Predigt über Jesaja 60, 1-6 von Frank Zeeb
60,1
Liebe Gemeinde,
Steh auf! Melanie, 15, hasst diesen Satz. Morgen fängt die Schule wieder an und dann heißt es jeden Morgen wieder: „Steh auf! Du kommt sonst schon wieder zu spät.“ Die Weihnachtszeit ist vorbei und dieses Jahr zeigt sich das eben daran, dass Epiphanias, das Fest der drei heiligen Könige, auf den Sonntag fällt, den letzten Ferientag. Insoweit ist das ein-leuchtend. Steh auf!
Steh auf! Geh los! Das könnten sich auch die drei Weisen gegenseitig zugerufen haben, als sie den Stern sahen im Morgenland. Das Erscheinungsfest hat es ja mit vielen anderen kirchlichen Festtagen gemeinsam, dass es gar nicht mehr so richtig begangen wird. Der Buß- und Bettag ist so ein Festtag, Pfingsten auch, Christi Himmelfahrt und das Dreieinigkeitsfest. In vielen Bundesländern ist Epiphanias gar kein Feiertag mehr und so haben viele Menschen gar nicht mehr die Gelegenheit, an diesem Fest in die Kirche zu gehen und dem tiefen inneren Sinn nachzuspüren, den dieser Festtag im Kirchenjahr hat.
Zu Weihnachten und Ostern gibt es ja fast jedes Jahr eine Umfrage, wie viele Prozent der Deutschen den Sinn des Festtages noch kennen. Zum Erscheinungsfest ist mir nur eine bekannt, die besagt, dass das Erscheinungsfest noch unbekannter sei als Pfingsten. Ich vermute aber fast, dass man falsch gefragt hat. Hätte man nach den drei heiligen Königen gefragt, wäre sicherlich ein anderes Ergebnis herausgekommen, denn um diesen Gesichtspunkt ranken sich viele Bräuche und Legenden. Denken Sie nur an die Sternsinger, die sich jetzt wieder aufgemacht haben. Und an das C + M + B, das sie über die Türen schreiben. Christus mansionem benedicat. Christus segne dieses Haus! Was kann man einem Haus und seinen Bewohnern besseres wünschen?
Und der Stern selbst – was mag er genau gewesen sein? Eine besondere Himmelserscheinung, ein Komet vielleicht oder eine so genannte Supernova? Oder eine ganz normale Begebenheit am astronomischen Himmel – Planeten, die nur alle paar hundert Jahre so in einer Linie stehen? Oder ist der Stern vielleicht eher als ein symbolischer Hinweis auf Jesus gemeint, so wie wir heute eben bedeutende Menschen auch als Stars bezeichnen? Gold, Weihrauch und Myrrhe, die Geschenke, aber die stehen in der Bibel auch nicht, ebenso wenig, wie die Namen Caspar, Melchior und Balthasar. Und dass einer davon schwarz gewesen sein soll, kann ich auch nirgendwo nachlesen, das ist ein Brauch aus dem Mittelalter.
Noch ein Anekdötlein dazu aus dem Elsaß: Dort erzählt man sich, dass die drei Weisen ja nicht wieder nach Jerusalem zu Herodes gehen sollten und einen anderen Weg wählten. Dieser führte sie – so die Legende – nach Ribeauvillé, wo sie von den Bewohnern freundlich empfangen wurden. Und zum Dank haben die drei ihnen zur Erinnerung einen süßen Kuchen gebacken, der aussah wie die Turbane, die sie trugen. Und deshalb gehört zum Erscheinungsfest im Elsaß unabdingbar ein Gugelhupf mit vielen Mandeln und Rosinen. Nun sei dem, wie dem wolle, eines ist sicher richtig an der Legende: Die drei haben den Ruf gehört:Steh auf, und sind weite Wege gegangen, um das Kind in der Krippe anzubeten. Die Botschaft vom menschgewordenen Gott wird zum Ruf, der ein-leuchtet. Steh auf!
Steh auf! Ruft uns die Stimme – steh auf und verkündige das Evangelium aller Welt. Das Erscheinungsfest ist traditionell auch ein Tag, am dem die Völkermission im Zentrum steht. Unzählige Menschen haben den Befehl des Auferstandenen ernst genommen: Steht auf. Geht hinaus in alle Welt und verkündigt den Menschen die Botschaft vom Gott, der Mensch wird und uns erlöst. Kein Wunder, sind die Bilder in unserem Text so farbenfroh. Wer in einer Zeit aufbrach, in der es noch keine Farbfotos und Videos gab, der war sicherlich beeindruckt von der Vielfalt der Eindrücke, die in den Missionsländern auf ihn einströmten. Bilder, Gerüche, fremde Sprachen, Kamele und andere Tiere, machtvolle Herrscher in ihrem Prunk, Menschen mit seltsamen Gebräuchen und immer wieder die Erfahrung: Gott lässt sich auch in solchen fremden Zusammenhängen finden. Auch in der Fremde ist der Glaube ein Vertrauen, das ein-leuchtet.
Steh auf! Im Jahr 2013 denken wir bei diesem Ruf auch an die Völker, die sich aufmachen in eine neue Zukunft. Es sind ja die Völker aus dem Osten, dem Orient, aus dem die drei Weisen kommen. Und es klingt fast wie eine unheimlich aktuelle Beschreibung ihrer Situation, wenn der Predigttext schon viele hundert Jahre vor Christus das Leben unterdrückter Völker beschreibt mit den Worten: „Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker.“ Die Völker stehen auf.Sie suchen ihren Weg zum Heil. Es geht in der Regel nicht so sehr um Religion als vielmehr um Freiheit und Demokratie, aber die Symbolwelt ist dieselbe: Die Finsternis der Unterdrückung lähmt, aber der Aufbruch zum Licht der Freiheit setzt Menschen in Bewegung. Immerhin wollen wir nicht vergessen, dass auch viele Christen in diesen Ländern leben. Sie haben es nicht einfach, weil Minderheiten bei Umstürzen nicht selten unter die Räder kommen. Lasst uns hoffen und beten, dass der Aufbruch nicht in neues Unrecht mündet, sondern zu Staatsformen führt, die ein-leuchten.
Steh auf, mache dich auf und werde Licht. Es reicht nicht aus, nur loszuziehen. Es braucht eine Motivation, einen inneren Antrieb, eine Treibkraft, die nach außen strahlt. Etwas, was sichtbar wird, damit der Aufbruch nicht in reiner Innerlichkeit verbleibt und sich so selbst ausbremst. Lassen sie uns die vier Beispiele noch einmal durchdenken.
Melanie steht auf. Wahrscheinlich eher missmutig. Aber wenn sie dann einmal in die Gänge gekommen ist, vielleicht die erste Tasse Tee intus hat und am Facebook feststellt, dass alle ihre Freunde sich auch langsam aufmachen, dann spürt sie eine Kraft in sich. Sie kann den Tag und ihr Leben bestehen. Auf ihrem Gesicht macht sich ein Leuchten breit.
Die drei Weisen aus dem Morgenland haben keine leichte Reise hinter sich. Dennoch kann ihnen nichts ihre Motivation rauben. Die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Künstler haben das schon recht dargestellt, wenn sie die drei als Lichtgestalten malten. Wir wissen nicht, wie sie ausgesehen haben mögen. Aber wir wissen, was sie antreibt. Es ist der Stern, der vor ihnen her leuchtet. Und als sie an der Krippe angekommen sind, da wird es ganz hell in ihren Herzen. Das Kind, vor dem sie knieen, wird einmal von sich selber sagen: Ich bin das Licht der Welt. Und dieses Licht strahlt bei den Weisen zum ersten Mal hinaus in die große weite Welt. Die Weisen tragen es zurück in ihre Heimat. Ein Leuchten breitet sich aus im Orient.
Die Missionare in der Welt wissen, warum sie gegangen sind. Sie haben ihre Heimat verlassen, weil sie Menschen gewinnen wollen. Das Licht des Evangeliums ist noch nicht überall in der Welt bekannt. Vielerorts herrscht das Dunkel der Gottferne. Nicht alle Religionen verbreiten Heilsgewissheit und Lebensfreude. Die Missionare bringen den Menschen eine neue Perspektive, indem sie ihnen vom christlichen Glauben erzählen. Ob Menschen sich für Christus entscheiden, liegt nicht in ihrer Hand. Das ist allein Gottes Werk. Aber die Missionare tragen dazu bei, dass Gott wirken kann, indem sie das Licht weitertragen. Wo das Evangelium verkündigt wird, da macht sein Leuchten die Welt heller.
Und die Völker, über denen Finsterns herrscht, die sich aufmachen in die Freiheit. Sie sind berauscht von der Geschichte, die sie gestalten. Eine Motivation ist ihnen unstrittig nicht abzusprechen. Ob ihr Tun, ob ihr Aufbruch zum Segen wird, das kann im Moment noch niemand sagen. Insoweit stehen sie nicht nur für sich selbst, sondern für alle Völker und Menschen, die unter den Zuständen leiden. Was den arabischen Frühling anlangt, können wir nur hoffen und beten: Herr der Welt, lass dieses Geschehen zu etwas werden, von dem wir und spätere Generationen einmal sagen: Von euch ist ein Leuchten ausgegangen, das die Welt heller macht.
An Epiphanias feiern wir gleichsam noch einmal Weihnachten. Weihnachten ist ein Fest des Lichtes, denn mit Jesus ist das Licht in die Welt gekommen, um die Welt neu zu erleuchten – so wie Gott am ersten Schöpfungtag das Licht werden ließ Aber die Finsternis ist keine Größe, die man ungestraft auf die leichte Schulter nehmen kann. Die Gebrochenheit der Schöpfung und die Sünde, unsere menschliche Bosheit und Trägheit, helfen der Finsternis eher auf als dem Licht. Die Welt bleibt unerlöst. Sie ahnt ein Stück weit das Licht, aber sie kann es nicht ergreifen. Sie sehnt sich so sehr nach dem Licht. Melanie, die drei Weisen, die Missionare, die Völker in der Welt ahnen es: Aufstehen, das leuchtet ein. Selber leuchten ist hilfreich und wichtig. Aber es reicht nicht hin, die Welt zu erlösen. Deshalb geht der Vers nach den zwei Befehlsformen mit einer Verheißung weiter. Dein Licht kommt.
Jesus ist in die Welt gekommen, die Epiphanie des wahren Lichtes, der Morgenglanz der Ewigkeit, das Licht vom unerschaffnen Lichte, wie es in einem alten Morgenlied heißt. Die Menschen haben ihn verachtet, malträtiert, ans Kreuz geschlagen. Zu Weihnachten und vollends zum Erscheinungsfest gehört nicht nur, dass wir vom Licht reden und singen, dass wir aufstehen und leuchten, da gehört auch dazu, sich er-leuchten zu lassen. Noch ist ja die Finsternis übermächtig.
Wir leben also zwischen den Zeiten. Schon jetzt ist das Licht erschienen, zweimal sogar, am Schöpfungsmorgen und in der Heiligen Nacht. Und doch leuchtet es noch nicht endgültig Das Erscheinungsfest zeigt uns schemenhaft, wie es sein wird, wenn das Licht alles durchdringt. Dann machen sich alle auf zum Gottesberg, nicht nur die, von denen man das sowieso erwartet, sondern dann werden alle kommen, egal, wer sie bis­her gewesen sind, egal, was sie bisher geglaubt haben. Die ganze Schöpfung wird dann durchstrahlt sein von dem Licht. Dann wird auch von der bisherigen Armseligkeit nichts mehr zu spüren sein, denn in dieser Freudenzeit wird es allen Reichtum geben, den die Völker als Geschenke für den Gott Israels mitbringen – in der Folge sind übrigens Kamele, Gold und Weihrauch ausdrücklich genannt.
Und hier schließt sich der Kreis, und gewinnt der Text eine fast beängstigende Aktualität. Das Licht ist zu Weihnachten gekommen. Geblieben ist die Enttäuschung, dass die Welt dennoch unerlöst ist und die endgültige Herrlichkeit noch aussteht. Aber wir wissen von Weihnachten her, worauf es hinausläuft: Auf die Wiederkunft Jesu Christi am Jüngsten Tag. Solange bleibt uns die Aufgabe des Epiphaniastages: Licht für die Welt zu sein. Deshalb lasst uns aufstehen, lasst uns leuchten. Wir leben als Erleuchtete und sind unterwegs, wie Melanie mit unseren Mitmenschen. Wie die drei Weisen mit unserer Erwartung. Wie die Missionare mit der guten Botschaft. Wie die Völker voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dabei gehen wir nicht allein: Das wahre Licht geleitet uns auf allen unseren Wegen. Amen.
Perikope
06.01.2013
60,1