Predigt über Johannes 14, 15-19 von Axel Denecke
14,15

Predigt über Johannes 14, 15-19 von Axel Denecke

1.
Manchmal scheinen die Texte der Bibel recht weltfremd zu sein, zum mindesten wie aus einer anderen, uns fremd gewordenen Welt zu kommen. Doch gerade dann reizt es mich, genauen hinzusehen und mein schnelles, vielleicht vorschnelles, Urteil kritisch zu überprüfen.
So ist es auch bei dem Text für den heutigen Sonntag Exaudi, eine Woche vor dem Pfingstfest. „Natürlich Johannes“ habe ich geseufzt, als ich mir den Text zum ersten Mal ansah. „Natürlich Johannes“, denn ich weiß aus Erfahrung, das viele Texte vom ihm verquer zu unserer Alltagserfahrung liegen. Sie scheinen nur um sich selbst zu kreisen und wie in einem nimmermüden Glasperlenspiel den rechten christlichen Glauben murmelnd immer neu zu rezitieren. Und wohl auch zu feiern?
So wie es Papst Benedikt vor einem Jahr in Deutschland tat, als er in seiner berühmten Freiburger Rede vor dem versammelten katholischen Klerus die „Entweltlichung“ des christlichen Glaubens im Allgemeinen und der (katholischen) Kirche im Besonderen feierlich beschwor. Die Kirche (und der Glaube) habe sich von allen weltlichen Einflüssen, auch Privilegien und Machtversuchungen, zu befreien und ganz und gar auf die Karte Gottes zu setzen, unmissverständlich, unerbittlich, unabhängig von allen weltlichen Mächten. Sein Rücktritt ein Jahr später mag ja ein später Eigenkommentar zu seiner Aufforderung gewesen sein, mir durchaus sympathisch. Ach, und schon bin ich dabei, noch ehe ich den Predigttext vorgelesen habe, dem „Weltfremden“ und der „Entweltlichung“ auf einmal schon eine positive Seite abzugewinnen. Frei von allen weltlichen Machspielchen, frei von  allen weltlichen (auch finanziellen) Versuchungen frei von allen weltlichen Zwängen und Abhängigkeiten (zum Beispiel vom Staat, der der Kirche ihre Privilegien gönnerhaft zuweist), frei von dem allem, nur Gott und ganz allein ihm gehörend, ihm dienend, ihm nachfolgend, ganz konsequent, ohne Kompromisse. Na, ist das nichts? Gewinnt das Weltfremde damit nicht auf einmal schon ein ansatzweise attraktive Gestalt? Ich frage vorerst bloß.
2.
Nach dieser Einführung oder Vorrede (vielleicht war es aber auch schon mehr) nun zunächst der johanneische Predigttext. ( Joh 15,15-19 verlesen)
Ein weltfremder Text? „Der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann“. Die Wahrheit  Gottes und die ‚Wahrheit’ dieser Welt radikal von einander getrennt. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, dieser spätere johanneische Spruch Jesu vor Pilatus klingt schon von Ferne auf. Denn unsere Predigt-Passage gehört zu den sog. „Abschiedsreden“ Jesu an sein Jünger, gehalten –so die Konstruktion- am Abend vor seinem Gang ans Kreuz. Jesus verabschiedet sich von seinen Jüngern (also auch von  uns?) und gibt ihnen seinen letzten Willen, man kann auch sagen sein „Testament“, mit auf dem Weg. Tendenz des Ganzen: Ich gehe jetzt weg von euch, ihr werdet bald alleine sein, ohne mich. Aber bitte keine Angst: ich schicke euch meinen Geist, den Tröster, und in ihm bin ich weiter bei euch und begleite euch durch einer Leben. “Ich will euch nicht als Waisen zurück lassen. Ich komme zu euch (wieder in meinem Geist) Es ist nur noch eine kleine Zeitz. Dann wird die Welt mich nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben“. Wie tröstlich! Wie tröstlich?
Ich denke, solche Worte hatte der Papst Benedikt im Hinterkopf, als er von „Entweltlichung“ unseres Glaubens sprach. Man kann es im Übrigen in seinem ersten Jesus-Buch so auch nachlesen. Und ich nehme ihm ab, dass er es ganz ernst meinte damit, auch wenn es uns damit  etwas „weltfremd“ vorkommt. Ein bisschen weltfremd war er ja auch, der Papst, in seinem theologischen Elfenbeinturm, den er mit Fleiß pflegte. Doch manchmal denke ich: So unrecht hat er ja auch nicht. Unser Glaube (und dann auch unsere Kirche als Organisation) sollte ganz und gar fei und unabhängig sein von allen möglichen weltlichen Einflüssen und Einflüsterungen. So hat es ja im Übrigen auch Dietrich Bonhoeffer gehalten, als er von der Kirche im Allgemeinen und dem persönlichen Glauben im Besonderen die innere Unabhängigkeit von Staat, Gesellschaft, mainstream forderte. „Nur an Gott gebunden, ihm allein gehorsam“, denn „Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg.5,32) Er hat es getan, hat es konsequent durchgehalten und so ist er dann unbeirrt in den Widerstand gegangen, hat sich kompromisslos gegen das Nazi-Regime gestellt, hat sch am Hitler-Attentat beteiligt, innerlich gewiss in seinem Glauben,   und hat dabei sein Leben gelassen, am Ende wieder ganz konsequent. „Dies ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens“ sollen seine letzten Worte gewesen sein. Weltfremd? Schon  entweltlicht?
3.
Liebe Gemeinde, manchmal wünschte ich mir heute, wir Christen wären da konsequenter und vor allem auch weltfremder als wir normaler Weise  sind. Manchmal habe ich die Befürchtung wir Christen unterscheiden uns zu wenig von anderen Menschen, wollen es es ja auch nicht, wollen nicht besonders auffallen, wollen nichts Besonderes sein, sondern wie alle anderen auch. Doch was ist dann schon an uns, was ist mit uns? Fallen wir noch besonders auf? Das wollen wir auch gar nicht, höre ich gleich. Nur nichts ‚Besseres’  sein, sein wollen. Das wäre ja Hochmut. Ach ja, wäre es das? Von unseren jüdischen Freunden höre ich oft: „Man kann euch Christen gar nicht mehr richtig erkennen. Was glaubt ihr denn eigentlich? Für euch ist doch Christus der Messais, oder? Ihr redet aber so wenig davon, weil er uns nicht zu nahe treten wollt. Steht doch einfach zu eurem Glauben, auch wenn es nicht der unsere ist. Wir haben damit keine Schwierigkeiten. Wir reden ja auch von unserem Weg der Tora“. Das macht mich schon nachdenklich. Bin ich als Christ erkennbar? Bin ich kenntlich? Wirkt sich mein Glaube –ich glaube doch! Oder?- in meinem Alltag auch so aus, dass er den Alltag gestaltet? „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ soll Jesus gesagt haben. Eben. Wo unterscheide ich mich also von „dieser Welt“? Will ich das überhaupt oder ist das zu anstrengend für mich?
Also nochmals: Manchmal wünschte ich mir heute, wir Christen wären konsequenter in unserem Glauben und auch ‚weltfremder’ als wir normaler Weise sind. Denn wenn wir unsere Welt wirklich mit den Augen Jesu sehen, können, ja dürfen wir ja nicht alles gutheißen oder gar mitmachen (als unauffällige Mitläufer), was die Welt so macht und was da opportun ist. Soll, muss ich Beispiele nennen? Also: Steuermoral (i.A. ganz aktuell), Ökomoral, Ellbogenmoral, Freizeitmoral, familiäre und berufliche Machtspielchen, Karriereschübe und allerlei Siegesposen. Ach ja, kein Rundumschlag bitte. Aber die „Moral dieser Welt“, die ungesunden Abhängigkeiten, die sie erzeugt, steht schon in krassem Widerspruch zu dem Anspruch und Lebensstil Jesu, den er uns vorgelebt hat. Und unsere Welt –ja gar wir selbst- sähe anders aus, wenn wir dem „weltfremden“ Lebensstil Jesu wirklich folgen würden. Weltfremd? Vielleicht eher welterhaltend! Weltgestaltend! Weltverändernd! Also äußerlich „weltfremd“ sein, um innerlich die Welt zu erhalten, zu gestalten, zu verändern?
Ja, sage ich. Und ich wiederhole es. Ja! Nur so hat unsere Welt eine Zukunft! Noch eine Zukunft, erst eine Zukunft. Denn wir stehen nach 2000 Christentumsgeschichte innerlich noch ganz am Anfang, sind noch keine Millimeter voran gekommen. Vielleicht sind wir gar alle noch viel zu wenig „weltfremd“ als wir je denken können. Denn „weltfremd“ sein heißt ja –im Sinne Jesu- zugleich „gottnah“, oder bescheidener formuliert: Gott langsam näher kommend und die Welt gottnäher gestaltend.
4.
Verrückte Gedanken das alles? Mag sein, doch unser Glaube hat immer auch etwas Verrücktes, etwas Utopisches, Weltüberwindendes an sich, wenn er die Welt Gottes wirklich gestalten will.
Wie kann das zugehen? Unser Predigttext –so weltenfremd er auf dem ersten Blick zu sein scheint- gibt uns einen ganz konkreten Tipp dazu. Überraschend? Nur für den, der Jesus nicht kennt.
Es heißt da am Anfang ganz einfach. „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten“. Klingt wirklich wie aus einer anderen Welt. Ich dekliniere es für uns mal durch: Also, lieben wir Jesus wirklich? Was für eine Frage. Kann man sie je uneingeschränkt mit „Ja“ beantworten? „Lieben Sie Brahms?“ hieß vor Jahren ein bekannter Film. Längst vergessen. Brahms lieben oder Mozart lieben oder den FC Bayern lieben oder den HSV, oder auch meine Frau, meinen Mann, meine Kinder lieben, das ist das eine. Kann man, kann man auch bleiben lassen und es verändert sich im Laufe der Zeit. „Jesus lieben“ steht auf einem anderen Blatt. Es ist eine Grundsatzentscheidung des Glaubens. Und die ehrliche Antwort (meine ehrliche Antwort) lautet: „Ja, ich habe es gelernt, mit der Zeit. Doch ich bin noch längst nicht damit fertig. Bin immer erst auf dem Weg dazu, bin noch bei den ersten schritten. Und mit Paulus möchte ich weiter sagen: ‚Nicht, dass ich schon ergriffen hätte (nämlich Jesus wirklich zu lieben), ich jage ihm aber nach, weil ich von  ihm ergriffen worden bin’. Und da stehe ich nun, auf dem Wege und sage, leise und etwas schüchtern (nicht lauthals herausposaunend): Ja, ich liebe Jesu, liebe seinen Lebensstil, liebe den Weg, den er im Vertrauen zu seinem Vater gegangen ist, liebe es, ihm nachzufolgen, ach nachzustolpern, liebe es, in seinem Geist zu leben und zu handeln, ab und zu wenigsten, hin und wieder.“ Ja, so ‚weltfremd’ möchte ich sein, möchte ich werden, um ganz aus dem Geist und der Liebe Jesu leben zu können.
„Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten“  lautete der einfache Satz Jesu. Ganz einfach und doch so schwer. Ganz einfach und doch so tief. Ganz einfach und doch so wahr.
Denn Jesu Gebot an uns ist dies: Uns selbst und alle Menschen um uns herum so ansehen, dass sie –egal wie sie sich äußerlich auch präsentieren- geliebte Kinder Gottes sind. Von Gott geliebt, ohne  Einschränkung, ohne inneren Vorbehalt, grundsätzlich und gründlich. Wenn wir Jesu lieben, ihn wirklich lieben, dann kriegen wir das auch hin. Und wenn wir es nicht hinkriegen, ja dann sieht es mit unserer Liebe zu ihm wohl noch sehr dürftig aus. Doch wenn wir es hinkriegen, dann verändert sich unsere Welt, dann wird sie zum Guten hin gestaltet, dann trägt sie den Ehrentitel „Gottes gute Schöpfung“ zurecht, endlich zurecht. Dann wird unsere Welt erhalten für künftige Generationen, dann wird sie gestaltet und verändert, damit sie Gott ein Stück näher rückt. „Liebt ihr mich, so haltet meine Gebote“. Ja – und alles verändert sich, in mir und in unserer Welt!
‚Weltfremd’ das Ganze? ‚Weltnah’ das Ganze? Ich gebe darauf keine Antwort mehr. Das mag jede, jeder für sich entscheiden. Ich sage nur. Wie schön, dass es diese „weltfremden“ Texte in der Bibel gibt, die uns ärgern, die uns aufseufzen lassen, die uns herausfordern – heute, eine Woche vor Pfingsten, wenn der „Geist Gottes“ dann tatsächlich über uns kommen soll, so dass wir -angehaucht von ihm- selbst zu einem „Hauch Gottes“ werden dürfen, so dass wir –be-geistert von ihm- andere mit unserem Glauben tatsächlich begeistern können. Das wäre schon ein Pfingstfest wert, heute schon, 8 Tage, eine Ewigkeit bei Gott, zuvor.