sie lieber aus dem Weg gehen will und wem sie vertrauen kann. So sehr sie die Freiheit der Begegnung liebt, so froh ist sie, dass sie auch Grenzen setzen kann – sich selbst und anderen gegenüber. So geht sie ihren Weg in der Unübersichtlichkeit einer großen Stadt.
Drei knappe Porträts. Was haben die miteinander zu tun? Und warum reden wir von diesen drei Personen hier am Sonntagmorgen? Im Buch des Propheten Jesaja, in den Kapiteln, die man dem „zweiten Jesaja“, Deuterojesaja, zuschreibt, findet sich ein wunderbares Bild über das Wort Gottes:
Jes. 55, 10-12a (Lesung des Textes).
Diese Verse richten sich an Menschen, die angefangen haben, an der Wirksamkeit des Wortes Gottes zu zweifeln. Zuerst sind es Menschen im Exil von Babylon, die sich immer wieder auf die prophetischen Verheißungen verlassen hatten, dass Gott sein Volk bald herausführen wird aus der Knechtschaft und die den Glauben daran aufgeben wollen. Dann aber sind es Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und zu unterschiedlichen Zeiten, die diesen Zweifel teilen:
- Eltern, die bezweifeln, ob sie intensiv und geschickt genug vom Glauben gesprochen haben, damit er in den Herzen der eigenen Kinder Wurzeln schlägt;
- Pfarrerinnen und Pfarrer, die unter der scheinbaren Erfolglosigkeit ihrer Arbeit leiden und die sich fragen, ob das Wort, das sie gepredigt haben, leer zu Gott zurückkehrt;
- junge Menschen, die auf einmal vor der Frage stehen, ob sie Maßstäbe haben, an die sie sich halten können und die ihnen Orientierung in ihrer unübersichtlichen Umwelt geben.
Es ist ein wunderbares Wort, weil es uns zweifelnden Menschen zusagt, dass Gott sein Wort nicht zurücknimmt, sondern dass es wirkt, auch wenn wir es nicht sehen, dass es tut, was Gott gefällt, und dass ihm gelingt, wozu Gott es ausgesandt hat. Und was diese Zusage so eindrucksvoll macht, ist das Bild, das der Prophet dabei gebraucht: So wie Regen und Schnee, der vom Himmel fällt und die Erde durchfeuchtet, ist dieses Wort, sagt Jesaja. Oft mag es so sein, dass wir nicht mehr wahrnehmen als die Regentropfen, das Regenwetter, den Schneefall. „Mieses Wetter“, sagen wir dann oder – je nach Temperament: „Sauwetter“. Aber wir vergessen, wie Regen und Schnee ihre wichtige Rolle spielen, um die Erde zu durchfeuchten und um das Wachsen der Pflanzen zu ermöglichen. Am Ende – eines Tages – wird es Brot zu essen geben. Da werden die Pflanzen gewachsen sein und die Früchte, und da wird die Ernte eingebracht und das Brot gebacken sein.
In unserem alltäglichen Leben sind Erntetage eher selten. Es sind Sternstunden, wenn Kinder sich einmal wirklich dankbar äußern und wenn wir sehen, wie der Same des Gotteswortes in ihnen aufgegangen ist. In solchen Momenten schimmert schon etwas vom Himmel durch auf die Erde. Womit wir es normalerweise zu tun haben, das sind Regenzeiten, Wartezeiten, Zeiten des Wachstums. In ihnen geschieht nicht nichts, sondern da wirkt das Gotteswort, ohne dass wir es erkennen können. Das transformiert es sich: Wenn der Schnee zu Wasser wird und wenn er die Erde durchfeuchtet und wenn die Samenkörner aufgehen und der erste Ansatz einer Pflanze entsteht und wenn die ersten Hälmchen aus der Erde schauen. Was wissen wir denn, was das Gotteswort gerade in einem Menschenherzen, in einer Gemeinde, ja sogar in der Kultur eines ganzen Landes tut?
Das Bild des Jesaja über die Wirksamkeit des Gotteswortes will uns gewiss machen: Wo Gottes Wort ausgesprochen worden ist, dort ist nicht nichts geschehen. Dort hat Gott selbst geredet. Sein Wort kehrt nicht leer wieder zu ihm zurück. Es wirkt. Da können wir uns darauf verlassen.
Aber was ist denn das „Wort Gottes“? Geht es um die eindrucksvollen Worte, die charismatisch besonders begabte und besonders berufene Männer, die Propheten, in den Zeiten des alten Israel gepredigt haben? Oder geht es auch um alle Verkündigung, die durch ordinierte Pfarrerinnen und Pfarrer oder Prädikanten in den Kirchen geschieht – in den Predigten ebenso wie in der Katechese und im Gemeindeabend? Geht es um alle Worte, die in den Familien in Sachen des Glaubens gesprochen werden: Erfahrungen, persönliche Überzeugungen – dort, wo kein „berufener Diener des Wortes“ dabei ist? Oder geht es nur um die Worte, mit denen im engeren Sinne die Bibel ausgelegt wird? Geht es vielleicht gar nicht nur um Worte allein, sondern auch um Gesten und Taten, um zeichenhaftes Handeln, um das, was seine deutliche Sprache spricht, auch wenn es ohne Worte erfolgt – also um Taten der Liebe, Zeichen der Versöhnung, Symbole des Helfens?
Wir sollten vom Gotteswort groß und weit genug denken. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“, so beginnt das Johannesevangelium. Das Gotteswort ist größer und weiter als unsere konfessionellen Festlegungen. Es lässt sich nicht biblizistisch auf das eingrenzen, was zwischen den Buchdeckeln der Bibel Platz hat. Es wird nicht nur Ordinierten durch den Heiligen Geist auf die Zunge gelegt, sondern es kann auch von Christ zu Christ weitergegeben werden. Und es hat in der Tat nicht nur die Gestalt von Wörtern, die wir sprechen, sondern es kann sichtbar werden, so wahr es für uns als Christen in einem Menschen ganz und gar sichtbar geworden ist und Gestalt angenommen hat: in Jesus Christus. Das Gotteswort – das sind alle die Worte, durch die Jesusgemäßes von Mensch zu Mensch weitergegeben wird. Das sind alle die Erfahrungen, in denen Menschen erlebt haben, wie der Glaube an Gott trägt und weiterhilft und wie von ihm Orientierung ausgeht. Das sind aber auch alle Zeichen der Liebe, der Fürsorge, der Hoffnung, die Menschen einander zukommen lassen. Das alles ist wie Schnee, wie Regen, der die Erde durchfeuchtet und ohne den das Gottesleben nicht wachsen kann.
Verlasst euch darauf, dass Gott sein Wort nicht leer zurückkehren lässt, sagt der Prophet. Wir sollten uns diese Zusage zu Herzen nehmen. Sie ist nicht für Maulfaule gedacht, die prinzipiell nie von Gott reden, oder für Relativisten, denen alles gleichgültig ist. Aber es wird Zweiflern gesagt, solchen wie uns. Denen die manchmal bezweifeln, ob sie intensiv genug geredet und mutig genug Zeugnis abgelegt haben. Wir sollten uns auf die Zusage verlassen, wenn wir unsere Kinder begleiten und wenn sie uns manchmal so fern von Kirche und Glaube erscheinen. Wir sollten uns auf sie verlassen, wenn wir an Jugendliche denken, die ihren Weg in unübersichtlichen Verhältnissen suchen und die dann Werten und Normen in sich selbst entdecken, Maßstäbe, die einstmals in sie hineingelegt wurden. Wir sollten uns auf diese Zusage verlassen, wenn wir im Blick auf die Kirche in unserem Land nicht weiter wissen oder wenn uns die Entwicklung unserer Gemeinde am Ort traurig macht…
Wir leben in einer Zeit, in der das Wort Gottes wirken kann und wirkt, auch wenn wir das nicht sehen können. Wir leben in der Zeit der Transformation des Regens, in einer Zeit, in der das Land durchfeuchtet wird und die Pflanzen anfangen zu keimen. Geerntet wird meist erst viel später. Und erst dann wird auch das Brot gegessen. Amen
Perikope