Predigt über Jesaja 62, 6-12 und EG 302 von Jörg Coburger
62,6
6) Oh Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, 7) lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und setze zum Lobpreis auf Erden. 8) Der HERR hat geschworen bei seiner Rechten und bei seinem starken Arm: Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu Essen geben noch deinen Wein, mit dem du so viel Arbeit hattest, die Fremden trinken lassen, 9) sondern, die es einsammeln, sollen`s essen und den HERRN rühmen, und die ihn einbringen, sollen ihn trinken in den Vorhöfen des Heiligtums. 10) Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! 11) Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! 12) Man wird sie nennen „Heiliges Volk“, „Erlöste des Herrn“, und dich wird man nennen „Gesuchte“ und „Nicht mehr verlassene Stadt“
Die politische Poesie des Propheten spricht am Scheitelpunkt der Nacht zum Volk Israel, bzw. zu dem, was seit dem Jahre der Teilung 932 von ihm geblieben war. Noch ist Babylon stark. Die Wunden der Verschleppten sind noch nicht vernarbt. Jesajas Worte könnten, mit einiger Mühe, gesungen werden. Lieder des Lebens gegen den Hoffnungstod. So, wie bereits in den Kapiteln zuvor, wird auch hier der Neuanfang Gottes mit besungen. Es ist die Sprache der Zuversicht noch mitten im Trauma. Gott fängt neu an. Das liegt nicht an einer neuen hippen Frömmigkeit, das liegt auch nicht in einer Welle von Bekehrungen, das liegt nicht an neuen großen Losungen und Schlagworten, wie es Designer und Werbe-kampagnen oft mit Witz und Verblüffung können, sagen wir beispielsweise „Wer siegt, gewinnt“ oder so. ( Nein, es gilt doch die nötige Ernsthaftigkeit in der Predigt. ) Also etwas seriöser und ohne kabarretistische Albernheit: Es ist einfach ergreifend und Gottes paradoxe Liebe, die nicht aufgeben will. Israel hat genug gelitten. Es ist Gottes Erbarmen. Nichts anderes. Dieses Erbarmen Gottes schenkt dem ganzen Volk eine Chance zum Neubeginn. Er allein eröffnet in konkreter geschichtlicher Stunde. Dazu beruft er Menschen, die sich diesem Neuanfang zur Verfügung stellen.
Nun ist es nicht einfach, genau festzustellen, wer hier jeweils gerade spricht. Das macht es spannend und beziehungsreich. Die Aufgerufenen sollen Gott, vom dem hier in der dritten Person gesprochen wird, in den Ohren liegen, ihm auf die Nerven fallen, in drängeln und „am Rockzipfel hängen“, wie es nur kleine Kinder können, bis er alle seine Verheißungen erfüllt hat. Redet der Prophet? Allemal unverschämt und verwegen Gott in den Ohren liegen sollen und dürfen ist mitnichten christliches Privileg; so hatte ich es als Kind noch gelernt. Das macht generell das Gebet mit dem HERRN aus. Nicht Höflichkeit, nicht Knigge, nicht Moral. Gott lässt mit sich reden und er wartet darauf, dass wir ihn im Gebet suchen. Das hatte uns schon Abraham zeigen sollen. Hier nun: Lasst Gott keine Ruhe, Tag und Nacht nicht. Erinnern wir uns kurz: Solche Frageintension „Herr, wie lange noch?“ ist auch an anderer Stelle wie den Psalmen häufig zu finden. Und Jesu große Verheißung aus Mt.7,7 : „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan“ steht in einer großen Kontinuität zu Jesajas Gebetspassage im 62. Kapitel.
Jesaja sagt damit: Ihr sollt suchen, bitten, kämpfen. Liegt Gott in den Ohren. Lasst ihm - und somit euch selbst - keine Ruhe. Dazu ist jetzt keine Zeit.
Das Wort „Wächter“ würde ich viel lieber mit ERINNERER übersetzen. Es ist eigentlich kein Wachdienst, auch wenn Wachheit und Wachsein, dabei eine große Rolle spielen, schon gar kein Bewachen im hochmütigen Sinne. Hier hat niemand auf irgendjemand aufzupassen. Es ist der bedrängende und wichtige Dienst des Erinnerns.
„Ich habe Erinnerer über deine Mauern bestellt“ Erinnert euch selbst und erinnert Gott. Ist denn Gott etwa vergesslich? Da es vom Propheten kommt, ist klar und deutlich, dass es von Gott her gedeckt ist, dass der HERR diesen Dienst will und mit Vollmacht segnet. Gott wartet voller Liebe und Sehnsucht auf die Rufer und Erinnerer wie jener Vater im von Jesus tradierten Gleichnis, seinen verlorenen Sohn schon von ferne erblickend, auf diesen Dienst wartet und ihn haben will.
( Lk.15 )
Niemand kann diesen Dienst über andere wachend an sich reißen, kann ihn hochmütig und eitel, mahnend und kokketierend tun. Hier wird auch niemand bewacht. Die Kirchengeschichte ist voller schlechter Beispiele von kirchlichen Gruppen, die sich einen solchen falsch verstandenen „Wächterdienst“ über eine andere Gruppe oder die ganze Kirche, also die jeweils anderen, anmaßte.
Dieser Erinnerungsdienst bei Jesaja ist Schmerz und Verheißung. Schmerz, weil zur Sprache gebracht werden soll, was dem jüdischen Volk widerfahren ist. Denn wer in der Diagnose betrügt, bringt sich um die Heilung. Und noch schwerer sollte werden, weil zu verstehen galt, so einfach wieder wie früher einmal wird es nicht. Jesaja und die Rufer auf den Zinnen haben nicht zur bloßen Restauration zu rufen.
Und er ist Verheißung, weil mitten auf bröckelnden Mauern und in ruinösen Zuständen Jerusalem einen neuen Namen bekommt. Nicht mehr Verlassene, gesuchte, aufgesuchte, belebte. lebendige Stadt. Das geschieht noch an den Wasserflüssen Babylons. Wer den erschütternden Psalm 137 liest – und nicht einfach nur „christlich“ bewertet - wird es verstehen, welche Schmach und Hohn
das Gottesvolk ertragen musste. „Die Zunge soll mir verdorren, wenn ich dich Jerusalem, vergesse“ Gott spricht vom Ende des Traumas. Jerusalem, die zerrissene und geschundene Stadt. Es sind Sätze von Zuversicht und Hoffnung. Gedeckt sind sie nur vom HERRN her.
Nicht Gott muss sich ein Knoten ins Taschentuch machen: Vergiss nicht! Sondern wir. Die Erneuerung beginnt mit unserer Erneuerung. Bloßer Wiederaufbau, mit tollen Investoren und jeder Menge Historismus aus der guten alten barocken Zeit ( Balthasar Permosers ) , kann schnell zur hohlen Fassade werden. Mit Sorge sehen wir eine Neobarockisierung Dresdens, vor allem um die Frauenkirche herum. Wann ist Erneuerung wirklich Erneuerung und nicht Fassade und blanke politische und religiöse Restauration? Die herrliche neue Synagoge muss immer noch bewacht werden. Wenn wir bereit sind, Ursachen und Schuld zu benennen und uns um Versöhnung mühen. Versöhnung mit Gott und all denen, die unter deutscher Hybris zu leiden hatten. Aber dort, wo sich die Menschen zweier Städte, nämlich Dresden und Coventry, die Hand reichten und laut im sog. „Nagelkreuzgebet“ über den Platz ausriefen: „Vater, vergib“ begann etwas wirklich Neues.
Und der Friede Gottes, der höher ist alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Die politische Poesie des Propheten spricht am Scheitelpunkt der Nacht zum Volk Israel, bzw. zu dem, was seit dem Jahre der Teilung 932 von ihm geblieben war. Noch ist Babylon stark. Die Wunden der Verschleppten sind noch nicht vernarbt. Jesajas Worte könnten, mit einiger Mühe, gesungen werden. Lieder des Lebens gegen den Hoffnungstod. So, wie bereits in den Kapiteln zuvor, wird auch hier der Neuanfang Gottes mit besungen. Es ist die Sprache der Zuversicht noch mitten im Trauma. Gott fängt neu an. Das liegt nicht an einer neuen hippen Frömmigkeit, das liegt auch nicht in einer Welle von Bekehrungen, das liegt nicht an neuen großen Losungen und Schlagworten, wie es Designer und Werbe-kampagnen oft mit Witz und Verblüffung können, sagen wir beispielsweise „Wer siegt, gewinnt“ oder so. ( Nein, es gilt doch die nötige Ernsthaftigkeit in der Predigt. ) Also etwas seriöser und ohne kabarretistische Albernheit: Es ist einfach ergreifend und Gottes paradoxe Liebe, die nicht aufgeben will. Israel hat genug gelitten. Es ist Gottes Erbarmen. Nichts anderes. Dieses Erbarmen Gottes schenkt dem ganzen Volk eine Chance zum Neubeginn. Er allein eröffnet in konkreter geschichtlicher Stunde. Dazu beruft er Menschen, die sich diesem Neuanfang zur Verfügung stellen.
Nun ist es nicht einfach, genau festzustellen, wer hier jeweils gerade spricht. Das macht es spannend und beziehungsreich. Die Aufgerufenen sollen Gott, vom dem hier in der dritten Person gesprochen wird, in den Ohren liegen, ihm auf die Nerven fallen, in drängeln und „am Rockzipfel hängen“, wie es nur kleine Kinder können, bis er alle seine Verheißungen erfüllt hat. Redet der Prophet? Allemal unverschämt und verwegen Gott in den Ohren liegen sollen und dürfen ist mitnichten christliches Privileg; so hatte ich es als Kind noch gelernt. Das macht generell das Gebet mit dem HERRN aus. Nicht Höflichkeit, nicht Knigge, nicht Moral. Gott lässt mit sich reden und er wartet darauf, dass wir ihn im Gebet suchen. Das hatte uns schon Abraham zeigen sollen. Hier nun: Lasst Gott keine Ruhe, Tag und Nacht nicht. Erinnern wir uns kurz: Solche Frageintension „Herr, wie lange noch?“ ist auch an anderer Stelle wie den Psalmen häufig zu finden. Und Jesu große Verheißung aus Mt.7,7 : „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan“ steht in einer großen Kontinuität zu Jesajas Gebetspassage im 62. Kapitel.
Jesaja sagt damit: Ihr sollt suchen, bitten, kämpfen. Liegt Gott in den Ohren. Lasst ihm - und somit euch selbst - keine Ruhe. Dazu ist jetzt keine Zeit.
Das Wort „Wächter“ würde ich viel lieber mit ERINNERER übersetzen. Es ist eigentlich kein Wachdienst, auch wenn Wachheit und Wachsein, dabei eine große Rolle spielen, schon gar kein Bewachen im hochmütigen Sinne. Hier hat niemand auf irgendjemand aufzupassen. Es ist der bedrängende und wichtige Dienst des Erinnerns.
„Ich habe Erinnerer über deine Mauern bestellt“ Erinnert euch selbst und erinnert Gott. Ist denn Gott etwa vergesslich? Da es vom Propheten kommt, ist klar und deutlich, dass es von Gott her gedeckt ist, dass der HERR diesen Dienst will und mit Vollmacht segnet. Gott wartet voller Liebe und Sehnsucht auf die Rufer und Erinnerer wie jener Vater im von Jesus tradierten Gleichnis, seinen verlorenen Sohn schon von ferne erblickend, auf diesen Dienst wartet und ihn haben will.
( Lk.15 )
Niemand kann diesen Dienst über andere wachend an sich reißen, kann ihn hochmütig und eitel, mahnend und kokketierend tun. Hier wird auch niemand bewacht. Die Kirchengeschichte ist voller schlechter Beispiele von kirchlichen Gruppen, die sich einen solchen falsch verstandenen „Wächterdienst“ über eine andere Gruppe oder die ganze Kirche, also die jeweils anderen, anmaßte.
Dieser Erinnerungsdienst bei Jesaja ist Schmerz und Verheißung. Schmerz, weil zur Sprache gebracht werden soll, was dem jüdischen Volk widerfahren ist. Denn wer in der Diagnose betrügt, bringt sich um die Heilung. Und noch schwerer sollte werden, weil zu verstehen galt, so einfach wieder wie früher einmal wird es nicht. Jesaja und die Rufer auf den Zinnen haben nicht zur bloßen Restauration zu rufen.
Und er ist Verheißung, weil mitten auf bröckelnden Mauern und in ruinösen Zuständen Jerusalem einen neuen Namen bekommt. Nicht mehr Verlassene, gesuchte, aufgesuchte, belebte. lebendige Stadt. Das geschieht noch an den Wasserflüssen Babylons. Wer den erschütternden Psalm 137 liest – und nicht einfach nur „christlich“ bewertet - wird es verstehen, welche Schmach und Hohn
das Gottesvolk ertragen musste. „Die Zunge soll mir verdorren, wenn ich dich Jerusalem, vergesse“ Gott spricht vom Ende des Traumas. Jerusalem, die zerrissene und geschundene Stadt. Es sind Sätze von Zuversicht und Hoffnung. Gedeckt sind sie nur vom HERRN her.
Nicht Gott muss sich ein Knoten ins Taschentuch machen: Vergiss nicht! Sondern wir. Die Erneuerung beginnt mit unserer Erneuerung. Bloßer Wiederaufbau, mit tollen Investoren und jeder Menge Historismus aus der guten alten barocken Zeit ( Balthasar Permosers ) , kann schnell zur hohlen Fassade werden. Mit Sorge sehen wir eine Neobarockisierung Dresdens, vor allem um die Frauenkirche herum. Wann ist Erneuerung wirklich Erneuerung und nicht Fassade und blanke politische und religiöse Restauration? Die herrliche neue Synagoge muss immer noch bewacht werden. Wenn wir bereit sind, Ursachen und Schuld zu benennen und uns um Versöhnung mühen. Versöhnung mit Gott und all denen, die unter deutscher Hybris zu leiden hatten. Aber dort, wo sich die Menschen zweier Städte, nämlich Dresden und Coventry, die Hand reichten und laut im sog. „Nagelkreuzgebet“ über den Platz ausriefen: „Vater, vergib“ begann etwas wirklich Neues.
Und der Friede Gottes, der höher ist alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Perikope