Predigt über Matthäus 9, 35-38 von Katharina Coblenz-Arfken
9,35
Jesus zog durch die Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen, verkündigte das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und Leiden.
  Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.
  Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter.
  Bittet aber den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.
  
  
  Liebe Gemeinde,
  
  Jesus war nicht beamtet. Er hatte auch kein Studium der Theologie absolviert. War nicht in den kirchlichen Dienst übernommen. Bekam folglich kein festes Gehalt, geschweige denn eine in Aussicht stehende Pension.
  Und doch predigte er. Aus innerem Antrieb. Ihn hielt es nicht zu Hause. Er ging umher. Peripathein. Zog von Ort zu Ort durch Städte und Dörfer und erreichte mit seinem Dasein Menschen. Nicht allein durch Worte. Heilsame Worte. Er heilte.
  
  Er ging nicht abgestumpft durch die Lande. Es ging ihm zu Herzen, was er sah. Er empfand mit den Menschen. Ihm begegnete eine erschöpfte Masse. Müdigkeit in den Augen. Abgestumpftheit der Sinne. Traurigkeit. Die Begeisterung am Seins war nicht mehr zu spüren. Von Hoffnungsvisionen keine Spur. Eine Masse, die träge vor sich hin lebte. Wie eine Herde Schafe – ohne Hirten, d.h. ohne einen, der ihnen den Weg wies, ohne einen, der ihnen grenzen setzte, ohne einen, der ihnen ihre eigenen Werte bewusst machte.
  Diesen Menschen stellte er die Vision vom Reich Gottes vor. Gott hat mit jedem Mensches etwas vor. Deshalb rief er sie ja ins Leben. Und er will sie begleiten, ihnen voraus sein und mit ihnen sein, wie er es schon längst war.
  Wer das begreift und in sich nimmt, der kann geheilt werden. Geheilt von einem aussichtslosen Dasein, geheilt von Trägheit und Abgestumpftheit.
  Heilung geschieht nicht im luftleeren Raum. Da muß ein Raum da sein, in dem sich Heil ausbreiten kann.
  
  Es geht uns doch heute nicht anders.
  Die Diagnose war Krebs. Brustkrebs. Da ließ die Frau sich operieren. Nahm die Chemotherapie auf sich und ließ sich anschließend bestrahlen. Der Krebs war so  erst einmal weg. War er das? Gehorchten die Zellen jetzt dem inneren Bauplan des Lebens? Funktionierten sie?
  
  Doch die Frage blieb: Was soll ich noch mit meinem Leben? Wozu das alles? Körperlich funktionierte sie wieder. Aber ihre Seele war nicht lebendig. Sie wusste nicht, was sie sollte in dieser Welt. Geheilt war sie nicht. Wie sollten da ihre Zellen wissen, was sie machen sollten, wie funktionieren? Sollten sie sich wieder unkontrolliert ausbreiten, irgendwo, sinnlos, keinem Plan gehorsam?
  Nein, geheilt war sie nicht. Dazu hätte es mehr bedurft.
  Ja, was denn?
  Wenn da einer gesagt hätte, du hast das alles überstanden, das hat einen Sinn, dein Leben ist nicht vorüber, du wirst eine Aufgabe finden, du wirst mit am Reich Gottes arbeiten, denn du hast die Kraft dazu geschenkt bekommen.
  Und dieses Reich ist nicht fern von dir. Nur will es jeden Morgen neu gefunden werden und von dir angenommen werden.
  Du lebst. Du kannst Leben weitergeben. Du kannst Deiner Nachbarin Frühstück machen. Sie ist krank. Du kannst für die andere einkaufen gehen. Du kannst dem Kind ein Lied vorsingen. Du kannst die Vögel füttern. Du kannst dich engagieren dort, wo Unrecht geschieht. Du brauchst nicht mehr auf Kosten anderer leben. Keine Billigklamotten, an denen sich in Fernost andere zu Tode rackern. Lass dir die Nahrung nicht mehr vergiften. Weniger ist mehr. Unzählbare Möglichkeiten tun sich auf.
  
  Du hast gar keine Zeit mehr zu denken, dein Leben sei sinnlos.
  Du bist geheilt.
  So oder ähnlich könnte Jesus gesprochen haben durch wen auch immer.
  Durch einen der wenigen Arbeiter in seiner Ernte.
  Die waren damals schon rar.
  Gute Ratschläge wurden ja nicht bezahlt. Und wer wollte schon Rat-schläge? Aber vielleicht sind Ratschläge dazu da, die Ratlosigkeit zu entschärfen. Da braucht es schon Kraft, die Stimmen des Pessimismus nieder zu halten.
  Stimmen, die uns Menschen von innen her aushöhlen und krank machen.
  Heilung beginnt innen und wirkt nach außen.
  
  Das hat Jesus gesehen. Das rührte ihn an. Die Kranken fühlten sich von ihm erkannt und angenommen. Er traute ihnen die Heilung zu.
  Er mutete ihnen zu mitzuwirken das Heil auszubreiten.
  Lassen wir uns diese Zumutung gefallen?
  Heil anzunehmen, aufzustehen und weiter zu gehen, Heil in heillose Zustände zu bringen.
  Jesus hat mit seinem Leben uns eine Spur vorgezeichnet, der wir folgen können.
Perikope
02.06.2013
9,35