Predigt über Johannes 20,11-18 von Christian-Erdmann Schott
20,11

Predigt über Johannes 20,11-18 von Christian-Erdmann Schott

„Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab
  und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.
  Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
  Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.
  Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
  Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!
  Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.
  Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“
  
  Liebe Gemeinde,
Am Anfang steht die Trauer über den Verlust des Herrn. Maria, die Jüngerin aus  Magdala in Galiläa,  hat ihren Christus verloren. Nun tut sie,  was Trauernde auch heute oft noch tun: Sie geht zum Grab. Sie sucht die Nähe des Herrn, auch wenn sie weiß, dass es eigentlich zwecklos ist.  Zu Hause hält sie nichts. Zu Freunden oder Verwandten will sie offenbar nicht.  So geht sie hinaus und steht nun vor dem Grab und - weint.
Es gibt viele  Menschen, die ihren Herrn verloren haben. Die meisten trauern nicht so sichtbar wie Maria, aber sie spüren, dass in ihrem Leben etwas fehlt, der Glaube, die Erfüllung, der Sinn. Sie suchen die Leere, die sich in ihnen ausbreitet, mit Ersatzhandlungen zu überwinden – Arbeiten bis zum Umfallen, Anhäufen von Besitz und Geld, Kariere,  Esoterik – oder einfach vergessen,  verdrängen,  verschweigen.
Von Christen, die den Verlust ihres Herrn betrauern, wird auch an anderen Stellen schon  im Neuen Testament erzählt. Es sind typische Geschichten, die so oder ähnlich auch in der nachfolgenden Kirchengeschichte bis heute  immer wieder vorgekommen sind. Denken Sie zum Beispiel  an die beiden Jünger, die am Ostermorgen nach Emmaus gingen. Sie haben über den Tod und Verlust ihres Herrn nicht geweint wie Maria Magdalena. Sie haben auf ihre Weise getrauert, sie fühlten sich verlassen, hoffnungslos, niedergeschlagen. Von den Zwölf heißt es insgesamt, dass sie durch die Abwesenheit ihres Herrn  ängstlich geworden sind. Sie trauten sich nicht mehr unter die Leute, schlossen sich ein, verriegelten die Türen. Von dem Jünger Thomas hören wir in einer besonderen Geschichte, wie er sich verhalten hat, als  er den Glauben an Jesus Christus und seine Botschaft verloren hatte. Er war kein laut Trauernder, sondern ein Skeptiker geworden; einer, der seine Enttäuschung hinter einer ungläubigen Maske versteckte, so als wollte er sagen: Ich lass mich auf nichts mehr ein, ich halte mich nur noch an das, was ich sehe, an harte Fakten und an sonst gar nichts. Im  Unterschied zu Judas, der  in seiner Verzweiflung  zum hasserfüllten Feind  und Verräter des Herrn wurde und schließlich  im Selbstmord geendet ist .
Dass Menschen ihren Glauben verloren haben,  hat es zu allen Zeiten gegeben. Und über alle Zeitdistanzen hinweg ist ihnen allen gemeinsam, dass sie über diesen Verlust,  eingestanden oder auch nicht, traurig waren. Sie hatten  die Freude an Gott und an einem Leben, das  in der Geborgenheit und im Licht seiner Liebe gelebt werden durfte,  verloren.
Aber – diese Verlust-Erfahrungen sind nicht das Wichtigste  und Letzte, was uns aus Bibel und Geschichte bleibt. Im Gegenteil, das Interesse der christlichen Verkündigung war zu allen Zeiten darauf gerichtet,  den Traurigen zu helfen, zu Gott zurückzufinden,  im Glauben Fuß zu fassen und wieder heimisch zu werden.  Nach den Berichten des Neuen Testamentes ist das in vielen Fällen auch gelungen, sehr zur Freude der Betroffenen. Es ist allerdings nicht immer gelungen.  Bei Judas zum Beispiel war es nicht möglich.
Das Ermutigende  an unserer heutigen Geschichte ist, dass hier gezeigt wird, wie Maria ihre Traurigkeit überwinden und zur Freude des Glaubens zurückfinden konnte. Dabei ist allerdings ganz wichtig und vielmals zu unterstreichen: Maria Magdalena hat den Glauben an den Herrn nicht von sich aus wieder gefunden. Sie hat die Krise ihres Glaubens nicht aus eigener Kraft überwunden. Auch in den anderen  Ostergeschichten hat niemand den Herrn und den Glauben an ihn selber gefunden. Vielmehr wird immer wieder deutlich: Unsere Trauer, unser Suchen, unser Herumtasten  bringen ihn nicht zurück. Alle Ostergeschichten zeigen vielmehr umgekehrt, dass der Herr uns gefunden und angesprochen hat. Hier ist es Maria aus Magdala, die gefangen war in ihrer Trauer. Aber gerade dieses Gefangensein durchbricht der Herr, indem er sie anspricht mit ihrem Namen „Maria“. Es findet ein  kurzes Gespräch statt. Es ist ein heilendes, ein sehr zartes Gespräch, das Maria aus ihrer Trauer und Leere und  Ziellosigkeit. behutsam herausholt  Und jetzt weiß sie:  Der Herr ist mir erschienen. Er hat mich gefunden, er hat mich wieder gefunden und aufs Neue  mit ihm verbunden.
Wir meinen im Allgemeinen, solche Geschichten seien nur damals vorgekommen. Ich denke, sie passieren auch heute – überall da, wo wir in den  Worten der Bibel oder in der Verkündigung die Stimme Jesu Christi erkennen und spüren, dass wir dieser Stimme vertrauen können. Dieses Vertrauen gibt uns Halt, Ausrichtung, Freude, Gesundheit – wie bei  Maria Magdalena, wie auch in den  anderen Ostergeschichten: Die Anrede des Auferstandenen ist es, die den  Glauben, die uns aufrichtet, heute wie damals.
Aber da sind noch ein paar Fragen offen: Die eine ist, warum will sich Jesus von Maria nicht berühren lassen? Diese Frau ist in ihrer Trauer genauso gefühlsstark wie in ihrer Freude. Es ist doch sehr verständlich, dass sie den Herrn nun, wo sie ihn wieder hat, umarmen möchte. Aber Jesus weist sie zurück „Rühre mich nicht an…“. Diese kleine Szene ist offensichtlich als Korrektur eines bis heute weit verbreiten Missverständnisses gedacht. Viele Menschen meinen, die Auferstehung Jesu ist die Wiederbelebung eines Toten und als eine Art Reanimation mit dem Ziel der   Wiederkehr ins irdische Leben zu verstehen. Dieser Meinung ist offensichtlich auch Maria Magdalena. Darum will sie die Beziehung zu Jesus dort und in der Art  fortsetzen, wie sie sie früher gelebt hat. Das weist Jesus zurück. Er ist nicht ins irdische Leben zurückgekehrt und er will hier auch nicht bleiben. Seine Auferweckung bedeutet vielmehr, dass Gott ihn zu sich zieht – aus dem Tod heraus, und ihn nicht ins irdische, sondern ins himmlische, ewige, göttliche Leben auferweckt. Darum ist Jesus nun ein anderer. Er ist auf dem Weg in die Ewigkeit und  Maria kann und darf ihn hier nicht halten.
Dann aber stellt sich die weitere Frage: Warum erscheint er vierzig Tage lang den Jüngern und anderen Anhängern und geht nicht gleich und direkt zu Gott? Was sollen diese Erscheinungen? Die Antwort ist hier gegeben: Jesus will seinen „Brüdern“  ihren Weg zeigen.  Er will demonstrieren: Ihr als „meine Brüder“ werdet diesen Weg, den ich euch vorangehe, auch gehen„zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“. Das sollt ihr wissen, darauf dürft ihr euch einstellen.
Das heißt: Die Erscheinungen des Auferstandenen mussten sein, weil nur so die Sendung Jesu Christi abgeschlossen werden konnte; diese Sendung, die uns offenbart: So ist unser Weg auch. Jesus Christus  kam von Gott und er ging wieder zu Gott. So sind wir, “die Brüder“, auch unterwegs. Gott hat uns ins Leben gerufen und wir dürfen glauben, dass wir auch zu Gott zurückkehren werden. Wenn er das lediglich angekündigt oder verkündigt hätte, hätte es von Ungläubigen aller Art leicht als unbewiesene Behauptung abgetan werden können. So aber überzeugte er die, denen er erschienen ist, und machte sie - wie hier Maria - zu  Zeugen seiner Auferstehung und unserer Hoffnung.
Trotzdem, es bleiben Fragen offen; Fragen,  die wir nicht beantworten können. So kann  zum Beispiel niemand sagen, wie und wann die Auferstehung Jesu gewesen ist. Niemand war dabei und niemand hat gesehen, was sich da im Grabe abgespielt hat. Auch kann niemand sagen und erklären, wie die Existenzweise Jesu bei diesen Begegnungen zu beschreiben wäre. Was ist das für ein Körper, in dem er gesehen wurde?  Eine Übergangsgestalt? Ich denke aber, dass es keinen Sinn macht, sich angesichts solcher Fragen mit dem Suchen nach  Antworten zu zermartern. Vielmehr sollten wir die Grenzen, die uns als Menschen gesetzt sind, akzeptieren. Ganz abgesehen davon, dass wir nie  wüssten, ob unsere Antworten wirklich richtig und zutreffend sind. Wir können Gott nicht in die Karten gucken. Wir können aber darauf vertrauen, dass er seine und unsere Sache im Auge hat und alles  „wohl machen“ wird“ (Ps. 37,5).
Und das  nicht erst in der Zukunft! Die Ewigkeit beginnt jetzt. Sie beginnt in dem Augenblick, wo wir uns öffnen für den Auferstandenen. Das ist  die Botschaft, die Maria Magdalena weitersagen soll. Unsere angeborene Weltsicht ist damit an ihr Ende gekommen. Sie bestand darin, dass wir uns am Sichtbaren und Irdischen orientiert haben  und  meinten, dass das das Leben ist. Aber das ist nicht das Ganze. Es ist nur ein Ausschnitt.  Jesus  aber ließ sich sehen, nicht, um sich in unsere enge irdische Welt zurückziehen zu lassen, sondern umgekehrt, um  uns den Weg aus der Zeit in die Ewigkeit zu zeigen. Amen.