Predigt zu 1. Mose 8,1-12 von Heinz Behrends

Predigt zu 1. Mose 8,1-12 von Heinz Behrends

„Xaver“ wird morgen übers Land fegen, der Rundfunk warnt vor dem stürmischen „Bayern“, Schulen werden am nächsten Tag geschlossen bleiben. Wer nicht unbedingt muss, sollte zu Hause bleiben. Und nachts kommt er tatsächlich auch zu uns nach Süd-Niedersachsen. Ich kann nicht schlafen, denn es klatscht und drückt an den Fenstern. Irgendwann sag ich zu meiner Frau: Ich glaub, er legt sich. Am nächsten Morgen schau ich heraus. Es ist ruhig. Ich kann das Fenster ohne Gefahr öffnen, die Wolken sind verzogen. Auf der Straße liegen noch Spuren der Nacht: Zweige, Dachziegel, umgeworfene Mülltonnen. Menschen gehen wieder ihren gewohnten Gang. Im e-paper lese ich von schweren Schäden an der Küste. Hamburg war bedroht gewesen, der Fischmarkt unter Wasser. Doch jetzt atmet alles auf. Nur die Kinder ärgern sich, dass sie morgen wieder zur Schule müssen. Es ist die Zeit nach dem Katastrophen-Alarm.
Die Geschichte nach der Katastrophe erzählt 1.Mose 8, die Geschichte von Bedrohung und Bewahrung. Eine Ur-Geschichte, die sich immer wiederholt, wo Menschen leben.

Wie ist das, wenn die Bedrohung gerade ihren Höhepunkt überschritten hat?
Nach einem bösen Traum in der Nacht.
Nach einem Krach, der die Beziehung gefährdet.
Nach dem Tod des Partners, der das Leben in der Substanz trifft.

Wie ist das, wenn die Bedrohung weicht?
„Da gedachte Gott an Noah“.
Gott gedenkt. Er denkt an die Menschen in der Holzkiste auf dem großen Wasser, die etwas verloren mit den Tieren auf der Flut schwimmen.
Gott gedenkt. Es scheint, er habe sie vergessen und müsse sich erst wieder erinnern. So geht es einem in der Bedrohung. Gott hat mich vergessen. Aber er hat von Beginn an an mich gedacht. Das Gefühl, vergessen zu sein, beschäftigt den Bedrohten.

Gott gedenkt und die Wasser verlaufen sich langsam nach 150 Tagen. Die Arche rammt den Berg Ararat. Eigentlich ist das schon die Rettung, aber die Menschen in der Arche müssen das erst langsam begreifen.
Jede Bedrohung ist so elementar in meinem Leben, dass ich die Rettung nur sehr zögernd wahrnehmen kann.
Du erwachst aus einer Operation und beginnst, dich vorsichtig zu bewegen, zu spüren, ob du wieder bist, die eine Hand berührt die andere, das Bein leicht anheben, die Gesichtshaut ertasten.
Du schaust dich nach einem Konflikt irritiert um und suchst nach Blickkontakt mit deinem Gegenüber. Verliebte erleben sich als Fremde und erinnern langsam die besseren Tage.
Du bist verwitwet und weißt noch nicht, wer du bist, ohne ihn.

Merkwürdig. Noah hätte ja warten können, bis Gott sagt: „Öffne die Luke“, aber er wird  behutsam aktiv. So ist das wohl nach der überstandenen Bedrohung. Du musst etwas tun, weil Bewegung Leben heißt.
Er hatte lange genug gewartet, zweieinhalb Monate und 40 Tage.
Doch dann lässt er den Raben hinausfliegen. Er fliegt hin und her und bringt keine eindeutige Botschaft. Er sieht bald Land, meldet es aber dem Noah nicht. Die Bewahrung ist schon in Sicht, aber niemand sagt es dir. Du fühlst, du lebst, dass du wieder auf die Beine kommst, aber du bleibst im Ungewissen. Niemand redet mit dir, weil du ja noch verwundet zu sein scheinst.
Noah wartet 7 Tage.
Er lässt die Taube fliegen. Sie sieht Land, aber noch keine Ruhestätte auf Erden. Noah streckt liebevoll seine Hand aus dem Fenster und hilft dem kleinen Freund hinein.
Da ist jemand, der sucht mir dir, das Vertrauen in das Leben zurück zu gewinnen. Er streckt die Hand aus nach dir. Du kehrst in den behüteten Raum zurück, aber es ist und bleibt eng, du bist nicht du selbst, nicht frei.  Du kannst nach überstandener Not noch nicht ausruhen.
7 Tage später lässt er die zweite Taube hinaus. Den ganzen Tag bleibt sie weg und lässt Noah im Ungewissen. Dann kehrt sie mit dem frisch gepflückten Öl-Zweig zurück. Er ist ein Zeuge des Lebens. Aber eine Ruhestätte für die Nacht hat er noch nicht gefunden.
Langsam wächst das Vertrauen. Du wirst bald hindurch sein. Du traust dich zu einer ersten Berührung, du legst die schwarzen Sachen ab, du wagst dich wieder ins Leben. Die Erinnerung an die Zeit der Katastrophe wacht auf, aber du verdrängst sie und schaust auf das Öl-Blatt. Öl-Blatt und Taube werden später Symbole des Überlebens, der Sehnsucht nach Frieden. Picasso hat es mit einem Federstrich genial gezeichnet. In der jüdischen Tradition ist es allerdings Symbol für das Volk, das keine Ruhestätte findet.

Das Vertrauen in das Leben beginnt zu wachsen. Du hast Zeit und Atem für Fragen, die du bisher verdrängt hattest.
Warum war ich bedroht, warum habe ich überlebt?
In Zeiten der Katastrophe hast du die Fragen viel schärfer, grundsätzlicher und aggressiver gestellt. Jetzt hat es etwas Spielerisches. Aber die Antwort ist immer dieselbe. Die einen sagen, Noah sei ein frommer Mann gewesen, die anderen sagen, er war ein guter Handwerker, zufällig von Gott ausgewählt.
Andere sagen, er habe Gnade vor den Augen Gottes gefunden. Ohne weitere Begründung. Einfach so. Warum eigentlich?
Du bekommst keine Antwort und bleibst fassungslos, vorher mit Entsetzen, hinterher vor Freude.

Was ist mit den anderen, die nicht überlebt haben?
Keine Antwort in der Geschichte, wie so oft es in der Geschichte der Menschen keine Antwort gibt.
Es sei denn, du findest eine für Dich. Ich denke, du lässt die Geschichte als Verheißung, als Trost nicht los und lebst von ihr.
Meine Frau zeigt unserer Enkelin Paula, 5, das Bilderbuch von Noah. Die Arche ist gerade verschlossen, einige Tiere stehen traurig am Rand, sie sind zu spät gekommen. „Was ist mit denen“? fragt Paula. „Was meinst Du denn?“ – „Die nehmen das nächste Schiff“. Kinder mögen nicht, dass andere verletzt oder zerstört werden.
Gut, dass sie nicht gefragt hat, was mit den Fischen ist.

Du  bist gerettet, schaust zurück und fragst: Wie war es eigentlich in der Enge der Arche?
So mag Noah gefragt haben, als die Bedrohung überstanden war. War die Seele müde vom Gestank der Bären, Löwen und Leoparden, wie ein rabbinischer Ausleger sagt. Oder lebte er in paradiesischer Einheit mit den Tieren?
Wo war meine Arche in der Bedrohung und als das Wasser fiel? War es die Kirche, der Gottesdienst, das Gebet, ein Mensch? Jemand, zu dem ich gehen konnte? Oder eine therapeutische Wohngruppe?
Noch ist Noah sich seiner Zukunft nicht sicher. Er lässt die dritte taube hinausfliegen. Sie kehrt nicht zurück. Er wartet auf das Wort Gottes und geht dann hinaus – nach mehr als 10 Monaten. Nun hat er wieder festen Boden unter den Füssen.

Das Ehepaar kann wieder miteinander reden, die Witwe nimmt das Abonnement im Theater wieder wahr.
Was du erlebt hast, das hast du als Gnade erlebt. Das Leben war schon bereitet, ehe du aus der Arche ausgestiegen bist.

Für Gott endet die Geschichte mit einer Ernüchterung. Das Leben hat Noah bald wieder. Er fängt zu trinken an. Seine Söhne kichern über den Vater, der sich vor ihnen entblößt. Nichts hat sich geändert. Am Berg Ararat kämpft weiterhin ein Volk um seine Zukunft. Aber Gott weiß das alles. Die Begründung für die Bedrohung ist auch seine Begründung für die Bewahrung. Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Grund auf. Dennoch soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Menschen sollen leben. Die dritte Taube ist der Bote des Lebens.

Sie fliegt über das Meer der  Zeit, sieht das versklavte Volk in Ägypten, das gelobte Land mit seinen Früchten, das Unvermögen der Menschen, es zu erhalten, senkt sich herab, um die starken Propheten zu hören, fliegt weiter über die Ruinen des Tempels, bis sie einen Mann im Wasser des Jordan stehen sieht, wie er getauft wird. Sie senkt sich herab auf sein Haupt: „Das ist mein lieber Sohn, an ihm habe ich Wohlgefallen“. Jesus. Er wird zeigen wie ich es gemeint habe mit Euch. Er lebt und zeigt es in Wort und Tat, in Liebe und Barmherzigkeit, aber Menschen bringen ihn um, Die Taube setzt sich auf die Spitze des Kreuzes und verharrt einen Augenblick, hebt kurz zum Flug an und senkt sich wieder herab auf viele. Sie verstehen sich, obwohl sie verschiedene Sprachen sprechen, es ist Pfingsten. Gott lebt in und zwischen uns. Die Taube setzt wieder zum Flug an, setzt sich hier und da auf Menschen, die andere trösten, die sich die Wahrheit eingestehen und daran wachsen. Die Taube möchte den  Blick abwenden, als sie vor 100 Jahren das große Elend des Ersten Weltkrieges kommen sieht. Fliegt weiter, setzt sich immer wieder auf einzelne Menschen und gibt ihnen die Kraft des Heiligen Geistes. Und heute ist sie hier in unserer Gemeinde gelandet, die dritte Taube aus der Arche. Die die Zusage des Schöpfers mitbringt, die Zukunft des Auferstandenen. Heiliger Geist, den wir im Glaubensbekenntnis anrufen. In Gemeinschaft, in Versöhnung und der Kraft des ewigen Lebens werden wir leben.  

Perikope
Datum 02.02.2014
Bibelbuch: 1. Mose
Wochenlied: 244 346
Wochenspruch: Ps 66,6