Predigt zu 1. Perus 5,5c-11 von Jörg Coburger
5,5-11

Predigt zu 1. Perus 5,5c-11 von Jörg Coburger

Mit dem Abstand der Jahre und der Heiterkeit gelassener Erinnerung an ständige Sorgen wegen des Mangels der DDR-Zeit, wo es an fast allem fehlte, dann an die 1990iger Jahre  und dem schnellen Überfluss – und zugleich ganz anderem Mangel des Westens – stellt sich beim Predigttext Nachdenklichkeit ein.

Worum mache ich mir jetzt gerade Sorgen?
Was beschäftigt mich?Was droht mich zu verschlingen?
Was darf nicht aufgeschoben werden?
Wann nimmt mein Sorgen hysterische Formen an?
Was ist wichtig? Weniger wichtig? Ganz und gar unwichtig?

Die Worte lassen mich erst einmal durchatmen, denn ich verstehe es so, dass keiner Naivität das Wort geredet wird, wie man sich nur sorgen könne. Da ist keinerlei Vorwurf oder Moral, dass sich jemand Sorgen macht.

 

Die Sorgen der Petrusgemeinde, die einiger Gefahren ausgesetzt ist, stehen noch einmal auf einem anderem Blatt als wir heute und hier leben.

Wir sind oft satt, dass wir uns nach meiner Beobachtung in der Predigtlandschaft einen süßen, schönen Standardsatz leisten können, der da heißt: „Wir wollen unser Leben nicht sichern..“ oder so. Und ich sehe so viele, die nur in Angst und Not tagein tagaus gerade damit beschäftigt sind, wie sie ihr Leben mit zwei der gar drei Jobs in den Griff bekommen. Dabei sitze ich sicher, da lassen sich solche Sätze leicht daherreden. Arbeitslosigkeit habe ich niemals kennengelernt. Aber ich habe mit Menschen zu tun, die mir sagen: „Ich gehe nicht mehr in die ARGE, weil ich dort gedemütigt werde, ich halte das nicht mehr aus.“

Sind wir mit falschem Sorgen beschäftigt? Kümmern wir uns auch in den Kirchgemeinden um Nichtiges? Bischof Carsten Rentzing sagte in einem der Podiumsgespräche zur Vorstellung der Bischofskandidaten, er mache sich weniger Sorgen um weniger Geld in den Kassen als zuerst darum, dass die Kirche geistloser wird.

Wie lächerlich muss uns heute die wochenlange Sorge um den Kauf eines, vielleicht noch gebrauchten, Trabant-Auspuffs erscheinen und alle nur erdenklichen Ersatzteile um Baumaterial, wenn das Dach kaputt war, um ein Buch, das der Staat für schädlich hielt, wenn ich es läse. (Die Liste der verbotenen Bücher in der ehemaligen DDR war lang.) Mangelwirtschaft, wo man hinschaute, denn Schalck-Kolodkowski verkaufte alles für Dumpingpreise an den Westen.

 

Und dann kamen nach 1990 die Versicherungen, die Hochglanzbroschüren und das Gefühl: „das alles fehlt dir“. Manchmal blühende Landschaften, aber auch Beton und Bürokratie, die nicht bereit ist, sich auf Bauabläufe einzustellen. „Es gab auf einmal alles.“ Der daran gewohnte und trainierte Westen lachte wie in einem Zirkus über den doofen, stolpernd-tappenden Clowns-Osten in seinen viel zu großen Latschen und wir atmeten erst einmal auf. So stimmt es wohl auch: wir wurden in unserer Faszination auch abgelenkt, so sehr gefangen genommen, dass es sicherlich in Forschung und Lehre nicht als „brüllender Löwe“ (1.Petr 5,8) durchgeht – diese Sprache wäre wohl außer Günther Grass jedem zu barock – aber sehr wohl als etwas, dass uns zu verschlingen drohte. Wir waren vom peinlichen sozialistischen Materialismus in den westlichen Kapitalismus getaumelt. Die Kollektivismen haben gewechselt. Wir wurden aufgesogen, verschlungen.

Heute wird mir die Aufgabe erteilt, mein Leben ständig zu optimieren.
Nun mache ich mir Sorgen, dass meine Daten virtuell immer und überall abgegriffen werden. Dass wir einer Überwachung anheim gegeben sind, wo sich die alten Stasi-Schurken bestätigt zurücklehnen. Alles zu meiner Sicherheit, so einfach kann ich das auch nicht bestreiten - Terror sei Dank.

Eines aber erbitte ich mir vom meinem Herrn: Dass ich die Erfahrungen, die mit diesem Machtwechsel zu tun haben, also alte Fesseln loszuwerden und neue Fesseln zu empfinden, nie missen möchte. Und vor allem seit 25 Jahren erstmalig wirklich Demokratie einüben zu dürfen. Nie wieder wollen wir in DDR-Verhältnisse zurück. Könnte es nicht ein Symptom dieses Verschlingens sein, dass uns mit geradezu dämonischen Argumenten

(„Deutschland ist irgendwie demokratiemüde!“) die Lust eingeimpft werden soll, beherrscht zu werden? Was ist denn dämonisch und „der Teufel, der umhergeht“? Es ist die Neigung, zwar einerseits Versagen zu beklagen, aber doch daraus Gewinn ziehen zu wollen. Es ist der Hochmut, Erinnerungen alleine, ohne Gott zu sortieren. Denn wir haben nicht Erinnerung, wir machen Erinnerung. Erinnerung ist eine schöne Lügnerin.

Was verschlingt mich gerade? Wovon bin ich gerade besetzt? Worum will ich mich „zersorgen“? Was will mich trennen von Gott? Wieso denn das, Trennung von Gott? Weil der benannte Mangel an Demut solches bedeutet: Trennung von Gott. „Der Hochmut fängt an, wenn der Mensch den HERRN verlässt und sein Herz von seinem Schöpfer abwendet.“ (Sirach 10,12f)

Eine leise, aber sehr greifbare Geschichte ist die von Maria und Martha ( Lk 10,38-42 ). Sie ist ein gutes Beispiel, geradezu wie eine Konkretisierung für den Petrusbrief und dessen Gedanken zum Sorgenmachen. Ausdrücklich erkennt Jesus an, dass Martha sich viel Mühe macht. Aber völlig gegen jede political correctness setzt sich Maria ihm zu Füßen und lauscht dem Rabbi. Sie hat das gute (Erb-) Teil erwählt, das soll ihr nicht genommen werden. Jesus ist in Wahrheit beider Gastgeber! Maria sorgt sich um ihre Seele.

Für euch ist gesorgt! So verstehe ich den ganzen Brief. Dazu gehört unsere Wachheit und Nüchternheit, das Gegenteil von Hysterie. Das Werfen der Sorge ist untrennbar mit Widerstand verbunden. Die Hysterie besteht kernhaft darin, dass mir täglich jemand einreden will: „Du kommst zu kurz.“ Und ich muss, wenn auf der Höhe der Zeit, auch sagen können: „Ich führe ein selbstbestimmtes Leben.“ Habt die anderen mit ihren Leiden im Blick, so fordert es Petrus. Dann wäre Hochmut ein Mangel an solidarischem Leben.

Wachheit und Nüchternheit übersieht die anderen nicht. An mich selbst gebunden ist Widerstehen nötig. Unser Widerstand und unsere Demut gründen in der Fürsorge Gottes. „Dass ich nicht gebunden an mich selber bin.“

Besorgt um mich selbst? Kurzer Blickwechsel dazu:
Wie ist das mit den anderen, wenn sie es mit mir zu tun bekommen?
Werden sie in meiner Nähe größer oder kleiner gemacht?
Werden sie stärker oder schwächer?
Müssen sie sich ständig vor mir verteidigen oder rechtfertigen?
Wie ändert sich ihre Körpersprache mir gegenüber?
Was sprechen die Augen, die Hände die Schultern?
Darf den anderen etwas Frommes im meiner Anwesenheit herausrutschen?
(Ich frage überlegt so herum und nicht anders, weil das Schweigen meiner Beobachtung nach überhand genommen hat.)

Haltet alle miteinander an der Demut fest!“ Langsam ahne ich erneut, was das zwischen uns entgiften kann!