Predigt über Johannes 7, 28-29 von Helmut Dopffel
7,28
„Vom Himmel hoch, da komm ich her…“ – so singen wir heute den Heiligen Abend ein; und auch wenn wir es sind, die singen, so singen wir doch die Worte eines Engels. Er erzählt uns die alte und wunderbare Geschichte von Maria und Josef auf der Reise nach Bethlehem in der kalten und dunklen Nacht, vom Stall und dem Kind in der Krippe, von Ochs und Esel, von Hirten und weisen Männern, vom Stern und von dem Engel am Himmel, von Musik und Licht in der Nacht und der Botschaft „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“  Und wie immer wir das hören und aufnehmen und in unser Herz lassen: Der Zauber des Weihnachtsfestes lebt nicht von Gutsle und Lametta, sondern vom Zauber dieser Geschichte und dem Zauber der Lieder, die sie erzählen.
  Es ist eine Geschichte, die unser Herz anrühren kann, diese junge Frau die Hilfe braucht, das zerbrechliche Glück unter dem dürftigen Dach des Stalles, das Baby, das bald zum Flüchtling wird. Die Botschaft ist ganz irdisch und trifft so erschreckend auch noch auf heutige Verhältnisse zu, dass sie viele Menschen dazu bewegt, an Weihnachten zu spenden für Arme und Bedürftige und besonders für Kinder. Und zugleich liegt über der Weihnachtsgeschichte ein seltsames Licht, ein überirdisches Licht, die eine Botschaft von weit her, die nur Engel bringen können: Euch ist heute der Heiland geboren. Da steigt eine große Sehnsucht auf nach einer besseren Welt, nach einem besseren Ich, nach Liebe und Wärme und Wahrheit und Frieden für alle Menschen auf dieser Erde.
  Und ist es nicht gerade dieses überirdische Licht, diese Botschaft von weit her, die den Zauber der Geschichte ausmach? So dass wir sie immer wieder, jedes Jahr, hören müssen und hören können? Dass sie eben nicht ganz hineinpasst in unsere Welt, wie wir sie begreifen und gestalten und berechnen?
  
  Dreißig Jahre später, so wird erzählt, sagt wieder einer „Vom Himmel hoch da komm ich her“, aber diesmal ist es kein Engel, sondern ein Mensch, der, der einst in der Krippe lag. Und jetzt klingt das ganz anders, er singt nicht, er ruft es laut an einem heiligen Ort, im Tempel zu Jerusalem: Wisst ihr wirklich, wer ich bin, und woher ich stamme? Ich bin nicht im eigenen Auftrag gekommen. Aber der, der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und den kennt ihr nicht. Ich aber kenn ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.
   Ja, die Menschen damals kannten ihn als Jesus von Nazareth. Und auch wir kennen ihn, oder könnten ihn kennen, aus den vielen Worten, die er gesagt und hinterlassen hat, aus den vielen Geschichten, die über ihn erzählt wurden und werden und die in dem alten Buch aufgeschrieben sind. Der Mann auf dem Berg, der eine Blume zum Himmel hebt: „Sehet die Lilien auf dem Felde an. Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in all seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Sollte Gott nicht viel mehr tun für euch?“ Der zu seinen Jüngern sagt: „Ihr seid das Salz der Erde. Liebet eure Feinde.“ Der Mann, der die Macht hat, Menschen zu heilen und Dämonen zu vertreiben, die sich tief in die Seele eines Menschen eingefressen haben. Und der diese Macht nie missbraucht zu eigenem Vorteil. Der, der alle um sich sammelt, arm und reich, Einheimische und Migrantinnen, Frauen und Männer, Kinder und Erwachsene, Gute und Böse, Gläubige und Agnostiker und die, die sich irgendetwas Religiöses zurechtdenken, und mit ihnen feiert und sich einen Fresser und Weinsäufer schimpfen lässt und behauptet, dass so das Gottesreich kommt. Der am Kreuz so jämmerlich, elend, nackt und bloß stirbt, wie er einst in der Krippe lag und sagt, dass er damit die Sünden der Welt, das Dunkel, den Schmerz, das Elend und die Gewalt hinwegnimmt.
  Auch das sind ganz irdische Geschichten, über denen ein seltsames Licht liegt, die eine Botschaft von weit her bringen: Der Retter ist unter euch.
  
  Wir kennen ihn ganz gut, oder könnten ihn kennen. Aber „wisst ihr wirklich, wer ich bin, und woher ich stamme? Ich bin nicht im eigenen Auftrag gekommen. Aber der, der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und den kennt ihr nicht. Ich aber kenn ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.“
  Die Weihnachtslieder singen ein noch höheres Lied von ihm, und er wird noch einmal größer und heller als das Kind in der Krippe oder der Prediger auf dem Berge. Er ist gesandt von Gott, und den, so sagt er lapidar, kennt ihr nicht. Nun meinen wir vielleicht doch einiges über Gott zu wissen, ob er existiert oder nicht existiert, und es ist auch dieser Kirchenraum voll von Gottesbildern, bewusst oder nicht: Gott ist Energie, ist Macht, ist Glanz und Größe, er wohnt in einem Lichte, dem keiner nahen kann, er ist unberührbar, er ist jenseits alles denkbaren, immer größer als all unsere Vorstellungen, er ist Quelle und Ursprung des Lebens, und so weiter. Und diese Vorstellungen sind nun nicht falsch, man kann ja für alle auch Belege herbeibringen, sei es aus der Bibel oder anderen Traditionen, sei es aus dem eigenen Erleben. Aber es sind doch sehr ungefähre Vorstellungen, sehr allgemein, sehr vage, kaum zu greifen. Und so muss Gott für uns sein, wenn er jenseits alles Vorstellbaren ist und bleibt. So können wir von Gott vage Ahnungen haben, und Glauben ist dann nicht mehr als eine Vermutung. Aber Gott kennen? So nah, so wahrhaftig, so herzlich, dass wir ihm unser Vertrauen schenken können im Leben und im Sterben? Dazu bleiben doch zu viele Fragen offen, schmerzliche Fragen nach dem Bösen und dem Leid oder dem Schicksal und warum es gerade uns oder mich trifft oder getroffen hat.
  Gott tritt an Weihnachten heraus aus der Vagheit unserer Vermutungen und Argumente, wie ein Stern aus dem Nebel, und wird Mensch: Kind in der Krippe, Prediger auf dem Berge, Mann am Kreuz. Da istdie biblische Botschaft genau und präzise, wenn sie davon erzählt, dass der große und mächtige Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, elend, nackt und bloß in einem Krippelein liegt und elend, nackt und bloß am Kreuz stirbt. Gott tritt heraus aus der Vagheit unserer Vermutungen, er wird Mensch, „wird ein Kindlein klein“, und trägt einen Namen: Jesus Christus.
  Und dann wird dieses Kindlein ganz anders, es wird groß und hell und heilig, es kennt den wahrhaftigen Gott und die unergründlichen Tiefen der Gottheit, und es rettet uns. „Den aller Weltkreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß. Es ist ein Kindlein worden klein, der alle Welt erhält allein.“ In ihm sagt Gott Ja zu uns, und „Ich liebe dich wie du es dir in deinen wildesten Träumen nicht vorstellen kannst und komme zu dir und renne neben dir durchs Leben.“ Er bringt uns Gottes Fülle, aus der wir Gnade und Gnade schöpfen, bringt Licht, bringt Wasser des Lebens, bringt Erlösung. So sagt es der Engel. Da muss man zuerst einmal schweigen und staunen und auch erschrecken, und dann sehen und hören und glauben, wie die Hirten und die Weisen und am Ende auch Maria und Josef und viele, viele Menschen seitdem.
  
  Liebe Gemeinde,
  an Weihnachten gibt es viele Gründe, froh zu sein und zu feiern, freie Zeit, liebe Menschen, gutes Essen und Trinken, fröhliche Lieder, Geschenke, Kerzen und Weihnachtsbäume. Aber ehrlich gesagt: O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter – kann uns diese Erkenntnis zu Jubelstürmen, zu Freudentränen, zum Aufatmen bringen, die Lasten unserer Seele wegnehmen, und zur Liebe führen? Jingle bells und Rudi das rotnasige Rentier samt Weihnachtsmann? Da brauchen wir doch eine ganz andere Geschichte, von weit her, von dem, der Gott kennt und ihn und sein Licht zu uns bringt und Gnade um Gnade. Der Heiland ist geboren. Für uns und in uns. Deshalb feiern wir! Und wir feiern deshalb auch dann, wenn unsere Welt nicht heil ist. Wenn wir aus unseren Halbwahrheiten und Halblügen nicht herausfinden. Wenn es Dinge in unserem Leben und auf unserer Seele gibt, die nicht vergeben sind. Wenn wir die Flüchtlinge in der Welt und die Armen in unseren Städten und Dörfern sehen und die Familienmitglieder und Nachbarn, bei deren Anblick das Herz keine Freudensprünge macht. Der Heiland ist geboren, uns und aller Welt. Da freut sich unser Herz, wenn wir großzügig sind beim Spenden und Schenken und anderen freundliche Worte und ein fröhliches Lächeln schenken. Etwas anderes bleibt uns gar nicht übrig!
  Und weil Gott ein Kindlein geworden ist dürfen und müssen wir kindlich von ihm reden und singen, wie wir es doch in der Tiefe unseres Herzens am liebsten tun: Ihr Kinderlein kommet…Weißt du, wie viel Sternlein stehen? Kennt auch dich und hat dich lieb.
  „Mit fester Freude
  Lauf ich durch die Gegend,
  mal durch die Stadt,
  mal meinen Fluss entlang.
  Jesus kommt.
  Der Freund der Kinder und der Tiere.
  Ich gehe völlig anders.
  Ich grüße freundlich, möchte alle Welt berühren.
  Mach dich fein: Jesus kommt.
  Schmück dein Gesicht.
  Schmücke dein Haus und dienen Garten.
  Mein Herz schlägt ungemein,
  macht Sprünge.
  Mein Auge lacht
  Und färbt sich voll mit Glück.
  Jesus kommt.
  Alles wird gut.“ (Hans-Dieter Hüsch)
   
Perikope
24.12.2012
7,28