Predigt zu 1. Korinther 2, 1-10 von Wolfgang Vögele
2,1
Der Predigttext für den 2.Sonntag nach Epiphanias steht 1Kor 2,1-10:
Paulus schreibt: „Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“
Liebe Gemeinde,
so sieht die Welle der täglichen Informationsflut aus: jeden Morgen die Tageszeitung, im Auto zweimal die Nachrichten mit Verkehrsfunk, tagsüber mehrere Dutzend Emails via Desktop und Smartphone, jede halbe Stunde ein Blick in die neuesten Posts bei facebook und am Abend – je nach Erschöpfungszustand – die Tagesschau oder die Tagesthemen. Viele Menschen fühlen sich überflutet von Informationen und Nachrichten, privaten und politischen, öffentlichen und unwichtigen, brauchbaren und unbrauchbaren. Und es stellt sich die entscheidende Frage: Wie soll ich in dieser Flut das wichtige und für mich bedeutungsvolle erkennen? Wer sich einem Überfluß von Informationen gegenüber sieht, dem hilft es eigentlich nur, einen Schritt zur Seite zu treten und die Flut an sich vorbeirauschen zu lassen. Woher bekommt er dann aber das notwendige Wissen, das sein Denken anleitet und seine Handlungen bestimmt? Es hilft nur ein einziges, nämlich sich auf das entscheidend Wichtige zu konzentrieren. Der Rest kann unbehindert und vor allem unbesehen am Empfänger vorbeifließen.
Der evangelische Glaube ist von der tiefen Überzeugung geprägt, daß sich das entscheidende Wissen über das Heil der Welt in den Büchern der Bibel findet. Ein Theologe des 19.Jahrhunderts meinte einmal, jemand könne die Bibel nur richtig verstehen und lesen, wenn er in der rechten Hand die Bibel und in der linken zugleich die Zeitung halte. Beides sollte der Leser parallel zur Kenntnis nehmen. Die Bibel kann nicht richtig verstanden werden, wenn sie allein auf die privaten Dinge des Lebens bezogen wird. Niemand kann die Bibel lesen, als ginge es allein um Heil und Wohl des Lesers, der gerade die Seiten umblättert.
Vielmehr stehen die Erzählungen der Bibel und die öffentlichen Dinge des Lebens zueinander in einer Beziehung. Beide deuten sich gegenseitig. Es gibt eine Beziehung zwischen Bibelvers und Schlagzeile, zwischen Paulus und Facebook, zwischen Evangelium und Ebooks, zwischen Theologie und Twitter-Nachrichten.
Um davon ein Beispiel zu geben, will ich neben die alten und steilen Briefzeilen des Paulus eine Passage aus einem Essay des tschechischen Schriftstellers Ivan Klima legen.
Keinen einfachen Brief hat Paulus an die Korinther geschrieben. Stattdessen setzt er große Ausrufezeichen: erhaben daherkommende Worte, die nicht einfach Information weitergeben, sondern die Bedeutung des Gesagten unterstreichen sollen. Paulus gebraucht eine sperrige, nicht auf das erste Hören verständliche Sprache, obwohl er in den Gemeinden, an die er geschrieben hat, nicht mit „hohen Worten“ aufgetreten ist, sondern in Schwachheit, mit Furcht und Zittern. So sagt er es selbst.
Die kurze Passage aus dem 1.Korintherbrief wirkt für den Hörer wie ein gewaltiges Bergmassiv aus Sprache, mit Klippen, Überhängen und Steilwänden. Zwei Worte ragen wie Gipfelkreuze aus diesem Bergmassiv heraus: die Worte Geheimnis und Weisheit.
Paulus redet selbstbewußt davon, daß er den Korinthern das Geheimnis Gottes verkünden will. Nun sind Geheimnisse für jede politische Öffentlichkeit ärgerlich. Viele von uns würden gar zu gern wissen, was der zornige Bundespräsident auf die Mailbox des Chefredakteurs gesprochen hat.
Geheimnisse rühren an unserem Empfinden für Durchsichtigkeit, ganz besonders, wenn wir selbst vom Inhalt dieser Geheimnisse ausgeschlossen sind. Beim ersten Lesen des Paulusbriefes empfand ich es beinahe als anstößig, daß er von den Geheimnissen Gottes sprach. Denn in der Theologie kann man lernen: Gott hat sich den Menschen in Jesus Christus offenbart, und wer sich so offenbart hat, der hat keine Geheimnisse mehr vor den Menschen. Aber die tiefer gehende Erkenntnis lautet: Gott macht sich in Jesus Christus bekannt. Und trotzdem behält Gott sein Geheimnis. Was wir von facebook bis Twitter erleben, ist das Mißverständnis der Informationsüberflutung, geboren aus dem Wunsch, alles zu wissen.
Trotz facebook: Es kommt auf beides an, auf die Unterscheidung wichtiger von unwichtigen Informationen und auf das Bewahren von Geheimnissen. Mir ist das deutlich geworden an einem mittlerweile schon etwas älteren Essay des verstorbenen tschechischen Schriftstellers Ivan Klima. Er schrieb einmal im „Spiegel“ über „Liebe im 21.Jahrhundert“. Das war im Jahr 1994 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683246.html). Klima setzte sich mit dem auseinander, was unsere Vorstellungen von Liebe bestimmt: mit Werbespots, Groschenromanen, Schlagern. All diese kitschigen Liebesvorstellungen, sagte Klima, nötigen uns dazu, die Menschen, die wir lieben, so vorzustellen, wie wir uns das ausgedacht haben. Jeder erliegt der Versuchung, diejenigen, die er liebt, mit Hilfe seiner eigensinnigen Vorstellungen und Klischees nach seinem Bilde zu formen. Der geliebte Mensch ist danach nicht mehr das Gegenüber mit seiner eigenen Würde. Der geliebte Mensch wird zur Summe der Bedürfnisse des Liebenden degradiert. Und der Geliebte soll dann noch dafür sorgen, daß er entsprechend unseren Vorstellungen unsere Wünsche erfüllt.
„Der Mensch“, schreibt Klima, „hat sich die Welt immer dadurch angeeignet, daß er Fragen stellte. Für ein Kind ist die Welt noch ein einziges Geheimnis. Für einen weisen Menschen bleibt sie es bis an sein Lebensende. Das Geheimnis, das am meisten herausfordert, sollten andere menschliche Wesen sein. In dem Augenblick, in dem wir einen uns nahestehenden Menschen nicht als Wesen voller Geheimnisse empfinden, in dem wir nicht das Bedürfnis verspüren, Mühe aufzuwenden, um wenigstens etwas von ihm zu verstehen, bringen wir uns um die abenteuerliche Chance, seine Eigenart zu enträtseln, seiner komplexen Persönlichkeit wirklich zu begegnen.“ Klima sieht Liebe nur dann am Werk, wenn der geliebten Person ihr Geheimnis verbleibt. Das Aufdecken von Geheimnissen kann sehr verletzend sein, gerade wenn es um Liebe geht.
Noch einmal Klima: „Eine der Grundtendenzen unserer Zeit ist es, der Welt und den Menschen ihr Geheimnis zu nehmen. Das Geheimnis ist verkümmert zu Horrorgeschichten und Sensationsberichten über Ufos und über den Schneemenschen, während gleichzeitig Dutzende von unterschiedlichsten Rubriken, Rate-Ecken und Horoskopen in Zeitschriften und populären Handbüchern uns vorgaukeln, den Schlüssel zum Geheimnis anderer Menschen zu liefern.“
Das Geheimnis des Menschen, von dem Klima redet, und das Geheimnis Gottes, von dem Paulus redet, sind aufeinander bezogen. Zwischen beidem bestehen spannungsgeladene Parallelen. Wer einem anderen Menschen sein Geheimnis nimmt, der macht ihn zum Erfüllungsgehilfen der eigenen Bedürfnisse. So Klima. Wer Gott sein Geheimnis nimmt, der macht ihn zu einem Götzen. So Paulus. Gott als Götze soll keinen anderen Zweck erfüllen als die eigenen Wünschen umzusetzen. Anbetung wird zur Selbstbefriedigung.
Genau das will Paulus vermeiden. Er will nicht von einem Scheingott reden, nicht von einer menschlichen Projektion. Er will von dem Gott reden, der sich in Jesus Christus selbst den Menschen offenbart hat. Aber der in Christus offenbarte Gott bleibt gleichzeitig verborgen - wie uns ein anderer geliebter Mensch verborgen bleibt, wenn wir ihm Geheimnis und Würde lassen.
In diesen Bergmassivsätzen des Paulus liegt eine ungeheure Befreiung: Wir müssen uns über Gott keine Sorgen und keine Ängste machen. Denn dieser Gott hat sich längst um uns Menschen gekümmert, bevor wir an ihn gedacht haben. Deshalb kann Paulus sagen: „Mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.“
Wir sollen Gott Gott sein lassen, ihn nicht nach unseren Bildern und Vorstellungen formen. Wir geben ihm damit die Ehre, daß wir sein Geheimnis wahren. Dieses Verhalten nennt Paulus Weisheit. Wie hatte Ivan Klima geschrieben? „Für ein Kind ist die Welt noch ein einziges Geheimnis. Für einen weisen Menschen bleibt sie es bis an sein Lebensende." Weisheit bedeutet, die Geheimnisse des Lebens anzuerkennen. Das größte Geheimnis des Lebens ist der Gott, der sich den Menschen zuwendet. So weit geht der tschechische Schriftsteller nicht, so weit und so radikal aber denkt, schreibt und redet Paulus.
Die Weisheit, von der Paulus spricht, ist keine Weisheit, die man sich durch Erfahrung, Lernen oder Wissen erwerben kann. Sie ist nicht die Weisheit dieser Welt. Auch darin geht Paulus über den tschechischen Schriftsteller weit hinaus. Die Weisheit, von der Paulus spricht, versteht man nur richtig, wenn man sie als ein Geschenk Gottes begreift.
Und im Mittelpunkt dieser Weisheit, wie Paulus sie auffaßt, steht das Kreuz Jesu Christi. Was ist damit gemeint? Jesus von Nazareth, derjenige Mensch, der wie kein anderer vor und nach ihm von Gottes Reich, von seiner Liebe und seinem Erbarmen sprach und beides auch lebte und danach handelte, dieser Jesus von Nazareth wurde von den Menschen ans Kreuz geschlagen und also aus der Welt herausgedrängt und herausgetötet. Aber Gott hat sich damit nicht abgefunden. Er hat in der Auferweckung Jesu Christi gezeigt, daß seine Liebe stärker ist als alle Bestrebungen von Menschen, die unendliche Barmherzigkeit Gottes zu leugnen, zu sabotieren oder gar zu bekämpfen. Wieso Gott das getan hat, das bleibt sein Geheimnis. Daß er das getan hat und daß wir darauf vertrauen dürfen, ist eine offenbare Gewißheit, die wir in der Weisheit des Kreuzes annehmen.
Die Weisheit des Kreuzes steht im Gegensatz zur Weisheit der Welt. Die Weisheit der Welt setzt sich an die Stelle des Kreuzes und macht den Menschen zum Maß aller Dinge. Aber das Maß aller Dinge ist im Moment die unendliche Informationsflut. Die Weisheit, die Paulus meint, macht das Kreuz zum Ausgangspunkt allen Denkens, ohne das Geheimnis des Kreuzes aufzulösen.
Die Herrscher dieser Welt, schreibt Paulus, haben die Weisheit des Kreuzes nicht erkannt. Als er das schrieb, dachte er vor allem an politische Herrscher. Nach allem, was wir über die Liebe unter den Menschen gelernt haben, kann man das noch weiter fassen: Auch die Herrscher dieser Fernseh- und Medienwelt haben die Weisheit des Kreuzes Jesu Christi nicht erkannt. Daß ein Gescheiterter zum Symbol göttlicher Weisheit wird, steht quer zu den Prioritäten und Vorlieben dieser klatschsüchtigen Welt, in der alles auf das Urteil von Juroren und Coaches in Castingshows ausgerichtet ist. Die Weisheit des Kreuzes dagegen ist keiner Nachricht, keiner Meldung, keines Berichtes mehr wert.
Liebe Gemeinde, ich leite daraus nicht die Forderung ab, das Fernsehen auszuschalten, das Radio abzudrehen oder sich aus dem Internet auszuloggen. Das wäre vermessen, überdreht und unrealistisch. Aber ich erinnere am Ende dieser Predigt nochmals an jenen Theologen aus dem letzten Jahrhundert. Er wollte, daß wir Bibel und Zeitung nebeneinander halten, so daß sich beide gegenseitig erhellen. Bestimmte Geheimnisse läßt die Informationsflut völlig außer Acht.
Warum Gott den Menschen in Jesus Christus in Liebe entgegenkommt, das ist sein Geheimnis, das wir nicht auflösen können. Daß Gott den Menschen in Liebe entgegenkommt, das ist unsere Gewißheit, die wir aus dem Geschenk der Weisheit des Kreuzes schöpfen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was wir uns denken und vorstellen können, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Paulus schreibt: „Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“
Liebe Gemeinde,
so sieht die Welle der täglichen Informationsflut aus: jeden Morgen die Tageszeitung, im Auto zweimal die Nachrichten mit Verkehrsfunk, tagsüber mehrere Dutzend Emails via Desktop und Smartphone, jede halbe Stunde ein Blick in die neuesten Posts bei facebook und am Abend – je nach Erschöpfungszustand – die Tagesschau oder die Tagesthemen. Viele Menschen fühlen sich überflutet von Informationen und Nachrichten, privaten und politischen, öffentlichen und unwichtigen, brauchbaren und unbrauchbaren. Und es stellt sich die entscheidende Frage: Wie soll ich in dieser Flut das wichtige und für mich bedeutungsvolle erkennen? Wer sich einem Überfluß von Informationen gegenüber sieht, dem hilft es eigentlich nur, einen Schritt zur Seite zu treten und die Flut an sich vorbeirauschen zu lassen. Woher bekommt er dann aber das notwendige Wissen, das sein Denken anleitet und seine Handlungen bestimmt? Es hilft nur ein einziges, nämlich sich auf das entscheidend Wichtige zu konzentrieren. Der Rest kann unbehindert und vor allem unbesehen am Empfänger vorbeifließen.
Der evangelische Glaube ist von der tiefen Überzeugung geprägt, daß sich das entscheidende Wissen über das Heil der Welt in den Büchern der Bibel findet. Ein Theologe des 19.Jahrhunderts meinte einmal, jemand könne die Bibel nur richtig verstehen und lesen, wenn er in der rechten Hand die Bibel und in der linken zugleich die Zeitung halte. Beides sollte der Leser parallel zur Kenntnis nehmen. Die Bibel kann nicht richtig verstanden werden, wenn sie allein auf die privaten Dinge des Lebens bezogen wird. Niemand kann die Bibel lesen, als ginge es allein um Heil und Wohl des Lesers, der gerade die Seiten umblättert.
Vielmehr stehen die Erzählungen der Bibel und die öffentlichen Dinge des Lebens zueinander in einer Beziehung. Beide deuten sich gegenseitig. Es gibt eine Beziehung zwischen Bibelvers und Schlagzeile, zwischen Paulus und Facebook, zwischen Evangelium und Ebooks, zwischen Theologie und Twitter-Nachrichten.
Um davon ein Beispiel zu geben, will ich neben die alten und steilen Briefzeilen des Paulus eine Passage aus einem Essay des tschechischen Schriftstellers Ivan Klima legen.
Keinen einfachen Brief hat Paulus an die Korinther geschrieben. Stattdessen setzt er große Ausrufezeichen: erhaben daherkommende Worte, die nicht einfach Information weitergeben, sondern die Bedeutung des Gesagten unterstreichen sollen. Paulus gebraucht eine sperrige, nicht auf das erste Hören verständliche Sprache, obwohl er in den Gemeinden, an die er geschrieben hat, nicht mit „hohen Worten“ aufgetreten ist, sondern in Schwachheit, mit Furcht und Zittern. So sagt er es selbst.
Die kurze Passage aus dem 1.Korintherbrief wirkt für den Hörer wie ein gewaltiges Bergmassiv aus Sprache, mit Klippen, Überhängen und Steilwänden. Zwei Worte ragen wie Gipfelkreuze aus diesem Bergmassiv heraus: die Worte Geheimnis und Weisheit.
Paulus redet selbstbewußt davon, daß er den Korinthern das Geheimnis Gottes verkünden will. Nun sind Geheimnisse für jede politische Öffentlichkeit ärgerlich. Viele von uns würden gar zu gern wissen, was der zornige Bundespräsident auf die Mailbox des Chefredakteurs gesprochen hat.
Geheimnisse rühren an unserem Empfinden für Durchsichtigkeit, ganz besonders, wenn wir selbst vom Inhalt dieser Geheimnisse ausgeschlossen sind. Beim ersten Lesen des Paulusbriefes empfand ich es beinahe als anstößig, daß er von den Geheimnissen Gottes sprach. Denn in der Theologie kann man lernen: Gott hat sich den Menschen in Jesus Christus offenbart, und wer sich so offenbart hat, der hat keine Geheimnisse mehr vor den Menschen. Aber die tiefer gehende Erkenntnis lautet: Gott macht sich in Jesus Christus bekannt. Und trotzdem behält Gott sein Geheimnis. Was wir von facebook bis Twitter erleben, ist das Mißverständnis der Informationsüberflutung, geboren aus dem Wunsch, alles zu wissen.
Trotz facebook: Es kommt auf beides an, auf die Unterscheidung wichtiger von unwichtigen Informationen und auf das Bewahren von Geheimnissen. Mir ist das deutlich geworden an einem mittlerweile schon etwas älteren Essay des verstorbenen tschechischen Schriftstellers Ivan Klima. Er schrieb einmal im „Spiegel“ über „Liebe im 21.Jahrhundert“. Das war im Jahr 1994 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683246.html). Klima setzte sich mit dem auseinander, was unsere Vorstellungen von Liebe bestimmt: mit Werbespots, Groschenromanen, Schlagern. All diese kitschigen Liebesvorstellungen, sagte Klima, nötigen uns dazu, die Menschen, die wir lieben, so vorzustellen, wie wir uns das ausgedacht haben. Jeder erliegt der Versuchung, diejenigen, die er liebt, mit Hilfe seiner eigensinnigen Vorstellungen und Klischees nach seinem Bilde zu formen. Der geliebte Mensch ist danach nicht mehr das Gegenüber mit seiner eigenen Würde. Der geliebte Mensch wird zur Summe der Bedürfnisse des Liebenden degradiert. Und der Geliebte soll dann noch dafür sorgen, daß er entsprechend unseren Vorstellungen unsere Wünsche erfüllt.
„Der Mensch“, schreibt Klima, „hat sich die Welt immer dadurch angeeignet, daß er Fragen stellte. Für ein Kind ist die Welt noch ein einziges Geheimnis. Für einen weisen Menschen bleibt sie es bis an sein Lebensende. Das Geheimnis, das am meisten herausfordert, sollten andere menschliche Wesen sein. In dem Augenblick, in dem wir einen uns nahestehenden Menschen nicht als Wesen voller Geheimnisse empfinden, in dem wir nicht das Bedürfnis verspüren, Mühe aufzuwenden, um wenigstens etwas von ihm zu verstehen, bringen wir uns um die abenteuerliche Chance, seine Eigenart zu enträtseln, seiner komplexen Persönlichkeit wirklich zu begegnen.“ Klima sieht Liebe nur dann am Werk, wenn der geliebten Person ihr Geheimnis verbleibt. Das Aufdecken von Geheimnissen kann sehr verletzend sein, gerade wenn es um Liebe geht.
Noch einmal Klima: „Eine der Grundtendenzen unserer Zeit ist es, der Welt und den Menschen ihr Geheimnis zu nehmen. Das Geheimnis ist verkümmert zu Horrorgeschichten und Sensationsberichten über Ufos und über den Schneemenschen, während gleichzeitig Dutzende von unterschiedlichsten Rubriken, Rate-Ecken und Horoskopen in Zeitschriften und populären Handbüchern uns vorgaukeln, den Schlüssel zum Geheimnis anderer Menschen zu liefern.“
Das Geheimnis des Menschen, von dem Klima redet, und das Geheimnis Gottes, von dem Paulus redet, sind aufeinander bezogen. Zwischen beidem bestehen spannungsgeladene Parallelen. Wer einem anderen Menschen sein Geheimnis nimmt, der macht ihn zum Erfüllungsgehilfen der eigenen Bedürfnisse. So Klima. Wer Gott sein Geheimnis nimmt, der macht ihn zu einem Götzen. So Paulus. Gott als Götze soll keinen anderen Zweck erfüllen als die eigenen Wünschen umzusetzen. Anbetung wird zur Selbstbefriedigung.
Genau das will Paulus vermeiden. Er will nicht von einem Scheingott reden, nicht von einer menschlichen Projektion. Er will von dem Gott reden, der sich in Jesus Christus selbst den Menschen offenbart hat. Aber der in Christus offenbarte Gott bleibt gleichzeitig verborgen - wie uns ein anderer geliebter Mensch verborgen bleibt, wenn wir ihm Geheimnis und Würde lassen.
In diesen Bergmassivsätzen des Paulus liegt eine ungeheure Befreiung: Wir müssen uns über Gott keine Sorgen und keine Ängste machen. Denn dieser Gott hat sich längst um uns Menschen gekümmert, bevor wir an ihn gedacht haben. Deshalb kann Paulus sagen: „Mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.“
Wir sollen Gott Gott sein lassen, ihn nicht nach unseren Bildern und Vorstellungen formen. Wir geben ihm damit die Ehre, daß wir sein Geheimnis wahren. Dieses Verhalten nennt Paulus Weisheit. Wie hatte Ivan Klima geschrieben? „Für ein Kind ist die Welt noch ein einziges Geheimnis. Für einen weisen Menschen bleibt sie es bis an sein Lebensende." Weisheit bedeutet, die Geheimnisse des Lebens anzuerkennen. Das größte Geheimnis des Lebens ist der Gott, der sich den Menschen zuwendet. So weit geht der tschechische Schriftsteller nicht, so weit und so radikal aber denkt, schreibt und redet Paulus.
Die Weisheit, von der Paulus spricht, ist keine Weisheit, die man sich durch Erfahrung, Lernen oder Wissen erwerben kann. Sie ist nicht die Weisheit dieser Welt. Auch darin geht Paulus über den tschechischen Schriftsteller weit hinaus. Die Weisheit, von der Paulus spricht, versteht man nur richtig, wenn man sie als ein Geschenk Gottes begreift.
Und im Mittelpunkt dieser Weisheit, wie Paulus sie auffaßt, steht das Kreuz Jesu Christi. Was ist damit gemeint? Jesus von Nazareth, derjenige Mensch, der wie kein anderer vor und nach ihm von Gottes Reich, von seiner Liebe und seinem Erbarmen sprach und beides auch lebte und danach handelte, dieser Jesus von Nazareth wurde von den Menschen ans Kreuz geschlagen und also aus der Welt herausgedrängt und herausgetötet. Aber Gott hat sich damit nicht abgefunden. Er hat in der Auferweckung Jesu Christi gezeigt, daß seine Liebe stärker ist als alle Bestrebungen von Menschen, die unendliche Barmherzigkeit Gottes zu leugnen, zu sabotieren oder gar zu bekämpfen. Wieso Gott das getan hat, das bleibt sein Geheimnis. Daß er das getan hat und daß wir darauf vertrauen dürfen, ist eine offenbare Gewißheit, die wir in der Weisheit des Kreuzes annehmen.
Die Weisheit des Kreuzes steht im Gegensatz zur Weisheit der Welt. Die Weisheit der Welt setzt sich an die Stelle des Kreuzes und macht den Menschen zum Maß aller Dinge. Aber das Maß aller Dinge ist im Moment die unendliche Informationsflut. Die Weisheit, die Paulus meint, macht das Kreuz zum Ausgangspunkt allen Denkens, ohne das Geheimnis des Kreuzes aufzulösen.
Die Herrscher dieser Welt, schreibt Paulus, haben die Weisheit des Kreuzes nicht erkannt. Als er das schrieb, dachte er vor allem an politische Herrscher. Nach allem, was wir über die Liebe unter den Menschen gelernt haben, kann man das noch weiter fassen: Auch die Herrscher dieser Fernseh- und Medienwelt haben die Weisheit des Kreuzes Jesu Christi nicht erkannt. Daß ein Gescheiterter zum Symbol göttlicher Weisheit wird, steht quer zu den Prioritäten und Vorlieben dieser klatschsüchtigen Welt, in der alles auf das Urteil von Juroren und Coaches in Castingshows ausgerichtet ist. Die Weisheit des Kreuzes dagegen ist keiner Nachricht, keiner Meldung, keines Berichtes mehr wert.
Liebe Gemeinde, ich leite daraus nicht die Forderung ab, das Fernsehen auszuschalten, das Radio abzudrehen oder sich aus dem Internet auszuloggen. Das wäre vermessen, überdreht und unrealistisch. Aber ich erinnere am Ende dieser Predigt nochmals an jenen Theologen aus dem letzten Jahrhundert. Er wollte, daß wir Bibel und Zeitung nebeneinander halten, so daß sich beide gegenseitig erhellen. Bestimmte Geheimnisse läßt die Informationsflut völlig außer Acht.
Warum Gott den Menschen in Jesus Christus in Liebe entgegenkommt, das ist sein Geheimnis, das wir nicht auflösen können. Daß Gott den Menschen in Liebe entgegenkommt, das ist unsere Gewißheit, die wir aus dem Geschenk der Weisheit des Kreuzes schöpfen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was wir uns denken und vorstellen können, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Perikope