Predigt von Landesbischof Ralf Meister "Was sieht denn dein Herz?"

Predigt von Landesbischof Ralf Meister "Was sieht denn dein Herz?"

Predigt zu Sexagesimae (23.2.2014) von Landesbischof Ralf Meister "Was sieht denn dein Herz?"

Liebe Gemeinde,

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Schönheit ist Geld wert, liebe Gemeinde. Vor wenigen Wochen konnte man im Wirtschaftsteil einer Zeitung unter dem Titel "Die Schönen und die Aktien" lesen, dass attraktive Vorstandschefs mehr Geld verdienen. Sogar die Aktienkurse des Unternehmens steigen [FAZ 8.1.2014, S.17]. Die Schönheit ist eine Aktie. Schöne Menschen bekommen die besseren Jobs, verdienen mehr und helfen ihrem Unternehmen erfolgreich zu sein.

Alle wollen schön sein. Zehnjährige Mädchen stehen morgens verzweifelt vor dem Kleiderschrank und rufen beim Anblick auf den Hosenstapel: "Ich ziehe diese uncoolen Hosen nicht an!" Schönheit ist machbar. Sie ist zeitaufwendig und manchmal kostspielig; Menschen begehren gutes Aussehen, attraktive Mode und perfekte Ausstattung und es scheint sich ja zu lohnen.

Doch an wen oder was passen wir uns eigentlich an, wenn wir schön sein wollen? Vermutlich nur an das, was gerade unter dem Begriff des Schönen angepriesen wird. Die Untersuchung über die Manager hatte tatsächlich einen Computerfilter genutzt, der unter anderem die Symmetrie des Gesichtes, Verhältnis von Augenabstand zur Breite des Mundes oder der Länge der Nase als Grundlegung hatte. So fand man die "schönen Manager, die schöne Managerin." Man weiß nicht, ob man über die Forscher lachen soll, über die Studie, oder weinen über eine Gesellschaft, die so verrückt ist, über bestimmte typisierte Gesichts-Standards zu beschreiben, wen oder was sie schön findet.

Schönheit ist, was als schönes Ideal durch die Bilderwelten in Zeitschriften, Fernsehen, Kino transportiert wird. Was Schneewittchens Stiefmutter beim Blick in den Spiegel fragte: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land", das lassen wir uns im Spiegel des Fernsehens, Internets und Smartphones heute beantworten von Menschen, die in souveräner Gestalt vor uns stehen und sagen: Ich bin der Schönste!
Doch Schönheitsideale wechseln schnell und sind kulturell verschieden. Was an den Adels-Höfen im 18. Jahrhundert als schön galt, die Männerstrumpfhosen und gepuderten Perücken, erscheinen heute eigenartig oder lustig. Schneller als die Jahreszeiten wechseln die Moden, Anschauungen und Stile und damit auch das Schönheitsideal.

Doch lässt sich die Welt in ihrer Schönheit auch mit einem anderen "Ansehen" beschreiben? Dazu will ich zwei Blickwechsel vorschlagen.

Der erste Blick: Die  Künstlerin Julia Krahn hat vor einigen Monaten in Hannover in einer Kirche Fotos gemacht. Fotos mit Menschen, die verschiedene Behinderungen haben und hier in Hannover im Annastift leben. Die Fotomodelle waren einverstanden und hatten einen riesigen Spaß bei den Fotoshootings. Es sind wunderschöne Bilder entstanden. Dabei lag diesem Fotoshooting ein biblischer Text zugrunde: Das Hohelied Salomos. Die Künstlerin hatte die Menschen, mit ihrem Einverständnis, entsprechend gekleidet und Betreuer halfen ihnen, die richtigen Positionen einzunehmen. So wurden sie ins Bild gesetzt, so wie es das Liebeslied des Alten Testaments in seinen Versen besingt. "Siehe meine Freundin, du bist schön; schön bist du, deine Augen sind wie Taubenaugen. Siehe mein Freund, schön bist du und lieblich. Unser Lager ist grün." [Hoheslied 1, 15-16]

Dabei hat nicht die Bekleidung, auch nicht die Kosmetik oder die Ausstattung die Personen vor der Kamera verwandelt. Die Bilder sind so wirkungsvoll, weil man eine Schönheit entdeckt, die tiefer geht als die ebenmäßigen Gesichtsproportionen. Nicht ein äußeres Ebenmaß, sondern eine Anschauung der Person in ihrer Schönheit wird sichtbar.

Vielleicht ist in diesen Bildern etwas kenntlich, was sich in der Erfahrung von Schönheit durch Jahrhunderte verschoben hat. Heute entsteht Schönheit im  liebenden Blick oder bei der Betrachtung von kunstvollen Brücken und wohlgeformten Nieren. Lange davor gab es einmal eine andere Einsicht in die Wahrheit des Schönen. Diese Wahrheit bestand nicht in einem individuellen Blick, wie beim Betrachten von Kunstwerken oder einem geliebten Menschen.

Sondern sie war so etwas wie ein grundsätzlicher Maßstab. Der Mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin hat im 13. Jahrhundert diese Betrachtung beschrieben. All das Wahre, Gute, Schöne in unserer Welt kann nur bestehen, wenn es von einem Guten, Wahren und Schönen verursacht ist. Und dieser erste war und ist Gott selbst. Er galt als unum, verum, bonum und pulchrum. Als der Eine, Gute, Wahre, der Schöne. In der Weisheit Salomos, im Alten Testament heißt es bei der Betrachtung der Werke Gottes: "Wenn aber Menschen sich an ihrer Schönheit freuten und sie darum für Götter hielten, hätten sie wissen sollen, um wie viel herrlicher der ist, der über das alles der Herr ist. Denn der aller Schönheit Meister ist, hat das alles geschaffen." [13,3]

Kann es sein, dass ein Mensch schön ist? Ja sicher! Kann es sein, dass jeder Mensch schön ist? Ja, sicher! Auch dann, wenn wir ihn nicht anschauen? Ja, ein Mensch ist unabhängig von unserer Anschauung und der subjektiven Einschätzung schön. Denn er ist entstanden zum Abbild des einen Schönen; Gott schuf ihn. Dieser provozierende Gedanke führt uns nun zum zweiten Blickwechsel.

Hier in der Kirche gibt es einen Altar. Der Altaraufsatz zeigt in besonderer künstlerischer Sprache von Lucas Cranach dem Älteren Jesus am Kreuz.
Wie wenig dieser Jesus mit unseren üblichen Vorstellungen von Schönheit zu tun hat, ist jedem schnell ersichtlich. Ein sterbender, klagender, auf dem Folterinstrument gespannter Mann. Schön? Das Gegenteil: Abstoßend!

Vermutlich ist der stärkste Beitrag des Christentums zu den gewöhnlichen Schönheitsdebatten der Blick auf die Hässlichkeit. Die Sichtweise auf das Abstoßende, Schmerzvolle, Ohnmächtige. Gott, so Martin Luther,  kümmert sich nicht um unsere Regeln der Schönheit. Luther schreibt: "Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich, zur Ehre, zum Reichtum, zur Kunst, zu gutem Leben.... sich bemüht. Wo solche Leute sind, denen hängt jedermann an, da läuft man hinzu, da dient man gern.....Wiederum in die Tiefe will niemand sehen. Wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist, da wendet jedermann die Augen ab. Und wo solche Leute sind, da läuft jedermann davon, da flieht man, ...denkt niemand, ihnen zu helfen."

Im Blick auf das Kreuz wendet sich unsere Sichtweise. Die Wahrnehmung des Christusbildes verändert die Wahrnehmung aller Bilder. Nicht Ebenmaß und Proportion sind schöne Ideale, auch das verzerrte Gesicht des Schmerzes, die trüben Blicke des Sterbenden zeugen von der ‚Schönheit’ des Menschen.

Der Blick auf das Kreuz ist ein Blickwechsel, der sich in die Erinnerung prägt. Es ist eine andere, tiefere Sichtweise auf die Welt.

Diese Sichtweise lohnt sich, einzuüben. Jeden Tag neu. Damit wir lernen, unsere strengen Urteile aufzugeben. Über einander. Und über uns selbst. Damit wir uns in unserer Schönheit tummeln können. Und uns sehen wie Gott uns sieht: Als sein Ebenbild. Spiegel seiner Schönheit. Und Teil seines großartigen Schöpfungswerkes, über das er längst sein Wort gesprochen hat: "Siehe du bist sehr gut".

Amen.