Predigt zu 1. Petrus 2,1-10 von Jochen Riepe
2,1-10

                                                                            I

Umfrage *: ‚Und was ist Ihre Lieblingsbeschäftigung am Sonntag?‘ ‚Ich gönne mir den Gottesdienst‘, antwortete die alte Dame, ‚und dann ein gutes Mittagessen‘. Die Konfirmanden sahen sie an  wie eine wundersame Fremde . Mittagessen, ja, aber Gottesdienst, Predigt, alte Lieder: ‚sich gönnen‘ oder gar ‚genießen‘?

                                                                           II

Der Mensch ist ein Säugetier, sagen die Zoologen, und ein kleines Menschenkind, das nicht saugen, ‚ansaugen‘, kann oder will, bereitet seinen Eltern große Sorgen. Zum Saugen an der Mutterbrust gehört wohl durchaus etwas Heftiges, Gieriges und Begieriges … ein anderer muß schließlich mir geben, was ich brauche, damit ich zufrieden und satt, eben gestillt bin. ‚Junge, schling doch nicht so‘, an diese Ermahnung muß ich heute noch denken, wenn ich hastig oder eben gierig esse. Peinlich, dabei beobachtet zu werden: Es nimmt mir doch keiner etwas weg. Es neidet mir doch keiner mein Essen.

                                                                             III

‚So seid  begierig  nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, damit  ihr durch dieselbe zunehmt zu eurem Heil.‘  Petrus, liebe Gemeinde, nimmt das Urerleben des Menschen, des Säugers, auf. Das von Gott ‚auserwählte Geschlecht‘, die ‚königliche Priesterschaft‘  darf ihr Verlangen, ihre Begierde zeigen. In einer Umwelt, damals und heute(?), da die Weisen vornehm  zu Maß, Kontrolle und  Ansichhalten raten, zum autarken Menschen, da gesteht er den Christen die Heftigkeit eines Säuglings zu: Saugen und Schmecken, ‚daß der Herr freundlich ist‘.  Sinnliches, Archaisches und Geistliches, Gehobenes kommen im Ruf des Apostels eigentümlich zusammen: Nehmt auf das Wort wie die Kinder die Muttermilch – ‚Wortmilch‘ hat man das genannt**.

                                                                              IV

Aber eben: Ist das nicht peinlich und beschämend,  dieser Wortmilch zu bedürfen und das auch noch zu zeigen und zu leben? Petrus nennt die Christen solche, die Fremde und Beisassen in der Welt sind, solche, die neben dem Haus wohnen. Gilt für die Hausbewohner das Ideal der Genügsamkeit und soz. Selbstversorgung, so zeigen sie ganz deutlich: Zu meinem Leben gehört Fremdes, Anderes, was mir von außen zukommt. Zu meinem Leben gehört  wenn man so will: die große Brust unseres Gottes, die er uns in Christus reicht. Ja, da mögen manche abgeschreckt sein – Gottesdienstbesucher haben bekanntlich kein gutes Image; ‚der hat’s wohl nötig‘, sagen die Selbstversorger -, aber diese unsere Verletzbarkeit oder dieses Schamgefühl – wir können sie bedeckt sein lassen in dem Haus, das mit Christus  als Eckstein für uns erbaut wurde

                                                                           V

‚Ich gönne mir den Gottesdienst und anschließend ein gutes Mittagessen‘, sagte die alte Dame den Konfirmanden und verband auf ihre Weise Sinnliches und Geistliches, ja, wie eine ‚wundersame Fremde‘.  Darf man  so  -auch über alte Damen - sprechen: Ihre sinnliche Begierde, ihr animalisches Verlangen nach Nährendem und Aufbauendem, eben: Stillendem wurde in dieser Weise nobilitiert, eine Stufe höher gehoben in eine gleichsam scham- und konfliktfreie Zone, eine Zone ‚guten Mutes‘***. Im Hause der Christen, diesem königlichen Beisassen-Haus, an dem wir alle tätig mit bauen dürfen, wird ein Wort gesprochen, gereicht und ausgeteilt, das den Hunger des Leibes und der Seele, das große schwarze Loch, diese bodenlose Unzufriedenheit, die uns manchmal überfällt, überschreitet und  uns aus Angst und  Selbstfixierung befreit: ‚Bekomme ich auch genug? – Hat der andere mehr bekommen? – Wie lange reicht die Quelle meiner Befriedigung noch?‘

                                                                               VI

Wortmilch‘ -,vernünftige und lautere Milch‘… Gewiß, liebe Gemeinde, und darum sind für Petrus  dieses etwas überraschenden Eigenschaften wohl wichtig: Milch, befriedigende und nahrhafte Milch  wird uns genug versprochen und empfohlen und mag es in der Weise von Schnaps und Tabletten sein. Es gibt auch Reden oder Schlag-Wörter, die Menschen gierig aufnehmen und die sie buchstäblich besoffen machen – auch uns in Dortmund ist nicht fremd, wie rechtsradikale Slogans Menschen auffüllen und dumm machen. Meine Sehnsucht und mein Verlangen, ja: der Sauger in mir, kann alles mögliche aufnehmen, verschlingen, die größten Dummheiten und die höchsten Kulturgüter – und doch bleibt der Mensch innerlich leer, unzufrieden, deprimiert oder aggressiv, wenn er nicht zuvor – ja, mit dem Zeichen des Christus versehen, mit diesem ‚Eckstein‘  fundiert wurde. Wenn dieser Eckstein fehlt, wird aus dem Hause der Christen, und mag es noch so schön und groß sein, mögen ihre Gottesdienste noch so feierlich  sein, eine unvernünftige, trübe Still- oder Bierstube, eine Bedürfnisbefriedigungsanstalt, in der man vielleicht voll, aber nicht satt wird: ‚Vernünftig und lauter‘ sind nur jene Milch und jenes Wort, die aus dem Christus fließen.****

                                                                             VII

Der Mensch ist ein Säugetier – das ist die Einteilung und Zuordnung der Zoologen und wir sollten lernen, mit diesem Animalischen in uns zu leben. Mit diesem bleibendem Lebenshunger. Der Mensch muß saugen, beißen, kauen, schlucken, Hunger und Durst stillen, aber in all dem soll er doch jenseits der nackten Begierde – Freiheit und Genuß erfahren, also es sich schmecken lassen dürfen, sich etwas gönnen dürfen. Auf der Website einer psychosomatischen Klinik lese ich: ‚Weil wir auf nichts mehr gierig sein dürfen, leiben wir uns auf verrückte Weise ein, wonach uns gar nicht gelüstet‘. Das ist bekannt und oft gesagt: Gier, Begierde, die verboten und unterdrückt wird, sucht sich ihre eigenen –verrückten –Wege. Sie nimmt das Nächstbeste oder Fernste, sucht verzweifelt, es sich einzuverleiben, um es dann wieder auszuspucken oder zu erbrechen. Gier, die benannt und gleichsam in der Christus-Vernunft gutgemacht und zugelassen ist, ein Säugetier, das auch Säugetier sein darf, hat  die Chance,in seinem Verlangen begrenzt und ausgerichtet zu werden und so im Hause der Beisassen, der bei oder neben dem Haus Wohnenden, befriedet zu werden. Die Sorge, nicht genug zu bekommen; der scheele Blick, daß der andere  das mir Zustehende nimmt, weicht der Freiheit der Zurückhaltung und des miteinander Teilens.  Wie gesagt: eine Chance – nicht umsonst nennt Petrus ja ‚Bosheit‘, ‚Heuchelei‘, ‚Neid‘  und ‚üble Nachrede‘ als die die Christen immer neu gefährdenden   Mächte.

                                                                         VIII

‚Seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein‘ … ‚Wortmilch‘.  Die alte Dame drückte eben dies wundersam fremd und wundersam konkret aus: Wir dürfen uns Gottes Freundlichkeit gönnen und auch ein gutes Mittagessen.

 

*anläßlich einer Unterrichtsreihe zum 3. Gebot

**s. R. Feldmeier, H. Spieckermann, Der Gott der Lebendigen Eine biblische Gotteslehre, 2011, S. 85

***vgl. Prediger 9,7

****vgl. Joh.7,37;19,34

Perikope
27.07.2014
2,1-10