Predigt über Kolosser 4, 2-4 von Antje Marklein
4,2
Liebe Gemeinde!
  
  Lange haben wir zusammengesessen, haben das Leben seiner Frau vor unseren Augen Revue passieren lassen. Ein erfülltes Leben, 92 Jahre alt war sie geworden. Nun war sie verstorben. Und ihr Mann saß vor mir auf seinem Sofa, in sich zusammengesunken, so als hätte ihr Tod auch ihm die Lebenskraft entzogen. ‚Sie kann doch noch nicht gehen. Es gibt noch so viel zu erledigen.‘  Gemeinsam haben wir dann die Trauerfeier vorbereitet, überlegt, welcher Spruch zu seiner Frau passte. Beim Abschied sagte er mir: ‚Beten Sie für mich, Frau Pastorin. Ich geh da nicht mehr hin, in die Kirche. Ich bin sonst immer gegangen, mit meiner Frau. Aber er hat mir nicht geholfen, was soll ich da noch hin gehen. Wieso nimmt er mir meine Frau? Wir hatten noch so viel zu erledigen… Beten Sie für mich!‘
  
  Beten ist eigentlich out. Was soll das Beten überhaupt? Wer betet, in welcher Situation, und an wen richtet sich das Gebet? Ist es nicht ein Selbstgespräch das nur mir selbst gut tut, weil ich in Worte fasse, was mich bewegt? Beten ist out.
  Und zugleich ist das Gebet sehr präsent in unserem Alltag. Ich denke an Autobahnkirchen und Flughafenkapellen, an Räume der Stille in Krankenhäusern und Heimen, ich denke an Gebetsecken in Kirchen  wie dem Petersdom in Rom oder Notre Dame in Paris, ich denke aber auch an offene Kirchen, an Urlauberkirchen, an Kirchentage, an Taizé, an unser Landesjugendcamp und schließlich an die unzähligen Gottesdienste am Sonntagmorgen in unseren Kirchen. Orte des Gebetes gibt es unendlich viele und Menschen die beten ebenso.
  
  Der Theologe Fulbert Steffensky sagt zum Gebet: Beten ist keine Kunst, sondern ein Handwerk. Beten kann man lernen wie Schwimmen und Fahrrad fahren. Allerdings braucht man eine gewisse Aufmerksamkeit für das Leben, die Fähigkeit zu wünschen, die Fähigkeit an Zuständen zu leiden. Jeder Mensch kann beten, wenn er weiß wofür er beten soll.
  
  Jeder Mensch kann beten, ja. Wir Menschen lernen im Laufe unseres Lebens unterschiedliche Formen des Gebetes kennen. Unsere Kinder bekommen, wenn es den Eltern wichtig ist, das Ritual des Gebetes früh schon beigebracht und lernen so von klein an das Geborgensein im Zwiegespräch mit Gott. Jugendliche lernen im Konfirmandenunterricht  eigene Lebenserfahrungen in Gebeten zu formulieren und auszudrücken. Junge Erwachsene lassen sich mit Gebet und Handauflegung für ihren gemeinsamen Lebensweg segnen, kranke Menschen erfahren im Gebet Halt und Trost, und Verstorbene verabschieden wir mit einem Gebet aus unserem Leben.  Das alles sind Gebete auf dem Lebensweg, Gebete  die die Stationen unserer Biographie begleiten.
  
  Ich möchte zwei Formen des Gebetes nennen, die mir viel bedeuten:
  Die erste Form ist die eigene Sammlung: Unser Eingangsgebet im Gottesdienst zum Beispiel, das mir hilft, anzukommen und hinter mir zu lassen, was jetzt nicht hierher gehört. Oder auch die persönliche Sammlung am Frühstückstisch: ‚Gott, lass mir diesen Tag gelingen!‘ Ein kurzes Stoßgebet vor einer schwierigen Aufgabe; ein Dankgebet abends, bevor ich einschlafe: alles Gebete, die mir selbst den Zugang  zu meiner Seele eröffnen, die mich bei mir selbst sein lassen, die mich mir selbst und damit auch Gott begegnen lassen. Ein schönes Beispiel für ein solches persönliches Gebet formuliert Dietrich Bonhoeffer:
  In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht.
  Ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht.
  Ich bin kleinmütig, aber bei dir ist die Hilfe.
  Ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden.
  In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist die Geduld.
  Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den rechten Weg für mich.
  
  Die zweite Form erwächst eigentlich aus der ersten: Sie eröffnet mir den Blick für das was um mich herum geschieht, für die Menschen mit denen ich lebe, die Stadt, das Land. Das Gebet für Andere. Es ist die Bitte, die meinen Blick auf Andere lenkt, die mich formulieren lässt, was Andere brauchen. ‚Betet für mich‘, sagt Paulus, ‚damit ich das Geheimnis Christi sagen kann.‘  Betet für Menschen, die den Auftrag der Verkündigung haben und darin eure Unterstützung benötigen, so Paulus. So tragen Christen einander mit dem Gebet.
  Die Fürbitte hat viele Orte und viele Gestalten.
  Mich beeindruckt z.B.,  dass Brot für die Welt in jeder Woche ein Fürbittengebet veröffentlicht und auffordert, dass dieses Gebet von Einzelpersonen und Gemeinden gesprochen wird als Solidaritätskundgebung für Menschen in einem Krisengebiet. Welch eine gute Geste, die das Engagement für Benachteiligte auf der Welt begleiten kann.
  Oder - Mich erfreut, ja berührt es, wenn mir Menschen sagen: Wir beten für dich. Welch eine Kraft überträgt sich da auf mich in dem Wissen: Ja, da denken Menschen an mich, sie meinen es gut mit mir und wünschen mir Gutes.
  Oder - Mir tut es gut, wenn wir in unseren Taizé-Andachten Psalmen singen, immer wieder, ohne große Überlegung uns hineinbegeben in die alten Worte die uns mit unzähligen Glaubenden verbinden und unsere Gemeinschaft stärken.
  Und schließlich bewegt es mich, wenn Menschen die selbst  nicht mehr beten können sagen: Beten Sie für mich! Welch eine Verantwortung, aber auch welch ein Zutrauen und welch eine enge Verbundenheit entsteht durch ein solches Gebet!
  
  Und wenn wir nicht (mehr) beten können? Weil uns die Worte im Hals stecken bleiben, weil uns die Traurigkeit oder auch die Freude verstummen lassen? Dann haben wir immer die Möglichkeit zurückzugreifen auf die Schätze an Gebeten und Liedern, die unser Gesangbuch uns bietet. Blättern Sie nur einmal im hinteren Teil des Gesangbuches, und sprechen Sie einfach das eine oder andere Gebet nach. Vielleicht merken wir in solchem Einüben des Gebetes, dass es uns immer leichter fällt, fremde oder auch eigene Worte als Gebet auszusprechen – Beten will geübt werden.
  
  Jesus hat uns das Beten gelehrt mit den Worten des Vater unsers. Wenn ihr betet, sagt Jesus, dann plappert nicht wie die Heiden, stellt euch nicht an die Straßenecken sondern zieht euch zurück und betet für euch. Euer Vater weiß was ihr braucht bevor ihr es sagt. Darum betet das Vater unser…
  
  Und schließlich – beten ist sprechen, beten ist singen, beten ist auch schweigen und hören:
  
  Gott ist gegenwärtig,
  lasset uns anbeten
  und in Ehrfurcht vor ihn treten.
  Gott ist in der Mitte.
  Alles in uns schweige
  Und sich innigst vor ihm beuge.
  Wer ihn kennt, wer ihn nennt,
  schlag die Augen nieder,
  kommt, ergebt euch wieder. Amen.
  
  
  Verwendete Literatur: Predigtstudien II 2011/2012; F. Steffensky, Die Schwachheit und die Kraft des Betens.
Perikope
13.05.2012
4,2