Predigt über Matthäus 27, 33-50 von Andreas Pawlas
27,33
Predigt über Matthäus 27, 33-50 von Andreas Pawlas
Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er's schmeckte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Und sie saßen da und bewachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.
Liebe Gemeinde!
Eine solche Verzweiflungsgeschichte kann einen völlig um den Verstand und dann zum Verstummen bringen. Wie kann man es da nur fertigbringen, das alles so nüchtern und haargenau zu berichten, was mit diesem Jesus geschah, den man den Christus nannte, den Gesalbten, den Verheißenen, den Erretter?
Und weiter: Wie kann man das nur fertigbringen, nach seiner Kreuzigung um seine Kleider zu losen und dann ruhig dabei zu sitzen und aufmerksam zuzuschauen, wie er qualvoll durch dieses brutale Folterinstrument, das Kreuz, stirbt, begleitet durch Spott und Lästereien.
Aber selbst, wenn einem alles egal ist, was auf dieser Welt geschieht und was die Völker mit ihren Menschen machen, wie kann man das denn zulassen, dass da ein Unschuldiger getötet wird! Allerdings wir heute, ja, genau wir hier an diesem Karfreitag, können wir eigentlich anderes tun, als die Menschen damals, als nur zuzuschauen und zuzuhören? Und vielleicht wäre uns allen damals auch gar nichts anderes übrig geblieben, weil wir völlig eingepfercht gewesen wären in diese große Menge, die damals erst zum Richtplatz und dann durch die engen Gassen in Jerusalem zum Hinrichtungsplatz draußen vor der Stadt geströmt wäre, die wie besessen Blut sehen wollte und schrie: „Kreuziget ihn!“ Und selbst, wenn wir nicht mitgeschrien hätten, oder wenn wir gar dagegen geschrien hätten, so hätte man uns nicht gehört!
Aber trotzdem kann es doch nicht sein, dass da einer getötet wird, der so viel anderen geholfen hat - und dass wir nur hilflos daneben stehen können. Und dass er so viel anderen geholfen hat, das bekennen doch selbst die Schriftgelehrten in ihren Lästerreden. Wenn also derart unschuldiges Blut vergossen wird, dann muss man doch irgendwie aufschreien, dann muss man doch irgend etwas tun!
Aber Moment, wieso denn unschuldig? Sagen nun wir das oder die Menschen damals? Vielleicht sieht das ja allein aus unserer heutigen Perspektive, nach unseren heutigen Maßstäben so aus. Ja, aber weshalb wird er denn nun eigentlich verurteilt? Doch weil er gesagt hat, er sei der Christus, der König der Juden, Und genau das haben sie ihm dann noch als Aufschrift auf ein Schild an sein Kreuz geschrieben. Ja, jeder sollte die Schuld von diesem Jesus lesen können, dass er gesagt hatte, er sei der Christus, der König der Juden, er sei der Sohn Gottes, und damit der Erlöser der Welt. Und so etwas, das darf man eben nicht sagen. Nein, so etwas das darf ein Mensch nicht sagen, Gottes Sohn zu sein, Sohn des allmächtigen und hochheiligen Gottes, der unser aller Leben in seiner Hand hat, und vor dessen Richterstuhl wir uns alle am Ende verantworten müssen. Und weil unser Gott allmächtig und hochheilig ist und weil unser Gott alles wirkt und fügt auf dieser Welt, weshalb alles vor ihmzittern muss, deshalb muss doch alles, was zu ihm gehört, deshalb muss doch auch Gottes Sohn, ebenso allmächtig und hochheilig, ebenso alles auf dieser Welt bewirkend und fügend sein.
Und ihr Leute damals, ja, ihr, die ihr unter dem Kreuz steht, und ihr Leute heute, die ihr euch genauso unter dem Kreuz versammelt habt, nun schaut doch gefälligst hin, wie ohnmächtig und wehrlos und zerquält der da am Kreuz hängt, ja, genau der, der doch von sich gesagt hat, dass er der Christus sei, der König der Juden, der Sohn Gottes. Und wenn der wirklich Gottes Sohn wäre, dann würde er doch im Nu herabsteigen von diesem elenden Kreuz! Aber nein, ohnmächtig und wehrlos muss er sich stechen, verhöhnen und quälen lassen. Und das ist doch derschlagende Beweis dafür! Wofür? Doch dass er gelogen hat und darum zu Recht bestraft wird! Denn wenn wirklich Gottes Sohn auch annähernd so gequält würde, und nicht gleich vom Kreuz herabsteigen könnte, so würde doch dann der allmächtige Gott herabfahren und herabstürmen, und ihnen allen ihre schlimmen Folterwerkzeuge aus den Händen schlagen, alle Lästermäuler stopfen und alle Widersacher im Nu zerstören und zerstäuben. Genau so würde er es machen! Warum? Doch weil wir es genau so machen würden, wenn man etwa uns selbst oder unseren Lieben je ein Leid zufügen wollte. So würde es durch göttliche Gewalt gefälligstbersten, knallen und krachen und alle gute Ordnung und Gerechtigkeit wäre sehr schnell wieder hergestellt.
Aber ihr Leute unter dem Kreuz schaut doch: Bei diesem sterbenden Mann am Kreuz, bei diesem Jesus von Nazareth, bei diesem Mann, dem sie die Dornenkrone mit den fingerlangen spitzen Dornen auf den Kopf gepresst haben bis aufs Blut, bei diesem Mann, den sie am Holz festgenagelt und den sie ausgepeitscht haben, bis das Blut spritzte: bei dessen Leiden und schlimmer Qual - da schweigt Gott. Gottesfinsternis. Gottesfinsternis über allem Land. –
Gottesfinsternis - über uns? Aber wieso denn „über uns“? Es ist doch alles so hell und klar und einsichtig: Ein unverschämter Schuldiger wird hingerichtet, wie es sich gehört. Das kann doch jedes Kind begreifen! Aber nein, niemals! Denn so ist es doch gar nicht! Denn uns ist überhaupt nicht klar und einsichtig, warum dieser Jesus von Nazareth genau diesen Weg gehen musste. Und genau diesen Weg gehen wollte. Aber wir, genauso wie die Menschen damals, wir wollen das einfach nicht begreifen! Denn wenn etwas klar war, dann doch, dass er nur einen einzigen Satz hätte zu sagen brauchen, und dann hätte er nach Hause gehen können, dann wäre alle Quälerei beendet, dann hätten seine Wunden versorgt werden können. Dann hätte er in angenehmen Abendstunden weiter mit seinen Jüngern anregende Gespräche führen können und durchs Land wandern und das gemeinsame Leben genießen können.
Aber bitte, welcher Satz hätte das denn wohl sein sollen? Jedoch, liegt das nicht auf der Hand? Denn er hätte doch nur sagen zu brauchen: „Ich bin nicht Gottes Sohn!“ Allein das hätte gereicht. Er hätte doch nur sagen zu brauchen: Ich bin nicht der Christus. Ich bin nicht der Erlöser der Welt. Und dann hätte er seine Haut gerettet. Dann hätte die Schläge aufgehört, und dann hätte er Ruhe gehabt --- aber wir, ja, was wäre dann mit uns? Himmel hilf! Was wäre dann mit uns? Denn wo wäre denn da sonst einer, der uns so sehr liebt, dass er sein Leben mit uns tauscht? Wo wäre denn da sonst einer, der uns so sehr liebt, dass er alle unsere Endlichkeit und Unvollkommenheit, alle Bitterkeit und Schuld unseres Lebens, vor Gotteintauscht gegen sein eigenes vollkommenes Leben?
Hätte Jesus diesen Satz gesagt: „Ich bin nicht Gottes Sohn!“, dann hätte wir keine Chance gehabt! Dann wären wir verloren gewesen! Dann hätten wir - bei Gott - nicht mehr gewusst, was wir glauben und hoffen dürften. Dann wären wir hier im Norden vielleicht weiter als wilde Germanen durch die Wälder gezogen und hätten tote Bäume als Götter angebetet und vor ihrer eingebildeten Macht gezittert und wären irgendwann gestorben und dann belanglos zu Staub zerfallen.
Aber so lässt uns Gottes Liebe nicht verloren gehen! Aber so lässt uns der, der als Gottes Sohn Gottes unergründliche Liebe verwirklicht, nicht in die Vergänglichkeit und Vergeblichkeit abgleiten. Und in seiner Liebe hat er eben nicht nur die elenden Menschen damals vor Augen in ihren Verblendungen und Irrungen, sondern auch bereits uns in unseren ungelösten Fragen und Leiden. Und seine Liebe, die Liebe Gottes, ist so groß und unbegreiflich, dass er die logischen Folgen unserer Verwirrungen und unseres Unglaubens, nämlich unsere irdische Vergänglichkeit an unserer Stelle auf sich nimmt. Und das ist wirklich unglaublich! Das ist wirklich unfassbar, damals wie heute! Aber weil unsere Sinne blind und verdunkelt sind, haben wir nur die Gottesfinsternis vor Augen, in der wir uns irgendwie eingerichtet haben.
Dabei sollten wir doch eigentlich erleichtert und dankbar sein! Wir sollten eigentlich erleichtert und dankbar sein, dass durch diese finsteren Karfreitags-Ereignisse alles Dunkle und Schreckliche in unserem Leben, nun nicht mehr uns umbringt, sondern genau diesen Mann am Kreuz! Denn weil er sein Geschick mit unserem tauscht, werden wir dochfrei und werden laufen gelassen und das nicht nur für unsere begrenzte Lebenszeit, sondern bis in alle Ewigkeit.
Jedoch, selbst wenn wir das endlich begreifen könnten, so könnte uns dennoch alle Freude und Dankbarkeit im Halse stecken bleiben! Denn wie könnte ein fühlender Mensch hinnehmen, wie entsetzlich brutal und blutig diese unsere neue Freiheit erkauft ist!
Aber wie gut, dass Karfreitag und die Brutalität der Mächtigen nicht der Schlusspunkt von Gottes Wirken in der Geschichte und in unserem Leben ist. Und wie gut, dass wir als Nachgeborene schon mehr wissen dürfen als die Jünger damals und dass wir auf Karfreitag schon von Ostern her schauen können. Ja, schon am Karfreitag darf unser Herz leicht und froh darüber werden, dass Christus am Ostertag auferstehen wird, dass also die Liebe und Macht Gottes nicht durch die Brutalität der Mächtigen,nicht durch Tod und Trauer besiegt sein wird, sondern dass Christus auferstehen wird von den Toten, und dass dann alle, die ihm glauben, genauso auferstehen werden wie er. Und weil wir Christenmenschen am heutigen Karfreitag schon in dieser Gewissheit leben dürfen, deshalb muss uns dieser heutige traurige Tag, eigentlich zum Festtag werden, deshalb dürfen wir in dem Schrei: „Eli, Eli, lama asabtani?“ „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ nicht allein den Anfang des 22. Psalms hören, sondern auch bereits sein Ende, wo es heißt: „Gott hat nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen; und als er zu ihm schrie, hörte er's. Dich (Gott) will ich preisen in der großen Gemeinde.“ (Ps 22,25f.)
Ja, dafür ist Gott Vater, Sohn und Hl Geist zu preisen, dass er dieses Erlösungswerk am Karfreitag für uns treibt, durchleidet, durchringt, durchstirbt, damit wir leben. Und das nicht bedrückt oder mit schlechtem Gewissen, sondern in aller Karfreitagsdunkelheit bereits angerührt vom Licht des Ostermorgens und deshalb froh und dankbar, jetzt und bis in Ewigkeit. Amen.
Liebe Gemeinde!
Eine solche Verzweiflungsgeschichte kann einen völlig um den Verstand und dann zum Verstummen bringen. Wie kann man es da nur fertigbringen, das alles so nüchtern und haargenau zu berichten, was mit diesem Jesus geschah, den man den Christus nannte, den Gesalbten, den Verheißenen, den Erretter?
Und weiter: Wie kann man das nur fertigbringen, nach seiner Kreuzigung um seine Kleider zu losen und dann ruhig dabei zu sitzen und aufmerksam zuzuschauen, wie er qualvoll durch dieses brutale Folterinstrument, das Kreuz, stirbt, begleitet durch Spott und Lästereien.
Aber selbst, wenn einem alles egal ist, was auf dieser Welt geschieht und was die Völker mit ihren Menschen machen, wie kann man das denn zulassen, dass da ein Unschuldiger getötet wird! Allerdings wir heute, ja, genau wir hier an diesem Karfreitag, können wir eigentlich anderes tun, als die Menschen damals, als nur zuzuschauen und zuzuhören? Und vielleicht wäre uns allen damals auch gar nichts anderes übrig geblieben, weil wir völlig eingepfercht gewesen wären in diese große Menge, die damals erst zum Richtplatz und dann durch die engen Gassen in Jerusalem zum Hinrichtungsplatz draußen vor der Stadt geströmt wäre, die wie besessen Blut sehen wollte und schrie: „Kreuziget ihn!“ Und selbst, wenn wir nicht mitgeschrien hätten, oder wenn wir gar dagegen geschrien hätten, so hätte man uns nicht gehört!
Aber trotzdem kann es doch nicht sein, dass da einer getötet wird, der so viel anderen geholfen hat - und dass wir nur hilflos daneben stehen können. Und dass er so viel anderen geholfen hat, das bekennen doch selbst die Schriftgelehrten in ihren Lästerreden. Wenn also derart unschuldiges Blut vergossen wird, dann muss man doch irgendwie aufschreien, dann muss man doch irgend etwas tun!
Aber Moment, wieso denn unschuldig? Sagen nun wir das oder die Menschen damals? Vielleicht sieht das ja allein aus unserer heutigen Perspektive, nach unseren heutigen Maßstäben so aus. Ja, aber weshalb wird er denn nun eigentlich verurteilt? Doch weil er gesagt hat, er sei der Christus, der König der Juden, Und genau das haben sie ihm dann noch als Aufschrift auf ein Schild an sein Kreuz geschrieben. Ja, jeder sollte die Schuld von diesem Jesus lesen können, dass er gesagt hatte, er sei der Christus, der König der Juden, er sei der Sohn Gottes, und damit der Erlöser der Welt. Und so etwas, das darf man eben nicht sagen. Nein, so etwas das darf ein Mensch nicht sagen, Gottes Sohn zu sein, Sohn des allmächtigen und hochheiligen Gottes, der unser aller Leben in seiner Hand hat, und vor dessen Richterstuhl wir uns alle am Ende verantworten müssen. Und weil unser Gott allmächtig und hochheilig ist und weil unser Gott alles wirkt und fügt auf dieser Welt, weshalb alles vor ihmzittern muss, deshalb muss doch alles, was zu ihm gehört, deshalb muss doch auch Gottes Sohn, ebenso allmächtig und hochheilig, ebenso alles auf dieser Welt bewirkend und fügend sein.
Und ihr Leute damals, ja, ihr, die ihr unter dem Kreuz steht, und ihr Leute heute, die ihr euch genauso unter dem Kreuz versammelt habt, nun schaut doch gefälligst hin, wie ohnmächtig und wehrlos und zerquält der da am Kreuz hängt, ja, genau der, der doch von sich gesagt hat, dass er der Christus sei, der König der Juden, der Sohn Gottes. Und wenn der wirklich Gottes Sohn wäre, dann würde er doch im Nu herabsteigen von diesem elenden Kreuz! Aber nein, ohnmächtig und wehrlos muss er sich stechen, verhöhnen und quälen lassen. Und das ist doch derschlagende Beweis dafür! Wofür? Doch dass er gelogen hat und darum zu Recht bestraft wird! Denn wenn wirklich Gottes Sohn auch annähernd so gequält würde, und nicht gleich vom Kreuz herabsteigen könnte, so würde doch dann der allmächtige Gott herabfahren und herabstürmen, und ihnen allen ihre schlimmen Folterwerkzeuge aus den Händen schlagen, alle Lästermäuler stopfen und alle Widersacher im Nu zerstören und zerstäuben. Genau so würde er es machen! Warum? Doch weil wir es genau so machen würden, wenn man etwa uns selbst oder unseren Lieben je ein Leid zufügen wollte. So würde es durch göttliche Gewalt gefälligstbersten, knallen und krachen und alle gute Ordnung und Gerechtigkeit wäre sehr schnell wieder hergestellt.
Aber ihr Leute unter dem Kreuz schaut doch: Bei diesem sterbenden Mann am Kreuz, bei diesem Jesus von Nazareth, bei diesem Mann, dem sie die Dornenkrone mit den fingerlangen spitzen Dornen auf den Kopf gepresst haben bis aufs Blut, bei diesem Mann, den sie am Holz festgenagelt und den sie ausgepeitscht haben, bis das Blut spritzte: bei dessen Leiden und schlimmer Qual - da schweigt Gott. Gottesfinsternis. Gottesfinsternis über allem Land. –
Gottesfinsternis - über uns? Aber wieso denn „über uns“? Es ist doch alles so hell und klar und einsichtig: Ein unverschämter Schuldiger wird hingerichtet, wie es sich gehört. Das kann doch jedes Kind begreifen! Aber nein, niemals! Denn so ist es doch gar nicht! Denn uns ist überhaupt nicht klar und einsichtig, warum dieser Jesus von Nazareth genau diesen Weg gehen musste. Und genau diesen Weg gehen wollte. Aber wir, genauso wie die Menschen damals, wir wollen das einfach nicht begreifen! Denn wenn etwas klar war, dann doch, dass er nur einen einzigen Satz hätte zu sagen brauchen, und dann hätte er nach Hause gehen können, dann wäre alle Quälerei beendet, dann hätten seine Wunden versorgt werden können. Dann hätte er in angenehmen Abendstunden weiter mit seinen Jüngern anregende Gespräche führen können und durchs Land wandern und das gemeinsame Leben genießen können.
Aber bitte, welcher Satz hätte das denn wohl sein sollen? Jedoch, liegt das nicht auf der Hand? Denn er hätte doch nur sagen zu brauchen: „Ich bin nicht Gottes Sohn!“ Allein das hätte gereicht. Er hätte doch nur sagen zu brauchen: Ich bin nicht der Christus. Ich bin nicht der Erlöser der Welt. Und dann hätte er seine Haut gerettet. Dann hätte die Schläge aufgehört, und dann hätte er Ruhe gehabt --- aber wir, ja, was wäre dann mit uns? Himmel hilf! Was wäre dann mit uns? Denn wo wäre denn da sonst einer, der uns so sehr liebt, dass er sein Leben mit uns tauscht? Wo wäre denn da sonst einer, der uns so sehr liebt, dass er alle unsere Endlichkeit und Unvollkommenheit, alle Bitterkeit und Schuld unseres Lebens, vor Gotteintauscht gegen sein eigenes vollkommenes Leben?
Hätte Jesus diesen Satz gesagt: „Ich bin nicht Gottes Sohn!“, dann hätte wir keine Chance gehabt! Dann wären wir verloren gewesen! Dann hätten wir - bei Gott - nicht mehr gewusst, was wir glauben und hoffen dürften. Dann wären wir hier im Norden vielleicht weiter als wilde Germanen durch die Wälder gezogen und hätten tote Bäume als Götter angebetet und vor ihrer eingebildeten Macht gezittert und wären irgendwann gestorben und dann belanglos zu Staub zerfallen.
Aber so lässt uns Gottes Liebe nicht verloren gehen! Aber so lässt uns der, der als Gottes Sohn Gottes unergründliche Liebe verwirklicht, nicht in die Vergänglichkeit und Vergeblichkeit abgleiten. Und in seiner Liebe hat er eben nicht nur die elenden Menschen damals vor Augen in ihren Verblendungen und Irrungen, sondern auch bereits uns in unseren ungelösten Fragen und Leiden. Und seine Liebe, die Liebe Gottes, ist so groß und unbegreiflich, dass er die logischen Folgen unserer Verwirrungen und unseres Unglaubens, nämlich unsere irdische Vergänglichkeit an unserer Stelle auf sich nimmt. Und das ist wirklich unglaublich! Das ist wirklich unfassbar, damals wie heute! Aber weil unsere Sinne blind und verdunkelt sind, haben wir nur die Gottesfinsternis vor Augen, in der wir uns irgendwie eingerichtet haben.
Dabei sollten wir doch eigentlich erleichtert und dankbar sein! Wir sollten eigentlich erleichtert und dankbar sein, dass durch diese finsteren Karfreitags-Ereignisse alles Dunkle und Schreckliche in unserem Leben, nun nicht mehr uns umbringt, sondern genau diesen Mann am Kreuz! Denn weil er sein Geschick mit unserem tauscht, werden wir dochfrei und werden laufen gelassen und das nicht nur für unsere begrenzte Lebenszeit, sondern bis in alle Ewigkeit.
Jedoch, selbst wenn wir das endlich begreifen könnten, so könnte uns dennoch alle Freude und Dankbarkeit im Halse stecken bleiben! Denn wie könnte ein fühlender Mensch hinnehmen, wie entsetzlich brutal und blutig diese unsere neue Freiheit erkauft ist!
Aber wie gut, dass Karfreitag und die Brutalität der Mächtigen nicht der Schlusspunkt von Gottes Wirken in der Geschichte und in unserem Leben ist. Und wie gut, dass wir als Nachgeborene schon mehr wissen dürfen als die Jünger damals und dass wir auf Karfreitag schon von Ostern her schauen können. Ja, schon am Karfreitag darf unser Herz leicht und froh darüber werden, dass Christus am Ostertag auferstehen wird, dass also die Liebe und Macht Gottes nicht durch die Brutalität der Mächtigen,nicht durch Tod und Trauer besiegt sein wird, sondern dass Christus auferstehen wird von den Toten, und dass dann alle, die ihm glauben, genauso auferstehen werden wie er. Und weil wir Christenmenschen am heutigen Karfreitag schon in dieser Gewissheit leben dürfen, deshalb muss uns dieser heutige traurige Tag, eigentlich zum Festtag werden, deshalb dürfen wir in dem Schrei: „Eli, Eli, lama asabtani?“ „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ nicht allein den Anfang des 22. Psalms hören, sondern auch bereits sein Ende, wo es heißt: „Gott hat nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen; und als er zu ihm schrie, hörte er's. Dich (Gott) will ich preisen in der großen Gemeinde.“ (Ps 22,25f.)
Ja, dafür ist Gott Vater, Sohn und Hl Geist zu preisen, dass er dieses Erlösungswerk am Karfreitag für uns treibt, durchleidet, durchringt, durchstirbt, damit wir leben. Und das nicht bedrückt oder mit schlechtem Gewissen, sondern in aller Karfreitagsdunkelheit bereits angerührt vom Licht des Ostermorgens und deshalb froh und dankbar, jetzt und bis in Ewigkeit. Amen.
Perikope
Datum 29.03.2013
Reihe: 2012/2013 Reihe 5
Bibelbuch: Matthäus
Kapitel / Verse: 27,33
Wochenlied: 83 92
Wochenspruch: Joh 3,16
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