Predigt zu 1. Korinther 1, 26-31 von Christoph Römhild
1,26

Predigt zu 1. Korinther 1, 26-31 von Christoph Römhild

Ich bin klein, mein Herz ist rein.
  dass niemand drin wohne als Jesus allein.
Liebe Gemeinde,
kennen Sie solche Gebete, die für Kinder sind?
  Sicherlich ist es richtig, wenn Kinder so beten. Kinder empfinden sich als klein.
  Aber manchmal denke ich, auch für uns Erwachsene ist das die innere Haltung, mit der wir vor Gott treten:
  Ich bin klein, mein Herz ist rein.
Wenn wir beten, so senken wir unseren Kopf nieder. Und weite Teile der Theologie zielen auch in diese Richtung. Der Mensch macht sich klein, um Gott zu erhöhen. Mit der Erbsünde wird es ausgesagt: der Mensch ist von Geburt an schuldig und im Grund unwürdig, vor Gott zu treten. Die Grundhaltung, der Grundverdacht ist, dass sich die Anlage des Menschen im schlechten Wollen und üblen Taten äußern will. Erst mit dem Bereuen können wir hoffen, gerechtfertigt zu werden.
  Ich bin klein, mein Herz ist rein.
Schauen wir uns nach diesen Beobachtungen einmal den heutigen Predigttext an. Er steht im 1. Korintherbrief im 1. Kapitel:
26Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung.
  Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. 27Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; 28und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, 29damit sich kein Mensch vor Gott rühme.
  30Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, 31damit, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22.23): «Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!»
Ich bin klein, mein Herz ist rein.
In diese Richtung geht auch der Predigttext. Wir sind töricht, wir sind schwach, wir sind gering und verachtet. Tatsächlich gibt es diese Strömung auch bei Jesus. Auch er gibt die Weisung, sich nicht zu loben, sich nicht oben an die gedeckte Tafel zu setzen, sondern am unteren Ende. Dies ist eine breite Strömung in der Bibel. Doch es gibt auch eine andere Strömung.
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Eine weisheitlichere Strömung. Sie klingt weicher. Voller Respekt und Freundlichkeit für den Menschen. Vielleicht so wie mit Worten des 8. Psalms:
Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:
  was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.
  HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!
Hier sehen wir es: Gott wird als der Schöpfer des Himmels und der Erde beschrieben. Und auch der Mensch ist sein Werk. Aber nun wird beschrieben, wie groß der Mensch ist. Gottes Größe, so dieser Zweig, diese andere Richtung der Bibel, und die Größe des Menschen schließen sich gegenseitig gerade nicht aus. Im Gegenteil, der Mensch bezieht seine Größe von Gott und ist daher groß.
Und noch ein anderer Gedanke: Gott ist der Schöpfer der Welt. Er ist allmächtig. Er ist allwissend. Er ist unendlich erhaben. Er braucht nicht unsere Kleinheit, um groß zu sein. Was wäre das auch für ein Gott, der – obwohl Schöpfer – nur groß sein kann, wenn wir uns klein machten?
Im Gegenteil, ich glaube, Gott hat uns mit so viel Lebenslust und Kreativität und Schaffenskraft ausgerüstet, weil er uns als Mitarbeiter an seinem Reich will.
Und auch bei Jesus finden wir die Tendenz, den Menschen im Angesicht Gottes groß zu machen. So hören wir in der Bergpredigt: (Mt 5)
  Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.
Und tatsächlich wird man dem christlichen Menschenbild nicht gerecht, wenn man sich selbst nur klein macht oder schlimmer noch, wir uns gegenseitig klein machen. Oder sogar die Kirche die Menschen klein macht, wie dies oft genug geschehen ist.
Dies negierte die im Menschen angelegte Größe, seine Fähigkeiten und Leistungen. Dies negierte die dem Menschen von Gott gegebene Rolle.
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Wie hängen nun beide Strömungen zusammen?
Ich glaube, hier muss man zurückkehren zu dem Paulusbrief, zu dem Predigttext. Denn Paulus spricht zuerst aus seiner Biographie heraus: Er selbst hat Jesus nie persönlich getroffen - außer in der Berufung. Ja, mehr noch, er war selber Verfolger der ersten Christen. Er hat dann mit seiner Berufung die Verfolgung aufgegeben und ist größter christlicher Missionar geworden. Das heißt vor allem, er selbst war töricht – weil er Verfolger war. Er selbst war gering – weil er Jesus nicht kannte.
So lesen wir ebenfalls im 1. Korintherbrief, diesmal im 15. Kapitel (8-10):
Zuletzt von allen ist [er] auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.
  Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.
  Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
So ist es kein Wunder, dass Paulus in dieser Struktur von Kleinheit denkt.
  Dazu kommt noch, dass die Gemeinde in Korinth eine Gemeinde der Unterschicht war; Menschen die überwiegend arm waren. Ihnen spricht Paulus in ihrer Lage Mut und Kraft zu.
Und auch sonst in der Bibel gibtes diese Präferenz der Kleinheit: Israel wird erwählt und ist das kleinste der Völker. Bethlehem ist die kleinste der Städte und Gott wird Mensch.
Das deutlichste Zeichen ist aber Karfreitag und Ostern. Denn Jesus selbst wird erniedrig, gedemütigt und gefoltert. Er stirbt am Kreuz. Damit ist er in der äußersten Niedrigkeit angelangt. Doch zu Ostern wird er auferweckt und so erhöht.
Das bedeutet dass die Struktur von Kleinheit schon im Kern des Glaubens angelegt ist.
Vielleicht treffen sich darum auch beide Stränge der Bibel, die Kleinheit und die Größe des Menschen in der Auferstehung. Denn so groß der Mensch von Gott angelegt ist, so groß ist auch oft sein Scheitern.
Aber auch in der Schwachheit ist Gott bei uns und trägt uns durch. Auch in der Krankheit und im Scheitern ist Gott bei uns.
Dies trifft sich mit der Jahreslosung 2012, ebenfalls von Paulus aus dem anderen, dem 2. Korintherbrief:
Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
  2. Korintherbrief, 12, 9
Gerade aus dem Kleinen, aus unseren Selbstzweifeln und unserer Schwäche kann Gott Großes schaffen.
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Aber vergessen wir nicht: Am Anfang steht die Größe des Menschen. Am Anfang steht das Ja Gottes zu uns, dass die Kirche so oft verschwiegen hat. Am Anfang steht Psalm 8: Mit Ehre und Herrlichkeit sind wir alle gekrönt.
Der amerikanische Theologe Matthew Fox vertritt eine Theologie, die nicht zuerst von der Ursünde redet, sondern von dem Ursegen. Am Anfang war der Segen Gottes für uns!
Am Anfang war die Schöpfung Gottes, der sie gesegnet hat.
Dies ist also eine Theologie, die die Schönheit der Schöpfung wahrnimmt, die Schönheit der Menschen an Seele und Körper auch in ihren Unvollkommenheiten.
Ein Segen, der sagt: Ich liebe dich! Du bist in deiner Freiheit Teil meiner Welt. Du bist in deiner Kreativität Mitarbeiter und Teilhaber der wunderbaren segensreichen Entwicklung in der Welt. So spricht Gott zu uns, so spricht Christus zu uns.
Dessen können wir gewiss sein, ob wir uns nun als stark oder schwach empfinden.
Und wir können beten und vor Gott, vor Jesus auch bringen, wo wir schwach sind, was uns schmerzt, was noch dunkel für uns ist:
Jesus, ich glaube, hilf meinem Unglauben.
  Jesus, ich vertraue, trage mein Misstrauen.
  Jesus, ich bin zuversichtlich, nimm du meine Skepsis fort.
  Jesus, ich hoffe, hilf meiner Mutlosigkeit.
  Jesus, ich habe Sehnsucht, hilf meiner Phantasielosigkeit.
Ich glaube, je mehr wir Jesus und dann auch einander unsere Wunden, unser Verstummen, unsere Schwächen und unseren oftmals so gefährdeten Glauben zeigen können, um so mehr werden wir zu wirklich gläubigen Menschen. Umso mehr werden wir das Ja Gottes zu uns hören können.
Umso mehr werden wir zu dem Menschen, als der wir gemeint sind, der zu sein wir von Gott geschaffen sind. Er kann uns heilen. Er kann uns hineinnehmen in dieses Wachsen der ganzen Schöpfung.
Und dann vielleicht, irgendwann, können wir einstimmen in die alten Worte aus dem 139. Psalm:
  Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin;
  wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.
  Ps 139,14
Amen
Perikope
Datum 08.01.2012
Bibelbuch: 1. Korinther
Kapitel / Verse: 1,26
Wochenlied: 68 441
Wochenspruch: Röm 8,14