Predigt über Johannes 1, 29-34 von Luise Stribrny de Estrada
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Predigt über Johannes 1, 29-34 von Luise Stribrny de Estrada

Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Es ist die erste Stunde Konfirmandenunterricht nach den Weihnachtsferien. Wir lesen gemeinsam die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, lesen von der Not Marias uns Josefs, eine Herberge zu finden, von den Engeln und den Hirten. Im Gespräch mit den Jugendlichen taucht die Frage auf, woher die Leute damals wussten, dass Jesus ein besonderes Kind war, obwohl er doch unter ärmlichen Verhältnissen zur Welt kam. „Der Engel hat doch was gesagt von Heil oder so“, meint einer. „Ja, und dann gab es da den Stern, dem sind die Hirten hinterher gelaufen“, fällt einer anderen ein. „Die dem Stern nachgingen, waren die weisen Männer aus dem Osten“, werfe ich ein. „Und die brachten dem Kind doch auch Geschenke, Gold, glaube ich“ erinnert sich jemand. „Genau“, antworte ich, „die Hirten hörten es von dem Engel und die Weisen sahen einen besonderen Stern, der auf einen König hindeutete. Aber Maria und Josef ahnten schon vorher, dass es mit diesem Kind etwas Besonderes auf sich hatte, schon als Maria schwanger wurde.“ Eine fällt mir ins Wort: „Das steht doch im Glaubensbekenntnis: ‚empfangen von dem Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria‘…“ „Ja“, sage ich, „in der Bibel steht, dass Maria durch ein Wunder schwanger wurde. Das soll deutlich machen, dass Jesus von Anfang an von Gott auserwählt war, aber das wussten zuerst nur seine Eltern. Zu Weihnachten erfahren es auch noch andere Menschen.“
Was ist das Besondere, das Einzigartige an Jesus? Im Verlauf des Gesprächs stellen wir fest: Der König Herodes hat Angst vor ihm, weil er glaubt, das neugeborene Kind wolle ihm den Thron streitig machen. Aber Jesus erhebt keinen Anspruch darauf, König zu sein und Macht mithilfe von Soldaten und der Unterstützung Roms auszuüben. Er hat eine ganz andere Art von Macht: Er macht Menschen heil an Leib und Seele. Er predigt davon, dass Gottes Reich nahe ist und dass dort Gerechtigkeit herrschen wird und Friede. Er erzählt den Menschen von Gott, damit sie wissen, wie er ist: wie ein liebevoller Vater, wie ein guter Hirte, wie eine Wasserquelle in der Wüste. Und Jesus zeigt den Menschen, wie sie Gott finden können und wie sie darüber eins werden mit sich selbst. Als es ihm ans Leben geht, verzichtet er darauf, seine Macht anzuwenden und sich zu wehren: Er greift bei seiner Verhaftung nicht zum Schwert und befreit sich später nicht vom Kreuz. Er willigt in seinen Tod ein und glaubt, dass das Gottes Wille ist. All das hebt Jesus heraus vor anderen Menschen, er ist einzigartig. Soweit das Gespräch mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden.
Auch unser Predigttext kreist um die Frage, wer Jesus ist und woran wir das erkennen können. Der Text macht einen zeitlichen Sprung von der Geburt Jesu zu seinem ersten Auftreten als Erwachsener. Wir begegnen Jesus zunächst nicht unmittelbar, sondern vermittelt durch das Zeugnis eines anderen: durch Johannes, den Täufer.
Hören wir jetzt den Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem 1. Kapitel des Johannesevangeliums (Joh. 1,29-34):
Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! 30 Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. 31 Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen, zu taufen mit Wasser.
32 Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. 33 Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte, zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem heiligen Geist tauft. 34 Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.                                    
Woher weiß Johannes der Täufer, dass Jesus besonders ist? Als er ihn im Wasser des Jordan tauft, so, wie er schon viele Menschen vorher getauft hat, sieht er den Geist Gottes auf ihn herabkommen. Das Zeichen für Gottes Geist ist eine Taube, die vom Himmel herabkommt und bei Jesus bleibt. Da fällt Johannes ein, was Gott ihm angekündigt hatte: „Wenn du siehst, dass der Geist auf jemanden herabfährt und bei ihm bleibt, dann ist es der, auf den du gewartet hast. Er wird nicht mit Wasser taufen, sondern mit dem Heiligen Geist.“ Jetzt hat sich dieses Wort erfüllt. Jesus ist der Christus, auf den Johannes gewartet hat, und noch viele andere Menschen mit ihm. Johannes bezeugt: „Dieser ist Gottes Sohn.“
Um zu diesem Zeugnis zu kommen, braucht es einen Dreischritt. Wie sieht er aus? Es beginnt mit dem Sehen. Mehrmals kommt in unserem Text das Wort „Sehen“ an wichtigen Stellen vor: Johannes sieht den Geist herabkommen und sagt später über Jesus: „Siehe, das ist Gottes Lamm.“ Der Täufer versteht sich auf das Sehen. Genau hinzusehen ist wichtig - auch für uns, und wahrzunehmen, was ist. Der nächste Schritt ist, das Gesehene zu verarbeiten, es von verschiedenen Seiten zu beleuchten, es um- und umzuwenden. Dann kann man es besser verstehen. Für Johannes ist das relativ leicht, vielleicht leichter als für uns, weil er Gottes Wort im Ohr hat „Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's.“ Wir brauchen oft länger, um richtig zu verstehen, was wir sehen. Aber wenn wir es erkennen, ist es ein Durchbruch. Wir haben gleichsam den Schlüssel gefunden, der uns die Tür zum Verstehen öffnet: Das ist also gemeint! Auf das Sehen und Verstehen folgt bei Johannes der dritte Schritt: Er bezeugt, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Er macht es öffentlich und stellt sich hin vor die vielen Menschen, die dort am Jordan zusammengekommen sind, um sich von ihm taufen zu lassen. Er weist weg von sich: „Ich bin nicht wert, dass ich seins Schuhriemen löse“, stattdessen weist er hin auf Jesus, den unbekannten jungen Mann: „Das ist das Lamm, das die Sünde der Welt trägt. Das ist der Sohn Gottes.“ Johannes traut sich, dass weiterzusagen, was er erkannt hat. Dazu gehört Mut.
Kennen wir Menschen, die öffentlich von Gott reden? Menschen, die sich trauen, von ihrem Glauben an Jesus, den Christus, zu sprechen, obwohl viele heute diesen Glauben nicht teilen? Mir fallen einige ein, zum einen Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, aber auch Menschen, die mich geprägt haben und nur einem kleineren Kreis bekannt sind, wie zum Beispiel der Pastor, der mich konfirmiert hat. Bei Menschen, die im Rampenlicht stehen, denke ich an Joachim Gauck, an Margot Kässmann und den Gründer der Bewegung von Taizé, Roger Schütz. Vor einigen Wochen, im Nobember, schaltete ich das Radio ein, mitten in einer schon laufenden Sendung, und hörte, wie jemand über Altern und Tod sprach auf eine sehr persönliche und überzeugende Art, und dann auch darüber, wie das in ihrem christlichen Glauben verwurzelt ist. Ich war angerührt und dachte: Das hat sie sehr gut ausgedrückt. Es war Margot Kässmann. - Ich denke, wir brauchen solche Leute, die sich in der Öffentlichkeit gut darstellen können und glaubhaft von dem reden, was sie trägt. Menschen, die sich trauen, von Christus zu zeugen, um mit den Worten des Johannesevangeliums zu sprechen.
Wie ist das mit uns? Trauen wir uns, mit anderen von unserem Glauben zu sprechen – in der Familie, in der Nachbarschaft, unter Kollegen? Ich finde das nicht leicht. Ich scheue manchmal davor zurück, deutlich zu  machen und in Worte zu fassen, was mich trägt und was mich unbedingt angeht. Ich will mich damit auch nicht aufdrängen. Aber manchmal gibt es ein Gespräch, das gelingt oder ein en Satz, bei dem ich merke: Da hat jemand aufmerksam hingehört bei dem, was ich gesagt habe. Oder es kommt ein Konfirmand und fragt mich auf Herz und Nieren: „Was ist denn für Sie das Besondere an Jesus?“ Dann sage ich: „Er ist zu denen gegangen, die keiner leiden konnte, die am Rand standen, und hat mit ihnen geredet und ihnen geholfen. Dafür war er sich nicht zu schade. Er hat sich hingegeben, um uns von der Angst vor Gott zu befreien. Er hat sich auf Gottes Liebe verlassen, so sehr wie auf nichts sonst in der Welt. Sogar als er gestorben ist, hat er nicht aufgehört, mit Gott zu reden. Gott hat ihm geantwortet und ihn wieder lebendig gemacht. So wie Jesus werden wir auch nach unserem Tod zu Gott kommen. Jesus hat mir gezeigt, wie ich mit Gott reden kann. Durch ich weiß ich, dass Gott immer an meiner Seite ist und mich behütet, komme, was wolle.
Amen.