Predigt über Johannes 6,47-51 von Güntzel Schmidt
6,47

Predigt über Johannes 6,47-51 von Güntzel Schmidt

Jesus im Blut
  
  Jesus sprach:
  Amen, Amen, ich sage euch: Wer glaubt, hat ewiges Leben.
  Ich bin das Brot des Lebens.
  Eure Väter aßen in der Wüste das Manna und starben;
  ebendieser ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist,
  damit, wer immer von ihm isst, auch nicht stirbt.
  Ich bin das das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist;
  wer von diesem Brot essen wird, wird in Ewigkeit leben.
  Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Leib,
  für das Leben der Welt gegeben.
  (Eigene Übersetzung)
  
  
  Liebe Gemeinde,
  
  "ich hab' dich zum Fressen gern!"
  Wenn man diesen Satz wörtlich nähme
  oder sich vorstellt, er käme aus dem Mund von Hannibal Lecter,
  dann würde man wohl Panik bekommen.
  Normalerweise hört man ihn aber nicht als Drohung,
  sondern als überschwänglichen Ausdruck der Zuneigung.
  Wer eine oder einen "zum Fressen" gern hat,
  der liebt sie, liebt ihn wirklich sehr - so sehr,
  dass man sie, ihn sich am liebsten einverleiben würde,
  oder so sehr, wie man eben ein gutes Essen zu schätzen weiß.
  Ich habe Männer ihre Ehefrauen schon "Braten" nennen hören,
  oder "Schnaps" - und diese Frauen empfanden
  die eigenartigen Kosenamen nicht als Kränkung,
  sondern so, wie sie gemeint waren:
  als Ausdruck großer Zuneigung.
  
  "Schnaps" - in diesem ungewöhnlichen Kosenamen
  klingt das Überschwängliche der Liebe an:
  Man kann sich an einem anderen Menschen berauschen,
  kann trunken werden vor Liebe.
  "You're in my blood like holy wine,
  You taste so bitter and so sweet
  Oh I could drink a case of you ..."
  "Du bist mir im Blut wie heiliger Wein,
  du schmeckst so bitter und so süß.
  Ich könnte eine Kiste von dir trinken",
  singt Joni Mitchell,
  "just before our love got lost",
  kurz bevor ihr die Liebe abhanden kommt. [1]
  
  Kommt die Liebe abhanden, verschwindet die Ekstase,
  der Rausch, den der andere Mensch verursacht.
  Dann könnte man eine Kiste vom Wein des anderen trinken,
  und würde dennoch nichts davon merken:
  "I could drink a case of you darling.
  Still I'd be on my feet,
  oh I would still be on my feet."
  
  I
  "Wer von diesem Brot essen wird, wird in Ewigkeit leben.
  Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Leib."
  Dieser Satz Jesu fordert das Missverständnis des Kannibalismus geradezu heraus.
  Nicht umsonst sagen seine Zuhörer wenige Verse später:
  "Dies ist ein hartes Wort, wer kann sich das anhören?"
  Darum müssen wir, um die Worte Jesu zu verstehen,
  uns kurz mit diesem Missverständnis des Kannibalismus beschäftigen,
  mit dem Vorwurf, Christinnen und Christen würden beim Abendmahl
  Stücke vom Körper ihres Gottes verspeisen.
  
  Nach katholischer Lehre verwandelt sich die Hostie
  beim Abendmahl in den Leib Christi.
  Nach der sog. "Konsubstantiationslehre"
  verwandelt sich aber nicht die Hostie selbst,
  das Brot wird also nicht zu einem Stück Fleisch.
  Jesus ist aber trotzdem in der Hostie wirklich gegenwärtig -
  das ist die sog. "Realpräsenz.
  
  Auch wir Lutheraner glauben daran,
  dass Jesus beim Abendmahl gegenwärtig ist.
  Luther legte aber wert darauf, dass die Hostie nicht "verwandelt" wird,
  sondern dass "in, mit und unter" Brot und Wein Jesus bei uns ist,
  allerdings nur im Augenblick des Abendmahls.
  Vorher ist es Brot und Wein, und hinterher auch wieder.
  
  Wozu diese komplizierten Theorien,
  die Behauptung, Jesus sei beim Abendmahl wirklich da,
  aber gleichzeitig die Abwehr auch nur des Anfluges von Kannibalismus:
  Es ist nicht wirklich sein Fleisch, nicht wirklich sein Blut;
  wir essen ihn nicht auf,
  sondern wenn wir essen, ist er dabei.
  Wie soll man das verstehen,
  wie soll man sich das vorstellen?
  
  II
  Dabei kann uns das eingangs zitierte Lied von Joni Mitchell helfen.
  Was sie da singt, klingt ja durchaus nach Abendmahl:
  "You're in my blood like holy wine" -
  "Du bist mir im Blut wie heiliger Wein" -
  "You taste so bitter and so sweet" -
  "du schmeckst so bitter und so süß".
  
  Den anderen, die andere zu schmecken,
  das kann man sich ganz gut vorstellen:
  Beim Küssen schmeckt man einander,
  auch wenn es vielleicht nicht der Geschmack ist,
  auf den man sich da konzentriert.
  Aber wie Menschen sich "gut riechen können" müssen,
  damit sie sich ineinander verlieben,
  so müssen sie sich vielleicht auch gut schmecken können -
  sonst macht das Küssen keine rechte Freude.
  
  Wenn man einen anderen Menschen liebt,
  wenn man so richtig verliebt ist,
  dann hat man diesen geliebten Menschen im Blut.
  Der Kopf ist schwindlig, der Bauch spielt verrückt,
  und durch alle Adern summt es.
  "I could drink a case of you ..." -
  "Ich könnte eine Kiste von dir trinken",
  ich könnte mich an dir berauschen ... -
  einen ordentlichen Rausch bekommt man,
  wenn man eine Kiste Wein trinkt,
  und sei er noch so heilig.
  
  III
  Noch ein anderer Vergleich kann uns helfen,
  diese geheimnisvollen Worte zu verstehen:
  "Wer von diesem Brot essen wird, wird in Ewigkeit leben.
  Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Leib."
  
  "Liebe geht durch den Magen", sagt man.
  Wie auch immer man diesen Satz verstehen will:
  das gemeinsame Essen spielt immer eine große Rolle,
  wenn Menschen ihre Zuneigung, ihre Liebe zeigen.
  Das erste Rendezvous beginnt mit einem gemeinsamen Essen.
  Man trifft sich im Café oder im Restaurant
  oder kocht gemeinsam,
  und kommt sich dabei näher.
  Auch für Familien gehört die gemeinsame Mahlzeit
  zu den wichtigsten Ereignissen im Alltag;
  zu Geburtstagen, an Festtagen wird ganz besonders gekocht,
  oder man geht gemeinsam Essen.
  Bei der Vorbereitung auf die Konfirmation spielt
  die Mahlzeit eine ganz wichtige Rolle.
  Später, wenn die Kinder ausgezogen sind
  und die Eltern besuchen, gibt es jedes Mal etwas zu essen,
  und sei es nur ein Stück Kuchen.
  Aber so viel Zeit muss sein,
  dass man miteinander am Tisch sitzt und isst.
  
  In den gemeinsamen Mahlzeiten verwirklicht sich die Zuneigung.
  Kommt zum Ausdruck, was mit Worten nicht zu sagen ist.
  Und in der Marmelade, die man von zuhause mitnimmt,
  im Geschmack, den es so nur "bei Muttern" gibt,
  bleiben Mutter und Vater gegenwärtig,
  auch wenn man schon längst abgereist ist.
  In der eigenen Familie wiederholt man dann Bräuche,
  Rezepte, die man von zuhause gewohnt ist.
  All das hat Züge des Abendmahles
  und dient dazu, sich an Abwesende zu erinnern,
  sie in den Kreis hinein zu holen, obwohl sie nicht da sind.
  Es dient dazu, die Liebe zum Ausdruck zu bringen,
  die man füreinander empfindet,
  die alle am Tisch miteinander verbindet.
  
  IV
  Jesus ist das Brot des Lebens,
  das wir nicht nur beim Abendmahl essen.
  Denn es geht nicht darum, tatsächlich etwas zu kauen.
  Sondern es geht um die Gemeinschaft mit Jesus.
  Als Jesus die 5.000 mit fünf Broten und zwei Fischen satt machte,
  da waren es nicht die Brote und Fische,
  die sich auf wunderbare Weise vermehrt hatten,
  von denen die Menschen satt wurden.
  Es war die Gegenwart Jesu in der Bereitschaft zum Teilen,
  im Wunder, dass eine der anderen abgab
  und jeder so viel bekam, wie er brauchte.
  
  Was passiert, wenn man das Brot des Lebens isst?
  Man gewinnt Gefallen daran,
  man verliebt sich in diesen Geschmack.
  Jesus strömt einem durch die Adern wie heiliger Wein,
  der einen ein bisschen beschwipst macht,
  ein bisschen leichtsinnig und unvorsichtig.
  Man denkt nicht mehr so genau darüber nach,
  ob man für sich genug bekommt,
  sondern im Überschwang
  achtet einer den anderen höher als sich selbst,
  freut sich, dass die andere, der andere da ist
  und genießt die fraglose Gemeinschaft untereinander.
  
  Es braucht aber keine ganze Kiste dafür.
  Ein winziges Stück reicht - so viel,
  wie übrig bleibt, wenn man fünf Brote und zwei Fische durch 5.000 teilt.
  Etwa so viel wie eine Hostie.
  
  Aber es ist, wie gesagt, nicht die Hostie.
  
  V
  Joni Mitchell singt vom Liebeskummer.
  Ihr ist die Liebe abhanden gekommen.
  Deshalb könnte sie theoretisch eine Kiste
  ihres ehemaligen Geliebten trinken,
  ohne davon so berauscht zu werden,
  wie sie es einmal von ihm war.
  
  Die Liebe zu Jesus kann uns nicht abhanden kommen.
  Wir haben Jesus im Blut,
  auch wenn wir das nicht immer spüren.
  Denn wer von diesem Jesus-Brot isst,
  hat das ewige Leben:
  Das Versprechen, dass wir niemals die Gemeinschaft mit Gott,
  die Gemeinschaft mit Jesus verlieren können,
  ganz gleich, was wir denken oder tun.
  
  Wir haben Jesus im Blut.
  Dazu reichten ein paar Tropfen Wasser bei unserer Taufe.
  Dazu reicht ein kleiner Bissen Brot beim Abendmahl.
  Dazu reicht ein Lächeln, ein Blick, ein Händedruck,
  ein Brief, ein Gedanke an den anderen,
  eine Hand, die man reicht, ein Wort, das man spricht.
  All diese Dinge sind Brot des Lebens,
  in all diesen Dingen ist Jesus zwischen uns gegenwärtig.
  Er ist da. Wir teilen ihn aus,
  wie wir beim Abendmahl Brot und Wein austeilen,
  weil wir so viel Jesus im Blut haben,
  dass wir davon ein bisschen beschwipst sind,
  ein bisschen leichtsinnig und unvorsichtig.
  
  Amen.
  
  [1] Joni Mitchell, A Case of you, erschienen 1970 auf der CD "Blue"