(Pfingstmontag findet in unseren Gemeinden traditionell einer von jährlich 4 ökumenischen Gottesdiensten zusammen mit der röm.-kath. Nachbargemeinde statt.)
Liebe Schwestern und Brüder aus der Ökumene, liebe pfingstliche Gemeinde,
Pfingsten gilt als das Geburtstagsfest der Kirche, als das vom göttlichen Geist inspirierte Startsignal für die Verbreitung des Evangeliums unter den Menschen. Aber was gibt es da zu feiern, könnten Sie fragen, ist die Kirche, sind die Kirchen nicht in unserer Gesellschaft gerade auf dem absteigenden Ast? Immer weniger groß ist der Anteil katholischer und evangelischer Christinnen und Christen an der Bevölkerung, auch hier im gut bürgerlichen Volksdorf. Immer schwieriger ist es, die Vielzahl an kirchlichen Bauten zu erhalten und zu unterhalten. Und Menschen zu gewinnen, die sich langfristig ehrenamtlich ein- und anbinden an unsere Gemeinden, das wird auch nicht leichter. Gut, wir könnten jetzt einfach mal zusammen ordentlich jammern und klagen.
Muss aber nicht sein – wenn wir uns vergegenwärtigen, welch reiche Fülle an Leben trotzdem in unseren Gemeinden blüht. Unser Gemeindebrief, der Pfarrbrief, das Internet offenbaren das viele, das immer noch und manchmal auch neu bei uns möglich ist.
Welche Fülle steckt dahinter: Welche Fülle von Ideen, von Phantasie, Fleiß, Lust am Tun. Wie viele Frauen und Männer sind nötig, damit alles dieses zu Stande kommen kann, was unsere Gemeinden, die katholische wie die evangelische den Volksdorferinnen und Volksdorfern anbieten! Wenn ich nur an unsere Gemeinden denke: Dann sind hier so viele verschiedene Begabungen und Fähigkeiten zusammen, dass man nur staunen kann. Diese Gemeinden sind keine „Priester-“ „Pastoren“ oder „Pastorinnen“ – Kirche, sondern: Kirche von vielen für viele. Da sind Menschen mit praktischem Verstand und geschickten Händen, ohne die wir kein Gemeindefest und keinen Seniorennachmittag zustande brächten. Da sind Menschen, die zuhören können und begleiten, die alte Menschen besuchen und ihnen Nähe vermitteln. Da sind Menschen, die gut mit Kindern umgehen können und die Gabe haben, ihnen im Spiel Wesentliches zu vermitteln. Da sind Menschen, die singen und musizieren und die Kirchenmusik blühen lassen. Da sind darüber hinaus viele Menschen im Stadtteil, die zwar nicht oder nicht mehr unseren Gemeinden angehören, und die trotzdem als Bündnispartnerinnen und Bündnispartner sich einsetzen für Flüchtlinge, für die Umwelzt, für Kulturfragen. Und da sind Menschen, die mit großer Selbstverständlichkeit und Selbstständigkeit Aufgaben übernehmen, für die ausgebildete und hauptamtliche Menschen aus den verschiedensten Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen – dem Priestermangel in der katholischen wird in den nächsten Jahren ein Pastorinnenmangel in der evangelischen Kirche folgen. Was für ein Reichtum, immer noch!
Was aber ist es, das diese verschiedenen Begabungen dieser verschiedenen Menschen zusammenhält? Was hat die Begabung, die Verteilung des Gemeindebriefes zu organisieren mit der Begabung des geschickten Umgangs mit Blumen zu tun? Was die Gabe des Gesangs mit der Gabe des seelsorgerlichen Zuhörens? Was das Kuchenbacken für´s Gemeindefest mit dem Ausarbeiten eines Vortrags für den Seniorenkreis? Was haben diese Gaben und ihre Trägerinnen und Träger miteinander zu tun, was verbindet sie und: sind sie alle gleichwertig und gleich wichtig? Und welche Stärken können unsere historisch getrennten und theologisch bis heute verschiedenen Kirchen, das katholische und das evangelische Glauben miteinander für die Menschen in dieser immer weltlicheren Stadt einbringen? Wenn wir unsere Gemeinden einmal so zu betrachten beginnen, dann sind wir genau bei der Frage, um die es im Predigttext für diesen Pfingstmontag geht. Paulus schrieb einst an seine geliebte und zugleich problematische Gemeinde in Korinth:
Es gibt verschiedene Gnadengaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Dienste; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist; einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen. Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.
So sehr sich möglicherweise die Gaben, die in der korinthischen Gemeinde vorhanden waren von denen unterscheiden, die bei uns in Volksdorf vorhanden sind und aktiv werden, so sehr bleibt doch das gültig - und heilsam zu hören und zu beherzigen, was Paulus über die Vielfalt der Gaben, ihre Wichtigkeit und Bewertung zu sagen hat. Schon in dem Wort, das er für die Gaben der Menschen verwendet, steckt eine wichtige Botschaft. Er nennt sie „Charismata“, Gnadengaben. Die ganz persönlichen Fähigkeiten, die jeder und jede von uns mitbringt, sind nicht unsere Leistung, unser Können, unsere Kraft, sondern zu aller erst Geschenk, Gnade: Unverfügbar, nicht einklagbar. Sie werden uns geschenkt von Gottes Geist und zwar so "wie er will". Dagegen könnte sich Widerspruch regen: Wieso, ich habe doch dieses oder jenes gelernt, Zeit und Grips investiert, um diese Fähigkeit zu entwickeln... Dennoch bleibe ich mit Paulus dabei: Es sind uns geschenkte Gaben in uns am Werk, und Gnade ist die Chance, diese weiterzuentwickeln und reifen zu lassen. Natürlich investieren wir Zeit und Kraft und auch Geld da hinein. Aber es bleiben geschenkte, unverfügbare Gaben des Geistes. Wenn wir das so für uns und für die Menschen um uns herum akzeptieren können, dann bleibt das nicht folgenlos für unseren Umgang mit uns selbst und anderen: Ich habe bestimmte Gaben und Fähigkeiten, andere Gaben und Fähigkeiten sind mir nicht gegeben und gerade darin bin ich anders als andere und andere sind anders als ich. Ich kann mich freuen an dem, was mir geschenkt wurde und kann aufhören, mich ständig an anderen zu messen und mich immer mit ihnen zu vergleichen oder gar neidisch zu sein. Ich kann frei werden davon, mir und anderen stets Zeugnisse ausstellen zu müssen und frei werden dazu, die Gaben der anderen wahrzunehmen als das was sie sind: Als Geschenk, das ihnen und mir gleichermaßen gilt. Eine solche Haltung könnte aus einer Gemeinde, die über einen solchen Reichtum an Begabungen verfügt mehr machen als eine Gemeinschaft von Konkurrenten: Eine Gemeinschaft der vom Geist Gottes Beschenkten, jenem Geist, von dem Paulus sagt: Er wirkt Alles in Allen.
Doch diese Gabe - Fähigkeiten und Begabungen sind kein Selbstzweck: „In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller“. Hier sagt Paulus deutlich, wann wir aus dem Geist Gottes handeln und wann nicht. Aus dem Geist Gottes handeln heißt, die eigenen Fähigkeiten nicht zu Selbstbestätigung, zur geistlichen Kraftmeierei zu benutzen auf Kosten anderer, sondern zum Nutzen aller. Alles Geistesgaben können zur persönlichen Profilierung missbraucht werden. Das galt in Korinth besonders für die sogenannte „Zungenrede“ ein ekstatisches Reden in unverständlichen Lauten, das erst der Auslegung bedurfte, um für andere verständlich zu werden. Das kann aber für jede einzelne Fähigkeit zur Gefahr werden. Auch ein karitativer oder seelsorgerlicher Betreuungseifer kann dazu pervertieren, den solchermaßen Versorgten klein und unmündig zu machen, damit man selber in umso hellerem Licht als unverzichtbarer Helfer dastehe. „Zum Nutzen aller“ - das ist das einzige wichtige Kriterium.
Der Katalog der Gaben, die Paulus im Korintherbrief nennt, ist nicht vollständig und abgeschlossen, wie könnte er es auch sein: Es gibt eine ebensolche Vielfalt an Gaben und Begabungen, wie es Menschen gibt. Das gilt auch für unsere beiden Kirchen und Gemeinden. Würden wir uns doch nur endlich einmal etwas zutrauen, unsere Gaben entdecken und entwickeln zum Nutzen aller: Diese Ökumene, unsere Gemeinden würde noch viel lebendiger leben als sie es ohnehin schon tun. Doch bitte: Keinen Krampf. Keine krampfhafte, verbohrte Suche. Die Gabe des heiligen Geistes kann auch darin bestehen, einmal loszulassen, das Fragen und die Suche nach Antworten Gott zu überlassen, nicht alles selber machen zu müssen.
Darum erzähle ich Ihnen zum Schluss eine kleine Anekdote aus vergangenen Zeiten. Es war einmal ein alter Mann, ein heiliger Mönch. Von dem erzählte man sich, daß er es fertigbrachte, 70 Wochen zu fasten und auch sonst nur einmal in der Woche zu essen. Der fastete, weil er von Gott etwas wissen wollte. Er fastete 70 Wochen, weil er von Gott Auskunft wollte über die Bedeutung eines ganz bestimmten Wortes aus der heiligen Schrift, doch Gott offenbarte ihm den Sinn nicht. Da sprach der alte Mann zu sich selbst: Siehe, ich habe so große Mühen auf mich genommen, und alles war vergebens. Ich werde zu meinem Bruder gehen und ihn fragen. So ging er hinaus und als er die Tür zu seiner Mönchszelle hinter sich verschloss, da trat ein Engel zu ihm und sagte: Die siebzig Wochen des Fastens brachten dich nicht nahe zu Gott. Aber nun, da du dich gedemütigt hast und bereit bist, deinen Bruder aufzusuchen und ihn um Rat zu fragen, bin ich gesandt, dir den Sinn zu offenbaren.
Ich wünsche Ihnen gesegnete Pfingsten. Amen
konsultierte Literatur: Predigtstudien verschiedener Jahrgänge
Die Herkunft der Legende? Das weiß ich nicht mehr, irgendwo aufgesammelt.