Predigt über Jesaja 65, 17-25 von Claudia Trauthig
65,17
Liebe Gemeinde,
  
  Aus der Tiefe lachen
  
  „Ach, du liebe Zeit“,
  sagt die Frau mit leisem Schreck in der Stimme,
  „jetzt hab´ich ja grad richtig gelacht, auch laut…wieder,
  das ist…glaub ich, das erste Mal, seit mein Mann…,
  also seit der Beerdigung…
  und das ist ja doch noch nicht mal lang her… –
  Darf ich denn überhaupt schon wieder lachen?“
  (…)
  
  In einer Situation wie dieser,
  bei Gedanken wie den so formulierten,
  ertappen sich viele,
  die einen geliebten Menschen loslassen mussten,
  erst kürzlich
  traurig und hilflos,
   am offenen Grab standen.
  
  Häufig sind da ja Momente,
  nein: sogar  Stunden, Tage, Wochen,
  in denen man glaubt, nie mehr,
  gar nie
  so wie früher lachen zu können,
  Augenblicke der Leichtigkeit zu erleben,
  in denen alles Schwere verfliegt,
  wie Nebel, wenn die Sonne hervorbricht.
  
  Darf ich überhaupt schon wieder lachen?
  Um Himmels Willen: Ja!  Du darfst.
  Auf diese Frage antwortet  mit klarer Stimme,
  unmissverständlich,
  der Predigttext für den heutigen Ewigkeitssonntag.
  
  Überraschend redet er nicht vorrangig von der Ewigkeit,
  dem Himmel, Gottes Reich,
  von dem wir doch hoffen und glauben,
  dass sie jetzt die Heimat unserer geliebten Verstorbenen ist.
  
  Verblüffend redet er von dieser unserer Welt,
  in der es auch in dieser Sekunde
  Zahllose gibt, die das Liebste beklagen:
  ein Kind durch eine Totgeburt verlieren,
  einen Partner durch jähen Herztod,
  einen Unschuldigen durch Krieg und Gewalt,
  ein Familienmitglied durch Hunger und Not…
  
  Verblüffend redet der Prophet von dieser unserer Welt -
  und setzt den Erfahrungen der Verzweiflung, des Todes, des Dunkels
  lichtvolle Bilder entgegen: Siehe, spricht, Gott –
  Siehe, nicht nur am Anfang und Ende der Bibel,
  nein: mitten im Alltag dieser Welt
  mit allem abgründigen Leid –
  Siehe, ich mache alles neu!
  
  Hören wir auf Worte aus dem III. Teil des Jesajabuches,
  die heute zu predigen sind:
  
  Denn, siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen,
  dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
  Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe.
  Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude,
  und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk.
  Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
  Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben
  oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen,
  sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt,
  und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.
  Sie werden Häuser bauen und bewohnen,
  sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen.
  Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne
  und nicht pflanzen, was ein anderer esse.
  Denn die Tage meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes,
  und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen.
  Sie sollen nicht umsonst arbeiten
  und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen;
  denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des Herrn,
  und ihre Nachkommen sind bei ihnen.
  Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten,
  wenn sie noch reden, will ich hören.
  ((Wolf und Schaf sollen beieinander weiden;
  Der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind,
  aber die Schlange muss Erde fressen.
  Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun
  auf meinem ganzen heiligen Berge,
  spricht der Herr.))
  
  Gott schafft neues Glück
  Liebe Gemeinde,
  wie Balsam auf Wunden des Lebens sind diese Worte des lebendigen Gottes.
  Sie lindern, heilen, beleben, lassen auferstehen
   – seit Jahrtausenden.
  Ein Schüler eines Schülers des großen Propheten Jesaja hat sie vor weit, weit über 2000 Jahren aufgeschrieben.
  So kamen sie in die Sammlung dieses besonderen Prophetenbuchs,
  das wir heute mit dem Namen „Jesaja“ verbinden.
  Kann man diesen enormen Bilderbogen der Hoffnung,
  zwischen neuem Himmel und neuer Erde,
  und den friedlich miteinander weidenden Tieren,
  Löwe und Rind, Schaf und Wolf,
  überhaupt mit seinem lebensfrohen Glanz erfassen,
  hier,
  so beim raschen Hören unter der Kanzel?
  
  Machtvoll strömt Lebenslust  aus diesen Worten in unseren Tag.
  Machtvoll wird nicht wie in der Offenbarung (Schriftlesung!)
  Gottes neue Welt am Ende der Zeit beschrieben,
  sondern das, was Gott jetzt für die Welt will und schenkt und schafft:
  Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe.
  
  Die Männer, Frauen und Kinder,
  die jene Botschaft als erste gesagt bekommen,
  sind uns, gerade Ihnen, liebe Trauernde,
  seelisch nah.
  Auch sie wissen nicht wirklich,
  wie das Leben wieder gut werden kann.
  Auch sie erleben sich mit den Kräften am Ende.
  Auch ihnen erscheint der Alltag wie hinter Schleiern:
  Nach Jahren, Jahrzehnten (!) im Exil
  darf das Volk endlich zurück in die alte Heimat,
  in das „gelobte Land“.
  Doch Milch und Honig fließen nicht.
  Die Spuren der Zerstörung sind allgegenwärtig.
  „Mein Leben liegt in Trümmern“,
  hat ein früh Verwitweter mir mal gesagt.
  Es fehlt an allem.
  Die Säuglingssterblichkeit ist hoch und die Lebenserwartung gering.
  Auch wenn das Vaterhaus noch steht,
  wohnt jetzt ein anderer dort.
  Im Weinberg der Eltern sammeln andere die Ernte.
  Die Heimkehrer sind nicht willkommen.
  Was trägt noch unsere Zukunft?
  
  Denn, siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen,
  dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
  So spricht Gott.
  Auch wenn rechts und links alles eine andere Sprache spricht,
  auch wenn die Bilder des Todes machtvoll erschüttern.
  Gott will es anders,
  und er schafft es anders.
  Den müden Israeliten,
  die das Gefühl haben, nichts mehr aus eigener Kraft schaffen zu können,
  nicht mal so etwas Leichtes wie das Lachen,
  verspricht ER: Siehe, ICH mache alles neu!
  Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
  
  Viele von uns in der Gemeinde
  werden solche Erfahrungen von Auferstehung auch in ihrem Leben gemacht haben.
  Gerade die Kriegsgeneration weiß nur zu gut,
  wie dunkel die Stunde Null war,
  fragwürdig alle Zukunft,
  inmitten der Trümmer.
  
  Doch die grau-schwarzen Bilder des Todes,
  von Trauer, Zerstörung, Angst und Not,
  überdeckt Gott mit Bildern glücklicher Tage,
  die kommen und alles in sich bergen,
  wonach die Sehnsucht brennt.
  
  Traumatherapeuten, die Menschen begleiten,
  nach schweren, brutalen Lebenserfahrungen,
  versuchen übrigens genau das:
  Über die Bilder von Gewalt und Tod,
  werden Bilder neuen Lebens, des Glücks und des Friedens gelegt,
  damit die Seele heilt,
  auflebt, lebt.
  
  Ja - wunderschön sind die Bilder,
  mit denen Gott seine Wunder an uns beschreibt.
  Am besten wären sie an verdunkelten Tagen,
  morgens und abends zu lesen.
  
  Das ist so viel.
  Das reicht zum Leben und Überleben,
  könnte man denken.
  Was braucht es da noch mehr?
  
  Und doch haben wir Christen und Christinnen sogar noch mehr.
  Die neuen Bilder unseres neuen  Lebens sind auch Bilder,
  in denen uns Christus begegnet:
  Im Menschensohn, Jahrhunderte nach Jesaja geboren.
  Der die Hungrigen speist - auf dass alle satt werden.
  Der die Kranken liebevoll berührt , Schmerzen vergessen macht.
  Der die Kinder in die Mitte stellt und lacht.
  Der den Wein trinkt und auf die Frauen hört.
  Der hinabsteigt in das Reich des Todes und ein Ende setzt,
  allen Mächten des Todes, weil er lebt.
  Von Ewigkeit zu Ewigkeit.
  
  Gottes Kraft verwandelt das Leben,
  wie es einst Jesajas Schüler aufschrieb.
  Gottes Kraft verwandelt den Tod.
  Das fröhliche, unbeschwerte Lachen,
  das aus der Tiefe kommt und hell erklingt,
  findet Widerhall in Gottes ewigem Reich.
  Oder vielleicht ist es gerade umgekehrt, dass unser Lachen,
  das sich gegen die Traurigkeit durchsetzt,
  Echo ist
  der himmlischen Fröhlichkeit ?
  
  Darum: Leben wie ein Baum
  
  Mit diesem Vertrauen
  und den bunten Bildern der Hoffnung im Rücken
  können wir neu leben lernen.
  Für das neue Leben der Kinder Gottes finden wir ein ganz unaufdringliches Bild im Text.
  Vielleicht haben Sie es überhört. Fast droht es unterzugehen:
  Denn die Tage meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes.
  Leben wie ein Baum.
  Das ist eine Spur, der ich folgen will.
  Sie auch?
  Ein Baum beansprucht seinen Platz, aber nicht mehr.
  Er will nicht mehr haben als er braucht
  und er verbraucht auch nicht mehr als gut tut.
  
  Ein Baum verwurzelt sich fest in der Erde
  und streckt seine Zweige weit hinaus in den Himmel.
  Ein Baum meistert das Leben: Hitze, Kälte, Sturm und Frost.
  Noch bevor im Herbst das letzte Blatt vom Ast sich löst, hat im Baum schon der Frühling begonnen, sind neue Knospen längstt angelegt.
  Was es heißt, vom Baum zu lernen, hat Dorothee Sölle so beschrieben:
  
  Vom baum lernen
  der jeden tag neu
  sommers und winters nichts erklärt
  niemanden überzeugt
  nichts herstellt
  einmal werden die bäume
  die lehrer sein
  das wasser wird trinkbar
  und das lob so leise
  wie der wind an einem septembermorgen
  
  Ja, ich möchte dieser Spur folgen
  und dabei Gott vertrauen, der unterwegs ist,
   Leben schafft, auch in mir und durch mich, mitten unter uns.
  
  So lasst uns schließen mit einem Gebet ( nach Lothar Zenetti):
  Herr, wie ein Baum, sei vor dir mein Leben,
  wie ein Baum sei vor dir mein Gebet.
  Gib Wurzeln mir,
  die in die Erde reichen,
  dass tief ich gründe in den alten Zeiten,
  verwurzelt in dem Glauben meiner Mütter und Väter.
  Gib mir die Kraft,
  zum festen Stamm zu wachsen,
  dass aufrecht ich an meinem Platze stehe-
  und wanke nicht, auch wenn die Stürme toben.
  Gib, dass aus mir sich Äste frei erheben,
  oh meine Kinder, Herr, lass sie erstarken
  und ihre Zweige strecken in den Himmel.
  Gib Zukunft mir und lass die Blätter grünen
  Und nach dem Winter Hoffnung neu erblühen,
  und wenn es Zeit ist, lass mich Früchte tragen.
  Herr, wie ein Baum sei vor dir mein Leben,
  wie ein Baum sei vor dir mein Gebet.
  Amen.
Perikope
25.11.2012
65,17