Predigt über Jesaja 65, 17-25 von Karl Hardecker
65,17
Liebe Gemeinde,
am Ende wird alles gut. Am Ende stirbt jeder alt und lebenssatt, am Ende bleiben keine Fragen offen und niemand wird mehr aus dem Leben gerissen. Am Ende wird kein Krieg mehr unsägliches Leid über die Menschen bringen und am Ende werden keine Waffen Menschenleben zerstören. Am Ende lässt die Trauer keine offenen Wunden mehr. Am Ende gibt es kein Weinen und Klagen mehr und das Sterben wird heiter. Am Ende wird alles gut.
Müsste dazu aber nicht als erstes das Sterben aufhören und der Tod nicht mehr sein?
In seinem Roman Eine Zeit ohne Tod zeigt uns José Saramago ein Land, in dem plötzlich niemand mehr stirbt. Alle freuen sich und fühlen sich erlöst. Aber dieses Gefühl hält nicht lange an. Weil niemand mehr stirbt, gehen in den Krankenhäusern die Betten aus, die Bestattungsinstitute melden Konkurs an, die Schwerkranken und Hochbetagten können nicht sterben und bleiben in einem Zustand, der unerträglich erscheint. So erleichtert die Menschen waren, so sehr sehnen sie sich nach einer Wiederkehr des Todes. Nach einiger Zeit bringen sie ihre Schwerkranken über die Grenze, damit diese dort endlich sterben können. Dem Leser dämmert, wie schwierig es ist, wenn niemand mehr stirbt und es den Tod nicht mehr gibt.
Dem gegenüber führt uns Jesaja eine Welt vor Augen, in der die Menschen durchaus noch sterben, aber in der niemand mehr eines gewaltsamen Todes sterben muss, eine Welt, in der niemand mehr aus dem Leben gerissen wird, eine Welt, in der die Menschen ihr Leben gestalten können und zu einer Gestalt ihres Lebens finden.
Bei manchem Leben, von dem wir uns verabschieden mussten, können wir dankbar bekennen: dieses Leben hat seine Gestalt gefunden, unverwechselbar und für andere ein Segen. Dieses Leben hat sein Ziel gefunden, ja in ihm waren Mächte und Kräfte der Liebe und des Friedens am Werk und zu spüren. Diesem Leben war die Handschrift seines Schöpfers anzusehen.
Bei anderen, von denen wir uns verabschieden mussten, mag uns dieser Dank nicht so leicht von den Lippen gehen. Vielleicht, dass sie uns vorzeitig verlassen haben, vielleicht, dass sie unter Schmerzen gingen, vielleicht, dass noch vieles offen geblieben ist und ungeklärt. Dann hatte dieses Leben seine Gestalt noch nicht gefunden, in seinen Umrissen war es dennoch erkennbar.
Am Ende wird alles gut. Und dazwischen? Zu einem guten Ende gehört die Würde des Verstorbenen. Diese Würde dürfen wir mit gestalten. Das ist nicht leicht, weil die Trauer oft lange Wege braucht. Auf diesen Wegen suchen wir nach einer Gestalt für unsere Trauer, nach Ausdrucksweisen, - am Anfang das Grab und der Gang zum Grab, dann, vielleicht erst nach Wochen das Gefühl, dass unsere Welt leer ist und uns dieser liebe Mensch fehlt. Diese Zeit ist die schwerste, weil die Trauer groß ist und wir jetzt erst merken, wie leer unsere Welt, das Zimmer, der Platz am Tisch oder im Bett geworden ist. Dann aber, vielleicht erst nach Jahren, vielleicht auch schon früher, gelingt uns, dass wir unsere Trauer gestalten können, dass der Verstorbene eine neue Gestalt in unserem Inneren gewinnt: dass wir uns an einzelne Worte erinnern können und die in unseren Gespräche erscheinen, dass wir Gegenstände verwenden, die uns an unsere Liebsten erinnern, dass wir Spuren unserer Lieben in unserer Welt und bei anderen Menschen wieder finden.
Oft ist es ein langer Weg bis wir sagen können: alles ist gut. Dieser Mensch hat seinen Frieden gefunden, seinen Platz im Herzen derer, die noch leben. Dieser Mensch hat seine Gestalt gefunden. Von rückwärts betrachtet ist sein Leben nun ganz.
Von Augustinus stammt das Wort: Unruhig ist unser Herz bis es Ruhe findet in Dir. Ja, unruhig sind wir in unserer Trauer, unruhig sind wir, solange unsere Toten nicht ihren Platz gefunden haben, solange ihr Leben nicht die Gestalt gefunden hat, der man die Handschrift ihres Schöpfers ansieht. Unruhig ist unser Herz solange, bis auch unsere Trauer ihre Gestalt gefunden hat. Gott hilft uns dabei. Es ist der Gott, der in Christus dem guten Hirten eines seiner schönsten Bilder fand. Gott hat hier seine Gestalt gefunden und er hilft uns dazu, eine Gestalt für unser Leben, eine Gestalt für unsere Trauer zu finden. Dazu schenkt er uns seinen Geist, der uns immer wieder lebendig macht, der uns Herz und Mund öffnet, der uns in Bewegung versetzt, der unsere Schritte vom Grab weg lenkt zurück in unser Leben. Wenn dieser Geist wirkt, wirkt er als überwindende Kraft und hilft uns Abschiede anzunehmen. Wenn er wirkt, gelingt uns der Schritt hin zur Gemeinschaft. Mit diesem Geist gewinnen wir Hoffnung, gewinnen wir Menschen, die uns verstehen, Menschen, die uns begleiten, Menschen, die mit uns zusammen die Trauer durchstehen. Es ist ein österlicher Geist, der die Menschen vom Boden erhebt. Es ist der Geist des guten Hirten Christus. Dieser Geist führt unser unruhiges Herz zur Ruhe. Amen
Perikope
25.11.2012
65,17