Predigt über Matthäus 9,35-38.10,1-7 von Gabriele Arnold

Predigt über Matthäus 9,35-38.10,1-7 von Gabriele Arnold

Liebe Gemeinde
Mein Kind, wir waren Kinder, so beginnt ein zauberhaftes kleines Gedicht von Heinrich Heine, das von den Kinderspielen erzählt, von Kindern, die sich im Hühner Häuschen ein kleines Heim errichten und sogar Besuch bekommen:
Des Nachbars alte Katze
  Kam öfters zum Besuch;
  Wir machten ihr Bückling' und Knickse
  Und Komplimente genug.
  Wir saßen auch oft und sprachen
  Vernünftig, wie alte Leut',
  Und klagten, wie alles besser
  Gewesen zu unserer Zeit;
  Wie Lieb' und Treu' und Glauben
  Verschwunden aus der Welt,
  Und wie so teuer der Kaffee,
  Und wie so rar das Geld! ---
Macht das wirklich alte Leute aus, dass sie klagen und jammern? Aber nein. Jammerlappen gibt es überall und es gibt alte Menschen, die sehr heiter sind und eine hohe Meinung haben von der Welt. Aber umgekehrt wird ein Schuh draus. Wer jammert, ist alt im Herzen und altert wahrscheinlich schneller. Wie sieht denn so ein Jammerlappen aus? Ach, genau wie vor 200 Jahren bei Heinrich Heine. Es ist immer das gleiche Lied. Wie besser doch die Zeiten waren, die Zeiten Heinrich Heines also vor gut 200 Jahren oder die Zeiten als die Kirchen noch voll, die Jugend noch gut erzogen, die Lehrer noch anständig angezogen waren  und die Frauen zu Hause geblieben sind. Der leise Spott Heinrich Heines übers das ewige Gejammer in der Welt, er ist heute so nötig und wohltuend wie damals und das schöne Wort Jammerlappen sagt schon wie unangenehm die ewigen Jammermänner und Frauen sind.
Und in unserem Predigttext heute ist Jesus da nicht auch als Jammerlappen beschrieben? Als er das Volk sah jammerte es ihn. Ein göttliches Gejammer über die Welt. Über die Menschen, die so schlecht und unzuverlässig sind so böse und heillos. Verängstigt wie eine Schafherde. Nun ist es ganz gut, dass kluge Menschen viel geforscht haben was es mit dem Wort Jammern so auf sich hat. Das Wort „jammern“ das hier für die Gefühle von Jesus benutzt wird, begegnet uns im Neuen Testament immer nur wenn von den Gefühlen von Jesus die Rede ist oder wenn Jesus in einem Gleichnis etwas ganz besonders über Gott sagen will. Und Hinter diesem Wort „jammern“ steckt ein hebräisches Wort das bedeutet „erbarmen“ und hinter diesem Wort „erbarmen“ steckt das noch ältere Wort für „Gebärmutter“. Es ist wie bei den Russischen Babuschka Püppchen - es kommt immer noch eine heraus. Wenn Matthäus hier schreibt, dass es Jesus jammerte, dann meint er, das Jesus bis ins tiefste innerste angerührt war von dem was er gesehen hat. Dass Jesus bis ins Tiefste angerührt war von dem Elend der Menschen. Er lässt sich bis ins Herz, bis in den Bauch hinein anrühren von dem was er in den Herzen der Menschen sieht. Er lässt sich anrühren von ihre großen Suche nach Liebe, von ihrem Unversöhnlichkeit, von ihren Tränen um geliebte Menschen, von ihrer Angst vor Krankheit und Tod, von ihrem Hunger nach Brot und nach Leben, von ihrer Ohnmacht gegenüber den Mächtigen, von Ihrer Erschöpfung und Schutzlosigkeit. In diesem Jammer Jesu ist kein anklagender Unterton und kein Gejammer über die Gottlosigkeit der Welt. Jesu Jammer ist seine Zuwendung, ist seine Liebe zu den Menschen. Er hat die Menschen ja gesehen. Er ist ja ganz nah bei ihnen gewesen. Er hat ihnen zugehört, er hat sie geheilt und angerührt, aufgerichtet und getröstet. Er war ganz genauso wie er uns Gott vorgestellt hat. In dem großen, wunderbaren Gleichnis von dem Vater mit den beiden Söhnen. Da ist der eine der mit dem Erbe weggeht und alles durchbringt was er hat und am Schluss Viehfutter frisst, weil er nichts, aber auch gar nichts mehr hat von dem großen Erbe des Vaters. Und der sich schließlich entschließt um zukehren und zu seinem Vater zurückzugehen um sich als Hilfsarbeiter am väterlichen Hof zu verdingen. Und als er sich dem Haus des Vaters nähert, da sieht ihn der Vater und es jammerte den Vater und er rennt los dem Sohn entgegen und küsst ihn. Kein Wort der Anklage, sondern nur Freude, große, große Freude. So ist Gott. Also auch ihn jammert auch ihm geht das Elend bis in die Magengrube.
So ist Jesus und Gott ist auch so. Sie sind keine Jammerlappen über die schlechten Menschen und keine Nörgler. Sie haben die gleiche große Erbarmensliebe zu den Menschen. Kein Gejammer sondern tiefe Nähe und Liebe. So sieht Gott mich an mit Jammer, mit Erbarmen. Auch mein gut verpacktes oder mein offensichtliches Elend geht ihm zu Herzen und da ist keine Anklage, kein Vorwurf, sondern nur Liebe und Erbarmen, Mitleid und Hilfe und Trost und offene Arme.
Uns so geht Jeus, geht Gott bis heute durch die Welt und hilft und heilt und tröstet und treibt böse Geister aus und macht Tote wieder lebendig. Wie er das macht? Ganz einfach. Durch uns, liebe Gemeinde. Durch sie und durch mich. Er braucht uns. In uns geht Christus durch die Welt.
Schon damals ist er nicht allein gewesen. Wir haben es gehört. Schon damals hat er seine 12 Jünger gerufen und losgeschickt. Schon damals ging Reich Gottes nicht allein. Schon damals brauchte Jesus andere. Beispielhaft hat er seine Zwölf gerufen. Die Zwölf, die ganz normale Alltagsmänner waren, Fischer vor allem und er hatte auch noch Alltagsfrauen gerufen von den wir an anderen Stellen lesen können. Alltagsmenschen mit den Alltagsnamen damals: Simon und Jakobus und Judas. Lydia und Magdalena. Heute heißen wir Alltagsmenschen vielleicht auch noch Simon und Jakob, aber auch Heinrich und Uli, Julia und Viola, Klaus und Wolfgang und Katja und Lieselotte. Und wir werden geschickt. Geschickt zu den Menschen. Und später wenn unsere Täuflinge und ihre Geschwister groß sind heißen die Alltagsmenschen, die von Jesus gerufen und losgeschickt werden Juri und Elias, Emma und Carlos, Milla und Louis und Luisa. Jesus braucht keine Helden und Übermenschen. Er braucht keine Kraftprotze und Mini Tarzane. Jesus braucht ganz normale Frauen und Männer. Menschen, die sich anrühren lassen. Menschen, die hinsehen, wie Jesus hingeschaut hat. Menschen die ihre Augen nicht zumachen und Ihr Herz nicht zubetonieren. Er braucht Menschen, die das Elend der anderen nicht kalt lässt. Die an einem Zipfel mit helfen, mitanpacken.
Der Auftrag ist klar und groß:
Sprecht das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Und wenn ihr diesen Satz sprecht, dann tut genau das, was dieser Satz meint. Macht Kranke gesund und weckt Tote auf, macht Aussätzige rein und treibt böse Geister aus. Das ist unser Auftrag. Daran gibt es nichts zu deuteln.
Macht Kranke gesund. Werdet Ärztinnen und Pfleger, Physiotherapeuten und Logopäden, Altenpfleger und Heilerziehungspflegerinnen. Und schaut was die Menschen brauchen. Schaut sie an wie Jeus sie angesehen hat. Voll Erbarmen. Lasst euch jammern und helft.
Macht Tote lebendig. Findet euch nicht ab mit dem Tod der Gewöhnung. Findet euch nicht ab mit Krieg und Gewalt. Findet euch nicht ab mit Hunger und Sextourismus und all den zahllosen Arten wie Menschen um ihr Leben und ihre Würde gebracht werden und getötet an Leib und Seele. Lacht über eure Todesangst und singt „Christ ist erstanden“.
Macht Aussätzige rein. Lasst nicht zu, dass Menschen ausgegrenzt werden. Öffnet die Türen der Asylbewerberheime und holt die Menschen in eure Gemeinden und Häuser. Schaut nicht Verächtlich auf die, die anders sind als ihr selber. Die anders riechen, die anders aussehen, die anders glauben, die anders lieben. Lebt miteinander in Vielfalt und Achtung. Achtet das Kleine und Unscheinbare
Treibt böse Geister aus. Das ist vielleicht das Schwerste. Lasst eure Herzen nicht voll böser Gedanken sein. Vergebt euch. Brecht mit den alten Familiengeschichten. Reicht einander die Hand. Nehmt euch nicht so ernst. Nehmt euch in den Arm. Glaubt daran, dass am Ende alles gut wird. Vertraut Gott mit all eurer Kraft.
Und hört auf zu jammern. Vergesst einfach nicht was Dorothee Sölle gesagt hat
wir haben den längeren atem
  wir brauchen die bessere zukunft
  bei uns hat schon mal einer brot verteilt
  das reichte für alle
wir haben den längeren atem
  wir bauen die menschliche stadt
  bei uns ist schon mal einer
  aufgestanden von den toten
Amen