Predigt über Johannes 3, 22-30 am Gedenktag Johannes des Täufers (Johannistag) von Jochen Riepe
3,22
I
Auch nach mir geht das Leben weiter. Auch ohne mich singt die Amsel. Wenn ich nicht mehr bin , sind andere da … auch Gottes Kinder … Ist das nicht ein Grund zur Freude ?
 II
Der 24. Juni , liebe Gemeinde, heißt Johannistag - Geburtstag , Gedenktag Johannes` des Täufers. Im Kalender steht : Spätestens jetzt , da die Sonne im Zenit steht, da die längsten Tage des Jahres sind, jetzt beginnt die Zeit der Ernte. Spargel soll man nach diesem Datum nicht mehr stechen und das Gras soll wenigstens einmal schon gemäht sein. Zenit : Da, wo der Sommer voll da ist, nimmt er auch schon wieder ab. Mitten im Leben nimmt er sich gleichsam zurück… Am Abend aber leuchten an den Bergeshängen die Johannisfeuer – als sollten sie uns Zeichen sein : für den Geist des Gottes , der den belohnt , der ‚abnehmen‘ kann.
 III
‚Meister , siehe , der andere, der bei dir war jenseits des Jordan, siehe , der tauft , und jedermann kommt zu ihm‘.Konkurrenz. Johannes , der Täufer , der Prediger in der Wüste, der zur Buße und zur radikalen Lebensänderung ruft , der , zu dem ganz Judäa und ganz Jerusalem kam (Mk 1,5), er verliert an Zuspruch . Seine Jünger sind besorgt. Die Menschen wenden sich ‚dem anderen Täufer‘ zu und die eigene Anhängerschaft schrumpft. Auf dem Markt der Religion und der Sinnangebote scheint es ähnlich zuzugehen wie auf dem Wochenmarkt ( oder soll man sagen : dem Markt des Lebens?) : Warum kaufen die Leute plötzlich am anderen Stand ? Was suchen und finden sie dort ? Was sollen wir tun ? Wie muß sich das Angebot ändern ? Ja , wenn die Basis brüchig wird und die Angst die Phantasien regiert : ‚alle laufen zu ihm hin‘.
 IV
Johannes selbst – so schildert ihn jedenfalls der gleichnamige Evangelist – läßt sich nicht verunsichern. Er reagiert gelassen, freundlich. Wenn der andere wirklich etwas sagen und geben kann, wenn er mehr ist als ein Ideologe , Verführer oder einfach ein netter Mensch, dann hat er es ‚von oben‘. Dann ist Gott bei und mit ihm. Vielleicht kann man es so auf den Punkt bringen : Dieser abgeklärte Johannes ist der , der weiß : ich habe den Zenit -‚ ganz Judäa und alle Menschen aus Jerusalem‘ - erreicht; und wer den Zenit erreicht hat , der hat ihn auch schon überschritten. Wer mit Gott , mit seinem Anspruch , gelebt hat und lebt, wer aus dem kritischen Wort schöpft , weiß, daß er nicht ‚unerschöpflich‘ ist, sondern begrenzt und oft genug erschöpft und ausgelaugt . Es gibt eine Gottesmann-Weisheit , auch die eines Gerichtspredigers, die die Endlichkeit und Vorläufigkeit des eigenen Tuns annimmt und ausspricht : ‚Ich bin nicht der Christus, sondern vor ihm her gesandt‘.
 V
Der 24. Juni ist Johannistag – Geburtstag dessen , der sich mit dem Bräutigam freuen konnte , aber nicht der Bräutigam ist ! Die Sonne hat ihren höchsten Stand erreicht - die Kurve des Lebens überschreitet die Scheitelstelle und neigt sich . Das klingt vielleicht eine Spur zu dramatisch , liebe Gemeinde, aber ein kleines Drama kann dieses Erleben schon sein. Ist das nicht der Punkt und die Zeit , die den Lebensneid ,dieses hungrige, manchmal gierige Kind in uns, diesen Neid auf die Jungen , ihr Glück und ihren Erfolg besonders nährt ,wenn sie jetzt ihren Tanz um das Sonnenfeuer herum beginnen? Ist das nicht die Zeit der panischen Bilanzen und der Feststellung all jener Defizite , die zu meinem Leben gehören ? ‚ Johannistag , Johannistag , da freit ein jeder wie er mag …‘ singen die Nürnberger Lehrbuben in Wagners ‚Meistersingern‘ ,aber eben : der Tag und die Nacht der freisinnigen Verausgabung ist auch der Beginn des Sterbens , des nicht Zurückholen- Können , des unwiederbringlich dahin Gegangenen. Wer jetzt (noch) mehr haben will, hat am Ende gar nichts mehr.
 VI
‚Ich bin nicht der Christus‘, sagt Johannes in weiser Selbstbeschränkung und er versucht , wohlgemerkt: im Bericht des Evangelisten!, all die schmerzlichen Gefühle, die mit dieser Selbsterkenntnis kommen, in etwas Größerem aufzufangen – in der Freude , besser : in der Mitfreude und Dankbarkeit. Was seine Jünger als bedrohliche Konkurrenz , als Angst um die eigene Basis oder als Neid auf die Gaben des anderen Predigers erleben - alles sehr menschliche Gefühle in einer Umbruchssituation!- , wird ihm , ihrem Meister , ein Anlaß , das Ohr zu öffnen und eine neue Zeit zu vernehmen : ‚Der Freund des Bräutigams freut sich sehr über die Stimme des Bräutigams.‘ Was für eine Wendung , ja : evangelische Verdrehung der Dinge : Der andere , der gleichsam mein Wirkungsfeld betritt , er kommt nicht als Feind . Er ist der gute Hirte , dessen Stimme ich erkenne. Er , der Christus, in dem sich meine Zeit erfüllt, er spricht so, daß er in mir das Feuer der Freude entzündet. Es gibt Stimmen ,wenn man so will : Nachfolger-Stimmen, die verschrecken ; man spürt gleichsam den Sieger- Wolf , der zugreifen will . Es gibt Stimmen , die wahrhaft trösten. Der Christus, wenn er nun kommt, er tritt nicht nach , er erhebt auch den Johannes. Der Prediger des Gerichts erfährt das Evangelium.
 VII
Es mag ja sein ,liebe Gemeinde, daß auch die Religion , die Frage nach Gott und dem Sinn und dem Glück und dem Tod , danach , woher ich komme und wohin ich gehe , daß dieses ganze Fragenknäuel dem Gesetz des Marktes , dem Gesetz von Angebot und Nachfrage , Sieg und Niederlage und der Konkurrenz der Werber um Kunden gehorcht. Wie kann man Menschen einfangen? Wie kann man wachsen gegen den Trend ? Was muß man den Leuten anbieten und wie kann man sie anderen ausspannen ? Mag sein, daß das alles so ist … wenn der Christus , der ‚vom Himmel‘, aber wirklich kommt , dann wird dieses Gesetz ausgeschaltet . ‚Er muß wachsen , ich aber muß abnehme n‘. So spricht kein Verlierer oder ein sich deprimiert oder resignativ Zurückziehender . So spricht einer , der im ‚Abnehmen‘ teilhat am Leben des Kommenden, der im Sich-Zurücknehmen den Raum eröffnet , in dem der Christus wachsen kann. Verrückt , verdreht genug : Mit der Fülle kommt auch die Erfahrung der Grenze und gerade die eröffnet – ‚das ewige Leben‘.
 VIII
Auch nach mir geht das Leben weiter. Auch ohne mich singt die Amsel. Wenn ich nicht mehr bin , sind andere da … Gottes Kinder. Heute ist Johannistag, Geburtstag dessen , der dem Herrn voranging und dann auf seine Weise nachfolgte. Der zweite Platz hat seine eigene Würde … und wenn heute an den Berghängen in Oberbayern und anderswo die Johannisfeuer leuchten , so mögen sie Zeichen sein des Geistes , den wir den Heiligen nennen : des Mit-Freude – Geistes des Christus.
Perikope