Liebe Schwestern und Brüder,
Einleitung
aller Anfang ist schwer! So heißt es. Anfangen. Einen Zustand von selbst anzufangen, so sagte Immanuel Kant, ist Freiheit.
Anfangen. Gott ist der Anfänger schlechthin, denn er erschafft die Welt und alles, was dazugehört. Gott fängt etwas von selbst an – und auch Mensch ist frei, wenn auch in etwas eingeschränkter Weise, wie der Theologe Eberhard Jüngel einwendet.
[1] Die Welt ist dem Menschen schon gegeben.
Der heutige Predigttext beschreibt auf seine Weise den allerersten Anfang.
Ich lese aus dem 2. Kapitel im ersten Buch Mose:
Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte.
5 Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute;
6 aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land.
7 Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.
8 Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.
9 Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
10 Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilte sich von da in vier Hauptarme.
11 Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila und dort findet man Gold;
12 und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham.
13 Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch.
14 Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat.
15 Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
Der Mensch – das Geschöpf Gottes
Am Anfang war das Paradies! – Viele von Ihnen haben sicher einen Garten, vielleicht auch einen Weinberg (oder einen Teil davon), oder einen Balkon mit Blumen, oder auch ein Aquarium! Es ist wunderbar, wenn alles wohlgeordnet ist. Der Boden locker geharkt, die Reben im Weinberg angebunden, die Pflanzenpracht im Aquarium üppig. Man sieht, was man vollbracht hat. Da kann man so richtig nachempfinden, wie Gott sich umschaut und sieht, dass es sehr gut ist, was er erschaffen hat.
Nach getaner Arbeit macht sich bei uns eine wohlige Zufriedenheit breit. Man hat zwar kräftig zugepackt, aber dafür wird man auch sehr belohnt beim Blick zurück: „Siehe, es war sehr gut.“
Dem Menschen ist das Paradies geschenkt. Alles ist ihm gegeben. – „Sorgt nicht für morgen“ haben wir im Evangelium gehört, „denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.“ Alles ist da: Tiere, Pflanzen, Vögel, Fische, Sonne und Mond, Himmel und Erde, Tag und Nacht.
Und ganz beschaulich wird auch im Predigttext die Anordnung der Welt beschrieben.
Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilte sich von da in vier Hauptarme. Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila und dort findet man Gold; und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham. Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat.
Der Schöpfungsbericht legt hier wohl so viel Wert auf das Wasser, weil Wasser Leben bedeutet. Uns Menschen in Deutschland ist die Abhängigkeit von Wasser häufig nicht so bewusst, weil es auch gerade in diesem Sommer wieder viel geregnet hat. Doch in anderen Landstrichen sieht es ganz anders aus. In Griechenland habe ich gesehen, dass sogar in manchen Gegenden der Mais bewässert wird. Auch in Afrika hängt der Ertrag schlicht daran, ob ein Brunnen in der Nähe ist oder nicht.
Jesus Christus verwendet das Wasser als Bild für den Glauben. Er sagt: „Wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt“ (Joh 4,14).
Der Glaube bringt Leben mit sich. Jesu Worte geben Halt und Orientierung. Sie geben Sinn, und bringen den Menschen – so denke ich – dem näher, was der Kern des Lebens ist: die Liebe, das heißt: die Selbstliebe, die Nächstenliebe und die Gottesliebe.
Der Mensch – der Gärtner
Gott gibt zum Leben den ersten Impuls. Er schenkt dem Menschen das Leben, er sorgt für ihn. Und dann wird der Menschen zum Gärtner, hat den Auftrag, den Garten zu bebauen und zu bewahren.
Im Lied von Paul Gerhardt[2] klingt das so:
„Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinnen; ich singe mit, wenn alles singt, und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen.“
Wie in dem Lied beschrieben, lässt der Mensch sich also anstecken von der „unverdrossnen Bienenschar“[3].
Und dennoch: Bei allem Fleiß haben Menschen mit dem Bewahren und Bebauen so ihre liebe Müh. Gartenarbeit ist wunderbar, um „den Kopf freizukriegen“. Es ist aber auch nicht leicht, all das Gegebene zu hegen und zu pflegen. Ich erinnere noch einmal an den Garten, den Balkon, den Weinberg. Das braucht alles Zeit und Energie. Im übertragenen Sinn: Es braucht Liebe und Geduld, um Kinder zu erziehen. Es braucht Durchhaltevermögen, einen Schulabschluss zu machen oder ein Projekt zu verwirklichen. Es braucht den Blick für das Ganze, um die Schöpfung zu schützen und zu retten.
Immer wieder ist der Mensch als Gärtner aktiv. Dabei braucht er den Segen Gottes:
„Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt, dass ich dir stetig blühe; gib, dass der Sommer deiner Gnad in meiner Seele früh und spat viel Glaubensfrüchte ziehe.“[4]
Der Mensch braucht Gottes Hilfe, damit sein Handeln fruchtbar ist. Heißt dies auch, dass der Mensch immer von Gott abhängig bleibt, immer nur ein kleiner Anfänger?
Der Mensch – der ewige Anfänger?!
Mit dem Anfangen ist es ja so eine Sache. Auf der einen Seite ist die Vorstellung befreiend, immer wieder neu anfangen zu dürfen – mit sich und mit anderen. Gott ist nicht nachtragend, sondern schenkt immer wieder einen neuen Anfang.
Auf der anderen Seite ist immer wieder neues Anfangen auch anstrengend. Es braucht Routinen und Rituale, damit sich Menschen zurechtfinden. Es soll sich gar nicht alles ändern. Aus meiner Vikariatsgemeinde in Hohenlohe kennen ich das Argument gut: „Es war schon immer so.“ Aber, ich muss sagen: Das gibt es auch im Schwäbischen! Und es ist ja auch gut, sich – im angemessenen Maß – auf das zu verlassen, was sich bewährt hat.
Ist der Mensch nun ein ewiger Anfänger? Nein, und ja. Sein Leben kommt ja zu einem Ende. Aber nur zu einem irdischen. In der letzten Strophe von „Geh aus, mein Herz“ klingt die Dimension des ewigen Lebens an:
„Erwähle mich zum Paradeis und lass mich bis zur letzten Reis an Leib und Seele grünen, so will ich dir und deiner Ehr allein und sonsten keinem mehr hie und dort ewig dienen.“[5]
Hier und dort – im Leben und über dieses Leben hinaus. Interessanter Weise bezieht sich die Erzählung von der Auferstehung Jesu im Johannesevangelium auf die Schöpfungsgeschichte zurück. Maria von Magdala erschrickt, als sie zum Grab kommt und Jesus sieht, weil sie ihn für den Gärtner hält (Joh 20,14). Jesus, der Gärtner, das Leben bringt.
Jetzt, in der Kirchenjahreszeit Trinitatis, eröffnet sich ein Bogen von der Schöpfung über Weihnachten und Ostern. So heißt es in einem Weihnachtslied: „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis…“[6] Jesus öffnet uns neu die Tür ins Paradies. Und die Natur führt uns das neue Leben vor Augen, dass wir an Ostern und Weihnachten feiern.
Auch den heutigen Sonntag feiern wir im Glauben daran, dass Gott ein Gott des Lebens ist. Gott hat uns Menschen das Leben geschenkt. Sehen wir zu, dass wir den Garten des Lebens bewahren und bebauen – als Geschöpf Gottes, als Gärtner und als Anfänger.
Amen.
[1] Eberhard Jüngel. Anfänger. Herkunft und Zukunft christlicher Existenz. Zwei Texte. Stuttgart 2003, 7.
[2] Paul Gerhardt: Geh aus, mein Herz, und suche Freud, Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für Württemberg, Stuttgart 1996, 925.
[3] Ebd
[4] Ebd.
[5] AaO. 926.
[6] Nikolaus Herman: Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für Württemberg, Stuttgart 1996, 96-97.