Predigt über Jesaja 55, 6-12a von Jasper Burmester
55,6
Liebe Gemeinde,
Worte wirken. Nicht alle wirken. Und die Worte wirken nicht alle gleich. Das kennen wir, das erleben wir jeden Tag. Denn es vergeht kein Tag, an dem uns nicht vielerlei Worte gesagt werden. Worte sind das wichtigste Mittel unserer Kommunikation. Viele Worte sind darunter, die uns nur berieseln, volldröhnen, an uns vorbeirauschen. Aber einige Worte sind darunter, die uns erreichen.
Worte wirken. Sie können aufbauen und zerstören. Sie können heilen und verletzen. Sie können erleichtern und beschweren.
„Wie gut dass es dich gibt.“ oder „Du bist die beste Mutter der Welt.“ „Welch ein Segen, dass Sie gekommen sind.“ „Ich liebe dich” „Du bist mein bester Freund.“ „Ohne Sie würde hier alles drunter und drüber gehen.“ „Ruf mich an, wenn Du mal jemand zum Reden brauchst”. Alles das tut uns gut, baut uns auf, macht uns das Herz leichter. Worte, die wirken, uns gut sind. Die Wertschätzung stärkt uns. Zu wissen, was wir jemandem bedeuten, schafft Selbstvertrauen. Es macht den Mut, das Leben zu leben, wie es eben ist.
Worte wirken, aber sie können ebenso zerstören, entwerten, entmutigen, ängstigen. Worte können brutal sein wie eine Waffe. „Du bist eine Null”. „Du bist fett und hässlich”. „Du bist ein Stück Dreck.” Es geht auch vornehmer: „Wir müssen uns von Ihnen trennen.” „Wir können Sie nach der Probezeit nicht übernehmen.” „Sie haben unsere Erwartungen nicht erfüllt”.
Bis jetzt habe ich von Menschenworten gesprochen. Ihre Wirkung kennen wir - die gute, Leben fördernde, die schlechte, zerstörerische.
An diesem 2. Sonntag vor der Passionszeit dreht sich alles um Gottes Wort. In der Brieflesung hörten wir: „das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und  es dringt durch.” Und im Evangelium hörten wir, dass das Wort Gottes Saatgut ist, das, vom Sämann ausgestreut, Frucht trägt oder eben nicht.
Und in unserem Predigttext aus dem Jesajabuch heißt es so:Wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt und sie zum Keimen und Sprossen bringt, wie er dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will und erreicht das, wozu ich es ausgesandt habe. Ja, in Freuden sollt ihr ausziehen und in Frieden geleitet werden.”
Gottes Wort wirkt. Es kehrt nicht leer zu ihm zurück, sondern bewirkt, was er will.
Was ist Gottes Wort?  In der hebräischen Bibel ist Gottes Wort das Wort, mit dem Wirklichkeit geschaffen, gesetzt wird: Gott sprach, es werde und es ward. In persönlichen Begegnungen, wie immer wir uns das vorstellen mögen, spricht Gott mit Menschen, Abraham und Mose und anderen, die weitersagen, was sie empfangen haben. Bei Jesaja und den anderen Propheten ist Gottes Wort das, was als Botschaft durch den Mund der Propheten ausgesprochen die Menschen erreicht. Drohungen, Verheißungen, Kritik der Verhältnisse, Ermutigung zum Handeln. Das sind Botschaften Gottes, ausgesprochen durch berufene Menschen. Es sind Worte, die etwas bewirken, Ziele setzen, Machtordnungen fördern oder ihren Untergang ansagen, Worte, die Wirklichkeit verändern. In den verschiedensten politischen und sozialen Umständen ergehen diese Botschaften und weder die Propheten noch ihre Hörerinnen und Hörer können sich der Wirkung entziehen. Dieses zwingende, zwingend wirkende ist gemeint, wenn es heißt, das Wort Gottes wirke wie Regen und Schnee, der die Erde befeuchtet und Wachstum überhaupt erst ermöglicht.
In den Evangelien spitzt sich alles auf Jesus Christus zu - „Wort Gottes” ist hier das "Eu- Angelion", die Gute Nachricht, die Gott durch Jesus Christus in diese Welt und zu den Menschen gebracht hat, das Gott es gut mit uns meint, wir ihm wichtig sind, dass er uns liebt, damit wir einander und ihn und uns selber lieben und wertschätzen können.
Der Hebräerbrief, eine der späten Schriften in unserer Bibel, betrachtet die ganze Schrift des alten und des neuen Bundes als das „Wort Gottes”, das lebendig und kräftig und schärfer als jedes Schwert zu den Menschen spricht - mit allen Geschichten, Gesetzen und Verheißungen.
In meinem Leben und vielleicht auch in Ihrem gibt es auch solche Gottes Worte. Bei mir ist es vor allem mein Taufspruch, der mir immer wieder in den Sinn kommt, mir Mut macht, mich tröstet, mich anschubst. "Siehe ich habe dir geboten, dass du getrost und freudig seist" - ich erinnere mich, dass ich, als ich gerade lesen lernte, meine Mutter erstaunt nach dem Wort "freudig" fragte, das ich nicht kannte. Aber so stand es auf einer Karte, die eingerahmt in meinem Kinderzimmer hing. Sie hat es mir dann irgendwie erklärt, ich weiß aber nicht mehr wie. Jedenfalls ist dieses Gottes-Wort seit dem immer wieder präsent gewesen. Oder Geschichten, Figuren, Ereignisse aus der Bibel, die mir helfen, bestimmte Lebenslagen zu begreifen - wie der Prophet Elia, der erstaunliche neue Erfahrungen mit seinem Gott machen kann. Oder Verse, die mir begegnen, mich anrühren und fortan begleiten, wie der 139. Psalm. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen auch so ihre biblische Schatzkiste haben, in der solchen guten, wegweisenden oder hilfreichen Worte sind.
Ja - das Wort Gottes wirkt, es schafft etwas, setzt Wirklichkeit, indem es auf Menschen trifft, die es hören, auf sich wirken lassen, sich von ihm befragen oder anstoßen lassen, es weitersagen. Gottes Wort wirkt, aber es wirkt nicht unabhängig von dieser Seite, der Empfangenden und der Wirklichkeit, in der sie leben.
Die ersten Hörerinnen und Hörer dieser Prophetenworte lebten fern ihrer Heimat in Babylon. Viele Jahre waren vergangen, seit sie zwangsweise umgesiedelt worden waren. Ich stelle mir vor, dass etliche unter ihnen dem Rat eines anderen Propheten, Jeremia, gefolgt waren, der ihnen gesagt hatte: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; ... Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.
Und so hatten diese Israeliten in Babylon es gehalten - hatten sich eingerichtet in der Fremde. Sicher hatten manche auch schon fast vergessen, woran ihre Vorfahren einst geglaubt hatten und waren der Anziehungskraft der fremden Religion erlegen. Und nun kommt wieder ein Prophet. Der kündet vom Wandel, von einer bevorstehenden Rückkehr, nicht nur in die geographische, sondern auch in die religiöse Heimat: Es gibt nur einen Gott, der Vertrauen verdient, nur ihm, dem Gott der Väter und Mütter, ihm, der fast schon vergessen war, sollten sie trauen. Auf seine Worte sei ebenso Verlass, wie darauf, dass Schnee und Regen die Erde feucht und fruchtbar mache. Und er fordert sie auf, erneut aufzubrechen, das Exil zu verlassen, in dem sie sich gerade so eingerichtet hatten. Man spürt beim Lesen dieser Kapitel im Jesajabuch bis heute, wie sehr sich der Prophet um Vertrauen mühen und werben muss bei denen, die sich fragen: Wer sagt uns, dass das gut geht? Dass Gott so verlässlich ist?  Niemand anders als Gottes Wort selber sagt es.
Und so erinnert der Prophet seine zweifelnden Hörerinnen und Hörer an zweierlei: Er ruft ihnen die Geschichte wach, der Israel überhaupt seine Existenz verdankt: Die Geschichte vom Ausbruch aus der Sklaverei in Ägypten, in der die Israeliten, geführt durch Gottes Wort und Zeichen, endlich ein eigenes Land erreichten. Seht ihr, sagt er: Gott ist verlässlich. Sein Wort wirkt und hält, was es verspricht. Das ist das eine.
Das andere: Er macht ihnen deutlich, dass Gott anders denkt, plant und handelt, als sie es in ihrem engen Horizont verstehen können. Unmittelbar vor unserem Textabschnitt heißt es dazu: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Weg spricht der Herr, sondern so hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.”
Gottes Pläne sind nicht unsere und seine Wege, sie zu verwirklichen, sind nicht unsere. Was Gottes Plan mit uns ist, weiß ich nicht, aber die Botschaft Jesajas macht mir Mut, dass es Gott um Vergebung geht, um Umkehr, um das neu anfangen, um Gerechtigkeit auch für die Mitgeschöpfe, um Frieden und Zukunft für unsere Kinder und Enkel. Gottes Wege und Gedanken sind nicht unsere, aber vor allem scheint mir, dass Gottes Tempo nicht unser Tempo ist. Das Bild vom Regen und Schnee macht uns die Wirkungsweise der Gottesworte und Gedanken deutlich. Das Bild sagt: So wenig wie der Schnee und der Regen für sich allein Fruchtbarkeit bewirken, sondern nur in Verbindung mit der Erde, so wirkt auch Gottes Wort in Verbindung mit Menschen, die es aufnehmen, sich öffnen und bewegen lassen. Wo das geschieht können wir, unsere Kraft sei begrenzt wie sie ist, zu Mitarbeiterinnen und Botschaftern der Zukunft Gottes werden. Und so wie, jedenfalls in unseren Breiten, das Wachsen in der Natur ein langsamer Vorgang ist und nicht von heute auf morgen geschieht, so vollzieht sich auch die Verwirklichung von Gottes Zukunft mit langem Atem, für unsere an Tempo gewöhnte Wahrnehmung und unsere begreifliche Ungeduld oft unsichtbar, voller Rätsel, Zweifel, Fragen.
Wir kennen den Weg nicht, auf den wir gerufen werden. Das war noch bei jedem Aufbruch, bei jedem Auszug so: als die israelitischen Sklaven aufbrachen in Ägypten, um die Sklaverei abzuschaffen, wussten sie nichts von dem Weg, und hätten sie ihn gekannt, sie wären da geblieben.
Was uns dabei Mut schenken und auf Durststrecken Trost geben kann, ist die die Gewissheit, dass Gottes Wort wirkt und nicht leer und unwirksam zu ihm zurückkehrt. Mit seinen Worten ist das nicht anders als mit manch gutem Menschenwort, das uns im Laufe unseres Lebens gesagt wird. Manchmal fallen sie uns erst nach vielen Jahren wieder ein, nachdem wir sie einfach vergessen hatten, dann wenn wir sie ganz besonders nötig brauchen, und entfalten dann ihre Wirkung. So ist das auch mit Gottes Wort: Wenn wir in Not und Enge geraten, fallen sie uns ein und setzen uns auf die Spur, die in Gottes Zukunft führt. Amen
 
Konsultierte Literatur:
Claus Westermann, ATD 19
Predigtstudien 2000/2001, 2006/2007, 2012/2013
Gottfried Voigt, Homiletische Auslegung Bd. V
Perikope
03.02.2013
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