Predigt über Römer 7,14-25a von Reiner Kalmbach
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Predigt über Römer 7,14-25a von Reiner Kalmbach

22. Sonntag nach Trinitatis (04. 11. 2012)

  Text: Römer 7, 14 – 25a

 
Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.
 
Liebe Gemeinde:
Wir kommen direkt vom Reformationsfest her. Und hier in Südamerika wird uns Protestanten wieder einmal schmerzlich bewusst, dass wir einer Gesellschaft angehören, die auf eine Reformation ( immer) noch wartet.
Den Glauben als Geschenk leben, ihn aus der christlichen Freiheit heraus in dieser Welt bezeugen, als von Gott angenommer Mensch – mit all seinen Licht-und Schattenseiten -, darum geht es doch. Der Glaube als befreiende, als frei-machende Erfahrung, und nicht der Lohn von Anstrengung und Mühe, nicht das Erklimmen schwindelerregender Höhen, nicht  das Wohlwollen des Himmels suchend...
Nun werden mir manche entgegenhalten, dass dies auch im Geburtsland der Reformation mittlerweile Schnee von gestern ist. Mag sein, aber es gibt Dinge die sich einfach nicht auslöschen lassen, sie haben sich tief ins Bewusstsein der Menschen eingegraben. Glauben sie mir!, ich reise öfter hin und her und spüre den Unterschied...
Deshalb noch einmal: Reformation, nicht unsere Werke sinds, sondern allein der Glaube, das Vertrauen in Gottes Zusage: du bist mein Kind!
Ja, ich denke, in diese Richtung sollten wir marschieren, wenn wir das Wort das uns heute gegeben ist verstehen wollen. Ohne diesen Hintergrund gerieten wir in einen Wirbel und am Ende bliebe uns nur die Trost-und Ratlosigkeit eines Heranwachsenden, der verzweifelt versucht sein wahres „ich“ zu finden. Und wenn wir ehrlich sind: es gibt viele Menschen, die ein ganzes Leben lang auf der Suche sind und doch nichts anderes sehen, als vor und hinter sich ein grosses Fragezeichen.
Hören wir nun das Wort aus dem Brief des Paulus an die Römer. Es steht im 7. Kapitel, die Verse 14 bis 25a
Textlesung
Ich muss gestehen, dass ich diesen Text schon oft gelesen habe, aber irgendwie suchte ich (vor mir selbst) immer wieder eine Ausrede, um ihn nicht predigen zu müssen..., schliesslich gibt es auch noch Alternativen. Vielleicht lag es daran, dass ich mich mit seinem Inhalt zu sehr identifiziren kann. Und dann ist da ja auch die Gefahr in diesen Wirbel, oder Strudel hineinzugeraten..., um dann doch nur meine eigene Zerrissenheit erkennen zu müssen. Ja, manchmal hat man Angst vor sich selbst...
Nun, heute will ich mich der Herausforderung stellen, und das heisst erst einmal ehrlich zu mir selbst sein:
1)      ich bin gespalten und zerrissen...
Doch zunächst sollten wir ein paar Fragen klären: von wem spricht Paulus, wenn er immer wieder das „ich“ benutzt?, meint er sich und sein Leben, seine Vergangenheit und seine Gegenwart?, nein, ich denke wir können davon ausgehen, dass er den Menschen an sich meint, und zwar den Christenmenschen!, also mich, uns alle, aber auch ihn, den Apostel Paulus. Ja, vielleicht ist es sogar so, dass man dieses schwierige Kapitel des Römerbriefs nur aus der christlichen Perspektive heraus verstehen kann, also vom Glauben her.
Er, der „einst“ ein Eiferer, ein Fanatiker des Gesetzes war, ein Perfektionist, da kann ihm niemand einen Vorwurf machen! Aber gerade daran zerbricht er: es war seine Korrektheit im Gesetz die ihm seine Sündhaftigkeit vor Augen führte. Und jetzt gerät er in den Strudel, und wir mit ihm..., denn man könnte soweit kommen zu sagen, Gottes Gesetz habe uns zu Sündern gemacht..., wie das?, um dann gleich darauf von ihm zu hören: Gottes Gesetz ist gut!, ist „heilig“..., warum dann seine vernichtende Wirkung? An „mir“ liegt es, sagt Paulus, an meiner eigenen Widersprüchlichkeit. Also doch: ein „zweites ich“ treibt sein Unwesen in mir: die Sünde aus der meine Taten kommen..., eigentlich wollte ich nicht sündigen, aber faktisch habe ich gesündigt. Wer kennt das nicht? Ich wollte ruhig und beherrscht sein, mich nicht provozieren lassen..., aber dann ist doch der Gaul mit mir durchgegangen. Und noch viel ernster: ich wollte helfen, uneigennützig..., aber dann meldete sich dieses andere „ich“: „...und wo bleibt die Anerkennung...!?“
Da gab es in meiner Gemeinde einen alten Mann. Er kam direkt nach dem Kriege, aus der französischen Gefangenschaft, nach Argentinien. Dieser Mann war für die Gemeinde und für mich selbst ein Beispiel an Gottesfürchtigkeit, mehr noch, mit der Zeit wurde er so etwas wie mein Beichtvater und als Laie einer meiner wichtigsten Lehrer. Ja, er kannte seine Bibel gut. Aber er war auch, und das spürte ich schon bald, ein in sich zerrissener Mensch. Irgendetwas stimmte da nicht. Er schleppte eine unglaublich schwere Last mit sich herum...Ich wusste, er stammte aus einem frommen Elternhaus in Schlessien und musste, als junger Mensch, die ganze (himmelschreiende) Unmenschlichkeit der Naziideologie über sich ergehen lassen, d.h. er wurde, wie viele andere auch, hinein-und hindurchgewirbelt, um sich danach irgendwie und irgendwo zu fragen: wo bin ich, was ist passiert..?; und vielleicht auch: was habe ich getan?
Ich bin Gott unendlich dankbar, dass ich den Freund und Glaubensbruder in den letzten Tagen seines Erdendaseins begleiten durfte: „...gibt es Gnade für mich...?“, fragte er...
Ein in sich zerrissener Mensch, Christenmensch!, gefangen im unseligen Widerstreit seines Lebens...
 
2)      ...gefangen im Widerstreit meines Lebens...
Nun könnte ich einfach sagen: „entscheide dich!, ergreife doch Partei für Gott, lass ihn zum Zuge kommen und wirf die Sünde aus dem Haus...!“, das jedenfalls, ist die Botschaft die man in tausenden von Kirchen hören kann, die sich in den letzten Jahrzehnten gerade in Lateinamerika ausbreiten. Du musst dich nur entscheiden: für Jesus und gegen die Sünde..., und schon ist dein Leben in Ordnung.
Aber ich weiss zu gut, dass „ich“ das nicht kann. Ich bin ihr „Gefangener“, wie ein Sklave der über sich selbst nicht verfügen kann, eben „unter die Sünde verkauft...“, wie Paulus an anderer Stelle schreibt. Ich stehe also im Dienst, und manchmal auch im Sold, der Sünde. Diese Feststellung zieht uns ganz schön nach unten...Aber es kommt noch dicker: Trotz aller Anstrengungen, Gott in mir zu seinem Recht kommen zu lassen, es bleibt eben nur Stückwerk, gefertigt aus dem „Alten“. Warum ist das so?, weil die Sünde von mir Besitz ergriffen hat. Selbst die Erfahrung der Vergebung kann meine Vergangenheit nicht auslöschen. Sie ist ja da!, sie begleitet mich ein ganzes langes Leben lang. Und jeden Tag der vergeht, fügt ihr ein neues Kapitel hinzu. Das war doch die Lebenserfahrung meines Glaubensbruders, unter deren Gewicht er schier zerbrochen ist. Denn da ist das Gesetz, das „gut und heilig“ ist, das mir die Sünde ins Bewusstsein bringt und dann, auf der anderen Seite, mir den Heimweg zu Gott versperrt: ich kann nicht einfach sagen: „Grüss Gott, lieber Gott, da bin ich wieder!“, -ich bin gefangen –
Wie es scheint, befinden wir uns gerade mitten drin in diesem Strudel, da kann einem ganz schön schwindelig werden. Ist das wirklich so, mit diesem „ich“?
Als Christ weiss ich, dass das so ist, aber ich weiss auch, dass da noch etwas anderes existiert, dass all das was wir bis jetzt gehört und bedacht haben, nicht das letzte Wort hat, nicht haben kann...!, denn...
 
3)      ...ich bin erlöst...!
Wir leben nicht nur in dieser „Ausweglosigkeit“ (nach menschlichem Ermessen), sondern es gibt auch die ganz andere Wirklichkeit: wir sind erlöst!
Woher wissen wir das?, wer sagt es uns?, Paulus selbst!
Alles was Paulus bis jetzt beschrieben hat: die ganze menschliche Tragödie seiner Zerrissenheit, seine aussichtslosen Bemühungen und Opfer (und wer wollte das bestreiten?!), all das kommt am Schluss zum Ziel: „wer wird mich erlösen?“, nicht ich, nicht meine geistigen, geistlichen oder pysischen Gaben und Fähigkeiten, nicht meine Frömmigkeit, nicht meine „guten Werke“, auch wenn  sie noch so gut gemeint sind, und noch so viel Gutes bewirken..., sondern: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!“
 
Das hat sich der Apostel für den Schluss aufgehoben: der Strudel hat uns freigegeben. Erst im Licht des Evangeliums entdecke ich, woraus ich gerettet bin. Dabei kann es nicht darum gehen zu sagen: das alles existiert nicht mehr, aus und vorbei..., nein, es ist meine Vergangenheit, die ja noch da ist, aber eben überwunden und vergeben.
Irgendwie verstehe ich diesen Schluss, wie den Aufschrei im Augenblick des Erwachens aus einem bösen Traum: wo bin ich?, wer bin ich?, was war das? Der Traum war wirklich, real, aber das liegt jetzt hinter mir: Gott sei Dank!
Paulus spricht vom „neuen Menschen“. Ja, das ist es, darum geht es in unserem reformatorischen Glauben: noch verborgen, aber wirklich! Das Neue ist (vorerst) noch im Alten verborgen, deshalb sind für einen Christen die Anfechtungen, die Zerreissproben, nicht vorbei. Da ist Paulus viel realistischer, viel näher an der menschlichen Wirklichkeit dran, als viele der selbsternannten Seelenretter, die die Welt in schwarz und weiss einteilen, in gut und böse.
Nein: ich darf glauben, dass Christus meinen innersten Widerstreit, meine ganze Zerrissenheit am Kreuz ausgefochten und auf sich genommen hat. Könnte ich das nicht glauben, wäre das Kreuz für mich wirklich ein „Ärgernis“ und ich bliebe alleine mit mir und meinem zerrissenen „ich“, mitten im Strudel des Lebens.
Dabei werde ich noch manches Mal rufen: wer wird mich erlösen!?, aber da wird mir zugesprochen: der Erlöser ist schon da!
Wir sind mit dem Auferstandenen verbunden..., und werden deshalb! auferstehen.
 
„Gibt es (auch) für mich Gnade...“? So wahr Jesus lebt!
 
Amen.
 
Reiner Kalmbach, Pfr.
Evang.Kirche am Río de la Plata
Allen (Argentinien)
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