Predigt über Markus 16, 9-15 von Jochen Riepe
16,9

Predigt über Markus 16, 9-15 von Jochen Riepe

I
Zu Ostern, liebe Gemeinde, wird gesungen und gelacht; es wird auch geschimpft und getadelt, schließlich aber wird ein Auftrag erteilt: ‚Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur‘ … Kann Gott nicht dem Abraham aus diesen Steinen - aus diesen Herzensharten - Kinder erwecken?*
 II
Ich habe eine e- mail bekommen, eine Kettenemail (ein Kettenbrief, wie man früher sagte). Ich solle, so schrieb man, einen Spendenaufruf für eine gute Sache an zehn weitere Adressen versenden. Man rechnete es mir vor: Wenn du zehn weitere anschreibst und diese Angeschriebenen weitere zehn, dann ist nach fünf Stationen die Zahl 100 000 erreicht. Am Ende der mail stand versprechend, flehend, vielleicht auch etwas drohend: ‚Bitte unterbrich die Kette nicht. Sonst wird unsere Aktion scheitern.‘ ‚Oje‘, dachte ich; als Kind bekam ich bei solchen Aktionen einen Schreck, und wenn ich mitgemacht habe, hörte ich nie wieder etwas davon. Was hatte man mir schon alles versprochen! 1000 Ansichtskarten aus aller Welt.
 III
Ratloser und enttäuschender kann wohl kaum eine Ostergeschichte beginnen: Maria von Magdalas Bericht über die Erscheinung des Auferstandenen erreicht die traurigen und weinenden Jünger nicht. Ebenso ergeht es den beiden Emmaus- Jüngern: auch ihnen glaubte man nicht, ‚daß der Herr sich offenbart habe.‘ Der sog. ‚unechte Markus- Schluß‘, wohl ein Anhang an das Evangelium aus späterer Zeit, dieser ‚Schluß‘ setzt die Osterbotschaft einer tiefen Krise aus - so als sei die Summe allen Zweifels in ihm buchstäblich nach-getragen oder hinterhergeschleppt. Ist der Anfang nicht schon der Anfang vom Ende? Ostern – eine Hoffnungsbotschaft, aber eine Hoffnung, die flügellahm und wie gelähmt dasitzt und das ihr Gereichte nicht annehmen oder erreichen kann? Anscheinend bedenkt dieser zweite Schluß des Markus-Evangeliums eine schwere Frage: Wie kann die Kraft des Anfangs, die Unmittelbarkeit der Begegnung mit dem Auferstandenen, etwas Mittelbares oder Vermitteltes werden? Wie kann der Weg der Verkündigung dieses unerhörten ‚Einschlags‘ in der Weltgeschichte gelingen?
 IV
Man kann es für uns als Spätere – zweitausend Jahre Spätere – gar nicht genug betonen: Der Bruch in der Ostererfahrung, sozusagen die Störung in der Nachrichtenkette, der Riß in der Jüngerschaft zwischen Augen – und Ohrenzeugen, ist gleich von Anfang an dabei und gehört zu Ostern dazu. Es gibt überwältigte, wie der Evangelist Markus es eben noch sagte: zitternde und entsetzte Jüngerinnen und Jünger**, und es gibt solche, die vom lebendigen Christus zunächst einmal nur - hören. ‚Die Botschaft hör ich wohl,/allein mir fehlt der Glaube‘, heißt es bekanntlich - kann es anders sein? Dieser Jesus, dieser Mensch an ihrer Seite, vollmächtig, zu Gott gehörend, ja, und doch verletzbar, sterblich wie sie alle … er sollte den Gang der Welt unterbrechen und aus dem Tode erstanden sein? Wie ein übergewaltiger Gast aus einer fremden Welt war er den ersten Augenzeugen entgegengetreten und den Zweiten mußte es doch wie Irrsinn, Halluzination,Täuschung oder Selbsttäuschung vorkommen, was sie zu gehören bekamen.
 V
Ich habe eine e -mail bekommen, ein Spendenaufruf für einen guten Zweck. Man spürte den Ernst und die Betroffenheit der Absender. ‚Bitte, unterbrich die Kette nicht!‘ schrieben sie schließlich,‘ sonst ist das große Ziel, eine wirksame Hilfe, nicht möglich‘. Als Empfänger ist man unsicher, fragt sich, ob das alles glaubwürdig ist, fühlt sich unter Druck und will sich doch nicht unter Druck setzen lassen … Darf ich den Vergleich wagen: Diese angespannte, zaudernde Unentschiedenheit, diese Lähmung, die einen statt aufstehen, sitzen bleiben läßt, ähnelt vielleicht der Osterstimmung unter den elf Jüngern. Der nach-tragende unbekannte Autor berichtet nun: Sie sitzen bei dieser aufregenden Nachrichtenlage bei Tisch und ihnen, die nicht wagen, die Frucht der Hoffnung zu ergreifen, ihnen erscheint der Auferstandene noch einmal persönlich. ‚Er offenbarte sich ihnen und schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härte‘. Aber will man die so Gescholtenen nicht unwillkürlich in Schutz nehmen?
 VI
Die Erfahrung, daß die Verkündigung des lebendigen Christus nicht einfach und spontan neue Verkündigung bewirkt, die Lehre, daß die Osterbotschaft eben nicht wie ein ununterbrochener Kettenbrief durch die Zeit der Welt läuft – diese Enttäuschung, dieser Frust, sitzt uns Christen tief in den Knochen. ‘Herzenshärte‘, sagt der lebendige Herr, vielleicht vorwurfsvoll und verständig in einem: Ist unser Sinn nicht auf das Gewohnte und Normale, auf den ewigen Kreis von Leben und Sterben gerichtet? Und wer unter uns wäre auf die Nachricht vorbereitet gewesen: Er, der Gekreuzigte, lebt? Wer hätte die Flügel dieser Botschaft sich umbinden lassen, ohne die Angst, sich lächerlich zu machen oder furchtbar tief zu fallen? Wir wissen doch: dieses schlichte Modell einer stets fortschreitenden, lückenlosen Verbreitung einer Nachricht: ‚ich sage es meinem Nachbarn, und der seinem, und der … usw. usw., dann wissen es 100 000 und am Ende glaubt es die ganze Welt‘, dieses Modell funktioniert nicht. Verkündigung, das Entstehen von Glauben, von österlichem Glauben,liegt nicht in unserer Hand und geschieht anders. Tradition, Weitergabe ist wichtig, aber allein – hilflos.
 VII
Zu Ostern wird gesungen, gejubelt, gescholten und getadelt - aber schließlich gibt es einen Auftrag, der gleichsam alle Stufen und Schwierigkeiten,alle mitgeschleppten Lasten des Unglaubens überspringt und mit einem Mal uns Beine macht oder eben Flügel anlegt: ‚Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur‘- Kann Gott nicht dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken? Der anfängliche Oster-Bruch wird nicht einfach aufgelöst, er bleibt, der scheltende Herr aber gibt den Seinen die Kraft der Verkündigung, alle Welt zu Ohrenzeugen zu machen von der Botschaft des Lebens. Diese sprechende, handelnde, heilende Oster-Kraft garantiert nicht den Glauben der Welt. Aber die, die so losgehen, haben die Verheißung: Christus selbst macht sich unsere Worte und Taten zu eigen, um – wann immer er will – sich selbst in ihnen zu bezeugen. Unser Reden ist gebrochen, vielfältig, nachträglich, ‚um- wegig‘, aber unsere Brüche oder eben: unser Unglauben ist gleichsam der Ort, an den der Lebendige selbst tritt und sich selbst bezeugt.
 VIII
Am Ende – nicht nur für Internetnutzer: Netzbetreiber sprechen die dringende Empfehlung aus, einen Kettenbrief nicht weiterzugeben … aus dem einfachen Grund: die Kommunikationssysteme werden sehr belastet und drohen zusammenzubrechen. Ich aber, liebe Gemeinde, bitte Sie in aller Offenheit: Ergreifen Sie die Hoffnungsfrucht, ‚erhebet die Herzen!‘ und geben Sie ungläubig-glaubend *** die Botschaft vom lebendigen Christus weiter. Er wird aus Ihrem Wort etwas machen. Er wird dem Abraham aus diesen Herzensharten - Kinder erwecken!
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*vgl. Lukas 3,8 ** Mk 16,8 ***Mk 9,24