Predigt zu 1. Korinther 15, 1-11 von Ralph Hochschild
15,1-11

Der Predigttext für den heutigen Ostersonntag steht im ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther im 15. Kapitel die Verse 1-11:

Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt. Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Es sei nun ich oder jene; so predigen wir und so habt ihr geglaubt.

Herr segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Gemeinde,

aufscheinen soll heute die österliche Freude in unserem Leben. Ans Licht soll heute kommen, was allzu oft im Grau des Alltags verschwindet: dass Gott sich mit unserem Leben unverbrüchlich verbunden hat. Erscheinen soll heute, was unser Leben über alle Grenzen hinaus trägt: Gottes Liebe. Heute lassen wir uns von Paulus daran erinnern: Der Auferstandene hat sich auf den Weg gemacht und sich dem gezeigt, der ihn verleugnet hatte - Petrus. Er hat sich denen gezeigt, die in der tiefsten Nacht am Kreuz Abstand zu ihm gehalten hatten, seinen Jüngern. Er hat sich dem gezeigt, der seine Bedeutung zu Lebzeiten nicht ermessen konnte, seinem leiblichen Bruder Jakobus. Und er hat sich sogar dem gezeigt, der seine Gemeinde verfolgt hat, dem Paulus.

Keine Zeugenreihe könnte besser illustrieren, was es heißt: “Christus ist gestorben für unsere Sünden”. Der Auferstandene zeigt sich nicht nur denen, die ihm treu geblieben sind: Den Frauen, die bis ans Grab ihre Liebe und ihren Glauben unbeirrt gezeigt haben. Er tritt selbst in das Leben dessen, der ihn verleugnet hatte, er erscheint selbst denen, die ihn in der Gefahr verlassen hatten, er öffnet selbst dem die Augen, der ihn nicht verstanden hatte, er macht selbst aus einem verbissenen Verfolger einen großartigen Zeugen, der sagen kann: “Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin”. Keine Zeugenreihe könnte uns besser ermutigen, auch in unserem Leben die Spuren des Auferstandenen zu suchen. Denn wenn der gestorbene, der begrabene, der auferstandene Christus sich denen gezeigt hat, die mit ihrem Glauben derartig gescheitert sind, warum sollten wir seine Spuren nicht in unserem Leben finden können - so verletzlich, so vage, so gebrochen unser Glaube auch sein mag?

“Er wurde gesehen.” Oder besser übersetzt: “Er ist erschienen. Er hat sich gezeigt”. Paulus erinnert uns daran. Ostern ist eine “Augensache”. Wir lieben die Bilder, die uns schon als Kinder das Ostergeschehen veranschaulicht haben. Das Bild von der neu erwachenden Natur im Frühling, die Geschichte von der Raupe, die sich in einen wunderbaren Schmetterling verwandelt, das Gleichnis vom Samenkorn, das in die Erde fällt und viel Frucht trägt. Ostern ist eine optische Erfahrung. “Er ist erschienen. Er hat sich gezeigt”. Paulus führt uns mit seiner Augenzeugenliste an diese Erkenntnisquelle des Osterglaubens zurück. Nur - dort ist ein anderes Sehen. Es ist nicht gleichnishaft wie bei uns. Für die ersten Zeugen ist Ostern eine sinnliche Erfahrung. Was sie erleben, ist eine Begegnung mit dem Auferstandenen, der zu ihnen kommt. Sie erkennen ihn nicht durch die genaue Beobachtung von Welt und Natur, nicht, weil sie sich aktiv anstrengen, nicht weil sie kreative Wissenschaftler sind. So wenig wie wir etwas dafür können, wenn das Sonnenlicht auf unsere Netzhaut fällt und in unserem Gehirn ein Bild unserer Welt entstehen lässt, so wenig können Petrus, Paulus und all die anderen Zeugen etwas dafür, dass Jesus Christus ihnen erscheint und ihnen eine neue Welt aufleuchtet.

Ob sie ihren Augen getraut haben? Noch gebunden in der Trauer um den gekreuzigten Jesus. Noch gefangen in der Scham über ihr Versagen. Noch ganz in ihrer alten Welt, wo gilt: “Wer tot ist, ist tot. Was vergangen ist, ist vergangen. Wer versagt hat, hat verloren.” Noch heute spüren wir ihre Irritation durch die Begegnung mit dem Auferstanden und hören ihre Fragen: “Sollte meine mit Jesus begrabene Hoffnung wieder lebendig werden können? Sollte sich die Wunde meiner Verleugnung, meiner Flucht, meines Versagens, meines Unglaubens wieder schließen? Was sehe ich? Ein Traumbild? Ein Wunschbild? Meinen verlorenen Herrn?”

“Gestorben nach der Schrift” und “auferstanden am dritten Tage nach der Schrift”. “Nach der Schrift.” Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Paulus hier zwei Mal an den kritischen Stellen, auch für uns kritischen und schweren Stellen, Tod und Auferstehung, die Schrift erwähnt. Es ist die biblische Überlieferung, die dem Schweren seinen Sinn gibt, die das Widersprüchliche verbindet, die keinen unserer Zeugen in seiner Irritation verharren lässt. So wie manches Bibelwort, sei der Tauf- oder Konfirmandenspruch, Trauspruch oder Tageslosung auch uns unsere Existenz und unser Leben erhellt hat. Die Schrift verbindet Licht der Auferstehung und Nacht des Todes, das Dunkel des Versagens und den helle Schein eines neuen, befreiten Lebens. Mit der Schrift entdecken sie: Der Gerechte erleidet keinen sinnlosen Tod. Sie finden in der Schrift und in den Gleichnisses Jesu: Gott nimmt sich des Verlorenen an und entdecken: Gott nimmt sich sogar des über die Maßen verlorenen Jesus an. Aus der Schrift wissen sie: Gott liebt das Leben so sehr, dass er auch die Toten wieder lebendig machen wird. Und sie spüren: Das haben wir gesehen. Jesus Christus ist der Erste, an dem sich diese Hoffnung erfüllt hat. Der Auferstandene ist der Gekreuzigte.

Was die Einzelnen erlebt haben. Was sich die Einzelnen gedacht haben. Was die einzelnen in der Schrift gefunden haben. Wie aus vielen Quellbächen fließt es zusammen. Sie spüren, wie sie unter Ähnlichem gelitten und Ähnliches erlebt haben. Sie entdecken, dass sie die Erfahrung des lebendigen Christus teilen. Sie haben einen gemeinsamen Erfahrungsschatz. Der richtet sie wieder auf, stabilisiert ihren Glauben, stärkt ihre Zuversicht. Aus vielen Quellbächen fließt es zusammen und bildet nun für uns den großen Strom des Glaubens, der bei den ersten Zeugen begann, den Paulus bezeugt, der die Korinther bewegt, der uns heute trägt. Wir spüren seine Kraft im Singen unserer Osterlieder. Wir werden von ihm bewegt in unseren Gottesdiensten und in unserer Gemeinschaft. Wir spüren durch ihn, wie wir selbst von Gottes Liebe getragen und beschenkt werden. Keiner unter uns, der nicht schon um einen Menschen gebangt hat und gespürt hat, wie sehr er von Gott mit diesem Menschen beschenkt wurde. Niemand, der um einen Menschen getrauert hat, der nicht gespürt hat, wie sehr die gemeinsame Zeit ein Geschenk Gottes war und daraus Kraft für sein neues Leben geschöpft hat. Keiner, der in einer Phase des Übergangs, in einem Moment, an dem das Leben still zu stehen schien und Atem holte, nicht spüren konnte, wie Gottes Liebe ihn durch sein Leben bisher getragen hat. Spuren des Auferstandenen in unserem Leben. Momente, in denen mitten in unserer oft so deprimierenden Welt eine neue Welt aufleuchtet. Die Welt Gottes, die Jesus von Nazareth verkündet hat. Die Wirklichkeit Gottes, die uns der Auferstandene eröffnet, um uns aufzurichten, uns zu stärken, um in uns die Auferstehungshoffnung lebendig zu halten. Amen.

 

Perikope
27.03.2016
15,1-11